Forschungsstelle "Westfälischer Friede": Dokumentation

DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa

Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur

FERNANDO CHECA CREMADES
Die politische Bedeutung der Gemäldesammlung Philipps IV: der Alcazar von Madrid

Im berühmten Kapitel Empresa Segunda (zweite Unternehmung) "ad omnia" seiner "Idea de un príncipe Político christiano" erläuterte Diego de Saavedra Fajardo 1640 einige seiner tiefsten Einsichten bezüglich der Bedeutung, die Kunstwerke besitzen sollten. Wenn auch die Malerei den Körpern kein Leben verleihen könne, so verleihe sie ihnen doch "die Anmut, die Bewegungen und sogar den Ausdruck der Seele". Auf diese Weise verschönere sie die Natur, die ihrerseits die von der Kunst zur Perfektion gebrachten Dinge nicht anrührt.

Diese subtile Wechselbeziehung zwischen Natur und Kunst ist eine der Lieblingsvorstellungen des Barocks: Ausgehend von und aufbauend auf der Natur, fügt die Kunst ihr etwas hinzu, ein "Plus", das letztlich dazu dient, die Realität zu vervollständigen und zu verschönern.

Für Saavedra Fajardo diente dieses hinzugefügte "Plus" - unentbehrlich in allen Künsten, aber insbesondere in der Malerei - dazu, den exemplarischen und erzieherischen Wert der Malerei zu unterstreichen, eines der Hauptmerkmale der künstlerischen Praxis der Neuzeit: "Aus diesem Grunde", so Saavedra Fajardo, "wurde der Mensch nackt und ohne Sprache geboren, Verstand, Gedächtnis und Vorstellungskraft wie leere Tafeln, damit die Lehre auf ihnen Bilder der Künste und Wissenschaften male und die Erziehung ihre Belehrung auf ihnen schreibe ...". Und er zitiert eine weitere, in der barocken Kunsttheorie bevorzugte Vorstellung, die des "Ut pictura poësis". Wenn der Mensch, wie Aristoteles glaubte, als "tabula rasa" geboren wird, kann die Lehre auf ihm ihre Bilder "malen" und die Erziehung ihre Belehrung "schreiben". Ab hier erläutert Saavedra die Notwendigkeit einer guten Erziehung, unentbehrlich für Fürsten und Politiker, nicht nur durch die lebendigen Vorbilder der Eltern, Vorfahren und Lehrer, d.h. derjenigen, die ihre Belehrungen "schreiben", sondern auch durch Kunstwerke, die ihre Lehren auf die Wände der Paläste "malen". Daher, so fährt Saavedra fort, "sollten die Paläste nicht nur durch die lebenden Figuren reformiert werden, sondern auch durch die toten, also durch Statuen und Gemälde. Meißel und Pinsel sind zwar stumm, aber sie haben größere Überzeugungskraft als die wortreichsten ... In den Palästen sollte es keine Statue und kein Gemälde geben, die nicht den Geist des Fürsten zum ruhmreichen Nacheifern anspornen. Laßt die Pinsel auf der Leinwand, den Stichel in Bronze und den Meißel in Marmor die Heldentaten der Vergangenheit verkünden, damit er jederzeit belehrt werde; diese Statuen und Gemälde sind immer gegenwärtige Zeugnisse der Geschichte".

Einige Jahre zuvor, 1607, kehrte Federico Zuccaro nach einem wenig erfolgreichen Besuch am Hof Philipps II. nach Italien zurück. Seine "Idea de pittori, scultori et architetti" widmete er Herzog Karl Emanuel von Savoyen, der mit Katharina Michaela, einer Tochter Philipps, verheiratet war. In diesem Buch drückte er seine Bewunderung über das zeichnerische Können des Fürsten und seine Fertigkeit, Gebäude, Figuren, Landschaften, Pferde und andere Tiere, die er in seiner großen Galerie sehen wollte, zu zeichnen, aus und sagte voraus, diese Sammlung werde "ein Kompendium aller Dinge der Welt und ein großer Spiegel, in dem man die größten Taten der Helden des königlichen Hauses sehen könne, das Bildnis eines jeden von ihnen, und die Galerie entlang wandelnd erfährt man alles über die Wissenschaften", "un compendio di tutte le cose del mondo, & un amplio speccio, nel quale si verderanno l’attioni piú illustri de gli Heroi della sua gran Regia Casa, & l’effigie naturali di ciascuno di loro, & nella quale passegiando si potrá haver notitia di tutti le scienze principali", denn im Gewölbe gebe es Bilder der Planeten, ihrer Bewegungen, mathematische Symbole, die ganze Welt sei beschrieben und alle Tiere des Landes und des Wassers abgebildet.

