Forschungsstelle "Westfälischer Friede": Dokumentation

DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa

Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur

MICHAEL SCHOLZ-HÄNSEL
Bildpropaganda gegen die Anderen. Spanische Kunst im europäischen Kontext der Toleranzdiskussion des Westfälischen Friedens

Spanien scheint vom Westfälischen Frieden nur mittelbar betroffen: die Sondervereinbarungen, in denen die Vereinigten Provinzen der Nördlichen Niederlande von Spanien die Unabhängigkeit erhalten, gehen den Hauptverhandlungen voraus, und der Pyrenäenfrieden, der den Konflikt zwischen Frankreich und Spanien vorläufig beendete, folgt erst über ein Jahrzehnt später. Auch hinsichtlich der konfessionellen Mischung des neuen Staatengebildes nimmt das nach 1648 weiter rein katholische Spanien mit seiner starken Verbindung von Staat und Kirche eine Sonderrolle ein.

Andererseits konnte Spanien noch bis zum Sturz von Gaspar de Guzmán, Conde Duque de Olivares, weitgehend seine Stellung als europäische Führungsmacht bewahren. Diese Rolle war ihm einst durch seine geographische Lage zugewachsen, denn der europäische Kontinent hatte im Mittelalter erst durch die Auseinandersetzung mit den Anderen zu Wohlstand und einer eigenen Identität gefunden. [1] In diesem Prozeß kam zunächst den Verbindungen nach Nordafrika und dem kulturellen Austausch mit der islamischen Welt entscheidende Bedeutung zu. [2]

Was 1648 blieb, waren in Spanien einerseits die multiethnische Zusammensetzung der Bevölkerung und gewisse Erfahrungen in der Assimilation des Fremden und andererseits eine, durch die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation und die Auseinandersetzung mit Protestanten und Türken angeheizte, Konfliktbereitschaft auf religiösem Feld. So bietet gerade der Umgang der katholischen Spanier mit ihren nach wie vor ungenügend integrierten Minderheiten sowie den im konfessionellen Streit neu hinzugekommenen "Ketzern" einen idealen Prüfstein für die Ernsthaftigkeit und Allgemeingültigkeit der im Westfälischen Frieden proklamierten Toleranz. Oder um es allgemeiner zu formulieren: wie stand es wirklich um die damalige Haltung Europas gegenüber den Anderen, das doch heute seine diesbezüglich liberale Haltung gern als ideologische Waffe gegen deren angeblichen Fundamentalismus benutzt?

Auch wenn wir in Rechnung stellten, daß das Verbot von Judentum und Islam nach dem Fall von Granada 1492 auf der traditionell multireligiös strukturierten Iberischen Halbinsel einen erheblichen Einschnitt darstellte, nahm doch um 1500 in Spanien der Umgang mit den fremden Religionsgruppen im europäischen Vergleich durchaus noch eine positive Sonderstellung ein [3], denn andere Länder hatten bereits viel früher alle Juden ausgewiesen, und Pogrome waren vielerorts an der Tagesordnung. Erst im fortschreitenden 16. Jahrhundert, in dem spanische Geistliche wie Bartolomé de Las Casas zwar noch eine Anerkennung gewisser "Menschenrechte" für die heidnischen Indianer erreichten, verschärften sich die religiösen Konflikte auch innerhalb der spanischen Gesellschaft. Die Inquisition wurde nun zu einer festen Institution, die nicht mehr nur die rückfälligen conversos (konvertierte Juden), sondern sämtliche vermeintlichen Häretiker zu verfolgen hatte [4], und 1609 befahl Philipp III. schließlich sogar die Ausweisung aller bis dahin im Land verbliebenen Morisken (konvertierte Mauren). [5] Die einzigen noch verbleibenden Anderen waren nun in der Hauptsache schwarzafrikanische Sklaven, z.T. wahrscheinlich ebenfalls ursprünglich Mohammedaner, die anfangs offenbar so zahlreich blieben, daß wir sie auch als Gehilfen mancher Maler finden. [6]

Der folgende Text wird fragen, wie die bildende Kunst in Spanien auf die Verschärfung der Glaubenskonflikte reagierte und ob die Vereinbarungen von Münster hier einen erkennbaren Niederschlag fanden. [7] Wie wirkte sich der Westfälische Frieden zwischen den großen christlichen Konfessionen auf die Darstellung der Anderen in Spanien aus? Gab es einen visuell erkennbaren Zuwachs an religiöser Toleranz oder verschoben sich lediglich die Feindbilder in Richtung auf die Mauren?

Dabei greife ich mit "Inklusion" und "Exklusion" auf zwei dem Diskurs in der zeitgenössischen Kunst entnommene Kategorien zurück, die heute dazu dienen, Praktiken der Ausgrenzung nicht-westlicher Künstler aus dem Ausstellungsbetrieb zu thematisieren. [8] Eine Rechtfertigung für diese methodische Anleihe sehe ich durch neue historische Forschungen gegeben, die im multikulturellen Charakter der hispanischen Welt - zu der neben der Iberischen Halbinsel, den südlichen Niederlanden, Süditalien und der Lombardei damals auch die Philippinen und Lateinamerika zählten - ganz zu Recht Vorformen z.B. für die Bevölkerungsstruktur der USA sehen und sich somit aus einer intensiveren Beschäftigung Problemlösungsvorschläge für die eigene Gegenwart erhoffen. [9]

Den historischen Rahmenbedingungen im 17. Jahrhundert werde ich aber insofern Rechnung tragen, als bei der Diskussion von Inklusion und Exklusion nicht die unterschiedliche Volkszugehörigkeit, sondern die damals noch alles bestimmenden religiösen Faktoren im Vordergrund stehen sollen. Und eine weitere Besonderheit ist vorab anzumerken: statt die Juden als die einzigen "Outcasts" auf den Bildern des 15. bis 17. Jahrhunderts zu behandeln [10], bringt es der hier formulierte Ansatz mit sich, daß erstmals auch Darstellungen von Mauren und Morisken intensiver in die Diskussion der Bildpropaganda gegen die Anderen einbezogen werden. Gab es nach ihrer realen Vertreibung 1609 auch eine neue Welle ihrer künstlerischen Exklusion? Warum finden sich in den Bildern keine Beispiele ihrer zumindest ideellen Inklusion, wie wir sie aus der zeitgenössischen Literatur kennen? Hatten die Anderen schließlich überhaupt keinen Platz mehr in Werken der bildenden Kunst Spaniens?

