Forschungsstelle "Westfälischer Friede": Dokumentation

DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa

Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur

DENIS LAVALLE
Der Dreißigjährige Krieg, die Künstler und die religiöse Historienmalerei

Die religiöse Malerei erlebte im Europa des 17. Jahrhunderts einen der Höhepunkte ihrer Entwicklung. Die berühmten Studien von Emile Mâle, Hermann Voss oder Roberto Longhi, die neueren Arbeiten von Francesco Zeri oder Jacques Thuillier haben nachdrücklich auf diese bemerkenswerte Blüte der sakralen Kunst hingewiesen. Wahr ist, daß es von den letzten Leinwandbildern Caravaggios bis zu den riesigen Altarblättern von Rubens, von den monastischen Gemälden der spanischen Schule bis zur Welt verinnerlichter Bilder eines Rembrandt oder eines Georges de La Tour nicht an Beispielen für ein "Goldenes Zeitalter" der religiösen Malerei mangelt.

Allerdings ist es, wenn man einmal zu dieser Feststellung gelangt ist, gar nicht so einfach, den schöpferischen Prozeß der Maler bei der Darstellung religiöser Themen genau zu beschreiben. Gewiß sind in den letzten vierzig Jahren zahlreiche Künstlermonographien erschienen, zahlreiche Ausstellungen erlaubten anregende Gegenüberstellungen, und es dürften mehrere hundert religiöse Gemälde wieder aufgetaucht sein. Gleichwohl konnten die Spezialisten für Nicolas Poussin unser Wissen darüber, wie er innerlich zu den christlichen Dogmen stand, kaum erweitern. Und genauso schwierig ist es, die Einstellung von Rembrandt zur mennonitischen Position oder die von Velázquez zu den glaubensstrengen Kreisen in Sevilla, mit denen er in Berührung kam, genauer anzugeben. Auch die neueren Forschungen zu Stoskopff konnten nicht klären, ob er der libertinistischen Bewegung zuneigte oder nicht. [1] Zu einem der Hauptvertreter der Stillebenmalerei des 17. Jahrhunderts, einer Gattung, die mit religiösen und moralischen Konnotationen arbeitete, fehlen damit wichtige Informationen. Eine Ungewißheit, die es uns schwer macht zu verstehen, welche Haltung für ihn mit der stillen, kontemplativen Betrachtung der Gegenstände verbunden war. Diese Schwierigkeit, ja oft Unmöglichkeit, in die spirituelle Gedankenwelt der Künstler vergangener Zeiten einzudringen, setzt dem Historiker enge Grenzen. Zumal das 17. Jahrhundert, um es bei diesem bewenden zu lassen, "Bekenntnisse" der Seele nicht besonders schätzte. Gerade die besten Maler wahrten immer eine gewisse Distanz zwischen den darzustellenden Themen, vor allem wenn es sich um sakrale Themen handelte, und ihren eigenen Empfindungen.

Das hat für uns aber zur Folge, daß wir letztlich immer im Bereich des Ungewissen bleiben, wenn wir untersuchen wollen, wie die Maler auf die grausamen Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges reagierten und welche Konsequenzen sie daraus in einer "intellektuellen" Malerei wie der religiösen zogen. Man muß übrigens zugeben, daß nur eine sehr kleine Zahl der erhaltenen religiösen Bilder die Ereignisse offen anspricht, von denen die alten Strukturen Europas erschüttert wurden. Nun ist möglicherweise schon bei den damaligen Zerstörungen und Plünderungen ein großer Teil der Produktion verlorengegangen. Doch ändert das nichts an der Tatsache, daß es den Malern gar nicht darum ging, ihre von solchen Umbrüchen angeregten Betrachtungen allzu unmittelbar zum Ausdruck zu bringen. Das hinderte sie andererseits nicht daran, bedeutende Aufträge für Bilder anzunehmen, in denen wichtige Phasen dieses Krieges gefeiert wurden. Man denke an die "Übergabe von Breda", die schließlich eines der Hauptwerke von Velázquez bleibt. Aber hier haben wir es eher mit einer Gattung zu tun, die im Bereich der Allegorien und der glorifizierenden Geschichtsschreibung angesiedelt ist. Die Aufgabe des Malers war es, eine künstlerisch anspruchsvolle Sprache zu finden, in der die Größe der gewonnenen Schlachten und die Tugend der Sieger verherrlicht werden konnten. Von seinen eigenen Reflexionen hatte er nicht zu berichten. So weiß man in Wahrheit nicht, welchen Eindruck Velázquez von den Geschehnissen in Breda hatte, selbst wenn er sich möglicherweise als eine der teilnehmenden Personen selbst dargestellt hat. [2]