Zuccaro verweist nicht nur auf den enzyklopädischen Anspruch eines solchen "Kompendiums aller Dinge dieser Welt", dem eine königliche Galerie genügen müsse, sondern entwickelt eine von Saavedra abweichende Vorstellung des "unbeschriebenen Blattes" Aristoteles'. Er gebraucht die Metapher des Spiegels: Die Bildergalerien sollen Heldentugenden widerspiegeln, die Taten und Bildnisse der Mächtigen sowie ein Interesse an Wissen und eine umfassende Präsentation der geographischen und sogar der kosmischen Realität. Dies galt zur Zeit Philipps II. als der tiefere Sinn von Kunstwerken, sogar an einem ausdrücklich religiösen Ort wie dem Kloster El Escorial. Dieses beherbergte nicht nur die großartige königliche Sammlung religiöser Gemälde, die königlichen Privatgemächer waren teilweise mit Schlachtengemälden, Galerien von Landkarten, Stadtansichten und Landschaftsdarstellungen [1] geschmückt. Daß der Enkel des Königs, Philipp IV., um die Mitte des 17. Jahrhunderts diese Dekoration veränderte, drückt mehr als nur eine Veränderung des Geschmacks aus. [2] Das Wechselspiel von Krieg und Frieden des 17. Jahrhunderts spiegelte sich in der Dekoration der königlichen Paläste Spaniens wider, Philipp IV. und sein Hofmaler Velázquez setzten dieses Prinzip bis in den Escorial fort. Neben die zutiefst religiösen Gemälde von Tizian, Rubens und van Dyck plazierte Velázquez das Bild des Königs in Rüstung neben einem Löwen - Machtsymbol des europäischen Barocks par excellence. Das kosmologische und wissenschaftliche Interesse, das im 16. Jahrhundert in Mode war und von Zuccaro in seinem 1607 geschriebenen Werk hochgelobt wurde, trat nach und nach in den Hintergrund.



I. Pracht, Herrlichkeit und künstlerische Bedeutung der Dekorationen. Die Abkehr vom Heldenhaften.

Bevor man näher auf die politische Bedeutung der Kunstwerke eingeht, die die Renaissance- und die Barockpaläste schmückten, sind einige Bemerkungen zur Methodologie notwendig, damit die Interpretation einiger konkreter Fälle, wie z.B. des königlichen Alcázar von Madrid, zu keiner Unklarheit führt. In diesem Zusammenhang muß das Konzept der "politischen Bedeutung" als solches genauer definiert werden.

Wenn die Könige Philipp II. und Philipp IV., die hauptsächlich zur malerischen Pracht dieses Palastes beitrugen, diesen mit einer der bedeutendsten Kunstsammlung, die in Europa in den letzten Jahrhunderten zusammengetragen wurde, schmückten, so beabsichtigten sie in erster Linie, ihre Macht, Würde und Größe zu verherrlichen. Die politische Bedeutung der Sammlung wurde durch die Anhäufung von Werken von Malern, deren Ruhm im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts bereits unbestritten war, wie Tizian, Rubens, van Dyck oder Velázquez, unterstrichen. Politisches Prestige und das Image von Macht und Reichtum verbanden sich mit mit dem Besitz von Werken bedeutender Künstler, und die Idee von Größe stimmte unmittelbar mit der außerordentlichen ästhetischen und künstlerischen Bedeutung dieser Sammlung überein. [3]

Dies wurde besonders deutlich, als nach Abschluß der Erweiterung des Palastes Anfang des 17. Jahrhunderts der junge König Philipp IV. 1626 seine Schätze dem päpstlichen Gesandten Kardinal Barberini zeigte: Die Gemälde einiger Säle - wie z.B. des sogenannten "Neuen Saales" oder des "Saales der Spiegel" mit den wichtigsten Staatsportraits des Herrscherhauses (u.a. von Tizian und Rubens) oder des "Unteren Raumes" mit der Sammlung mythologischer Gemälde, unter denen die "Poesien" von Tizian besondere Erwähnung verdienen, wurden dem Gesandten und seinem Begleiter, der niemand anderer als der hochgebildete Kunstkenner Cassiano dal Pozzo war, als eine hochbedeutende Sammlung von Kunstwerken gezeigt, deren hoher ästhetischer Wert die politische Machtposition des spanischen Königs widerspiegelte. [4]