Beginnen wir also mit zwei kurz vor 1500 datierten Darstellungen, die uns Verfahren der Inklusion und Exklusion mit Hilfe des Bildes veranschaulichen können: Fernando Gallegos um 1480 datierte "Verehrung der Reliquien" aus der Kathedrale von Zamora und Pedro Berruguetes "Auto de fe unter dem Vorsitz des hl. Dominikus von Guzmán" für das Kloster Santo Tomás in Avila, das zwischen 1490 und 1496 entstanden ist.

Es sind u.a. Personen mit Turban, die uns in der Malerei bis zum 15. Jahrhundert Hinweise auf die bevölkerungsmäßige Zusammensetzung eines Landes, d.h. die Inklusion seiner Minderheiten, geben können. Nach Ruth Mellinkoff verweist diese Kopfbedeckung auf den exotischen Ausländer, den Einzelgänger aus der Ferne - unterschiedlich in Zeit, Ort oder in Gebräuchen und religiösem Bekenntnis. [11] Außer als Element der Judendarstellung finden wir ihn ganz allgemein zur Charakterisierung des Orientalen und hier zunehmend in einem negativen Sinne, nämlich als Symbol des verdächtigen Fremden, der Ängste bei der christlichen Mehrheit weckt. In Spanien begegnen uns die Turbanträger häufig im Kontext von Wundertaten oder Heiligengeschichten, wo sie den Akt der Bekehrung repräsentieren, wie z.B. in Fernando Gallegos "Retabel des hl. Ildefonso" in der Kathedrale von Zamora. [12] In dem Werk erscheint ein Maure in der Darstellung, die die zeitgenössische "Verehrung der Reliquien" thematisiert.

Ein Mittel der Exklusion bilden dagegen die "immagini infamanti" (Schandbilder), deren Gebrauch am Ende des 13. Jahrhunderts in Italien aufkam. [13] Betroffen waren politische Verbrecher (z.B. Verräter, Aufständische und Räuber) sowie solche, die gegen Zivilrechte verstoßen hatten, d.h. vor allem Finanzdelikte begangen hatten. Wer entsprechender Taten für schuldig befunden worden war, dessen Bildnis wurde mit einer Inschrift, die Auskunft über Namen, Verbrechen und Strafe gab, an die Mauern wichtiger öffentlicher Gebäude gemalt.

Für Spanien lassen die erhaltenen Beispiele vermuten, daß die Darstellung von Verurteilten erst mit der Inquisition aufkam, d.h. genau in dem Augenblick, als dieser Brauch in Italien wegen wachsender Sorge um das städtische Prestige im Verschwinden begriffen war. [14] Das kirchliche Gerichtsverfahren fand in Spanien mit dem auto de fe seinen Abschluß. [15] Danach wurden die Verurteilten staatlichen Institutionen übergeben, die an einem Ort außerhalb der Stadt, der auch für die weltlichen Prozesse vorgesehenen Hinrichtungsstätte, die Vollstreckung der Strafen vornahmen. Während das auto privado, das meist in einer Kirche abgehalten wurde, den Regelfall darstellte, gehörte das große öffentliche auto público general, wie es mitunter auf den Hauptplätzen der wichtigsten spanischen Städte stattfand, zur Ausnahme.

Die erwähnte Darstellung eines auto de fe von Pedro Berruguete nimmt wahrscheinlich Bezug auf einen Inquisitionsprozeß, der 1490-1491 in Avila gegen die angeblichen Ritualmörder eines Judenkindes geführt wurde, und war Teil eines Bildprogrammes für die damalige Zentrale der Inquisition im örtlichen Konvent von Santo Tomás, mit dem die Institutionalisierung der neuen Behörde gerechtfertigt und ihre Arbeitsweise den Gläubigen vermittelt werden sollte. [16] Auf ihr sehen wir die vermeintlichen Ketzer auf dem Weg zum Gerichtsplatz zunächst mit dem sambenito (Büßergewand) bekleidet, dort dann aber nackt dem Feuer preisgegeben. Der sambenito wies ein Verzeichnis der Sünden auf, und die coroza (Büßermütze) informierte mittels einer differenzierten Symbolik über die verhängte Strafe. Die Schandgewänder gelangten nach Abschluß der Gerichtsverfahren zusammen mit den Namen der Ketzer in Pfarrkirchen und Inquisitionszentren zur Präsentation.



Exklusion

Maurendarstellungen sind uns in Spanien vor allem aus der Ikonographie des "Santiago Matamoros", also des maurentötenden hl. Jakobus, bekannt. Nach neueren Forschungen kam dieser Bildtypus aber erst mit der fortschreitenden Reconquista, der sogenannten Rückeroberung auf. [17] Die frühesten erhaltenen Werke in der Kathedrale von Santiago de Compostela zeigen den hl. Jakobus als Bischof und geben ihm damit schon früh eine herausragende Stellung unter den Aposteln. Im 12. Jahrhundert erscheint er dann in der Kirche Santa Maria de Tera als Pilger repräsentiert, womit wir den ungewöhnlichen Fall haben, daß ein Heiliger die Kleidung und die Sitten seiner Verehrer annimmt. Über Siegel und Fahnen verbreitet sich schließlich das Bild des kämpfenden Ritters Jakobus, das seine erste plastische Form 1230 im sogenannten Tympano de Clavijo, erneut in der Kathedrale von Santiago, findet. Der hier gezeigte Heilige zu Pferde erhält in der Folge gefallene Mauren als ikonographische Beigabe. Eine Besonderheit stellen die Mauren am Portal der 1120 begonnenen Kathedrale Sainte-Marie in Oloron Sainte-Marie dar, die gefesselt den Trumeaupfeiler mit der Darstellung der Kreuzabnahme im Tympanon darüber tragen müssen. [18]

