Forschungsstelle "Westfälischer Friede": Dokumentation

DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa

Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur

KATIA MARANO
Domenico Gargiulo - Der Masaniello-Aufstand in Neapel 1647

Im Museo Nazionale di San Martino in Neapel befindet sich ein außergewöhnliches Bild aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, gemalt von Domenico Gargiulo (Neapel 1612-1675), besser bekannt unter dem Namen Micco Spadaro. Die Entstehungszusammenhänge des Bildes liegen weitgehend im dunkeln, allerdings läßt sich vermuten, daß das Bild zusammen mit einem weiteren im Auftrag des spanischen Regenten Stefano Carriglio für den Madrider Hof gemalt wurde - sie haben Neapel jedoch nie verlassen. [1] Beide Bilder stellen zentrale Ereignisse aus der Geschichte Neapels dar: die Prozession am 17. Januar 1631, um das Ende des Vesuvausbruches zu erbitten [2], und - gleichsam als Augenzeugenbericht - den Volksaufstand von 1647 in Neapel, der in die Geschichte als der "Masaniello-Aufstand" eingegangen ist, ein spektakuläres Ereignis, das weit über die Grenze Italiens hinaus bekannt wurde (Abb. 1). [3]

Der Ort des Bildgeschehens ist die Piazza del Mercato, auch nach der in der Chiesa del Carmine aufbewahrten Votiv-Madonna Piazza del Carmine genannt. Die Kirche ist im rechten Mittelgrund zu sehen, davor steht die im 18. Jahrhundert abgerissene Kapelle und auf der rechten Seite der Fassade der zwischen 1456 und 1458 neu erbaute Glockenturm. Im 12. Jahrhundert erbaut, konnte die Kirche zwischen 1283 und 1300 durch eine Spende Elisabeth von Bayerns vergrößert werden; Elisabeth war die Mutter von Conradin aus Schwaben, der in dieser Kirche begraben liegt. Conradin gilt als der erste, der auf dieser Piazza - damals noch extra Moenia - im Jahr 1268 hingerichtet wurde. Die Piazza entwickelte sich in der Folgezeit zum Hinrichtungsplatz der Stadt, zuletzt wurden hier 1799 die Liberalen der Parthenopeischen Revolution aufgehängt. Den Hintergrund des Gemäldes bilden der Vesuv, der Monte Somma und Teile des Golfes von Neapel. Der Standpunkt des Betrachters entspricht dem der Kirche von Sant'Eligio, die sich auf der westlichen Seite der Piazza befindet und eben falls aus dem 12. Jahrhundert stammt.

Die Piazza wird von den revoltierenden Massen gefüllt. Die Menschenmenge ist auf der ganzen Bildfläche durch perspektivische Korridore geteilt, was dem Maler erlaubt, eine Vielfalt von Episoden darzustellen, die die Piazza zum "Leben erweckt" und gleichzeitig der Menge ihren anonymen Charakter nimmt - eine Komposition, die deutlich dem Vorbild Jacques Callots verpflichtet ist.

Seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war Neapel nach Paris die größte Stadt Europas; um 1650 lebten hier mehr als 350.000 Menschen. Sie war eine Konsum- und Verwaltungsstadt, und es gelang ihr nicht, den dringend notwendigen ökonomischen Wandel zu vollziehen und die Produktionskraft der heimischen Wirtschaft zu stärken. Diese wirtschaftliche Unbeweglichkeit und die spanische Steuerpolitik in der letzten Phase des Dreißigjährigen Krieges führten zu schweren politischen und wirtschaftlichen Spannungen. [4]

Die Beziehungen zwischen der spanischen Krone und ihren süditalienischen Gebieten waren in dieser Zeit auf eine schwere Probe gestellt. Die Verminderung des Edelmetall-Imports aus Amerika sowie der finanziellen und personellen Ressourcen aus Kastilien in einer Zeit, in der Spanien höchste Kriegsanstrengungen vollbringen mußte, führten zu einem zusätzlichen Finanzbedarf der Krone. Die Forderung an die Provinzen, sich in weit größerem Maße als bisher finanziell und militärisch an dem Krieg zu beteiligen, verstieß aber gegen ihre traditionelle lokale Autonomie. Der von Spanien auf dem Kontinent geführte Krieg forderte in militärischer Hinsicht eine progressive Machtkonzentration und die Entwicklung eines absolutistischen Systems.