Noch klarer wird die Bedeutung der politischen Szenographie Philipps IV. inmitten seiner Kunstwerke, wenn man sich der Beschreibung Palominos von dem Besuch des außerordentlichen Botschafters Ludwigs XIV., des Herzogs von Gramont, anläßlich der Eheschließung des französischen Königs mit Maria Theresia von Österreich entsinnt: "Er betrat den Palast in Begleitung des Admirals von Kastilien; seine Majestät empfing ihn im Salon; er stand gegen einen Arbeitstisch gelehnt, und so blieb er während der gesamten Audienz. Der Saal der Spiegel war reich geschmückt, und unter dem Thronbaldachin stand ein Sessel von unschätzbarem Wert. Dieser Schmuck war das Werk von Diego Velázquez, des Hofmalers, und des königlichen Polsterers, und da der Marschall Gefallen daran fand, das Gemach des Königs eingehend zu betrachten, beauftragte Seine Majestät Diego Velázquez damit, ihm die schönsten und bedeutendsten Kunstwerke des Palastes zu zeigen ..." So kam es, daß Velázquez ihm vier Tage später, am 20. Oktober, "alle Gemächer des Palastes zeigte, wo sie wegen der Vielzahl originaler Gemälde, Statuen, Porphyren und den anderen Reichtümern, die den großen Palast schmückten, viel zu bewundern hatten".

Die Pracht des königlichen Alcázar resultierte jedoch nicht nur aus Darstellungen von Heldentaten, Historien und Zeitgeschichte. An die Empresa segunda Saavedras erinnernd, fragte Palomino "Welchen Ruhmeswunsch erweckt nicht die Statue Alexanders des Großen?". Daran anschließend fragte er weiter: "Und zu welcher Unzüchtigkeit reizen nicht die Liebesverwandlungen Jupiters?" Die Antwort kann nicht aufschlußreicher sein: "In diesen Dingen, mehr noch als in den ehrbaren, ist die Kunst sehr erfinderisch (kraft unserer verdorbenen Natur), und wie Meisterwerke hängt sie der Hochmut in die Paläste, und so wird die Unzucht zur Zierde der Wände." Mittels der beredten Gegenüberstellung von Ruhm und Macht gegen Unzüchtigkeit und Schändlichkeit werden den Darstellungen von Heroen die Szenen aus Ovids Metamorphosen klar entgegengesetzt.

Mit deutlichem Mißfallen weist Palomino auf den rein sinnlichen Wert der vielen mythologischen Bilder und Aktszenen hin - nicht ohne einen Hinweis darauf, wie "erfinderisch" die Kunst bezüglich dieser Dinge sei. Er berichtet auch, daß dieses Konzept des Dekorativen und Künstlerischen, im Zusammenhang mit dem privaten Gefallen des Fürsten an dieser Art von Kunstwerken, für Barockpaläste allgemein anerkannt war, in denen nicht nur die zur Repräsentation benutzten öffentlichen Säle, sondern auch die Privatgemächer des Fürsten ausgeschmückt wurden. Diese Einstellung ist auch in der Kunstsammlung des königlichen Alcázar spürbar, in dessen "Cuarto Bajo" (Gemächer des Erdgeschoßes) sich eine ganze Reihe von Privaträumen befand, die mit mythologischen Darstellungen, häufig Szenen aus Ovids Metamorphosen, geschmückt waren. [5]

Selten wird in den spanischen Palästen die Wechselbeziehung zwischen Krieg und Frieden so deutlich wie in den von Philipp IV. zur Dekoration des "Cuarto Bajo", des Sommertraktes des königlichen Alcázar, zusammengetragenen Werken. Während, wie noch zu zeigen ist, im "Neuen Saal" oder "Saal der Spiegel" die politische Bedeutung der Kunstsammlung in der Verherrlichung der Herrscherfamilie oder einzelner Heldentaten der Monarchen (wie z.B. der Schlacht von Lepanto) lag, so drückten die in diesen anderen Räumen ausgestellten berühmten "Poesien" von Tizian, einige der bekanntesten Akte von Rubens oder Dürer und auch Werke von Malern wie Jordaens, Luca Cambasio, Veronese usw. die für die Kultur des 17. Jahrhunderts ebenfalls typische Abkehr vom Heldenhaften aus.