Eine Blütezeit erfährt der Maurentöter im 15. Jahrhundert mit dem Eroberungszug der katholischen Könige gegen Granada und der aufkommenden Türkengefahr. Auf die damals entstandenen Bildbeispiele wird im 16. und 17. Jahrhundert rekurriert, als der Heilige nun ganz allgemein zur Symbolfigur für den Kampf gegen Ketzer- und Heidentum aufsteigt und als visuelle Waffe sowohl gegen die deutschen Protestanten als auch die Indianer zum Einsatz gelangt. So hat Wolfgang Braunfels in seiner Analyse einer Darstellung Karls V. als Matamoros darauf hingewiesen, daß die Spanier in der Schlacht von Mühlberg auch eine Fahne mitführten, die den Maurentöter zeigte und daß der Schlachtruf des Tages "Sant Jago Espania, Sant Jorge Imperio" lautete. [19]

In unserem Zusammenhang ist nun vor allem von Interesse, wie Darstellungen des hl. Jakobus im Kampf gegen die Mauren eingesetzt werden, um die reale Vertreibung der Morisken 1609 zu rechtfertigen. Eine zentrale Stellung kann hier ein Bildprogramm zu Ehren des Apostels behaupten, das Francisco Ribalta 1603 für den Hochaltar der Pfarrkirche von Algemesí gestaltete (Abb. 1). [20] Diese Stadt liegt nur wenige Kilometer von Valencia entfernt, also genau in der Region, die damals noch den größten Moriskenanteil aufwies und aus der dann ihre zwangsweise Verschiffung erfolgte. In seiner Version des Matamoros reitet der Heilige selbstsicheren Blickes über die verängstigten Muslime hinweg, die, durch den erwähnten Turban stereotyp bestimmt, ihre Münder in ohnmächtiger Verzweiflung aufgerissen haben.

Wird in Algemesí für die ganz konkrete Ausgrenzungsabsicht der historische Umweg über den Santiago Matamoros gewählt, so gibt es auch zwei Werkgruppen, die die bereits vollzogene Ausweisung thematisieren. Es handelt sich einerseits um sieben undatierte Gemälde, die offensichtlich als bildliche Dokumente der Zwangsausweisung konzipiert wurden und andererseits um die Ergebnisse eines 1627 durch Philipp IV. initiierten Wettbewerbes unter seinen Hofmalern zum selben Thema.

Die sieben Historienwerke weisen ein gemeinsames Format (173 x 110 cm) und eine ähnliche Bildstruktur auf. [21] Zwei zeigen Aufstände der Morisken, drei die Verschiffung aus unterschiedlichen Häfen der Region Valencia (Abb. 2) und eines die Ankunft im afrikanischen Oran. Die Malereien sind von einer klar didaktischen Absicht getragen. Dafür sprechen die jeweils vorhandenen Kartuschen, deren Texte Auskunft über die dargestellten historischen Ereignisse geben. Auch finden sich in allen Werken Inschriften, die Orte und einzelne Persönlichkeiten bezeichnen. Wahrscheinlich sollen die Bilder der Aufstände ebenso wie die der scheinbar freundlichen Aufnahme in Afrika die Vertreibung nachträglich rechtfertigen. In klarer Bedeutungsperspektive sind vor allem die spanischen Befehlshaber größer gestaltet. Die Morisken tragen die für sie typischen Gewänder und werden zum Teil bei ihren besonderen Bräuchen, wie z.B. ihren Tänzen, gezeigt. [22]

In dem Madrider Künstlerwettbewerb von 1627 zu dem Thema der Ausweisung sollte der erst 1623 nach Madrid gelangte Velázquez den Beweis liefern, daß er in der Lage war, neben Portraits auch ganze Kompositionen zu fertigen. [23] Leider haben sich weder sein Werk, noch die Bilder seiner Kontrahenten erhalten; auch fehlen bisher Untersuchungen, die nach den Gründen für die besondere Aufgabenstellung fragen. Als Ausgangsmaterial steht uns lediglich eine Beschreibung des Bildes von Velázquez aus der Feder seines Biographen Antonio Palomino de Castro y Velasco [24] und eine Vorzeichnung für das Werk von Vicente Carducho zur Verfügung (Abb. 3). Mit seinem Werk gewann Velázquez den Wettbewerb. Zur Belohnung fand es im "Salón grande" des Alcázars eine dauerhafte Hängung, wo es dann 1734 beim Brand des Palastes zerstört wurde. Seine Präsenz an diesem Ort unterstreicht, daß sich auch die späteren spanischen Herrscher ohne Probleme mit der Maßnahme identifizieren konnten, die heute von den Historikern schon mit Blick auf den Verlust wichtiger und vor allem qualifizierter Arbeitskräfte übereinstimmend als fatale Fehlentscheidung gewertet wird. [25]

In Carduchos Zeichnung finden wir neben einem ähnlichen Ort auch die gleiche Rahmenhandlung: einerseits die Küste mit der Fernsicht und andererseits die Konfrontation zwischen Soldaten und einer klagenden Menge mit den Schiffen für den Transport im Hintergrund. Der Unterschied besteht darin, daß Velázquez den Befehlsgeber Philipp III. im Zentrum der Darstellung plazierte und ihm rechter Hand eine weibliche Allegorie Spaniens zur Seite stellte. Sollte diese Zugabe, die aus einer heutigen Perspektive die an sich schon unmoralische Verherrlichung einer Vertreibung noch unerträglicher macht, den Ausschlag für die Preiszuteilung gegeben haben? Ich glaube nicht. Entscheidender dürfte die für Velázquez zu erwartende naturalistischere Ausdeutung der Ereignisse gewesen sein. Denn bei Carducho finden wir einen deutlich idealisierten Figurentypus, der an die Darstellungen römischer Triumphzüge erinnert, aber keinerlei Hinweise auf die betroffene Bevölkerungsgruppe und den Grund der Ausweisung. Die erwähnten sieben Historienbilder zeigen, daß durchaus konkretere Informationen existierten und eine wahrhaftigere Charakterisierung möglich gewesen wäre (Abb. 2). Andererseits sind die Personen Carduchos und der Verzicht auf Befehlhaber und Allegorie heute sogar dazu angetan, Sympathie für die Betroffenen zu wecken. Ich werde am Schluß mit Blick auf weitere Beispiele noch einmal darauf zurückkommen, wieviel konkreter Velázquez Andere darzustellen wußte.