Die Rolle Neapels hatte sich innerhalb des strategischen Konzepts Madrids verändert: Die Stadt verlor ihre Funktion als wichtiger Stützpunkt im Mittelmeer, um sich statt dessen zum ökonomischen Reservoir Spaniens zu entwickeln. Am 26. August 1636 schickte Philipp IV. den ausdrücklichen Befehl nach Neapel, aus dem Königreich möglichst viel herauszupressen: "Il vicerè procuri di saccare tutto il possibile da questo Regno". [5]

Die Zeit des erbitterten Fiskalismus zwischen 1620 und 1647 ist aber auch durch den Mangel an Autorität der regierenden Organe gekennzeichnet. Die Erhöhung der neapolitanischen Kontributionen war eng verknüpft mit deutlichen Machtzugeständnissen an den feudalen Landadel, der traditionsgemäß die Anhebung von Steuern im Auftrag der spanischen Krone zu regulieren und zu billigen hatte.

In den beiden Jahrzehnten vor dem Masaniello-Aufstand waren der Conte de Monterey, der Herzog von Medina, der Almirante von Kastilien und der Herzog d'Arcos - die vier Vizekönige, die sich in der Regierung der Stadt Neapel abwechselten - nicht mehr imstande, das Funktionieren der Justiz und somit ihre Hauptaufgabe den Untertaten der spanischen Krone gegenüber zu garantieren. Ihre Anstrengungen galten mehr dem Eintreiben des Geldes, das in immer höherem Maße aus Madrid verlangt wurde - und je mehr Geld sie buchstäblich zusammenkratzten, um so machtloser wurden sie gegenüber dem Zustand der chaotischen Illegalität, der sich in der Stadt ausbreitete. Ein großer Teil des Adels und des Klerus konnte sich der Justiz entziehen und weite Teile des Landes blieben ohne staatlichen Schutz. Feudalherren höheren Ranges wie der Graf von Conversato und der Herzog von Maddaloni konnten, unterstützt von einer breiten Gefolgschaft und zahlreicher Verwandtschaft, sich gegenüber ihren Vasallen Verbrechen zuschulden kommen lassen und ihre Gewalt mißbrauchen, ohne daß sie dafür von der Justiz belangt wurden.

Daß Neapel die Reserve war, aus dem Spanien schöpfen konnte, um den Krieg in seiner letzten Phase weiterführen zu können, war eine bekannte Tatsache und begründete das internationale politische Interesse, das dem Vizekönigtum Neapel vor allem von Frankreich entgegengebracht wurde.

Die Informationen der französichen Agenten, die in diesen Jahren zahlreich in Neapel tätig waren, berichteten übereinstimmend von der herrschenden Ablehnung der spanischen Regierung und einer stetig wachsenden sozialen und politischen Spannung: Die Situation erlaube ein Eingreifen von französischer Seite. Keine Einigkeit aber herrschte darüber, wie diese Initiative auszusehen habe.

Mazarins Einschätzung der neapolitanischen Situation unterschied sich in einem wesentlichen Punkt von der des Kardinals Gerolamo Grimaldi, einer der größten Verfechter der französischen Italienpolitik, und von der des französischen Botschafters Fontenay-Mareuil. Während diese ein direktes bewaffnetes Eingreifen Frankreichs für notwendig hielten, um den entscheidenden Aufstand gegen Spanien zu initiieren, befürchtete Mazarin, daß eine derartige Intervention eine Annährung zwischen Neapel und der spanischen Regierung bewirken könnte. Mazarin ging also davon aus, daß sich Frankreich darauf beschränken sollte, einen Aufstand zu ermutigen und zu unterstützen.