Diese Abkehr manifestierte sich auch in anderen Sammlungen, wie der, die Philipp IV. für ein Landschloß bei Madrid, die Torre de la Parada anlegen ließ, eine umfangreiche Serie mythologischer Gemälde von Rubens und seiner Werkstatt, jedoch ohne erkennbare programmatische Absichten. Neben diesen Gemälden hingen dort Velázquez' Jagdportraits von Philipp IV., dem Infanten Balthasar Carlos und dem Kardinalinfanten sowie sein "Äsop" und "Menippo" und andere, weniger bedeutende Gemälde. [6] Die Jagd als vergnügliche Alternative zum Krieg, ein in Renaissance und Barock sehr beliebtes literarisches Thema, spielt bei diesen Portraits von Velázquez wie auch bei einigen Werken der Rubens-Serie die Hauptrolle. Die Abwendung von der Welt des Krieges demonstriert jedoch kein Gemälde besser als der "Mars", Velázquez' dritte mythologische Figur für die "Torre de la Parada". In diesem Gemälde erkennt man deutlich das Bemühen um eine Privatheit, die im Madrider Alcázar mittels einer regelrechten Galerie von Aktstudien geschaffen wurde. "In dem Gemälde von Velázquez", so Brown, "und mit der Hilfe seiner Imagination sehen wir die Reaktion von Mars angesichts des unerwarteten Endes seines Liebesabenteuers". [7] Es ist in der Tat wahr, daß der Gott besiegt wurde; seinen melancholischen Ausdruck darf man jedoch nicht mit einer kritischen Vision Velázquez' bezüglich der militärischen Rückschläge seines Königs verbinden, vielmehr muß er als wunderbare Allegorie der Abkehr von dem heldenhaften und kriegerischen Leben in die ländliche Ruhe des Jagdschlößchens, in dem sich dieses Gemälde befand, verstanden werden.

Das Wechselspiel von Krieg und Frieden fand seinen höchsten Ausdruck in den Zyklen des Buen Retiro Palastes. [8] An anderer Stelle dieses Katalogs werden die Kriegsbilder am Beispiel des berühmten "Salón de los Reinos" mit seinen Schlachtenbildern, Staatsportraits und der Serie der "Arbeiten des Herkules" analysiert. Allerdings darf man nicht vergessen, daß Philipp IV. in unmittelbarer Nähe dieser Bilder eine Reihe italienischer Meisterwerke mit Themen aus der Geschichte Roms in Erinnerung an die heroischen Taten der klassischen Antike (eines der bevorzugten Themen der europäischen Kultur dieser Zeit) aufhängen ließ und sich andererseits in der Galerie der Landschaftsgemälde in ebendiesem Palast die Serie der Landschaften mit Heiligen und Einsiedlern von Poussin, Claude Lorrain und anderen befand, die ein Leben in Zurückgezogenheit und die Sehnsucht nach Frieden thematisieren - anders als Velázquez' Mars, aber in ähnlicher Weise. Hier wird die Landschaft als Ort der Ruhe, des Friedens und der religiösen Meditation gezeigt; die Idee der klassischen Landschaft symbolisiert nun den stoischen Rückzug in die Natur, voller Hinweise auf die Tradition der christlichen Einsiedler. Beispiele sind die "Landschaft mit dem heiligen Hieronymus" von Nicolas Poussin oder die "Landschaft mit der heiligen Maria von Cervelló" von Claude Lorrain. In anderen Gemälden, wie in der herrlichen "Landschaft mit der Grablegung der heiligen Serapia" von Claude Lorrain, ist es der Hinweis auf Rom und seine Ruinen, der zum Nachdenken über den religiösen Frieden anregt, während Velázquez in seiner "Landschaft mit dem heiligen Antonius als Abt und dem heiligen Paulus als Eremit" bei seiner Interpretation des Themas auf die nördlicheren Traditionen zurückgreift: Dürer für die Figuren der Einsiedler und Patinir, den er dank seiner Vertrautheit mit den königlichen Sammlungen gut kennen mußte, für die Landschaften. [9]



II. Verschiedene Arten zu überzeugen und die Bedeutung der Memorialfunktion der Gemälde: der königliche Alcázar von Madrid

Man darf nicht außer acht lassen, daß man im 17. Jahrhundert - ganz im Sinne der klassischen aristotelischen Rhetorik - der künstlerischen Tätigkeit eminente Überzeugungskraft zuschrieb. Diese wirke auf zwei Arten: zum einen, indem dem Volk, den Botschaftern und Gästen der Wert und die Notwendigkeit eines bestimmten Images von Macht vermittelt werde, und zum anderen, indem der erzieherische und anregende Effekt der Kunst, den Saavedra Fajardo betonte, bestätigt werde.