Auch der in einem Bildprogramm des Klosters Paciencia de Cristo 1650, also zwei Jahre nach Münster, erkennbare Versuch einer visuellen Ausgrenzung der conversos dürfte auf innenpolitische Gründe zurückzuführen sein. [26] Bereits 1632 hatte die Inquisition eine Gruppe portugiesischer conversos angeklagt, in Madrid ein Kruzifix profaniert zu haben und den Beschuldigten in einem großen auto de fe den Prozeß gemacht. Es hieß, die Ketzer hätten sich an dem Kruzifix vergangen, um den Christen zu schaden, und dieses habe nicht nur Blut vergossen, sondern auch dreimal zu ihnen gesprochen. Schließlich habe es nur deshalb verbrannt werden können, weil es vorher in seine Einzelteile zerlegt worden sei.

Nicht genug mit dem Todesurteil gegen mehrere der Angeklagten, zur ewigen Erinnerung an das Ereignis wurde am Ort des Verbrechens auch noch ein Kapuzinerkloster errichtet, in dem fünf Bilder die Aktivitäten der Ketzer und ihre Hinrichtung darstellen sollten; das Werk mit der Bestrafung kam jedoch nicht zur Ausführung. Gewonnen wurden für diesen Auftrag vier der damals bedeutendsten Madrider Maler, die ihre Aufgabe bis 1650 abschlossen: Francisco Camilo zeigt die "Mißhandlung des Kruzifixes", Francisco Rizi thematisiert das "Blutwunder" (Abb. 4), Francisco Fernández das "Sprechwunder" und Andrés de Vargas schließlich stellt die "Zerlegung und Verbrennung von Kreuz und Figur" dar. [27]

Wenn wir die Geste der Toleranz in Velázquez' "Übergabe von Breda" (1634-35) als Beispiel für die Refomversuche unter Olivares werten [28], so zeigt das Programm vom Kloster Paciencia de Cristo, daß die Aussöhnung zwischen den christlichen Konfessionen durchaus mit einer verstärkten Agitation gegen andere Glaubensrichtungen einhergehen konnte. Es war die Pflicht des Königs, dem Großinquisitor beim Ketzergericht zu schwören, die Heterodoxen mit all seinen Mitteln zu verfolgen, und da erscheint es nur folgerichtig, wenn Philipp IV. sich drängen ließ, eine auf zweifelhaften Grundlagen basierende Anklage gegen conversos in ein antisemitisches Bildprogramm zu überführen.

Wenn 1650 im Rahmen dieses Zyklusses auf ein Bild des auto de fe verzichtet wurde, so haben wir doch eine besonders repräsentative Darstellung von Francisco Rizi vom Ende des Jahrhunderts, die dieser 1683 als visuelles Dokument eines anderen, 1680 unter dem Vorsitz Karls II. auf der Plaza Mayor in Madrid veranstalteten Ketzergerichtes fertigte (Abb. 5). [29] Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten hatten inzwischen auch die Inquisition erreicht und führten dazu, daß das in der Öffentlichkeit inszenierte auto público general nur ganz selten stattfand. Somit kam dem erstmals seit langem wieder im Freien zelebrierten Prozeß von 1680 gesteigerte Bedeutung zu.

Entscheidend für das Verständnis des Bildes von Rizi ist die Tatsache, daß der Künstler etwa gleichzeitig mit dem auto de fe zwei weitere Aufträge des Königs erhielt. In beiden Fällen handelte es sich um aktuelle Ereignisse spiegelnde Historienbilder: die "Belagerung Wiens durch die Türken und seine Rettung durch polnische Truppen" sowie die Feier dieses Sieges im Escorial mit der "Anbetung der heiligen Hostie". Das erste Werk, das ziemlich genau die Maße unseres Bildes hat, blieb nach dem Tode Rizis im Jahre 1685 unvollendet und taucht nur in den Inventaren auf, für das zweite existierte ein heute verlorener Entwurf; die Ausführung nach einem völlig neuen Konzept lag später bei Claudio Coello.

Anders als in der Regierungszeit Philipps IV. gab es unter Karl II. keine militärischen Siege spanischer Truppen zu vermelden, die man ähnlich wie die im "Salón de Reinos" des Real Palacio del Buen Retiro hätte darstellen lassen können. [30] So bot es sich an, den Erfolg der österreichischen Habsburger bei der Entsetzung Wiens als den eigenen zu feiern. Ein spanischer Akzent kam hinein, indem Karl II. trotz des weltlichen Anlasses das religiöse Moment betonte. Aus dieser Sicht war der Erfolg bei Wien nicht nur ein Sieg über die Türken, sondern auch ein Beweis für die Überlegenheit der katholischen Religion. Letzteres liegt als gemeinsamer Nenner ebenso der "Anbetung der heiligen Hostie" wie dem "Auto de fe" von Rizi zugrunde.

Ähnliche Versuche, zumindest mittels des Bildmediums am Kampf gegen den Islam teilzunehmen, finden sich allerdings schon früher in den Ausstattungsprogrammen spanischer Paläste. So in der Schlachtengalerie des Escorial, im Hauptsaal des Lustschlosses El Pardo und schließlich im Alcázar zu Madrid. [31] Kein anderer als der Conde Duque de Olivares ließ 1625 bei der Neugestaltung der sogenannten "pieza nueva" des Alcázars Tizians Darstellungen "Karl V. in seiner siegreichen Schlacht gegen die Protestanten bei Mühlberg" und "Allegorie von Philipps Sieg bei Lepanto über die Türken" aus El Pardo überführen und ergänzte die Gruppe noch durch ein weiteres Werk des Künstlers, nämlich "Spanien kommt der Religion zu Hilfe".