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Und doch gerieten die Maler manchmal mit dieser Zeit in Tuchfühlung. Einige konnten sich den herausragenden Figuren der Epoche nähern. So lernte Velázquez Spinola (den er vielleicht "überwachte") kennen, als er sich 1629 mit ihm nach Italien einschiffte. [3] Einige gehörten selbst zu den maßgeblichen Persönlichkeiten. Berühmt ist der Fall von Rubens, der Unterhändler des katholischen Spanien bei den wichtigsten Fürsten war. Andere waren, als Zuschauer oder Teilnehmer, bei nicht unbedeutenden Ereignissen zugegen. Mathieu, einer der Brüder Le Nain, versah um 1639, bei verschiedenen Belagerungen von Festungen, namentlich in Hesdin [4], offenbar die Aufgaben eines Militäringenieurs. Der Pariser Maler Laurent de La Hyre, der starke mathematische Neigungen pflegte, scheint sich ebenfalls an den Vorbereitungen einer berühmten Belagerung beteiligt zu haben - der von La Rochelle. Sein Stich soll die Niederlage der englischen Truppen feiern, die zum Entsatz der auf der Ile de Ré belagerten Protestanten gekommen waren. Er zeugt von einer genauen Kenntnis der Gegebenheiten, die nur durch die Anwesenheit des Künstlers am Ort des Geschehens erklärbar scheint. [5] Zahlreiche Künstler erlitten ihrerseits die schlimmsten Folgen des langen Krieges. In Lothringen, in Böhmen und der Pfalz, in Norddeutschland und der Champagne erlebten sie den Niedergang blühender Städte, in denen sich seit den Anfängen der Renaissance ein reges Geistesleben entwickelt hatte. So war es in Prag, wo ein junger, vielversprechender Maler wie Karel Škréta bei seiner Auswanderung 1627 gewiß das Gefühl hatte, den belebenden Geist erlöschen zu sehen, den Kaiser Rudolf hatte aufleben lassen. So war es in Lunéville, in Nancy und in Langres, wo aufgrund von Epidemien und aus Furcht vor Plünderungen ein ganzes soziales Gefüge von Bildhauern, Stechern und Malern auseinanderbrach. Ein Georges de La Tour, ein Claude Deruet, ein Richard Tassel fürchteten nicht nur um ihr Leben, sie begriffen wahrscheinlich zudem, daß alte Lebensformen sich auflösten. Dieses Gefühl mußte um so stärker sein, als es vielen dieser Städte gelungen war, dem Drama der Religionskriege des 16. Jahrhunderts zu entgehen. Wenn diese heilen Welten nun doch von den Kriegswirren eingeholt wurden, konnten die Künstler nur noch reagieren.

Man würde dennoch in ihren religiösen Bildern vergebens nach einer unmittelbaren Darstellung dieser schmerzhaften Geschehnisse suchen. 1636 erhielt der lothringische Meister Rémond Constant von einem Priester an der Kirche Saint-Sébastien in Nancy den Auftrag für ein großes, der Muttergottes von Loreto gewidmetes Ex-Voto. [6] Es sollte das Ende einer fürchterlichen Pestepidemie erwirken, die durch den Hunger und den andauernden Durchzug von Truppen ausgelöst worden war. Das Bild zeigt zwar eine weite Ansicht Nancys und seiner ländlichen Umgebung, doch die winzigen Silhouetten der Pestkranken und ihre Zufluchtsstätten errät man dort nur mit Mühe. Die traditionellen Erscheinungen der Pestheiligen und der Muttergottes behalten deutlich das Übergewicht gegenüber der Darstellung des - immerhin ganz realen - Unglücks (Abb.1). Offenbar respektierten Auftraggeber und Künstler die traditionelle Ikonographie, in der vor allem die maßgeblichen Gestalten der katholischen Religion dominierten. Dessenungeachtet konnte ein Maler durch solch ein Thema recht direkt die dramatischen Folgen des Dreißigjährigen Krieges zur Anschauung bringen und so das anklingen lassen, was bestimmte Stichfolgen oder literarische Werke mitteilten. Doch kein religiöses Bild scheint jemals so weit gegangen zu sein, wie die heftigen Bilder der "Grandes Misères de la Guerre" von Jacques Callot oder die schrecklichen Schilderungen in "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch". Auch muß man berücksichtigen, daß die neuere Forschung gerade das "Künstliche" in Callots Stichfolge und dem Buch Hans Jakob von Grimmelshausens herausgearbeitet hat. So sehr sie eine Reflexion über das Schauspiel des Krieges sind, gehören diese Werke doch ebenso zu einer beliebten Gattung von Satiren auf die Söldner. [7] Auch einige der Maler waren dafür sehr empfänglich; und manchmal findet sich ebendiese Begeisterung am Soldatischen und Pittoresken in ihren religiösen Gemälden wieder.