Ein letzter Aspekt der politischen Bedeutung der Kunstwerke ist noch hervorzuheben, und zwar ihre Memorialfunktion. Unabhängig von ihrem Wert als schmückendes, vergnügliches oder pädagogisches Element und über die persuasive Rhetorik, die dieser Zeit inhärent war, hinausgehend, rechtfertigen bedeutende Serien von Bildern und Statuen ihre Gegenwart in den Palästen einfach dadurch, daß sie an die Vergangenheit, bestimmte Geschehnisse oder Personen erinnern und damit gleichzeitig ein besonders Licht auf die Ereignisse und die Politik der Gegenwart werfen.

So sah es zumindest Baltasar Gracian in seinem "Criticon" (1651-1657), als er bei der Beschreibung der Kunstsammlung von Lastanosa in Huesca daran erinnert, daß es "immer politisch klug gewesen sei, große Männer in Statuen, auf Siegeln und Medaillen zu verewigen, sei es als Leitbild für die zukünftigen Generationen oder um die vergangenen zu ehren; damit man sieht, daß es Menschen waren und es nicht unmöglich ist, ihrem Beispiel zu folgen."

Diese künstlerischen, persuasiven, pädagogischen und memorialen Aspekte der Kunst fanden sich im königlichen Alcázar von Madrid im Überfluß. Die Bedeutung dieser umfangreichen Kunstsammlung kann auf diesen wenigen Seiten kaum wiedergegeben werden.

In erster Linie ist zu bedenken, daß sich die Bildersammlung im Laufe der gut 200 Jahre, in denen sie im Alcázar aufbewahrt wurde, ständig veränderte - nicht nur durch stetiges Wachstum, sondern auch wegen einer sich verändernden Bewertung der Gemälde und auch der Art der Hängung des 16. und 17. Jahrhunderts. Wir befassen uns daher mit der Sammlung, so wie sie in der 2. Hälfte des 17. Jahrhundert aussah, denn während dieses Zeitraums erreicht sie ihre Blütezeit.

Durch Beschreibungen, wie die von Venturino, Diego de Cuelvis, Jeremias Gundlach und Cassiano dal Pozzo, Inventare, wie die 1600, 1636, 1666, 1686 und 1700 aufgestellten, und Pläne, wie die von Juan Gómez de Mora aus dem Jahre 1626 oder von Theodor Ardemans aus dem 18. Jahrhundert, verfügt man über genügend Informationen, um den Umfang und Zustand der in diesem Gebäude befindlichen Sammlungen vom 16. Jahrhundert bis zum Brand des Alcázar im Jahre 1734 beurteilen zu können.

Etwas verkürzt kann man sagen, daß die Sammlung im Alcázar-Palast zur Zeit Philipps II. nicht an einem politischen Programm orientiert war, wie es später der Fall war. Die von Venturino 1571 gegebene Beschreibung betont besonders die Schönheit der Fresken und die reiche Gobelin-Sammlung im "Neuen Saal" sowie die üppige Ausschmückung des sogenannten "Vergoldeten Turms".

Wenn man die Beschreibung Diego de Cuelvis' vom Ende des 16. Jahrhunderts mit dem im Jahre 1600 aufgestellten Inventar vergleicht, so ist festzustellen, daß die Verteilung der Bilder über die wichtigsten Gemächer des Gebäudes (das Kabinett des Königs auf der Westseite des Palastes mit Blick über den Manzanares-Fluß sowie die im südlichen Teil um den großen Saal gelegenen Gemächer) dem traditionellen Geschmack des 16. Jahrhunderts folgte und nur in geringem Maß politische Kriterien berücksichtigte. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der sogenannte "Große Saal" (später Komödiensalon) war mit Städteansichten, historischen Szenen wie dem Einmarsch des Heeres Philipps II. in Portugal und Schlachtenbildern Karls V. dekoriert, darüber hinaus gab es Ansichten der Inseln Chinas, eine Tafel mit verschiedenen Vogelarten, Portraits verschiedener Inselbewohner und einige andere, möglicherweise von Arcimboldo gemalte Bilder. [10]