Die vorangegangenen Bildanalysen machen deutlich, daß die Toleranzdiskussion in Münster die bildliche Darstellung der religiösen Anderen in Spanien nicht beeinflußte. Ganz im Gegenteil verschärfte sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch die Bildagitation gegen sie und bildete sich im Umkreis der Vertreibung von 1609 sogar ein neuer Schwerpunkt bei der visuellen Exklusion von Angehörigen islamischen Glaubens heraus. Fast entsteht der Eindruck, als seien Judentum und Islam, einst wichtige Komponenten bei der Herausbildung Europas, nach der Einigung der christlichen Konfessionen stärker als je Opfer von religiösem Fundamentalismus geworden. Denn Einzelbilder wie Velázquez "Vertreibung der Morisken" und Rizis "Auto de fe von 1680" oder Bildprogramme wie im Kloster Paciencia de Cristo und im Alcázar stehen nun ganz offen im Dienst religiöser Ausgrenzung und Disziplinierung. Was ist aus der in früheren Jahrhunderten so fruchtbaren Fähigkeit der Spanier geworden, Fremdes zu assimilieren und durch Inklusion innovativ zu wirken?



Inklusion

Auf der Suche nach vielleicht doch einer positiven Ausnahme bietet sich, wie so häufig bei der spanischen Kunst, ein Brückenschlag zur Literatur an. Denn während in Italien die Künstler, begünstigt durch die Konkurrenz der Höfe, aus eigener Kraft den Weg in die artes liberales schafften, verdankten sie auf der Iberischen Halbinsel das wenige erkämpfte soziale Prestige vor allem der Fürsprache der Dichter. [32] Gerade am Madrider Hof standen Literatur und bildende Kunst in einem engen Wechselverhältnis, so daß eine Reihe von Themen neben literarischen Bearbeitungen in bewußter Parallelität auch gemalte Interpretationen erfuhr. [33]

In unserem Fall scheint nun ein Blick auf die Dichtung des Siglo de Oro zunächst ganz ähnliche Resultate der Ausgrenzung zu erbringen. Auch Miguel de Cervantes, der immer wieder als wichtigste moralische Instanz in der hispanischen Welt des 16. und 17. Jahrhunderts angeführt wird, zeichnet in seinen "Novelas ejemplares" (1613) ein eher negatives Bild der wegen ihres religiösen Bekenntnisses vom Ausschluß bedrohten Randgruppen. [34] Für unsere Fragestellung ist vor allem die Erzählung "Gespräch zwischen Cipión und Berganza" von Interesse. [35] In Anlehnung an den Pícaro- bzw. Schelmenroman berichtet darin ein Hund einem anderen über seine Erlebnisse mit verschiedenen Herren. Darunter finden sich neben einem Fleischer, einem Hirten, einem Kaufmann, einem Polizeidiener, einem Soldaten, einem Dichter und einem Theaterdirektor auch Zigeuner, Morisken und eine Hexenmeisterin. Cervantes benutzt seine Schilderung, um sich über die besonderen Eigenarten der genannten Gruppen lustig zu machen, nimmt aber von seinen Angriffen auch die Altchristen (Polizeidiener, Soldaten etc.) nicht aus.

Andererseits müssen wir zu Cervantes Entlastung berücksichtigen, daß sich die Sozialdisziplinierung dieser Jahre nicht nur gegen Personen eines zweifelhaften religiösen Bekenntnisses und andere Randgruppen richtete, sondern auch Dichter treffen konnte, die lediglich in Unterhaltungsabsicht Geschichten erfanden, statt ihre Leser moralisch zu belehren. [36] Gerade auch deshalb scheinen Cervantes und andere spanische Literaten stets bemüht, die Grenzen zwischen literarischer Fiktion und geschichtlicher Realität offenzuhalten. Das heißt in unserem Falle, daß der Autor auch deutlich eine moralisch wertende Absicht bei seinen Alltagsschilderungen erkennen läßt.

Gegen eine zu diesem Zeitpunkt bereits allgemein akzeptierte Exklusion der Morisken spricht die intensive Behandlung der Morisken in Romanen und "historischen" Abhandlungen sowohl vor wie auch nach ihrer Vertreibung. [37] Hierzu gehören u.a. die "Historia del Abencerraje y la hermosa Jarifa" (1565), die in Mateo Alemáns Schelmenroman "Guzmán de Alfarache" (1599) integrierte Maurengeschichte "Ozmín y Daraja" und die von Ginés Pérez de Hita (1544-1619) verfaßte "Historia de las guerras civiles de Granada" (1.Teil 1595, 2.Teil 1619). Die Beurteilung dieser Texte fällt in der Fachwelt kontrovers aus. Während Christoph Strosetzki vermutet, Pérez de Hita habe um Sympathie für die seit 1571 aus Granada und 1609 aus Valencia vertriebenen Morisken werben wollen, [38] meint André Stoll als Wurzel seiner Maurophilie ein arrogantes Überlegenheitsgefühl zu erkennen. [39] Derselbe Autor glaubt das Motiv des kultivierten Mauren, dem in ihrer Wildheit abschreckend charakterisierte christliche Bauern gegenübergestellt werden, nur deshalb eingeführt, weil Mateo Alemán als converso selbst Integrationsprobleme hatte.

Mit Blick auf die bildende Kunst bleibt festzuhalten, daß sich in der Literatur ungleich mehr Darstellungen der Mauren und Morisken finden, wenn auch deren inhaltliche Interpretation nicht weniger Schwierigkeiten macht. Eine deutliche Parallele zwischen Text und Bild finden wir hinsichtlich der auffälligen Präsenz von Angehörigen unterer Gesellschaftsschichten, die ich abschließend im Sinne der Inklusion thematisieren möchte. Mit Blick auf die Literatur habe ich hier vor allem die Pícaro- oder Schelmenromane im Auge. [40] Gemeint ist damit eine Gattung, bei der ein Protagonist niederer Herkunft sein Leben in der ersten Person erzählt. Auf der Suche nach einem vorteilhaften Beruf lernt er andere gesellschaftliche Bereiche kennen und kommentiert sie kritisch. Doch zugleich entsteht durch sein kriminelles oder lächerliches Verhalten und ein immer fragwürdiges Happy-End bei dem Leser eine Distanz, die den Text gerade auch für Angehörige der Oberschicht reizvoll machte. In diese Typologie paßt in mancherlei Hinsicht auch die erwähnte Erzählung von Cervantes: "Gespräch zwischen Cipión und Berganza". Die positive Darstellung von Bauern, Tagelöhnern etc. scheint zunächst noch einmal eine Leistung der ehemaligen hispanischen Welt gewesen zu sein, denn die frühesten Beispiele stammen aus den Niederlanden, der Lombardei, Süditalien und Spanien [41], und erst später schließen sich bildende Künstler wie Georges de La Tour an. Doch geht die im europäischen Kontext beachtenswerte Integration der sozial deklassierten Rechtgläubigen in Spanien mit einer Ausgrenzung religiöser Abweichler einher, wie Barry Wind meint? [42] Oder umgekehrt gefragt, hat der Verdacht einer Präsenz vieler conversos unter Adel und Geistlichkeit zu einer frühen Heroisierung des einfachen Volkes und einer verstärkten Beschäftigung mit dem Alltagsleben geführt? Dieser Frage soll abschließend am Beispiel von Velázquez' bodegones nachgegangen werden, die schon Carl Justi 1888 in seiner berühmten Velázquez-Biographie mit der Pícaro-Literatur in Verbindung gebracht hatte. [43]

