DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
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GODE KRÄMER Das Kunstzentrum Augsburg während des Dreißigjährigen Krieges. Malerei und Zeichnung |
An künstlerischer Potenz
hatte Augsburg in den Jahren vor 1600 kaum etwas zu bieten. [1] Mit
Ausnahme von Elias Holl, dem Architekten der Stadt und der Stadterneuerung, war
keiner der bedeutenden, in Augsburg arbeitenden Künstler zwischen 1560 und
1600 gebürtiger Augsburger. Für die Brunnenfiguren und anderen
Bronzemonumente verpflichtete die Stadt die bereits in den Diensten der Fugger
oder der bayerischen Herzöge hervorgetretenen Niederländer Hubert
Gerhard und Adriaen de Vries sowie den Weilheimer Hans Reichle. Neben diesen von
der Stadt beauftragten arbeiteten andere Künstler von Rang für die
Fugger und andere Patrizier als Portraitisten, Altarblattmaler und Freskanten,
was häufig zu Streitereien mit der Zunft und dem Stadtrat führte: Hans
von Aachen, Friedrich Sustris, Christoph Schwarz, Peter Candid, Georg Pecham,
Giulio Licinio [2] und andere, die alle nicht Augsburger Bürger
waren, vielmehr eben nur wegen bestimmter Aufträge in die Stadt kamen.
Hinzu kamen diverse Aufträge teils größten Umfangs für die
Kirchen. Bedeutsam als Auftraggeber waren besonders die Jesuiten für ihre
ab 1581 unter intensivster Förderung der Fugger erbaute Kirche St. Salvator
mit Kolleg, für die als Künstler im wesentlichen die gleichen von den
Fugger favorisierten Maler tätig waren, die auch in der zum Ende des
Jahrhunderts fertiggestellten St. Ulrich und Afra-Kirche arbeiteten. Für
die riesigen drei Choraltäre wurden wiederum Weilheimer, nämlich Hans
Degler und Elias Greither verpflichtet.
Aufgrund
solchen immensen Auftragsvolumens von Stadt, reichen Familien und der Kirche
über einen langen Zeitraum hin, bei völligem Fehlen von Begabungen
innerhalb der Stadt, ist eine Einwanderung künstlerischer Kräfte - ob
sie nun gerufen wurden oder ungerufen kamen -
verständlich. [3]
Es kamen und, was
bedeutsamer war, ließen sich zum großen Teil als Bürger in
Augsburg nieder: Joseph Heintz d.Ä. (1598), Johann Freyberger (1599/1604),
Matthias Kager (1603), Johann Rottenhammer und Hieronymus von Kessel (1606),
Johann König (1614), Matthäus Gundelach (1615/17) und Christian
Steinmüller (1615/16). Zusammen mit den - bescheideneren - Einheimischen
Anton Mozart, Thomas Maurer und Tobias Bernhart, den Kupferstecherfamilien
Custos und Kilian, um aus dieser Künstlergruppe, die für Augsburg eine
so wichtige Rolle spielte, nur diese beiden wichtigen Vertreter zu nennen,
bildeten sie Spezialisten für jede Facette der Malerei, Zeichnung und
Graphik. Zwar starb Joseph Heintz d.Ä. schon 1609, blieben einige der
Zugezogenen nur kurz oder hinterließen in Augsburg wenige Spuren:
Hieronymus van Kessel, der Portraitist, der seit 1606 bei Marx Fugger wohnt,
verläßt die Stadt schon im folgenden Jahr, kehrt aber 1610 kurz
zurück, um dann endgültig zu verschwinden. Von Christian
Steinmüller, der 1616 Meister wird, 1618-1623 und 1631-1634 in den
Steuerbüchern erscheint, gibt es keine Zeugnisse seiner Kunst in Augsburg.
Dennoch waren mit den übrigen Spezialisten die innerstädtischen
öffentlichen, kirchlichen und privaten Aufträge an Malerei von der
Miniatur über Portrait, Tafelbild, Altarbild bis hin zur Wandmalerei, von
zeichnerischen Entwürfen für das Kunstgewerbe bis hin zur Architektur
so optimal zu erfüllen, daß nicht mehr, wie vor 1600, auswärtige
Künstler nach Augsburg verpflichtet werden
mußten.
Diese Tatsache war für
Augsburgs Ansehen und Wirtschaft von großer Bedeutung, denn die Fülle
der Aufträge, d.h. die Nachfrage nach kompetenten Malern blieb weiterhin
groß und kam aus allen Bereichen: öffentliche Hand, Kirche und
privater Bedarf. Die Aufträge nahmen gegenüber der Zeit vor 1600
für die nächsten drei Jahrzehnte eher zu. Die Wandmalerei [4],
soweit sie heute zu übersehen ist - was natürlich nur ein
verschwindend kleiner Teil ist -, bildete einen Schwerpunkt, für den sich
die Übersiedlung des erst 28jährigen Matthias Kager von München
nach Augsburg 1603 als ein ausgesprochener Glücksfall erwies. Er erhielt,
obwohl nur als Miniaturmaler zugelassen, bereits kurz nach seiner
Einbürgerung schon 1605 den bedeutendsten in Augsburg zu vergebenden
Auftrag: Die Bemalung des Zunfthauses der Weber im Zentrum der Stadt und kurz
nach dessen Beendigung wiederum von städtischer Seite den Auftrag zur
Freskierung des Hl. Kreuztores (1610) und des Frauentores (1611). Auch die
Bemalung des Barfüßertores durch Johann Freyberger (1610) dürfte
auf seinen Entwürfen basieren.