Die sogenannte "Casa del Tesoro", ein Nebengebäude des Alcázar-Palastes, beherbergte die Portraitserien von Tizian, Anthonis Moor und spanischen Malern, die den Grundstock der politischen Repräsentation des Hauses Habsburg bildeten. Die Anordnung dieser Bilder - zumindest insoweit das Inventar von 1600 entsprechend informiert - folgte keinen übergeordneten Kriterien, sondern war eher eine Anhäufung vieler Kunstwerke - im fünften Saal befanden sich so bedeutende Gemälde wie "Karl V. nach der Schlacht von Mühlberg" oder das allegorische Portrait Philipps II. ("Philipp II. bietet den Infanten Ferdinand dem Himmel dar") von Tizian, gleich daneben aber auch Tierbilder, Wappen der Ritter des St. Michaels-Ordens und die Allegorie "Die Erziehung Philipps III." von Justus Tiel. Ein wenig geordneter und wohl auch tiefsinniger waren die Bilder in den Räumen der Schatzkammer angebracht: Im ersten Saal befanden sich bedeutende Portraits von Mitgliedern der königlichen Familie, gemalt von Moor, Sánchez Coello, Tizian und Joos von Cleve; im zweiten Saal mythologische Gemälde, wie die Serie "Die Liebschaften der Götter" von Correggio, sowie Portraits von Tizian ("Philipp II. mit Rüstung") und Moor ("Johanna von Portugal"); im Rechnungszimmer hingen sowohl Portraits als auch mythologische und allegorische Gemälde wie "Die Lebensalter des Menschen" von Hans Baldung.

Erst im 17. Jahrhundert jedoch wurden die bedeutendsten Werke der genannten Künstler, wie z.B. "Karl V. nach der Schlacht von Mühlberg" oder "Philipp II. bietet den Infanten Ferdinand dem Himmel dar", zusammen mit neu dazugekommenen Bildern, darunter die Reiterportraits von Rubens und Velázquez, so ausgestellt, daß sie ihre Bedeutung als politische Allegorien voll entfalten konnten. Zu diesem Zweck mußte eine der bedeutendsten Umbauten in der Geschichte des Palastes vorgenommen werden. Unter der Leitung von Juan Gómez de Mora erhielt das Gebäude während der Regierung Philipps III. nicht nur eine neue Fassade, sondern auch eine ganze Flucht neuer Säle an der Südseite des Palastes, vorwiegend mit Repräsentationsfunktionen. Durch diesen Umbau entstanden auch die drei für die Gemäldesammlung wichtigsten Räume, nämlich die "Mittagsgalerie", der "Achteckige Saal" und der "Neue Saal" oder "Saal der Spiegel".

Das Inventar von 1636 läßt erkennen, daß bis in die Regierungszeit Philipps IV. die Sammlung noch immer ganz im Geist des vorigen Jahrhunderts geordnet war. Es deutet sich aber auch deutlich die Tendenz an, den "Saal der Spiegel" hervorzuheben, einen Raum, der mit einer klaren politischen Absicht eingerichtet worden war, zumindest seit 1626, als ihn Cassiano dal Pozzo nach seinem bereits erwähnten Besuch mit Kardinal Barberini beschrieb. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurden dort neben Gemälden von Rubens, Tizian oder van Hemessen, durch deren unschätzbaren Wert ihr Platz hier gerechtfertigt war, auch einige Werke mit klarer politischer Ausrichtung aufgehängt, wie die bereits erwähnten Portraits "Karl V. nach der Schlacht bei Mühlberg" und die Allegorie Philipps II. ("Philipp II. bietet den Infanten Ferdinand dem Himmel dar") von Tizian, seine "Furien" sowie, kurz nach dem erwähnten Besuch, Gemälde zu historischen Themen von Carducho, Caxés, Gonzalez und das verlorengegangene "Reiterportrait" Philipps IV. von Velázquez. Später, im 1636 aufgestellten Inventar, werden andere Werke genannt, so das ebenfalls verlorengegangene Gemälde "Die Vertreibung der Mauren" von Velázquez, das Portrait des Kardinalinfanten Ferdinand von van Dyck, das der Herzog von Leganés aus Flandern mitgebracht hatte, und "Die Schlacht von Nördlingen", das Werk eines unbekannten Künstlers, um nur einige der Werke rein historischen oder politischen Inhalts zu nennen. Erwähnt sei auch die Beschreibung dieses Saales von Carducho aus dem Jahr 1633, in der er bereits das historische Gemälde von Velázquez erwähnt, das das Portrait Philipps III. von Gonzalez ersetzte, sowie den "Einzug Philipps III. in Lissabon" und den "Austausch der Prinzessinen".