1646 schloß Mazarin mit Duca Tommaso Carignano di Savoia ein Abkommen, in dem dem Prinzen von Savoyen die Hilfe Frankreichs versprochen wurde, falls es ihm gelänge, sich die Krone von Neapel anzueignen. Als Gegenleistung verlangte Frankreich die Stadt Gaeta und einen Hafen an der Adria. Im gleichen Jahr organisierte Frankreich eine militärische Intervention gegen die spanischen Präsidien in der Toskana. Der Plan, der von Grimaldi, einer Idee Richelieus folgend, entwickelt wurde, hatte drei Ziele: zum einen sowohl die Verbindungen zwischen den südlichen und nördlichen spanischen Gebieten in Italien als auch die zwischen diesen und Madrid zu stören; zum zweiten Druck auf den Heiligen Stuhl auszuüben, der unter dem neu gewählten Papst Innozenz X. erneut einen spanienfreundlichen Kurs eingeschlagen hatte; und drittens die Toskana zu einer strengeren neutralen Haltung zu zwingen. In der gleichen Zeit bemühte sich Kardinal Grimaldi, eine savoyenfreundliche Bewegung unter den Adligen zu begründen.

Dies also war die Situation in Neapel, als - unabhängig von den französischen Ränkespielen - am 7. Juli 1647 der Aufstand unter der Führung des Tommaso Aniello da Amalfi, genannt Masaniello, einem neapolitanischen Fischer (geb. 19. Juni 1620), entbrannte. Ihr auslösender Faktor war die Weigerung der Marktverkäufer, die neueingeführte Obststeuer - die Gabella - zu akzeptieren. Die Episode, die den Beginn der Revolte verursachte, ist eindrucksvoll in der Chronik "Ragguaglio del Tumulto di Napoli" dargestellt, die 1648 in Padua durch den Zeitgenossen Giraffi publiziert wurde. [6]

Am 22. Oktober 1647 wurde die Republik Neapel ausgerufen. Bereits im April 1648 wurde der Aufstand jedoch von den Spaniern unter der Führung Juan de Austrias niedergeschlagen und die erkämpften Stadtrechte wieder aufgehoben.

Kaum ein anderes Ereignis aus der Geschichte Süditaliens hat eine vergleichbare Resonanz in Europa erlebt und sich so tief in das historische Gedächtnis eingegraben wie der Aufstand in Neapel von 1647 und ihr Anführer Masaniello - die historische Forschung ist dieser wichtigen Rolle erst spät gerecht geworden. Man muß die Forschungen von Michelangelo Schipa aus dem Jahr 1918 konsultieren, um eine erste zufriedenstellende historische Untersuchung und Darstellung der Revolte zu finden. [7] Jüngere Studien von Rosario Villari [8], Giuseppe Galasso [9] und Aurelio Musi [10] aus den sechziger und achtziger Jahren unseres Jahrhunderts zeichnen ein ganz anderes Bild der Revolte von 1647: Sie wird nicht mehr als städtische "jacquerie" von lediglich lokaler Bedeutung dargestellt, sondern im Kontext der europäischen Politik und der Entwicklung der Geschichte Neapels selbst betrachtet. [11] Zugleich erscheint der Aufstand vielfältiger als bislang angenommen. In der ersten Phase gewinnen neben Masaniello andere Figuren an histori scher Bedeutung, wie z.B. Giulio Genoino, der schon bei der Unruhe von 1640 eine wichtige Rolle spielte. Masaniello selbst hatte kein langes Leben, denn nur neun Tage nach Beginn der Revolte, am 16. Juli 1647, wurde er ermordet - angeblich, weil ihm die Macht "zu Kopf gestiegen" war.

Als eigentliche antispanische Revolte kann erst die zweite Phase nach der Ermordung Masaniellos gelten. Die dritte Phase dauerte von Oktober 1647, als die erste Republik ausgerufen wurde, bis April 1648. Es ist die erste Phase des Aufstandes, in der Masaniello noch der Anführer war, die zum Gegenstand des Bildes von Micco Spadaro wird. Dieser war im Jahre 1647 in der Kartause von San Martino mit der Ausführung einiger Fresken beschäftigt, war also Zeuge des Tumults.

In Spadaros Gemälde spiegelt sich die aufgeladenene Atmosphäre der Revolte wider, nicht nur durch die Darstellung von Grausamkeit, die ein Tumult unweigerlich mit sich bringt wie Festnahmen, Hinrichtungen (rechts oben) und Plünderungen (der von rechts unten in die Piazza einfahrende beladene Wagen), sondern vor allem auch durch einander gegenübergestellte Szenen, wie z.B. die am rechten Rand des Bildes, wo sich neben einem triumphal auf einer Pike getragenen Kopfes eine Festszene abspielt. Volksfest und Tod vermischen sich und geben Wahnsinn und Exzesse der Revolte wieder.