Als ein Hauptwerk seiner Frühphase scheint Velázquez selbst den "Wasserverkäufer" angesehen zu haben, denn er nahm ihn 1622 oder 1623, wahrscheinlich als ein Vorzeigebeispiel seiner Kunst, mit nach Madrid. [44] Die Forschung rechnet dieses Gemälde zu den "bodegones", einem Bildtypus, den der Lehrer und Schwiegervater des Velázquez, Francisco Pacheco, in dem Kapitel "Von der Malerei der Tiere und Vögel, Fischmärkten und bodegones und der geistreichen Erfindung der Portraits nach der Natur" seines Kunsttraktates "Arte de la pintura" (1649) erwähnt. [45] Dabei handelt es sich um Werke, die Gattungselemente des Stillebens mit solchen der Genremalerei verbinden. [46] Mit der letzteren sind die bodegones durch die einfach gekleideten Akteure und mit ersterer durch die Gebrauchsgegenstände und Lebensmittel verbunden, die sich hier allerdings durch einen besonders bescheidenen Charakter auszeichnen. Ganz offensichtlich begünstigte der multikulturelle Schmelztiegel in Sevilla die Entstehung der bodegones aus süditalienischen, lombardischen und niederländischen Modellen. Weitaus schwieriger als die formale Herleitung gestaltet sich die inhaltliche Interpretation. Denn das Kunsttraktat Pachecos definiert den Begriff unzureichend und führt gleichzeitig auch noch andere Kategorien ein. [47]

In Vicente Carduchos bereits 1633 publizierten Traktat wird die neue Gattung negativ bewertet, und so sah sich Pacheco wahrscheinlich aufgefordert, seinen Schwiegersohn zu verteidigen. [48] Seine humanistische Schulung mit ihrer Orientierung an den Figuren der Hochrenaissance und seine Funktion als censor y veedor de las pinturas dürften ihm die Parteinahme auch nicht leicht gemacht haben, was sich darin niederschlagen mag, daß er ausdrücklich nur Velázquez' diesbezügliche Werke von der Kritik ausnimmt. [49] Daraus ergibt sich natürlich die Frage, ob sie etwas besaßen, was sich auf anderen Beispielen der Gattung nicht fand.

Betrachten wir dazu die "Küchenmagd", die ebenfalls zur Gruppe der bodegones gerechnet wird. Von diesem Bild existieren zwei Fassungen in Chicago und Dublin. Die im Vordergrund präsentierten Alltagsgegenstände sind weitgehend identisch gewählt, dagegen gibt es Unterschiede bei der Beleuchtung, und vor allem finden wir in dem Dubliner Bild im Hintergrund noch zusätzlich ein Emmausmahl dargestellt (Abb. 6). Die Verbindung von Schwarzafrikanerin und christlicher Szene wird neuerdings als Zeichen dafür gesehen, daß Velázquez die Rettung der Seele auch Angehörigen der Unterschicht oder anderer Ethnien zugestehen wollte, wenn sie sich nur zum christlichen Glauben bekannten. [50] Barry Wind wollte dagegen 1987 eher einen symbolischen Kontrast zwischen der göttlichen Offenbarung Christi an seine Schüler im Hintergrund und der demgegenüber blinden Haushilfe im Kreis ihrer einfachen Krüge und Schalen erkennen. [51]

Gegen diese These von Wind spricht allerdings ein weiteres von Velázquez besonders geschätztes Bild, ein Portrait seines Gehilfen Pareja (Abb. 7). [52] Der Hofmaler ließ sich von ihm auf seiner zweiten Italienfahrt von 1649 bis 1651 begleiten, von der er sich durch Kontakte zum Papst einen sozialen Aufstieg erhoffte. Im Februar 1650 trat Velázquez in eine römische Bruderschaft ein, was ihm die Möglichkeit verschaffte, im März desselben Jahres im Portikus des Pantheons, das damals als christliche Kirche Santa Maria de la Rotonda genutzt wurde, anläßlich der Feiern für den hl. Josef auszustellen.

Dort präsentierte er das Dreiviertelbildnis des Pareja, das diesen in dunkel-olivgrüner Kleidung zeigt, die durch eine Schärpe über der Brust und einen Spitzenkragen ausgezeichnet ist, dessen Tragen damals in Spanien durch die Kleiderordnung verboten war. Der feste Blick und der entschiedene Griff ins Gewand bilden weitere Attribute, mit denen Velázquez seinem Gehilfen eine durchaus imposante Ausstrahlung verschafft. Der Erfolg des Bildes bestätigte das gewählte Sujet. Velázquez wurde nicht nur in die Accademia di San Luca aufgenommen, sondern erhielt in der Folge auch den Auftrag für das berühmte Portrait des Papstes Innozenz X. Das Portrait Parejas läßt sich als ein später Reflex der bodegones im Werk des Hofmalers Velázquez verstehen.