Während
diese Werke ihres offiziellen Status und der Geschäftstüchtigkeit
Kagers wegen jeweils kurz nach der Fertigstellung in einem Stichwerk 1607 und
1613 von Bernhard Heupold veröffentlicht und damit überliefert
sind [5], wurden weitere Wandmalereien von ihm am Neuen Rathaus (1621,
hierfür hatte sich auch Rottenhammer vergebens beworben) und am Perlachturm
(1616) ebensowenig dokumentiert wie die nicht minder berühmten Fresken von
Johann Rottenhammer am Hopferschen Haus (1611) und Steinnigerschen Haus sowie -
in öffentlichen Auftrag - am Tanzhaus. [6] Doch zeigen diese
Beispiele, wie rasch Kunst und Künstler in Augsburg Fuß faßten:
Nicht einmal eine halbe Generation früher mußten auswärtige
Maler engagiert werden, um gewünschte Verschönerungen
auszuführen. Nun war Augsburg autark.
Ebenso
verhielt es sich bei der Altarblattmalerei, die einen vergleichbaren Boom zu
verzeichnen hatte, der wohl mit der im späten 16. Jahrhundert beginnenden
Kirchenreform zusammenhängt. Auch hier war es Matthias Kager, der 1611 mit
der Berufung in den Großen Rat in ein offizielles politisches Amt
gewählt wurde und seit 1615 als Stadtmaler fungierte, der die bei weitem
meisten Aufträge bekam. Ohne Vollständigkeit anzustreben, aber um die
ungeheure Dynamik zu illustrieren, die die katholische Kirche noch bis tief in
den Krieg hinein entwickelte, zähle ich eine Reihe von Augsburger
Altarblattaufträgen an Kager auf [7]: 1605: Friedhofskirche St.
Michael,
"Engelsturz"
und "Hl.
Sebastian";
1609: St. Ulrich und Afra,
"Anbetung
der
Könige";
1610:
"Anbetung
der Hirten"
und
"Anbetung
der
Könige",
jetzt im Bischöflichen Ordinariat, ursprüngliche Bestimmung unbekannt;
1613/14: Ehemalige Dominikanerkirche St. Katharina,
"St.
Katharina im Kreise weiblicher
Heiliger";
1616: Katholisch Heilig Kreuz,
"Tempelgang
Mariae"; um
1620: Katholische Hospitalkirche St. Margareth; um 1625: St. Peter am Perlach,
"Der Gute
Hirte";
1627: St. Georg,
"Marienkrönung";
um 1630: St. Moritz,
"Der Hl.
Moritz vor der
Madonna"
(zerstört); ebenfalls um 1630: Dominikanerkirche St. Magdalena,
"Jüngstes
Gericht".
Auch
dem anderen großen katholischen Maler, Johann Rottenhammer, wurden
gewichtige Aufträge für Altargemälde übertragen - jedenfalls
zu Anfang seines Augsburger Aufenthaltes. Es hat gar den Anschein, als sei seine
Übersiedlung nach Augsburg geradezu eine Berufung im Hinblick auf einen
größeren Altarbildauftrag. Jedenfalls scheinen in seinem Fall, wie
bei Matthias Kager, Mitglieder der Familie Fugger als Auftraggeber für
bedeutende Altarbildstiftungen eine Rolle gespielt zu haben. [8] Zwar
ist das früheste Altarbild von Rottenhammer
"Mariä
Verkündigung"
in St. Ulrich und Afra von 1606/08 keine Fuggerstiftung [9], doch
könnte es sich bei dem Werk, wegen dem Rottenhammer, wie er am 7.12.1606 an
den Kammerdiener des Grafen von Schaumburg schrieb:
"allhie zu
machen, bin gerufen
worden", um
das
"Allerheiligenbild"
für Katholisch Heilig Kreuz handeln, das wohl eine Fuggerstiftung
war. [10] Auch die folgenden Altarbildaufträge, die verschollene
"Himmelfahrt"
für St. Ulrich und Afra von 1611 und das
"Allerheiligenbild"
von 1614 für die ehemalige Franziskanerklosterkirche, jetzt St. Maximilian,
sind Fuggerstiftungen. [11]
Dagegen
erhielten die evangelischen Maler Anton Mozart, Johann König, Johann
Freyberger und Matthäus Gundelach offenbar keine Aufträge von den
katholischen Kirchen. Das mag im Falle von Mozart, der immer im kleinen Format
arbeitete, verständlich sein, weniger aber bei Johann König, der zwar
auch für seine Miniaturen und kleinen Kupferbilder bekannt und berühmt
war, doch durchaus fähig war, große Formate zu bewältigen, wie
er bei der Rathausausstattung zeigte. Johann Freyberger kann in diesem
Zusammenhang übersehen werden. Er hat zwar großformatig gemalt und
z.B. eine sehr qualitätsvolle
"Speisung
der 5000"
für St. Anna geliefert [12], doch ist er andererseits so stark von
Kager abhängig, daß die Aufträge mit Recht diesem zukamen.