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Es empfiehlt sich, hierzu die bemerkenswerte Studie Yves-Marie Bercés zu konsultieren, die er als Einleitung zu den jüngst erschienenen Akten des Jacques-Callot-Kolloquiums veröffentlicht hat. [8] Beim Blick auf die großen, das 17. Jahrhundert tiefgreifend verändernden Ereignisse sollte man sich vor zu modernen Interpretationen hüten, die vorschnell auf die dramatische und schmerzhafte Seite abheben. Es gab in diesen Phasen immer eine Art von "Kriegsbegeisterung". Das erklärt die beachtliche Entwicklung der Schlachtendarstellungen, der burlesken oder heroischen Soldatenbilder, der mythologischen Anspielungen aus dem naheliegenden Themenkreis von Mars und Venus. Es gab zwar Künstler, die auf diese Art von Themen spezialisiert waren, doch bekanntlich haben auch Rubens, Ter Brugghen oder Rottenhammer sie nicht vernachlässigt. Künstler, die für ihre zurückhaltenden und bedachten Kompositionen bekannt waren, gingen sie mit beherztem Schwung an: Der berühmte "Mars als Sieger", den Lievens um 1664 zur Dekoration des Palastes der Generalstaaten in Den Haag beisteuerte, ist wohl eine der poetischsten und beunruhigendsten Darstellungen eines unumschränkt herrschenden Kriegsgottes. [9] Es ist auch nicht verwunderlich, daß in mehreren religiösen Bildern Figuren auftreten, die eher den kriegerischen "Rittertugenden" zugetan sind, als der christlichen Bußfertigkeit. Wie einen jungen und stolzen Herrn, der vom Schlachtfeld zu kommen scheint, stellte Karel Škréta den "Die Mantelspende des Hl. Martin" auf einem um 1639 für die Prager Franziskaner [10] gemalten Bild dar (Abb.2). Georges Lallemant [11], einer der wichtigsten Pariser Maler der 1630er Jahre, präsentiert den Heiligen bei seiner großzügigen Tat sogar wie einen triumphierenden Krieger, der auf seinem steigenden Pferd die Pose des Eroberers einnimmt (Abb. 3). Nun hatten Škréta und seine Familie schon in der Anfangsphase des Krieges die Erfahrung des Exils gemacht, und Georges Lallemant lebte zwar seit 1601 in Paris, behielt aber als gebürtiger Lothringer zahlreiche Kontakte mit dieser schwer gezeichneten Region. Obwohl sie die Heimsuchungen kannten, folgten die Maler also ohne weiteres den beliebten Themen.