Die graduelle Verbesserung der Dekoration dieses bedeutenden Saales setzte sich in zwei Richtungen fort: Zum einen ersetzte Philipp IV. gewisse Bilder, wie die bereits erwähnten historischen Gemälde spanischer Maler, durch künstlerisch wertvollere (vor allem von Rubens, Velázquez, Tintoretto oder Gentileschi). Zum anderen wurde dem Saal mittels der Staatsportraits Karls V., Philipps II., Philipps III., Philipps IV. und Karls II. eine zunehmend allegorische und die Herrscherfamilie überhöhende Bedeutung zugemessen. Ergänzt durch die "Furien" Tizians mit ihrer moralischen Mahnung entstand so eine der bedeutendsten Gemäldegalerien des europäischen Barock. In ihr vereinigte sich ein Großteil der Funktionen und Qualitäten, die bereits als grundsätzlich zum Verständnis der Gemäldesammlung des Alcázar-Palastes herausgestellt wurden: die erinnernden und dynastischen Aspekte in den Portraits und den historischen Gemälden, die moralischen in den "Furien", die persuasiven in dem allgemeinen Eindruck des Reichtums, den die Galerie vermittelte. Die Spiegel, die der Galerie ihren Namen gaben, trugen ebenfalls eine metaphorische Bedeutung; sie sollten im literarischen Sinne als "Spiegel der Tugend des Fürsten" das Ebenbild und die Tugenden des Monarchen widerspiegeln. Es wurde bereits erwähnt, daß Federico Zuccaro die Spiegelmetapher in seiner Beschreibung der Galerie des Prinzen von Savoyen benutzte; eine Metapher, die auch Velázquez in seinem berühmtesten Gemälde, "Las Meninas", aufnahm, ebenso wie Carreño de Miranda in der Portraitserie von Karl II., die ebenfalls im "Saal der Spiegel" ausgestellt war.

Der entscheidende Schritt zu einer Ordnung der Sammlung in einer dem 17. Jahrhundert entsprechenden Weise und Stimmung wurde zwischen 1650 und 1660 durch Diego Velázquez getan. Die umfangreichen Käufe von Kunstwerken durch Philipp IV. und die Italienreisen seines bevorzugten Malers führten dazu, daß beide gemeinsam eine Neuordnung der Gemäldesammlung des Alcázar-Palastes vornahmen. Alles Alte sollte endgültig verschwinden, insbesondere die Bilder, die wie die von Hieronymus Bosch und den flämischen Malern des 16. Jahrhunderts dem Geschmack und den Interessen des Barocks nicht mehr entsprachen.

Die Veränderungen zeigen sich deutlich in der "Mittagsgalerie", deren Dekoration Velázquez radikal änderte, wie auch in dem sogenannten "Achteckigen Saal"; die beiden Räume also, die zusammen mit dem "Saal der Spiegel" die repräsentativsten des königlichen Alcázar waren. Nach den umfangreichen, zwischen 1646 und 1648 vorgenommenen Umbauten war der "Achteckige Saal" der einzige des ganzen Palastes, in dem Skulpturen vorherrschten; hierhin brachte man die Skulpturenserie der "Planeten" des flämischen Künstlers Jonghelinck, die ursprünglich für den Buen Retiro Palast gekauft worden waren, und hierhin kamen auch verschiedene Bronzen von Leone Leoni wie die von Philipp II. und Maria von Ungarn sowie wahrscheinlich auch "
Karl V. und die Raserei". Auf diese Weise wurde die im benachbarten "Saal der Spiegel" enthaltene Galerie der Staatsportraits durch die Skulpturen ergänzt.