Völlig unverständlich ist diese
Negierung evangelischer Maler bei der Vergabe von Altarbildaufträgen im
Falle von Matthäus Gundelach, da er nicht nur großformatige
Gemälde von höchster Qualität geschaffen hat, sondern auch
außerhalb Augsburgs für katholische Kirchen Altarbilder lieferte, wie
die
"Marienkrönung"
von 1614 in der ehemaligen Klosterkirche Haslach und die ebenfalls für
Haslach gemalte, jetzt verschollene
"Verkündigung
an Maria mit der Stigmatisation des hl.
Franziskus"
von um 1630. [13] Da einerseits der Katholik Rottenhammer durchaus
für evangelische Kirchen in und außerhalb Augsburgs arbeitete - z.B.
die drei kleinen Deckenbilder für ev. Hl. Kreuz, jetzt im Chor, früher
an anderer Stelle in der Kirche, oder für die Goldschmiedekapelle von St.
Anna von 1619 [14] - andererseits außerhalb Augsburgs und - nach
Beendigung des Krieges - auch in Augsburg diese Trennung keineswegs so ernst
genommen wurde, muß man wohl in dieser Ausgrenzung evangelischer Maler in
der Vorkriegszeit in Augsburg einen Ausdruck der Gegenreformation und des
beginnenden Kampfes der katholischen Kirche gegen die Confessio Augustana
sehen.
Daß die evangelischen Künstler
Augsburgs dennoch ihren Anteil an dem neuen Aufstieg zur Kunstmetropole hatten
und bekamen, liegt an ihrer andersartigen Kunstproduktion, für die es
ebenfalls hohen Bedarf gab.
Die
Wertschätzung, die Augsburger Künstler mittlerweile auch
außerhalb der Stadt und selbst in Kunstzentren wie München genossen,
zeigt sich an der Vielfalt und Bedeutsamkeit der Aufträge, die an
Gundelach, vor allem aber an Kager und Rottenhammer aus allen Teilen
Süddeutschlands und Österreichs ergingen. Gundelach malte ca. 1616 in
der Rüstkammer des Herzoglich-Württembergischen Schlosses in Stuttgart
ein Deckengemälde und für den Herzog August d.J. von Braunschweig 1621
ein Altargemälde. [15] Allerdings war Kager, der mit einer gut
organisierten Werkstatt arbeitete, der Gesuchtere und Erfolgreichere. Er schuf
Altargemälde in Hall in Tirol (1609), Zwiefalten (1614 und 1623f),
Eichstätt (1614, 1620), Obermarchtal (1617), Dillingen (1617, 1625),
Aldersbach (1618), Oberaltaich (1619), Lauingen (1626), Freising (1626),
Landshut (1627) und Ingolstadt (1629), um wichtige Beispiele zu
nennen. [16] Auch Rottenhammer war nicht nur auf seinem besonderen
Gebiet der kleinen Kupfertafeln von auswärtigen Auftraggebern gefragt,
sondern auch als Freskant und Deckenmaler. So arbeitete er z.B. gemeinsam mit
Kager 1606 für die Ausstattung der Frauenkirche in München, seit 1608
für den Grafen Ernst von Schaumburg in Bückeburg, 1614 für den
bayerischen Herzog Maximilian I., wohl in der Münchner Augustinerkirche,
und 1622 für die dortige Paulskirche. 1623 trat er in Konkurrenz zu Rubens
um das Altarblatt im Freisinger Dom, allerdings ohne Erfolg, und arbeitete kurz
vor seinem Tode an einem von der Kaiserin Eleonore in Wien in Auftrag gegebenen
Altarblatt, das nicht mehr beendet
wurde. [17]
Neben den Malern selbst war es
vor allem der Kunstagent Philipp Hainhofer, der Augsburgs Kunst
vorantrieb. [18] Seine umfangreiche, noch keineswegs vollständig
publizierte oder gar ausgewertete Korrespondenz mit verschiedenen
Fürstenhäusern und Stadtoberen in ganz Europa, deren Hauptzweck und
-ziel die Übermittlung von Neuigkeiten und Nachrichten aller Art war, hatte
einen Nebeneffekt bedeutender Art: die Vermittlung von Kunst und Künstlern,
besonders aus den Augsburger Werkstätten. Obwohl Hainhofer Protestant war,
galt seine Aufmerksamkeit gleichfalls den beiden katholischen Malern
Rottenhammer und Kager, über die er immer wieder berichtet und deren
Schwächen und Stärken er ausbreitet. Dementsprechend fallen auch seine
Vermittlungen und Empfehlungen aus. Da Hainhofers Interesse aber einerseits
Stammbüchern, Miniaturen und kleinen Kupfertafeln galt, andererseits der
Gesamtheit des Augsburger Kunstgewerbes, die er zu gattungs- und
zunftübergreifenden Werken wie Kunstschränken, Hausaltären,
Wunderkammern etc. anregte [19], spielen besonders auch die
evangelischen Maler wie Anton Mozart, Johann König oder Tobias Bernhard
eine gewichtige Rolle in seiner Korrespondenz und Kunstvermittlung. Hainhofers
Bedeutung für die Bekanntmachung und Ausbreitung der Augsburger Kunst kann
gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Durch ihn erfuhren über
politische und konfessionelle Grenzen hinaus alle Interessierte von der neu
erblühten Kunstmetropole Augsburg und ihren führenden Vertretern der
verschiedenen Kunstgebiete, und durch ihn kamen Aufträge aller Art an die
Künstler der Stadt.