Doch die Gattung der "Krieger- und Heldenbilder" konnte mehr sein als eine bloße Modeerscheinung. Die Geschehnisse des Dreißigjährigen Krieges speisten sich aus einer Fortsetzung der Glaubensstreitigkeiten. Obwohl die weltlichen Interessen der gegnerischen Parteien anfangs von Bedeutung waren und eine Kette von Intrigen und diplomatischen Manövern nach sich zogen, ließen sich die Ereignisse auch als eine logische Folge des Gegensatzes zwischen Katholiken und Protestanten interpretieren. Daher die beständige Nachfrage nach einer religiösen Malerei, die sich demonstrativ in den Dienst der von der einen oder der anderen Seite verteidigten Dogmen stellte. Es gab durchaus noch die Konzeption einer "propagandistischen" Malerei: Sie reichte von Rubens' Gemälden für die Altäre der Jesuiten bis zu den Bildern Lievens', die von einem calvinistischen Bürgertum nachgefragt wurden. Dabei konnte es zur Verbindung von sakraler Allegorie und der Verherrlichung von militärischen Heldentaten kommen. Eine große Zahl religiöser Bilder entstand im Zusammenhang mit dem Sieg am Weißen Berg, der am Anfang der katholischen Rückeroberung Süddeutschlands und Böhmens stand. Am berühmtesten war das Beispiel der Darstellung des "Triumphs der Jungfrau Maria" von der Hand Pieter de Wittes (Pietro Candidos), die seit 1620 als Retabel des Hauptaltars der Münchener Frauenkirche aufgestellt war. [12] Doch für das eigentliche Andenken an die Schlacht plante man sogar, die siegreichen Helden und die von ihnen verteidigten religiösen Symbole in einer einzigen Darstellung zusammenzubringen. Thomas DaCosta Kaufmann verdanken wir die Publikation einer Zeichnung, die ein Künstler aus dem böhmischen Umkreis (Matthias Mayer?) als Vorbereitung für eine riesige Komposition angelegt hatte. In ihr marschieren die katholischen Führer an der Spitze eines aus Soldaten und Heiligenfiguren gemischten Zuges (Abb. 4). [13] Der wechselvolle Verlauf des Dreißigjährigen Krieges, verbunden mit den übergreifenden Entwicklungen der Reformation und Gegenreformation, garantierte den Malern somit ein bequemes und eigentlich unerschöpfliches Betätigungsfeld.

Das soll nicht heißen, daß nicht eine gewisse Anzahl von ihnen vom Kriegsverlauf und den religiösen Vorstellungen, die sich dabei gegenüberstanden, besonders betroffen war. Wenn etwa Škréta oder Lallemant den heiligen Martin derart triumphierend darstellten, so wollten sie damit natürlich ihre Unterstützung für das katholische Lager deutlich machen. Und tatsächlich scheint Lallemant immer den frommen lothringischen Kreisen und den Persönlichkeiten, die sie in Paris vertraten, nahegestanden zu haben. Es gibt sogar gute Gründe anzunehmen, daß der Auftrag für sein Gemälde auf sie zurückging. [14] Was Karel Škréta betrifft, so war er gerade zum Katholizismus übergetreten, als er das seine ausführte, und hatte damit das Recht erworben, sich erneut in Prag niederzulassen. Seine Werke mußten also dem neuen Bekenntnis entsprechen. [15] Ebenso mußte die nie geleugnete Verbundenheit der Brüder Le Nain mit dem katholischen Glauben in die Entscheidung hineinspielen, ihnen den Auftrag für ein großes religiöses Gemälde zu geben, das den Sieg der französischen Truppen bei Leucate im September 1637 feierte (Abb. 5). Doch der für eine Kapelle in Notre-Dame in Paris ausgeführte "Heilige Michael, seine Waffen der Jungfrau weihend" bezog sich auf eine gegen die spanischen Armeen gewonnene Schlacht. [16] Es ging also eher darum, den politischen Erfolg eines Landes als den Triumph einer Religion hervorzuheben. Man fand damals zu den grundlegenden Motivationen des Dreißigjährigen Krieges zurück: zum Kampf der Reiche und zur Behauptung der Nationalitäten.