In der Mitte der Piazza auf dem Sockel eines unvollendeten Bauwerkes sind die Köpfe der Hingerichteten zur Schau gestellt, während ihre Körper am Fuße des Sockels liegen. Es handelt sich um ein Denkmal, das Masaniello bei Cosimo Fanzago in Auftrag gegeben hatte, und das nie vollendet wurde. Auf den vier Seiten des Sockels waren die Konzessionen dargestellt, die der Vizekönig, der Duca d'Arcos, dem neapolitanischen Volk gegenüber gemacht hatte. Dieses Denkmal sollte durch die Statuen Philipps IV., des Duca d'Arcos und des Kardinals Filomarino gekrönt werden [12], es wurde aber nach der Einnahme der Stadt durch Juan de Austria zerstört. Neben diesem Epitaph hängt an einem in die Erde gerammten Pfahl kopfüber - in Anlehnung an die Ikonographie der Schandbilder - der nackte und verstümmelte Körper eines Mannes: der Leiche fehlen der Kopf und der rechte Fuß.

Neben den einzelnen Episoden ist ein dem Gemälde zugrundeliegender Erzählverlauf erkennbar: Er beginnt im Hintergrund oben links mit der Darstellung des ärmlich bekleideten, barfüßigen, auf einem Podest stehenden Masaniello, der zu einer Gruppe von Menschen spricht. Ein zweites Mal ist Masaniello in der Mitte des Vordergrundes zu sehen. Dargestellt auf einem aufsteigenden Pferd, ähnelt diese Figur einem Führerportrait. Es ist eindeutig, daß hier der Aufstieg Masaniellos vom Agitator zum Anführer des Aufstandes verbildlicht wird. Der im Mittelgrund des Bildes kopfüber hängende Mann befindet sich zwischen den bei den Darstellungen Masaniellos und bildet formal die Mitte des Bildes. Diese zentrale Position läßt die hängende Leiche, die wie eine Flagge über der Piazza zu schweben scheint, nicht nur zum Symbol der Grausamkeit jener Tage werden. Sie ist die Schlüsselfigur des gesamten Bildes: Aufgrund des abgeschnittenen Fußes ist sie als Don Giuseppe Carafa identifizierbar, der am 10. Juli 1647 ermordet, enthauptet und entfußt wurde. Micco Spadaro hat also für seine Darstellung der Revolte die Ereignisse des 10. Juli gewählt, was konkrete Gründe hat.

Während der ersten Tage der Revolte hatte der Vizekönig den Gebrüdern Diomede und Giuseppe Carafa den Auftrag erteilt, mit den Rebellen zu verhandeln. Die Wahl war auf die beiden aus der Überzeugung heraus gefallen, daß zum einen die Macht der Familie Carafa die Revoltierenden einschüchtern würde, und daß zum anderen die Unabhängigkeit der Brüder Carafa ihnen bei der spanischen Regierung die nötige Glaubwürdigkeit verleihen würde. Diese Einschät zung war allerdings falsch und macht deutlich, daß der Vizekönig Duca d'Arcos den Geist der Revolte nicht verstanden hatte. Die Revolte hatte mit dem Aufruf "Viva il re di Spagna e muoia il Malgo verno" begonnen [13], sie richtete sich nicht gegen die spanische Krone, sondern gegen die Regierung, die sie in Neapel vertrat.

Zu Beginn habe ich versucht, die Gründe für die Zerrüttung des Verwaltungs apparates zu bestimmen, die zur Verbreitung einer beispiellosen Korruption führten; einer Korruption, die das Ausnutzen politischer und bürokratischer Macht für private Geschäfte möglich machte. Gerade gegen diese Mißstände richteten sich die Revoltierenden, und insbesondere gegen mächtige Familien wie jene der Carafa und der Maddaloni, die die Krise der spanischen Monarchie ausgenutzt hatten, um an Einfluß zu gewinnen.