Am 3.8.1620 fand die
erste Ratssitzung im seit 1615 erbauten Neuen Rathaus von Elias Holl
statt. [20] Danach erst begann die Ausstattung, die sich bis mindestens
1626 hinzog. D.h. im ersten Jahrzehnt des Krieges wurde das wohl aufwendigste
künstlerische Unternehmen in Augsburgs gesamter Geschichte
durchgeführt. Neben der Ausmalung des Goldenen Saales mit seinen riesigen
Wandfresken und den 11 großen und 24 kleinen auf Leinwand gemalten
Deckenbildern, beides von Matthias Kager, sowie dem großen,
programmatischen Gemälde
"Stadtgöttin
Augusta und
Flußgottheiten"
über dem nördlichen Hauptportal von Johann Rottenhammer, gehörten
zur malerischen Ausstattung der vier Fürstenzimmer und der Amtsstuben
immerhin 23 zum Teil sehr großformatige Hauptbilder, 36 Halbfigurenbilder
und eine unbestimmte Anzahl von großen Wappentafeln, die von den sechs
Künstlern bewältigt werden mußten. Da das Augsburger Rathaus und
seine Ausstattung ausgiebig in der Literatur behandelt und ein 1985, zur
damaligen Ausstellung erschienener Katalog ihm allein gewidmet ist, soll hier
nur kurz und im Rahmen des Themas darauf eingegangen werden. [21]
Die Quellen zur Innenausstattung belegen,
daß neben und unter der Leitung des Stadtmalers Matthias Kager die
Aufträge allein an Augsburger Maler gingen. Dabei ist die Rangfolge der
Auftragserteilung unübersehbar. Den Goldenen Saal, das Herzstück des
Rathauses, malte Kager nahezu allein aus, wobei er sich, was sich für die
Deckengemälde beweisen läßt, an
"Visierungen",
d.h. recht kleine Zeichnungen des Münchner Hofmalers Peter Candid nach
thematischen Programmen des Münchner Jesuitenpaters Matthäus Rader zu
halten hatte. [22] Neben ihm wurde in diesem prominentesten Raum des
Rathauses nur noch Johann Rottenhammer mit dem erwähnten Bild beauftragt.
Die Ausstattung der vier Fürstenzimmer, jeweils mit drei
großformatigen Historien und sechs die Thematik begleitenden
Halbfigurenbildern, wurde wiederum an Kager und einen in seinem Auftrag
malenden, unbekannten Künstler, sodann an Johann König und
Matthäus Gundelach vergeben. Für die Amtsstuben im unter dem Goldenen
Saal liegenden Oberen Flez wurden noch einmal Kager und König herangezogen,
daneben aber auch die im Hauptgeschoß nicht zum Zuge gekommenen Johann
Freyberger und Thomas Maurer. Nur zwei Hauptbilder der gesamten Ausstattung sind
verschollen. Das ikonographische Programm ist größtenteils - das
betrifft die Amtsstuben und den Goldenen Saal - leicht verständlich;
dagegen scheinen die Programme der vier Fürstenzimmer nur jeweils in sich,
nicht aber im Gesamten einheitlich zu
sein. [23]
Die vier Allegorien von Johann
Freyberger im öffentlichen Raum des Oberen Flezes, Rats-, Bau-, Steuer- und
Gerichtswesen, wiesen die Besucher, die sie zu lesen wußten, auf die
Nutzung der dahinter liegenden Räume hin. Diese vier Bilder, die Freyberger
nach Entwürfen von Kager malte [24], wurden ebenfalls in ihrer
außerordentlich komplizierten Inhaltlichkeit von Matthäus Rader
konzipiert und prunken geradezu mit griechischen und lateinischen Inschriften,
die beeindrucken sollten. Die offensichtlich als bedeutender eingestuften und
daher zur Vorderseite des Rathauses nach Westen ausgerichteten Stuben, die
südliche Gerichtsstube und die nördliche Ratsstube, nehmen ein ganzes
Quadrat ein, also die Raumgröße der darüber liegenden
Fürstenzimmer, und waren dementsprechend auch mit großen Historien
und Halbfigurenbildern der bedeutenderen Maler Kager und König
ausgestattet. In beiden Räumen dokumentierte ein monumentales
"Jüngstes
Gericht"
den Anspruch auf absolute Gerechtigkeit, den die beiden neu- und
alttestamentarischen Historien
"Tod der
Jesebel"
(Ratsstube, verschollen) und
"Ananias
und
Saphira"
(Gerichtsstube) ebenso begründeten wie die Halbfiguren der Gesetzgeber
(Ratsstube) und die Rechtsallegorien (Gerichtsstube). [25] Die
Amtsstuben im östlichen Teil des Oberen Flezes waren dagegen in zwei
längliche Rechtecke geteilt, so daß auf der nördlichen Seite die
Bau- und Pflegeamtsstube und auf der südlichen Seite die Steuerstube mit
Vorzimmer Platz fanden. Dementsprechend sparte man auch mit der bildlichen
Ausstattung. Die Halbfigurenbilder fehlten hier, und statt der Historien
bestimmten die Wappentafeln der für die Ämter zuständigen Herren
den Eindruck der Räume. Diese und die beiden Allegorien auf die
"Teure"
und die
"Wohlfeile
Zeit", die
zweifellos qualitativ geringsten Bilder der ganzen Rathausausstattung, wurden
Thomas Maurer in Auftrag gegeben. [26] Allein für das leider
verschollene Bild, die
"Sieben
Gaben des Hl.