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Die Maler hatten das offensichtlich niemals bezweifelt. Ein Großteil von ihnen hatte kein wirkliches Problem, sich mit den Geschicken des Landes zu identifizieren, in dem sie geboren waren. Von ihrer Familie her waren die Le Nain, um dieses Beispiel noch einmal aufzugreifen, in der Region von Laon verwurzelt. Sie gehörten einem wirklichen französischen Gemeinwesen an, und sie scheinen das vorbehaltlos akzeptiert zu haben. Es sei daran erinnert, daß einer von ihnen auf seiten der französischen Truppen bei Belagerungen in den Spanischen Niederlanden als "Militäringenieur" gedient hatte. Seine Tätigkeit dürfte dabei nicht als gering erschienen sein. Sie scheint sogar eine große Rolle bei der sehr seltenen und bald diskutierten Auszeichnung gespielt zu haben, die ihm 1662 zuteil wurde: Mathieu wurde nicht nur geadelt, er erhielt auch die Ordenskette des "Ordre de Saint-Michel". Man versteht, daß seine Brüder und er an den Auftrag für das Gemälde in Notre-Dame gerieten und daß sie es verstanden, darin den göttlichen Schutz über die französischen Interessen deutlich zur Anschauung zu bringen. Die wunderbare Gestalt des sich seinen Waffen widmenden heiligen Michael erinnerte sicherlich daran, daß sich die entscheidenden Ereignisse der Schlacht am Festtag des heiligen Erzengels abgespielt hatten, mehr noch daran, daß sich die Anführer der himmlischen Heerscharen entschlossen hatten, sich an die Spitze der Armeen Frankreichs zu stellen. Die besten Meister hatten übrigens schnell begriffen, was man alles aus einem Bild im Dienste des Ruhms einer Partei herausholen konnte. Es ist bekannt, welche monumentalen und suggestiven Heiligenbilder Rubens vorgelegt hat. Seine zur Zeit der ersten spanischen und kaiserlichen Erfolge, um 1619/20, entstandene "Jeanne d'Arc" zeugt auf höchstem Niveau von der Inspiration und Militanz, die in all diesen Figuren zum Ausdruck kommt (Abb. 6). [17] Andere Künstler bevorzugten dagegen subtile und komplizierte Sujets. Sie gingen soweit, zeitgenössische Persönlichkeiten mit den Helden der religiösen Erzählungen zu mischen. In der sonderbaren Darstellung des "Gastmal des Herodes" des polnischen Katholiken Bartholomeus Strobel, der seit 1619 von den Habsburgern protegiert, dann von Ladislaus IV. Wasa als wichtigster Maler seines Hofes anerkannt wurde, konnten sich sicherlich die Diplomaten, die bei den Verhandlungen von Thorn [18] im Juli 1635 eine Rolle gespielt hatten, als Teilnehmer der bekannten Geschichte wiederfinden (Abb. vgl. Harasimowicz #). So sollten offensichtlich die mehr oder weniger ernsthaften Unterhandlungen einiger Botschafter in den Zusammenhang einer symbolischen Betrachtung gestellt werden. Die komplexe Sicht mehrerer Persönlichkeiten erleichterte jedoch kaum das Verständnis des Werkes. Um seine genaue Bedeutung erfassen zu können, mußte man im Besitz des Schlüssels sein. Solche Gemälde waren also nur denen verständlich, die Zugang zu den Ereignissen gehabt hatten, auf die sie anspielten. Vermutlich strebten die Künstler aber gerade das an. So stellten sie nicht nur ein beachtliches Geschick bei der Bewältigung großangelegter Kompositionen unter Beweis, sie bewiesen zudem ein Raffinement und einen Sinn für das Symbolische, die geeignet waren, die gelehrtesten Kreise zufriedenzustellen.


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Denn in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in den Jahren des Dreißigjährigen Krieges, beschäftigte man sich eingehend mit den Bildern, und die geistigen Beziehungen zwischen Künstlern und Kunstliebhabern waren von einer seltenen Intensität. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, spielte der Krieg keine vollkommen negative Rolle. In den letzten Jahren haben einige Historiker unser Gesamtbild der Epoche wieder etwas in Frage gestellt. So hat Wilfrid Steinberg für die deutschen Provinzen gezeigt, daß es gerade die schwierige Situation bzw. der Zusammenbruch vom Krieg heimgesuchter Regionen war, der es anderen, weniger betroffenen erlaubte, eine vorherrschende Rolle einzunehmen [19] - oft dank des Beitrags einer von den Orten der Zerstörung fliehenden Bevölkerung. Auf der Ebene der Kunst brachte natürlich der Exodus zahlreiche Maler dazu, sich in neuen Zentren niederzulassen oder sich auf eine lange Wanderschaft zu begeben. Das bot Gelegenheiten zum Austausch und zu Entdeckungen. In Köln sammelte sich eine ganze Gruppe von Stechern und Malern um umtriebige Verleger wie Abraham Hogenberg oder Gerhard Altzenbach. Genau das gleiche geschah in Straßburg im Einflußbereich einer Persönlichkeit wie Jacob van der Heyden [20]. Unter den Bedingungen des Krieges setzte sich in Europa der Umlauf der Bilder fort, er beschleunigte sich sogar. Daher übten die großen Werke der Meister des 15. und 16. Jahrhunderts weiterhin einen prägenden Einfluß auf die besten Künstler aus. Ein so bedeutender Maler wie Johann Heinrich Schönfeld, der 1627 bis 1629 in Stuttgart lebte und wieder in Kontakt zu dem Prager Künstler Wenzel Hollar trat, lernte aufs engste das Werk Sadelers kennen und vergaß es nie mehr. Noch in seinen späten religiösen Gemälden erinnerte er sich daran. [21] Daß man sich an den vorbildlichen Werken älterer Meister - und vor allem an den religiösen Bildern - orientierte, ist um so verständlicher, als auch diese oft auf dramatische Ereignisse, auf große Seuchen oder auf Religionskriege bezogen waren. Durch die Geschehnisse des Dreißigjährigen Krieges gelangten sie gewissermaßen zu neuer Aktualität. So kann man sich erklären, daß etwa Ter Brugghen, der während seines langen Romaufenthaltes stark von Caravaggio geprägt worden war, sich nach seiner Rückkehr nach Utrecht [22] stilistischen Archaismen hingegeben hat, die an Grünewald, Lucas van Leyden oder Dürer erinnern. Und dabei schuf er eine der ergreifendsten religiösen Kompositionen des 17. Jahrhunderts überhaupt: die große "Kreuzigung", die sich heute im New Yorker Metropolitan Museum of Art befindet (Abb. 7). [23]