Die neapolitanischen Verhältnisse ab 1640 sind zwar in Verbindung mit der finanziellen Belastung der sogenannten asistencias zu sehen, die die spanische Monarchie dem Land zur Finanzierung des Krieges aufbürdete, stellen aber nur den offensichtlichsten Grund für den Aufstand dar. Trotz der ständigen Spannungen und trotz einiger vereinzelter Rebellionen blieb die Solidarität zwischen dem Baronaggio und der spanischen Monarchie unverändert. Nur wenige neapolitanische Adlige waren von dem separatistischen Fieber befallen, das in den übrigen spanischen Domänen herrschte. Dies war auch die Ursache für das Scheitern der französischen Pläne der Jahre 1646 bis 1648 . Die oben kurz skizzierten Machtverhältnisse in Neapel erklären auch die Entstehung des Mythos vom Königtum und dessen schützenden Gesetzen. Dieser steht für die Hoff nung auf eine Intervention von oben, die Erwartungen gegenüber der mächtigen, aber fernen Justiz. Der Vizekönig war über die Situation unterrichtet; er wußte beispielsweise, daß einige der Barone - unter ihnen auch der Duca di Maddaloni - "teneva no diverse squadre di banditi, con le quali teneva no inquieta la campagna, et se commet tevano molti delitti per detti banditi, li quali erano protetti da detti Signori". [14] Der Vizekönig Monterey versuchte 1636 dieses Phänomen wieder unter Kontrolle zu bekommen, als das Banditentum noch nicht das dramatische Au maß der Jahre um 1647 angenommen hatte. Er verfaßte eine "Prammatica", aber die Proteste der Feudalherren zwangen den Duca di Medina, der Monterey ablöste, sie zu widerrufen. [15]

Die Unruhen von 1647 waren also kein zufälliger Protest gegen die neue Obststeuer. Als Diomede Carafa die Piazza Mercato betrat, um die Verlautbarung des Vizekönigs mit der Aufhebung der neuen Steuer vorzulesen, wurde er vom Volk mit der Beschimpfung empfangen, er sei ein Verräter des Vaterlandes. Nach dieser Episode entschieden sich der Vizekönig und Carafa für zwei verschiedene Strategien gegen über den Aufständischen. Der Vizekönig zeigte sich weiterhin gesprächsbereit, um in Erwartung der Kriegsschiffe aus Madrid Zeit zu gewinnen. Carafa dagegen wählte einen härteren Kurs und organisierte einen Anschlag gegen die Aufständischen und ihre Anführer.

Die Vereinbarung zwischen dem Vizekönig und den Revoltieren den wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli unterzeichnet, und die Kapitäne der Milizen wurden für den Nachmittag des 10. Juli in die Kirche der Carmine bestellt, um einer öffentliche Verlesung der Vereinbarungen beizuwohnen. Der Plan Carafas sah vor zunächst Masaniello zu ermorden, da dieser unter den Anführern des Aufstandes einer der lautesten Wortführer war, und dann alle übrigen Führer im Kloster del Carmine und auf der Piazza Mercato zu töten. Zu diesem Zweck stellte der Duca di Maddaloni seine private Armee zur Verfügung.

Das Attentat gegen Masaniello verfehlte sein Ziel, und das ganze Komplott mißlang. In einem Brief an den Papst beschreibt Kardinal Filomarino, der damalige Bischof von Neapel, der bei der Versammlung anwesend war, wie in den Kloaken unter den Klöstern des Carmine mehrere Fässer mit Schießpulver gefunden worden waren. [16] Sofort nach dem Attentatsversuch begann das Volk die Jagd auf die Gebrüder Carafa und die Banditi, die von Maddaloni nach Neapel geschmuggelt worden waren. Nicht zuletzt wegen des kirchlichen Verbots, die Banditi in die Kirchen einzulassen, konnten viele von ihnen gefangen und geköpft werden. Der Vizekönig selbst hatte dieser Aktion zugestimmt und bestätigte sie, indem er am 12. Juli ein Edikt erließ, der all diejenigen, die die Banditi zu beschützen versuchten, mit dem Tod bedrohte.

Zum ersten Mal erzielte man einen ernsthaften Erfolg gegenüber der Übermacht des Adels und seiner Banditi. Der Zorn des Volkes hatte den labilen politischen Willen der Vizekönige ersetzt - und Masaniello wurde zum König des Aufstandes. Durch den mißglückten Anschlag gegen ihn erlangte er eine Autorität und Popularität, die er in den ersten Tagen der Revolte sicherlich nicht genossen hatte. Von den beiden Carafa schaffte es nur Don Diomede zu fliehen, Don Giuseppe dagegen wurde gefaßt, geköpft und entfußt. [17] Fuß und Kopf wurden dann gemeinsam einige Tage lang zur Schau gestellt.