Wollten wir von ihm aus rückblickend diese Bildgattung charakterisieren, so könnte man sagen, daß Velázquez in ihnen auf niederländische und italienische Modelle zurückgreift, aber nur bedingt deren moralische Konzepte übernimmt. Er zeigt nicht mehr die "lächerlichen Figuren mit verschiedenen und häßlichen Sujets, die ein Lachen hervorrufen sollen", so eine der erwähnten anderen Kategorien Pachecos [53], wie er sie auf seinen Vorbildern fand. Das Erlebnis des Schmelztiegels Sevilla mit seinen vielen sozialen Problemen hat bei ihm offensichtlich zu einer Inversion der alten Bildkonzepte geführt, ein Aspekt der von Wind übersehen wird. Dessen Deutung der "Küchenmagd" argumentiert zu sehr aus einer niederländischen Perspektive und andererseits bereits aus der Position des Hofmalers Velázquez, der im Umgang mit den berühmtesten Literaten Spaniens "theologische" Arbeiten schafft [54], und läßt damit unberücksichtigt, daß es sich um das Frühwerk eines noch jungen, stark experimentierenden Künstlers handelt. In diese Sicht paßt denn auch, daß Pacheco an den bodegones seines Schülers lediglich die Naturwahrheit hervorhebt [55] und Velázquez in einem von ihm angelegten Inventar den "Wasserverkäufer" genau so und keineswegs mit einem anderen, beziehungsreicheren Titel aufführt. [56] Als Velázquez seine bodegones malt, hat die hispanische Welt gerade 1609 ihre letzte große Bevölkerungsgruppe mit einer nicht-christlichen Vergangenheit vertrieben. Wenige Jahre später in Madrid wird der Hofkünstler diese Maßnahme rechtfertigen. Doch genauso wie Cervantes in seiner Erzählung "Gespräch zwischen Cipión und Berganza" die jeweiligen Kollektive angreift und doch in anderen Texten Sympathien für das einzelne Individuum erkennen läßt [57], scheint auch Velázquez die Fähigkeit gehabt zu haben, für den besonderen Fall vom allgemeinen Stereotyp abzuweichen. Leider haben wir von ihm weder die Darstellung einer Hexenmeisterin noch eines Zigeuners. Der einzige Hinweis auf die noch immer erstaunliche Bevölkerungsvielfalt der hispanischen Welt des 17. Jahrhunderts in seinem Oeuvre sind seine Bilder von einer schwarzafrikanischen "Küchenmagd" (Abb. 6) und seines Gehilfen, des Mulatten "Pareja" (Abb. 7).

Das schmälert jedoch nicht den Wert dieser beiden Arbeiten, denn die Malerei, so sahen wir in den anderen Beispielen, hatte in Spanien deutlich weniger Freiheiten als die Literatur. Zumindest die offiziellen Bilder dienten damals in zunehmendem Maße der Exklusion und kaum noch der Inklusion gesellschaftlicher Randgruppen. Der wiederholte Rückgriff auf die gleichen Personen in den Arbeiten seines Frühwerkes weckt die Erwartung, daß Velázquez zu seinen Modellen auch persönliche Kontakte unterhielt. Darin mag ein Grund liegen, warum er wie die Pícaro-Literatur sich den unteren sozialen Gruppen zuwandte, diese aber nicht verspottete. Um seine Bilder einer möglichen Zensur gegenüber zu rechtfertigen, wie sie von Carducho in den "Diálogos" ja ganz explizit ausgesprochen wird, mag er seine Alltagsschilderungen mit Bedeutungen aufgeladen haben, die mir jedoch zweitrangig erscheinen, wenn wir bei unserer Bewertung den "Wasserverkäufer" in den Mittelpunkt stellen, den Velázquez selbst ja offensichtlich als das beste Bild aus dieser Reihe ansah. [58]

Velázquez' Haltung gegenüber seinem Personal in den bodegones und später mit Blick auf Pareja ist schließlich auch in einem überregionalen Zusammenhang erstaunlich, denn wir müssen bedenken, daß im 17. Jahrhundert nicht im Bild, sondern ganz real, und zwar sowohl im katholischen Spanien wie auch in reformatorischen Ländern ein Ausgrenzungsprozeß der Anderen im Dienste des Fortschritts eingesetzt hatte. [59] Die Einigung zwischen den christlichen Konfessionen im Westfälischen Frieden scheint diesen Prozeß, zumindest was die hier ausgewerteten spanischen Bildbeispiele angeht, zunächst eher noch befördert zu haben. [60]



Epilog

Trotz allem war Pareja mit der Haltung seines Meisters keineswegs zufrieden. In einem seiner eigenen Bilder, der "Berufung des hl. Mathäus" (1661), zitiert er seinen Meister in einem Selbstportrait am linken Bildrand, dem er auf einem Zettel seinen Namen und die Datierung beigegeben hat (Abb. 7). [61] Die Wahl eines Dreiviertelprofils und der Kleidung sind bei den Dargestellten nahezu identisch, und doch gibt es bezeichnende Unterschiede. Da wo Velázquez die ethnische Differenz durch die besonderen Gesichtszüge herauszuarbeiten suchte, scheint Pareja um eine Angleichung seiner Physiognomie an die übrigen Figuren der christlichen Szene bemüht. Auch verzichtet der Mulatte nun auf den in Spanien, wie bereits gesagt, durch die Kleiderordnung verbotenen Spitzenkragen. Pareja, so wird deutlich, wünschte sich keine "exotische" Existenz, sondern wie vorher auch einmal ein Großteil der conversos und Morisken, die volle Integration in die spanische Gesellschaft.



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ANMERKUNGEN


1. Fontana 1995.

2. Braudel 1994.

3. Lacomba 1996.

4. Das Standardwerk zur spanischen Inquisitionsgeschichte erschien zuletzt in folgender Neubearbeitung: Kamen 1988. - Aus der inzwischen kaum noch überschaubaren Sekundärliteratur zur Inquisition möchte ich wegen ihrer neuen methodischen Ansätze ferner hervorheben: Alcalá 1984; Peters 1988; Contreras 1992. - In deutscher Übersetzung ist zum Einstieg empfehlenswert: Baroja 1990.