Geistes",
das merkwürdigerweise im Vorzimmer zur Steuerstube hing, wurde mit Johann
König für diesen Rathausteil auch ein renommierter Maler
verpflichtet.
Während die Nutzung der
Amtsstuben eindeutig bestimmt war und die bildliche Ausstattung diese Nutzung
illustrierte, ist die Funktion der Fürstenzimmer nicht ganz klar.
Jürgen Zimmer fand in der Abschrift eines wohl von Elias Holl
verfaßten
"Überschlag
über das Neue Rathaus Anno
1614" den
Beweis, daß die Bezeichnung
"Fürstenzimmer"
authentisch und zeitgenössisch ist, und man wird sich die Nutzung der
Zimmer im Sinne der Sendelschen Eintragung:
"In diesem
ersten Fürsten=Zimmer / seynd in der Köngl. Wahl FERDINAND IV.
Höchstseel Gedächtnuß / Anno 1653 logiert gewesen / Ihre
Chur-Fürstl. Durchl. Von
Cölln"
vorstellen müssen. [27] Doch widersetzen sich die vier
Historienzyklen mit den Halbfigurenallegorien in den vier Räumen einer
einheitlichen Deutung etwa im Sinne von Fürstentugenden, obwohl diese
Symbolik immer wieder, besonders im südöstlichen Zimmer anklingt.
Vielmehr bleibt beim Überblick der vier Zyklen die inhaltliche Aussage der
beiden westlichen Räume mit den Bildern von Gundelach und König in
ihrer ganz eindeutig prokatholischen, prokaiserlichen Tendenz
vorherrschend. [28] Denn Gundelach stellt in den Bildern des
nordwestlichen Fürstenzimmers ein Ereignis von 1548 dar: die Verleihung der
Kurwürde an Moritz von Sachsen, Parteigänger Kaiser Karls V., auf dem
"geharnischten
Reichstag"
in Augsburg, die seinem Vetter Johann Friedrich von Sachsen, dem Führer des
protestantischen Schmalkaldischen Bundes, nach der Niederlage bei Mühlberg
1547 genommen worden war. Ebenso wird in Königs Zyklus des
südwestlichen Fürstenzimmers im historischen Rückblick auf die
zünftische Verfassung vor dem Jahr 1548 die
"Demokratie"
als Regierungsform verurteilt, dagegen die
"Aristokratie"
gelobt und die
"Monarchie"
als vorbildlich hingestellt, wobei auf dem letzten und größten Bild
des Zyklus die Völker Europas als Gesandte Kaiser Ferdinand II. huldigen.
Dies alles wird als Rathausprogramm einer Stadt entwickelt, deren Mehrheit
protestantisch war. Interessant und wichtig erscheint in diesem Zusammenhang,
daß diese Tendenz in den Bildprogrammen der beiden östlichen
Fürstenzimmer, die den Abrechnungen zufolge später entstanden und
bezahlt wurden, nicht beibehalten wurde, ja, daß die Zyklen mit ihren
Darstellungen aus der griechisch/römischen Geschichte einerseits (Kager,
südöstliches Fürstenzimmer) und dem Alten Testament
(Kager-Werkstatt, nordöstliches Fürstenzimmer) [29]
andererseits weder untereinander eine ikonographisch logische Einheit bilden,
noch zu den Darstellungen der westlichen Räume eine durchdachte Beziehung
erkennen lassen. Kagers Bilder mit ihren programmatischen Rahmeninschriften
illustrieren übliche Beispiele für Fürstentugenden, wobei der
"Tod der
Virginia"
nicht ganz in den Kontext zu passen scheint, und offenbaren damit ebenso klar
eine Abkehr von der tendenziös interpretierten Tagespolitik wie die
alttestamentarischen Szenen des gegenüberliegenden Fürstenzimmers, die
Beispiele göttlichen Strafgerichts
darstellen.
Mit dieser Gemeinschaftsleistung, an
der alle führenden Maler beteiligt waren, wurde noch einmal die Bedeutung
der Augsburger Malerei des Frühbarock unterstrichen. Gerade darauf bezogen,
drängen sich allerdings Fragen auf. Zunächst: Ist es eine traurige und
zutiefst befremdliche Tatsache, daß nach dem Tode von Markus Welser 1614
in Augsburg kein geistig und historisch genügend Gebildeter lebte, um ein
Rathausprogramm zu entwerfen, so daß sich der Stadtrat an den
Münchner Jesuitenpater Matthäus Rader wenden mußte? Oder
überging der katholische Stadtrat absichtlich Augsburger Prominenz - aus
politischen oder konfessionellen Gründen. Da jedoch Rader als Entwerfer des
Programmes, jedenfalls des größten Teils, verpflichtet wurde, war es
wohl auch einfacher und praktischer, die visuell sichtbaren Vorschläge
für die einzelnen Darstellungen des Programms von dem ebenfalls in
München lebenden Peter Candid entwerfen zu lassen, an dessen wunderbare
kleine Zeichnungen sich Kager in seiner Übersetzung ins sehr große
Format keineswegs genau hielt. [30] Da es darüber hinaus feststeht,
daß Rader auch das für diese Zwecke zu hochgestochene Programm der
vier Bilder vor den Ratsstuben im Oberen Flez entwarf und weiterhin, daß
Matthias Kager diese Programme in seinen Entwürfen dem ausführenden
Maler, Johann Freyberger, vorlegte, die dieser getreu malte, stellt sich die
Frage, ob auch die anderen ausführenden Maler sich nach Kagers
Entwürfen oder solchen aus München richteten bzw. richten
mußten. Daß es sich immerhin um Künstler handelte, die wir
heute als Kager qualitativ ebenbürtig, wenn nicht überlegen betrachten
- Rottenhammer, Gundelach, König - spricht gegen eine solche Annahme.