Das Bild von Micco Spadaro ist eine Zusammenfassung der ersten Tage der Revolte; lediglich ein Epilog fehlt, die Ermordung Masaniellos. Aber vielleicht ist dieser in der Reiterfigur des Masaniello angedeutet, denn er wurde vor seiner Ermordung beschuldigt, durch seine Macht korrumpiert worden zu sein und den Verstand verloren zu haben. Was Micco Spadaro auf seinem Bild feiert, ist dagegen der Erfolg gegen den Baronaggio, gegen die Folgen der schlechten Regierung. Daher ist dieses Bild von Spadaro viel mehr als ein Augenzeugenbericht, es ist eine Überlegung "a posteriori" des Malers zu der Revolte. Auch wenn die Republik gescheitert war, so hatte Masaniello doch einen Erfolg zu verzeichnen: einen erfolgreichen Aufstand des Volkes gegen die herrschenden Mißstände. Daher wurde er gleich nach seinem Tod auf immer ein Held und ein Symbol.

152 Jahre nach der Revolte, kurz vor dem Ausbruch der Revolution von 1799, rief Eleonora Fonseca Pimentel in einem Artikel im "Monitore Napoletano" so eindringlich nach einem neuen Masaniello, daß König Ferdinand in einer Nacht- und Nebel-Aktion die Zerstreuung der Knochen und die Zerstörung des Grabes Masaniellos anordnete, das sich seit seiner Ermordung in der Kirche del Carmine befand, um endlich das Gespenst des Fischers zu vertreiben. Wer heutzutage in diese Kirche eintritt, kann auf dem rechten Pilaster der jetztigen Kapelle des hl. Ciro folgende Inschrift lesen:

"Il sepolcro di Masaniello qui era
ma fu tolto per mire politiche da un dispotico sovrano nel 1799
durante la rivoluzione partenopea" [18]




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ANMERKUNGEN


1. Sestrieri/Daprà 1994, S. 288.

2. Das Bild befindet sich in der Sammlung Carelli, Neapel, Öl auf Leinwand, 126 x 177 cm.

3. Die Revolte von Masaniello vom 1647, Öl auf Leinwand, 126 x 177 cm, Neapel, Museo Nazionale di San Martino.

4. Die historische Zusammenfassung basiert im wesentlichen auf Villari 1994, S. 198.

5. In den darauffolgenden Jahren wurden die Befehle immer drastischer: "Sua Maestà comanda che si habbi a vendere o impignare tutta la hazienda reale libera che tiene in questo Regno"; " [...] che si impegni e venda tutto quello che si trova libero in questo Regno" (Seine Majestät befielt, daß alle Ländereien der Krone, das er in diesem Königreich besitzt, verkauft oder beliehen werden soll"; "[...] daß alles was in diesem Königreich verfügbar ist, verkauft oder beliehen werde). Villari 1994, S. 124.

6. "Giunto intanto il giorno della Domenica, 7 luglio, che nel mercato suol farsi la festa d'una cappella di Santa Maria della Grazia [...] v'erano infiniti di questa bassa plebe; e benchè fosse giunta l'ora del comparir frutti nel luogo della gabella [...], frutti però non se ne vedevano e la ragione era perchè tutti i bottegai della piazza del Mercato s'ammutirono, e convennero di non comprar nessuno di essi le some de'frutti [...] e questo per non pagar gabella [...] il che essendo tosto riferito al regente [...] ordinò al menzionato eletto Anaclerio, che per vedere di rimediare al detto rumore, al Mercato immantinente si consegnasse; il che avend'eseguito, tentò invano, per essere tanto i fruttajoli, quanto i bottegari nel non cedere le loro ragioni fieramente ostinati. Ond'egli [...] maltrattandoli con parole, e con minacce di farli bastonare [...] accorsero a questo i ragazzi per prendere i frutti, e Mas'Aniello, che altro non aspettava, saltò fuori tra essi, gridando: senza gabella, senza gabella" (Am Sonntag dem 7. Juli, dem Tag an dem auf dem Marktplatz das Fest der Kirche St. Maria della Grazia begangen wurde [...] war dort eine zahllose Menge einfachen Volks; und obwohl es an der Zeit war, den Steuereintreibern die Früchte zu zeigen [...], waren keine Füchte zu sehen, und der Grund war, daß alle Verkäufer der Piazza del Mercato sich untereinander einig waren, daß niemand die Fruchtmassen kaufen sollte [...] und weigerten sich, die Obststeuer zu zahlen [...] Als all dies dem Regenten gemeldet wurde [...] befahl er dem Offizier, Anaclerio, sofort auf den Markt zu gehen und einen Weg zu finden, der Unruhe ein Ende zu machen. Er ging dorthin, aber seine Anstrengungen dies zu tun waren vergeblich, da die Verkäufer und die Obsthändler sich hartnäckig weigerten nachzugeben. Daher, als er [...] sie mit harten Worten angriff und drohte, sie verprügeln zu lassen, kamen die Jungen, um sich die Füchte zu schnappen, und Mas'Aniello, der auf nichts anderes gewartet hatte, erschien in ihrer Mitte und rief "Keine Steuer, keine Steuer!") in: Fiorentino 1984, hier S. 43.