Doch hatte Ter Brugghen die Schrecken des Krieges kaum erfahren. Er wird als Katholik, der in einer seinem Glauben verbundenen, aber im Block der calvinistischen Provinzen isolierten Stadt tätig war, sicherlich versucht haben, die alten Wurzeln einer christlichen Kunst zu bestätigen. Immerhin konnte er sich inmitten eines aktiven Milieus von Malern in aller Ruhe den besten Ressourcen seiner Kunst widmen. Aber gerade aufgrund dieser gedanklichen Freiheit, dieser andauernden künstlerischen Kontakte, war es ihm wie anderen niederländischen Malern, wie vielleicht auch Rembrandt [24], möglich, sich über die tiefgreifenden Veränderungen eines vom Krieg heimgesuchten Europa Gedanken zu machen. Seine "Kreuzigung" bringt trotzdem eine angstvolle Sicht des menschlichen Schicksals zur Anschauung. Hier muß daran erinnert werden, daß Ter Brugghen vom Caravaggismus tief beeindruckt worden war, und das heißt von einer Kunstauffassung, die auf die einzige menschliche Wahrheit ausgerichtet war: auf die Gewißheit tiefen spirituellen Empfindens. Bei dieser großartigen Lektion ging es um mehr als einfache stilistischen Floskeln. Wer sie verstanden hatte, verschrieb sich nicht einfach einer "caravaggesken" Mode, sondern malte bewußt Bilder, die die innere Wahrheit der Menschen und die Dramen darstellten, denen sie begegnen konnten. Wie hätte da Ter Brugghen die Unsicherheiten der Menschen in den Wirren der Kriege übergehen können?


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Und wie hätten Maler, die mit den Zerstörungen fertig werden mußten, und die ebenso empfänglich für die grundlegende Lektion Caravaggios waren, ob sie diese nun unmittelbar erfahren haben konnten oder nicht [25], ihrerseits die Ereignisse durchmachen können, ohne zu reagieren? Hier ist zunächst Georges de La Tour zu nennen. Keines seiner religiösen Gemälde scheint in direktem Zusammenhang zum Krieg zu stehen. Und als er aus Lothringen flüchten und sich nach Paris wenden mußte, beherrschte er seine stilistischen Mittel vollkommen, und seine Kunst hatte auf höchstem Niveau Anerkennung erhalten. [26] Doch die in dieser Periode gefundene vollkommene Balance zwischen dem seelischen Innern seiner Figuren und der raffinierten Eleganz ihrer äußeren Erscheinung scheint zu verschwinden, nachdem er sich wieder in Lothringen niedergelassen hatte, das nun von französischen Truppen besetzt war. Kompositionen wie der "Büßende heilige Petrus" des Museums von Cleveland (Abb. 8) oder die "Verleugnung des heiligen Petrus" im Museum von Nantes (Abb. 9), beide ordnungsgemäß signiert und datiert [27], zeichnen sich durch eine nervöse Malweise, eine heftige Beleuchtung der Figuren und ein offensichtliches Ungleichgewicht in ihrer Anordnung aus. Trotz seines unbestrittenen Erfolgs und des sozialen Aufstiegs, der es seinem Sohn erlauben wird, die Nobilitierung zu erreichen, spürte La Tour, daß er das glückliche Lothringen der Vorkriegszeit nicht wiederfinden würde. Man versteht die Worte Anne Reinbolds: "[...] bei Georges [de La Tour] durchdringt eine Art von innerer Abkehr oder Erschöpfung die seltenen Texte zu seinem Wirken. Sein Tod schließt abrupt mit einer Wirklichkeit, von der er sich mehr und mehr abgewandt zu haben schien." [28] Man würde gleichwohl in den letzten Bildern vergebens nach einem unmittelbaren Bezug auf die Prüfungen des Schicksals suchen.