Andererseits: Rottenhammer war durch Trunksucht und
Unzuverlässigkeit [31] seit 1617 verarmt und bekam für das
große Bild im Goldenen Saal nur 300 Gulden, die bei Gefallen um 50 Gulden
erhöht werden sollten - ein Preis, der gegenüber seinen früheren
Forderungen lächerlich ist. Weiter: Johann König hat niemals vorher
oder nachher auch nur annähernd große Formate bewältigt. Wenn
sich von ihm auch eine bis in Einzelheiten genaue Vorzeichnung zur
"Demokratie"
erhalten hat, wie von Matthäus Gundelach eine ebenso getreue Vorzeichnung
für ein Bild seiner Serie der
"Belehnung
Moritz von
Sachsens" [32],
so könnte dennoch eine Visierung Kagers vorgelegen haben; zumal es eine
Zeichnung von Kager gibt, die zwar auch mit einem Bild einer
Fürstenbelehnung in Scheyern zusammenhängt, aber eher eine weit
ausgeführte Ideenskizze für Gundelachs Bild der
"Belehnung
Moritz von
Sachsen"
sein könnte. [33] Auch wenn sich diese Frage bisher nicht
entscheiden läßt, so ist es doch überdeutlich, daß die
Rathausausstattung nach ähnlichen Prinzipien geplant wurde, wie Hainhofer
seine zunft- und gattungsübergreifenden Kunsthandwerksprojekte in Auftrag
gab und entwickelte: Das Wort
"Visierung",
das immer wieder in seinen Korrespondenzen auftaucht, d.h. der
künstlerische Entwurf, den ein Maler für ein Bild oder für einen
fremden Bildhauer, Architekten oder Kunsthandwerker ausführte, der dann zur
Begutachtung dem Auftraggeber vorgelegt und bei Genehmigung vom Künstler
selbst oder auch von anderer Hand ausgeführt wurde, spielt auch bei der
Rathausausstattung eine entscheidende Rolle.
Die
weitere Frage, die sich im Hinblick auf die lange währende gemeinsame
Arbeit an der Rathausausstattung stellt, ist die nach der stilistischen
Annäherung untereinander oder gar der Abhängigkeit voneinander. Anders
gefragt: Kann man von einem Augsburger Stil des Frühbarock sprechen? Weder
im Gesamtwerk der beteiligten Künstler Kager, Rottenhammer, König und
Gundelach, um nur die Hauptvertreter zu nennen, noch in den Werken für das
Rathaus findet sich eine stilistische Nähe wie sie sich z.B. ein halbes
Jahrhundert später in Augsburg in den Werken der Maler der Schönfeld
nachfolgenden Generation Isaak Fisches, Johann Heiß, Hans Ulrich und Franz
Friedrich Franck, Johann Georg Knappich und Johann Melchior Schmittner
zeigt. [34] Schönfeld, der sich nach dem Dreißigjährigen
Krieg in Augsburg niederließ, war eine derart dominierende
Persönlichkeit, daß sich ein Augsburger Stil in Abhängigkeit von
ihm entwickeln konnte.
Kager dagegen, der sich
früher als alle anderen Neuankömmlinge in Augsburg niederließ,
der als Stadtmaler und als Leiter der Rathausausstattung der führende
Künstler hätte sein können, hatte nicht die künstlerische
Potenz dazu. Außerdem gehörten ebenfalls im Gegensatz zu
Schönfeld und seiner
"Schüler"-Generation
Kager, und die Maler neben ihm, einer, allerdings weit gefaßten Generation
an: So zeichnet alle diese Maler zu viel Individualität aus, als daß
ein einheitlicher Stil hätte entstehen
können.
Zuletzt - zu diesem Komplex - die
Frage, die sich aus den vorangegangenen als die wichtigste ergibt: Hatten diese
Künstler, die, wie ich meine, keinen einheitlichen, sondern verschiedene,
individuelle Stile bildeten, Nachfolger, Schulen oder Auswirkungen? Auf die
Augsburger Kunstgeschichte bezogen, muß diese Frage dezidiert verneint
werden. Die Kunst nach Kriegsende begann unter gänzlich anderen
Voraussetzungen; ihr Hauptmotor, der nach über dreißigjährigem
Italienaufenthalt zurückgekehrte Johann Heinrich Schönfeld, wurde fast
50 Jahre nach dem ältesten der vier Maler, Johann Rottenhammer, geboren,
immerhin 25 Jahre nach dem jüngsten, Johann König. Die Maler der ihm
folgenden Generation, die seinen Stil und sein Vorbild aufnahmen - sie wurden
oben schon genannt - wurden erst um 1630 geboren. Eine Rückschau,
Rückbesinnung auf die Vorkriegsgeneration und ihre Kunst war völlig
ausgeschlossen. Wie stark das Vergessen der Maler des Frühbarocks durch die
nachfolgenden Generationen war, zeigt die
"Teutsche
Akademie"
Joachim von Sandrarts, die 1675 erschien: [35] Johann König ist gar
nicht, Matthias Kager nur kurz erwähnt, Gundelach und Rottenhammer finden
Erwähnung vor allem im Hinblick auf ihre vor Augsburg liegenden Perioden in
Prag und Venedig, wenn auch die Augsburger Zeit nicht übergangen
wird.