7. Schipa 1918. Die folgenden historischen Synthesen beschränken sich bis in die 70er Jahre darauf, das Urteil des Schipa wiederzugeben.

8. Siehe Anm. 4.

9. Galasso 1982.

10. Musi 1989.

11. An Bedeutung für das Verständnis des zeitgenössischen politischen Bewußtseins, das die älteren Tumulte der Stadt Neapel in einem historischen Kontext sah, hat z.B. die Historia della città e Regno di Napoli von Giovanni Antonio Summonte (Summonte 1601-43) gewonnen. Sie endet mit der Erzählung der Volksrevolte in Neapel im Jahr 1585: Acerba e crudel morte di Gio. Vincenzo Starace Eletto del Fidelissimo Popolo di Napoli. Durch die historische Rekonstruktion der Revolte vom 1585 übte Summonte Kritik an der städtischen Ordnung und Geschichte wieder. Das wichtigste Ergebnis des Werkes des Neapolitaner ist die Wiederentdeckung der politischen Volkstraditionen, die er zurück bis zu den "demokratischen" Erfahrungen der Stadt im Zeitalter der Kommunen reichen läßt. Mit dem Appell an die historischen Traditionen zeigt Summonte, wie willkürlich der Anspruch des Adels sei, allein die Stadt repräsentieren zu wollen. Sein Werk regte das Bürgertum zum Nachdenken über die politische Struktur der Stadt an. Summonte gab den Unruhen, die sich in den letzten Jahren in Neapel immer wieder ereigneten, ihren ersten politischen Ausdruck und ihre Legitimation, indem er behauptet, daß es dem vassallo erlaubt sei, den Herr zu beleidigen und in bestimmten Fällen sogar zu töten, wenn er ihn auf unerträgliche Weise unterdrückt - Summonte 1601-43, II, S. 183-184, zit. nach Villari 1994, S. 57 - Theorien, die er durch zahlreiche Verweise auf den hl. Tommaso und auf die juristische Lehre unterstützt; siehe auch Villari 1994, S. 107-109 und 110-113.

12. Sestrieri/Daprà 1994, S. 288.

13. Fiorentino 1984, S. 43.

14. Villari 1994, S. 224.

15. Villari 1994, S. 226.

16. Villari 1985, S. 320.

17. Diese Verstümmelung hat folgende Vorgeschichte. Die "Casa dell'Annunziata", im gesamten Kö nigs reich die wich tigste Institu tion für die Bevölkerung, wur de durch vier "Gover natori" aus dem Volk und einem aus der Adelsschicht regiert. Nach einer Streitigkeit zwischen diesen beiden Parteien machte sich Fabr izio Carafa mit seinen Leuten auf die Suche der "Governatori popolari", um sie zu be stra fen. Als sie den "Governatore popolare" Camillo Soprano trafen, zwangen sie ihn, dem Carafa die Füße zu küss en; da nach starb Soprano an den Folgen der Schläge. - Diese Epi sode empör te die Bevöl kerung so, daß der Vizekö nig sich gezwun gen sah, dem "Mae stro nobile" Haus arrest zu erteilen. Siehe Villari 1985, S. 320.

18. Macciocchi 1993, S. 374.



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