Für ihn ging es, wie bei den inspiriertesten Künstlern überhaupt, vor allem darum, die eigenen Empfindungen zurückzuhalten. Die vom Dreißigjährigen Krieg ausgelösten Gefühle haben vielleicht dazu geführt, daß Werke aus dem spirituellen Bereich eine größere Tiefe erhielten. Aber sie mußten in ihnen aufgehen und durften den Grundgedanken nicht stören und den Stil nicht verunsichern. Eine wichtige Lehre muß man wohl aus dem großen 17. Jahrhundert noch ziehen: Wenn sie ihre stärksten Werke schufen, und dazu gehören die religiösen Bilder, ließen sich die Maler durch nichts aus der Ruhe bringen - auch nicht durch einen Krieg. Von den Dramen sollte nichts bleiben als die Tränen der himmlischen Liebe und die heldenhafte Erhebung der Heiligen.



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ANMERKUNGEN


1. Siehe hierzu den Ausst.kat. Straßburg/Aachen 1997, besonders das Vorwort von Jacques Thuillier.

2. Zu Velázquez, der "Übergabe von Breda" und dem möglichen Selbstporträt in diesem Bild siehe die zusammenfassenden Vorschläge von Brown 1986a.

3. Vgl. Brown/Elliot 1980, S. 75ff.

4. Vgl. Buttet 1980.

5. Siehe Ausst.kat. Grenoble/Rennes/Bordeaux 1989/1990, Kat.nr. 56. Ein Exemplar des Stiches befindet sich im Cabinet des Estampes de la Bibliothèque nationale in Paris. Es ist bekannt, daß Jacques Callot Stiche mit Szenen von Belagerungen geschaffen hat, sei es die von La Rochelle oder die von Bredas.

6. Über dieses Bild, das sich im Musée historique lorrain de Nancy befindet: Ausst.kat. Nancy 1992a, Kat.nr. 147 (von Michel Sylvestre).

7. Siehe besonders den gesamten von Daniel Ternois herausgegebenen Ausst.kat, Nancy 1992. Es ist festzustellen, daß den Kunstliebhabern des 17. und 18. Jahrhunderts der pittoreske Aspekt von Callots Kompositionen nicht entgangen ist. Bezeichnenderweise gibt ein Gelehrter wie Pahin de la Blancherie 1783, an, man "[...] sucht nachdrückliche seine Messen, seine Exekutionen, seine große und kleine Passion, etc."

8. Bercé 1993, S. 251-262.

9. Siehe zu dem Bild die Studie von Jong 1980, S. 14ff.

10. Das Bild wird heute in der Prager Nationalgalerie aufbewahrt, Inv. Nr. O 9158. Über die Bedeutung von Škrétas religiöser Malerei siehe zuletzt den Aufsatz von Preiss 19##, S. 127-131.

11. Das Bild von Lallemant wird heute im Musée Caranvalet in Paris aufbewahrt (Inv. 23 118). Es wurde um 1635 für die Kapelle der Pariser Abtei Sainte-Geneviève-du-Mont gemalt. Das Gebäude wurde in der Revolution zerstört.

12. Zu dem Bild siehe DaCosta Kaufmann 1992, S. 122. Das Werk war von Maximilian I. von Bayern in Auftrag gegeben worden.

13. DaCosta Kaufmannin 1982, Kat.nr. 68. Die Zeichnung wird im Fogg Art Museum der Harvard University aufbewahrt.

14. Das Bild scheint von Kardinal François de la Rochefoucauld in Auftrag gegeben worden zu sein, der den oft in Paris weilenden lothringischen Prinzessinnen nahestand: Marie de Luxembourg, Louise de Bourbon-Soisson oder Catherine de Joyeuse. Siehe die Werkgeschichte des Bildes im Ausst.kat. Nancy 1992, Kat.nr. 51 (von Denis Lavalle).

15. Über Škréta und seine Rückkehr nach Prag im Jahre 1638 siehe Polišenky 1966, S. 1-12.