Auf die einzelnen Maler bezogen, gab es
natürlich zahlreiche Kopisten und Nachahmer, was besonders im Fall von
Rottenhammer, seltsamerweise kaum im Falle von Johann König auffallend ist.
Es gab direkte Nachfolger in den Malern Caspar Strauß [36], der
schon 1623 zusammen mit Kager die Ausstattung an Altarbildern in Zwiefalten
malte und 1640 sein Amt als Stadtmaler übernahm, oder in Matthias
Strasser [37], der die spätesten Werke von Gundelach nach dessen
Entwürfen vollendete. Im Falle von Kager ist auch noch auf den 1622 in
Donauwörth geborenen und seit etwa 1643 in Brixen arbeitenden Stephan
Kessler [38] hinzuweisen, in dessen umfangreichem und sehr interessantem
Oeuvre immer wieder Kagersche Kompositionselemente und Figuren auftauchen, was
aber wohl auf die intensive Beschäftigung Kesslers mit der Bavarica
sancta, dem vor allem nach Kagers Entwürfen geschaffenen
Kupferstichwerk, zurückzuführen ist. [39] Allein in Gundelachs
Werk meint man in den Zeichnungen und mitunter in Farbigkeit und den
übersichtlichen, das ganze Bildfeld von unten nach oben durchziehenden
Kompositionen vorweggenommene Stilnähe zur Augsburger Kunst des späten
17. Jahrhunderts zu sehen.
Mit der
Gemeinschaftsarbeit am Rathaus endete die erste große Epoche der
Augsburger Malerei des 17. Jahrhunderts. Natürlich gab es im Übergang
zur endgültigen Katastrophe im Jahre 1635 einige Aufträge, z.B. die
oben aufgeführten an Kager für St. Moritz und Gundelach für
Haslach, doch bilden die Jahre 1628/29 zweifellos eine deutliche Zäsur.
Diese frühe Epoche endete, weil viele ihrer Protagonisten starben, aber
auch, weil das Kriegsgeschehen, das bis dahin weitgehend vor den Toren der Stadt
anhielt, mit dem Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. am 6.3.1629 dramatisch
in die Stadt einzog. [40] Rottenhammer und Mozart starben 1625,
gleichzeitig verließ mit Joseph Heintz d.J., Sohn des gleichnamigen
Älteren und Schüler Matthäus Gundelachs, ein besonders begabter
Maler, die Stadt. [41] Er ging nach Venedig und machte dort Karriere.
Thomas Maurer starb 1626, Johann Freyberger 1632, Matthias Kager und Georg
Petel, der sich 1625 als Bürger in Augsburg niederließ (zu spät,
um an der Rathausausstattung beteiligt zu werden), starben 1634;
schließlich Lucas Kilian, 1637.
Das
Restitutionsedikt, bzw. seine Folgen, die zur Entlassung nicht nur der
evangelischen Priester, sondern auch aller evangelischen städtischen
Bediensteten führten, bewirkte 1631 die Amtsenthebung des Stadtbaumeisters
Elias Holl - übrigens auch von Philipp Hainhofer - und mittelbar auch die
Abwanderung von Johann König, wohl im gleichen Jahr, nach Nürnberg.
1634 verließ mit Christian Steinmüller ein weiterer besonders
begabter Künstler endgültig die Stadt, ging nach Wien, wo er zum
Hofmaler Ferdinand III. avancierte. [42] Die zunächst von der
protestantischen Mehrheit der Stadt aufs höchste bejubelte Übergabe
der Stadt im April 1632 an die Schweden führte zwar zur neuerlichen
Amtseinsetzung von Elias Holl, dessen Aufgaben aber allein festungstechnischer
Natur waren. Die Herrschaft der Schweden und Protestanten, unter denen auch
Gundelach zu kurzen politischen Ehren kam - er wurde mit anderen evangelischen
Berufskollegen (Holl, Freyberger, König, Lucas und Wolfgang Kilian)
Mitglied im Großen Rat und allein Beisitzer im Stadtgericht -, endete
jedoch bereits drei Jahre später im April 1635. In dieser Zeit bekam er
auch den Auftrag zu einem monumentalen Bildnis Gustav Adolfs [43], einem
der wenigen großen Aufträge während des späteren
Dreißigjährigen Krieges. Gundelach blieb so als einziger der an der
Rathausausstattung beteiligten und überhaupt als einziger überregional
bekannter Maler in der Stadt. Er überlebte sogar den Krieg, wurde 1649 noch
einmal in den Großen Rat gewählt, beteiligte sich noch aktiv an der
neu und rasch aufblühenden Kunstentwicklung nach dem Krieg und starb im
hohen Alter von über 85 Jahren. Neben ihm scheint der einzige auch
künstlerisch tätige Maler jener Caspar Strauß zu sein, der als
Katholik und Kager-Schüler seit 1640 sein Nachfolger als Stadtmaler wurde.