5. Vgl. allgemein zur Situation der Morisken: Epalza 1992.

6. Lacomba 1996, S. 261.

7. Resümiert werden hier u.a. einige Ergebnisse meiner bisher noch nicht publizierten Habilitationsschrift, die 1995 an der Philipps-Universität Marburg mit dem Titel "Kunst und Inquisition: Von Wegen und Folgen der Intoleranz" eingereicht wurde.

8. Weibel 1997.

9. Kagan 1996, S. 423-446.

10. Mellinkoff 1993. Das Buch gibt zwar eine ganze Liste angeblicher "Outcasts", behandelt aber schließlich doch nur Beispiele von Judendarstellungen. Für eine kritische Rezension vgl. Tammen 1996, S. 95-100.

11. Mellinkoff 1993, S. 60-61.

12. Ausst.kat. Valladolid 1994, S. 118-119.

13. Ortalli 1979; Edgerton 1985; Freedberg 1989.

14. Vgl. hierzu die Darstellung eines Ketzergerichtes in der heutigen Pfarrkirche La Magdalena in Sevilla: González de Caldas 1984.

15. Ich verwende die spanische Form, während in Deutschland die Schreibweise Autodafé von dem portugiesischen Auto-da-fé abgeleitet ist; actus fidei = Glaubensakt. - Zur Geschichte des auto de fe vgl.: Maqueda Abreu 1992.

16. Für eine ausführliche Diskussion des Bildprogrammes in Avila vgl.: Scholz-Hänsel 1994.

17. Moralejo 1995.

18. Für den Hinweis auf dieses Beispiel danke ich Christian Angermann, Santiago.

19. Braunfels 1946.

20. Kowal 1985, Kat. Nr. F-12b, S. 226-7, Abb. 5.

21. Sechs der Bilder befinden sich heute in der Cajavalencia. Für die Beschaffung des Bildmaterials zu diesen Werken danke ich Amadeo Ribelles Fuentes, Valencia und Alejandro García Avilés, Murcia.

22. Epalza 1992.

23. Brown 1990, S. 140. - Eine kritische Rezension dieses Buches, die auch Fragestellungen des vorliegenden Aufsatzes einbezieht, vgl. Scholz-Hänsel 1995.

24. Ayala Mallory 1986, S. 161. - Eine Übersetzung findet sich bei Harris 1982, S. 199. Offensichtlich wurde direkt aus dem Englischen übersetzt und dabei übersehen, daß Palomino zwischen Mauren und Morisken unterscheidet.

25. Epalza 1992.

26. Für eine ausführliche Diskussion dieses Programmes vgl. Scholz-Hänsel 1994.

27. Ausst.kat. Madrid 1986, S. 292; Ausst.kat. Madrid 1994, S. 90-91.

28. Zu der Toleranzgeste vgl.: Brown 1990, S. 150.

29. Olmo 1680; Angulo Iñiguez 1971, S. 357-387.

30. Brown/Elliott 1980.

31. Für die Programme in El Pardo und im Alcázar vgl.: Orso 1986.

32. Martín González 1984. - Den Versuch, die Kategorie des Hofkünstlers auf die spanische Situation zu übertragen, halte ich dagegen für wenig hilfreich: Waldmann 1995.

33. So gab es zu einigen historischen Begebenheiten, die im Salón de Reinos des Real Palacio del Buen Retiro dargestellt wurden, jeweils auch Theaterstücke. Vgl. hierzu Brown/Elliott 1980.

34. Cervantes 1992. - Für eine neuere Interpretation vgl.: Nerlich/Spadaccini 1990.

35. Cervantes 1992, S. 297-359.

36. Strosetzki 1991, S. 116.

37. López-Baralt 1992.

38. Strosetzki 1991, 103.

39. Stoll 1995, S. 116.

40. Strosetzki 1991, S. 107-112.

41. Für den niederländischen Bereich liegen zu diesem Thema zwei Neuveröffentlichtungen vor, auf die mich Herr Eckhard Kluth aufmerksam gemacht hat, dem ich dafür danke: Aust.kat. Antwerpen 1987; Sullivan 1994.

42. Wind 1987, S. 102.

43. Justi 1888.

44. Für einen Literaturüberblick zu dem Bild vgl.: Pérez Lozano 1993.

45. Pacheco 1990, S. 516-533.

46. Für die Herleitung vgl. Wind 1987, S. 47-79 und Scheffler 1996.

47. Pacheco 1990, S. 517.

48. Carducho 1979, S. 350-351. Hier äußert er insbesondere Kritik an der Verbindung von profanen und sakralen Themen, wie wir sie auch bei der "Küchenmagd" finden.

49. Pacheco 1990, S. 519. - Nachdem Pacheco eine Zeitlang vor allem als Haupt einer ganzen "academia" von Humanisten angesehen wurde, halte ich ihn mit Bassegoda i Hugas in dieser Rolle für überbewertet und möchte statt dessen stärker seine Kontakte zur Kirche und insbesondere zur Inquisition und den Jesuiten betont wissen. Er selbst berichtet, daß ihm am 7. März 1618 die Überwachung von Bildwerken übertragen wurde (Pacheco 1990, S. 561).

50. Ausst.kat. Edinburgh 1996, S. 134.

51. Wind 1987, S. 96-99.

52. Ausst.kat. New York 1989/90, Kat. Nr. 66, S. 384- 391; zur Biographie des Pareja vgl.: Palomino 1986, S. 221-223; Gaya Nuño 1957; Montagnu 1983.

53. Pacheco 1990, S. 517.

54. Palomino 1986, S. 183. Hier läßt Palomino Luca Giordano die "Meninas" als Theologie der Malerei bezeichnen.

55. Pacheco 1990, S. 519.

56. Ausst.kat. Edinburgh 1996, S. 152.

57. Stoll 1995, S. 123.

58. Selbst Wind will in ihm vor allem das positiv gemeinte Portrait eines einfachen Arbeiters sehen.

59. Wie gerade auch die Schwarzafrikaner in einem scheinbar doch besonders toleranten Land wie den Niederlanden ausgegrenzt wurden, zeigt: Blakely 1993.

60. Der Zusammenhang zwischen europäischer Identitätsbildung und der Ausgrenzung der Anderen ist ein Thema von Fontana 1995.

61. Ausst.kat. New York 1989/90, S. 387.



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