16. Das Bild hat nach der Revolution Notre-Dame verlassen; es wird heute in der Kirche Saint-Pierre in Nevers aufbewahrt, wo es 1958 von Jacques Thuillier wiedergefunden wurde. Die Beziehung zur Schlacht von Leucate hat zu Recht vorgeschlagen von Roodenbeke 1979/80. Wie Jacques Thuillier stets betont hat, ist es beim gegenwärtigen Stand der Forschung schwierig, den genauen Stil eines jeden der berühmten Brüder zu identifizieren.

17. Über das heute im North Carolina Museum of Art, Raleigh, aufbewahrte Bild und über seine Beziehungen zum Europa des Dreißigjährigen Krieges siehe: Valentiner 1957, S. 11-19.

18. Das Bild wird im Museo del Prado in Madrid aufbewahrt (Inv. 1940). Für eine Untersuchung des Bildes vgl. Ossowski 1989. Es erscheint logisch, daß sich das Gastmahl auf die Verhandlungen von Thorn bezieht - der Künstler befand sich zum Zeitpunkt der Verhandlungen in der Stadt.

19. Über die neueren Studien zum Dreißigjährigen Krieg und eine Aktualisierung der Fragestellungen siehe die zusammenfassenden Darlegungen von Schneider 1997.

20. Zur Neuansiedlung von Künstlern in Köln und Straßburg siehe DaCosta Kaufmann 1982, S. 12-14 und S. 182.

21. DaCosta Kaufmann 1982, S. 212.

22. Über den "altertümlichen" Geschmack in Utrecht und bei Ter Brugghen siehe Nicolson 1958; die pointierten Bemerkungen von Slatkes 1965. Die beste zusammenfassende Darstellung bleibt dagegen Foucarts 1980.

23. Zur Geschichte des Bildes siehe den entsprechenden Katalogeintrag im Ausst.kat. Washington/Detroit/Amsterdam 1980/81, Kat.nr. 11 (von Christopher Brown).

24. Zu eventuellen Anspielungen auf den Dreißigjährigen Krieg im Werk Rembrandts siehe Tümpel 1980. Siehe auch Perlove 1995, S. 159-170.

25. Man kann mit Jean-Pierre Cuzin annehmen, daß Georges de La Tour nicht direkt mit der Malerei Caravaggios in Rom in Kontakt kam. Gleichwohl kann man seit dem berühmten "Heiligen Hieronymus" und den Apostelfiguren - wie dem "Heiligen Thomas" im Louvre - eine Kenntnis seines Werkes voraussetzen, selbst wenn der Künstler eine "nordische" Datstellungsweise beibehielt; siehe Cuzin 1997/98.

26. La Tour, der schon sehr früh Kontakte mit Paris unterhalten zu haben scheint, ging dorthin in der schlimmsten Phase des Krieges in Lothringen, nämlich in den Jahren 1638-1640. Siehe hierzu die grundlegende Studie von Thuillier 1997, S. 107-114. Man hat vielleicht nicht nachdrücklich genug auf die Sichtweise des Künstlers angesichts der Pariser Malerei dieser Periode hingewiesen, die in eine Phase fällt, als sie die Zeit der "Preziösen" erlebt und in der sie begann, auf helle und raffinierte Farbtöne zu setzen. Das macht den stilistischen Bruch bei der Rückkehr in das besetzte Lothringen um so verständlicher. Damit würden für Spätwerke angesehene Bilder sich besser in die 1640er Jahre einordnen lassen: Das gilt für den hochformatigen "Heiligen Sebastian" des Louvre, für den die Röntgenaufnahmen gezeigt haben, daß er auf jeden Fall vor Gemälden wie dem "Heiligen Alexis" des Musée Historique Lorrain anzusiedeln ist. Wäre nicht eben dieses das Ludwig XIII. geschenkte Bild?

27. So trägt die "Verleugnung des Heiligen Petrus" die zweifelsfreie Inschrift: "G. de La Tour in. Et fec. MDCL". Der Entwurf dieser Bilder geht, wenn er auch "altertümlich" ist, ganz auf den Maler zurück, und auf ihn allein. Das Bild wird im Musée des Beaux-Arts in Nantes aufbewahrt. Der "Büßende heilige Petrus" ist 1645 datiert; er wird im Cleveland Museum of Art, Cleveland, aufbewahrt.

28. Reinbold 1993, S. 23-31.



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