Doch wurden auch ihm während des Krieges nur niedere Aufträge, wie das
Fassen verschiedener Figuren gegeben; wie es überhaupt seit der
Schwedenzeit bis Kriegsende keinerlei bedeutende Aufträge auf dem Gebiet
der Malerei gegeben hat. Da Verunsicherung und Mißtrauen zwischen den
Konfessionen, ungeheurer Geldmangel und allgemeine Lebensangst zu einer fast
völligen Stagnation von Aufträgen führte, wandten sich auch kaum
auswärtige Maler nach Augsburg, und nur einer ließ sich während
des Krieges dauerhaft nieder.
Johann Christoph
Storer [44] hielt sich in jungen Jahren 1637 kurz in der Stadt auf, um
sie bereits ein Jahr später zu verlassen. Im gleichen Jahr ersuchte Johann
de Pay [45] aus Riedlingen, auch er katholisch, um Aufnahme in die
Augsburger Malerzunft, jedoch vergeblich. Erst fünf Jahre später
erhielt er die Malergerechtigkeit, doch ist unsicher, wie lange er blieb.
Während es von Storer einige datierte Zeichnungen gibt, die seinen
Aufenthalt bezeugen, hinterließ de Pay keinerlei künstlerische Spuren
in der Stadt. Ebenfalls 1637 beantragte auch Hans Ulrich Franck [46],
der aus Kaufbeuren kam, Bürger und Meisterrecht in Augsburg, die ihm ein
Jahr später gegen den Protest der Malerzunft gewährt wurde, da er ein
"guet
katholisch
Meister"
sei - ein Argument, was für den Stadtrat, dem es um die Mehrung
katholischer Bürger ging, besonders ausschlaggebend war. Auch für ihn
ist kein Auftrag nachzuweisen; weder von seinen Portraits, die er in
größerer Zahl gemalt haben soll, noch von seinen kleinen Kampfszenen,
von denen von Stetten berichtet, hat sich etwas erhalten. Doch begann er noch
während des Krieges 1643 die erst 1656/57 beendete Radierfolge von 25
Blättern mit Darstellungen aus dem Soldatenleben, zweifellos einer der
bedeutendsten Zyklen deutscher Druckgraphik. Es ist charakteristisch für
die Augsburger Kunst dieser Zeit, daß ein graphisches Werk als
herausragend und überregional bedeutsam hervorgehoben werden muß.
Denn in der Tat war es die Graphik, hier vor allem die Reproduktionsgraphik, in
der durchgehend auf sehr hohem Niveau gearbeitet wurde, wegen der
auswärtige Potentaten beider Konfessionen Aufträge nach Augsburg gaben
und die dadurch - neben der Goldschmiedekunst - den Ruf Augsburgs als Kunststadt
hochhielt.
Während die Goldschmiede, für
die in bewährter Form Zeichner wie Hans Friedrich Schorer und Hans Ulrich
Franck Visierungen lieferten, erstaunlicherweise auch während des Krieges
Aufträge in ausreichender Menge hatten, so daß ihre Zahl sich kaum
verringerte [47], gab es auf dem Gebiet der Druckgraphik keineswegs die
für Augsburg in früherer und späterer Zeit typische üppige
Fülle. Im wesentlichen war es die Kupferstecher-Großfamilie
Kilian/Custos der Brüder Lucas und Wolfgang Kilian, Schüler ihres
Stiefvaters Dominikus Custos und dessen Söhne Jakob, David und Raphael,
alle protestanischer Konfession, die für eine Hochblüte auf allen
Bereichen des Kupferstiches - Portrait, religiöse und profane Historie,
Ornament, Thesenblätter und Reproduktion - sorgten. Ihnen arbeitete auch
Gundelach in den Jahren nach 1635 mehr und mehr zu, er mußte es tun: Da es
Aufträge an den Maler kaum noch gab, war der Zeichner gefragt, der
Titelblätter, eine recht große Anzahl Thesenblätter und
Portraits für die Graphik
entwarf. [48]
In der wechselvollen
Augsburger Kunstgeschichte stellen die Jahre 1630-1650 auf dem Gebiet der
Malerei zweifellos einen besonderen Tiefpunkt dar. Wie sehr dieser Niedergang im
Krieg und im Konfessionskonflikt begründet ist, beweist der
außerordentliche rasche Neuanfang nach seiner Beendigung. Schon 1649 kam
es zu umfangreicher Erneuerung in der evangelischen Barfüßerkirche,
für deren Empore Gundelach eine Serie von Grisaillen schuf, 1652/53 wurde
die Ev. Hl. Kreuz-Kirche aus den Erträgen europaweiter Spendenaktionen
erbaut. Auch hierfür lieferte Gundelach Entwürfe für die Emporen,
die von Strasser ausgeführt wurden. [49] 1655 wurde die
Barockisierung des Domes begonnen, und in den folgenden Jahren wurden in allen
Kirchen größere und kleinere Umbauten durchgeführt. Da es
Aufträge gab und weitere zu erwarten waren, füllte sich die Stadt auch
sehr rasch wieder mit Künstlern, die aus vielen Gegenden kamen.
Bartholomäus Hopfer ließ sich schon 1648, Johann Heinrich
Schönfeld 1652, Johann Georg Knappich 1653 in Augsburg nieder; Johann
Christian Storer malte 1658 für den Dom und danach kamen innerhalb der
nächsten 15 Jahre alle die Maler nach Augsburg - z.T., ohne das
Bürgerrecht zu erwerben -, die die zweite bedeutende Epoche Augsburger
Kunst des 17. Jahrhunderts gestalten sollten.