Ähnliche Maßnahmen wurden für die "Mittagsgalerie" ergriffen. 1633 beschrieben die "Diálogos de la Pintura" des Bartolomé Carducho detailliert ein - nie ausgeführtes - Programm, mit dem Carducho, Caxés und Fabricio Castello beauftragt worden waren: "Für diesen Saal wäre es angebracht, daß er eine Zusammenfassung aller in den verschiedenen Zeitaltern der Welt stattgefundenen Ereignisse sei, von der Schöpfung bis zu unserer Zeit, mit Allusionen der Menschenalter, wobei für jedes eine Heldentat einer berühmten Person gezeigt werden sollte, all dies mit viel Moral, Gelehrsamkeit und Beispielhaftigkeit ausgedrückt".

Diese Worte über ein unvollendetes Projekt, die so sehr an die Worte von Federico Zuccaro aus dem Jahre 1607 erinnern, spiegeln sich in der Dekoration dieser Südgalerie wider, so wie sie im Inventar von 1636 erscheint: zwölf Gemälde der Monate, vier der Elemente, vier der Jahreszeiten, Ansichten von Königspalästen, Schlachtenbilder und Jagdzsenen aus der flämischen Schule, zwölf Szenen von Juan de la Corte und zwei Bilder von Hieronymus Bosch, die von Königsportraits von Villandrando, Tizian und Rubens begleitet wurden.

Die von Velázquez durchgeführten Veränderungen dieses Raumes waren grundlegend. Er fügte nicht nur weitere Staatsportraits hinzu (während altmodische wie die Villandrandos entfernt wurden), sondern ersetzte die Allegorien der Monate, Elemente, Jahreszeiten sowie die flämischen Jagdszenen und die Bilder von Bosch durch mythologische Gemälde von Veronese, Portraits von Rubens, Tizian und Tintoretto sowie religiöse Szenen von Bassano und anderen. Im Hinblick auf ihre politische Bedeutung waren die Gemälde von Tizian besonders wichtig: die Portraits "Philipp II. mit Rüstung", "Karl V. mit Hund" und "Kaiserin Elisabeth" und seine berühmte, beim Brand von 1734 zerstörte Serie der "Römischen Kaiser", die Philipp IV. von Karl I. von England erworben hatte.

So verwandelte Velázquez einen Raum, der ein kosmologisches Konzept von Macht ganz im Stile des 16. Jahrhunderts zeigte, in eine echte Barockgalerie, ähnlich denen, die er während seiner zweiten Italienreise in Rom bewundert hatte. Die den Staatsportraits und Tizians Kaiser-Serie, die die obere Wandzone schmückten, innewohnende politische Signifikanz, wurde durch den hohen ästhetischen Wert venezianischer Meisterwerke des 16. Jahrhunderts ergänzt.

Die politischen und exemplarischen Kunstwerke konnten in diesem Umfeld höchster künstlerischer Leistungen all ihre Kraft und ihr eigentliches Potential entfalten. Wie Saavedra Fajardo in seiner "Empresa segunda" - mit der dieser Aufsatz eingeleitet wurde - sagte, erreicht die Natur, in diesem Falle die politische Natur, ihre eigentliche Dimension erst, wenn sie in Gegensatz zu Gemälden von dürftiger Moral tritt, wie z.B. "Venus und Adonis" und "Cefalus und Prokris" von Veronese oder der künstlerisch höchst ausdrucksvollen Serie venezianischer Frauen, möglicherweise von Tintoretto oder seiner Schule. Erneut ist in dieser Gemäldesammlung der Gegensatz von Krieg und Frieden, Ruhe und heldenhafter Spannung, eines der hervorstechendsten Merkmale der europäischen Geschichte und Kultur des 17. Jahrhunderts, zu finden.



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ANMERKUNGEN
1. Checa 1992.

2. Morán Turina/Checa 1984.

3. Über den königlichen Alcázar von Madrid und seine Sammlungen siehe auch Bottineau 1956; Orso 1986; Gérard 1984; Barbeito 1992; Checa 1994.

4. Zu dem Thema vgl. Harris 1970; Volk 1980; Volk 1981.

5. Zu diesem Punkt vgl. Checa 1994.

6. Vgl. Alpers 1971.

7. Brown 1986, S. 168.

8. Brown/Elliott 1981.

9. Ausst.kat. Madrid 1984.

10. Checa 1997.



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© 2001 Forschungsstelle "Westfälischer Friede", Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, Domplatz 10, 48143 Münster, Deutschland/Germany. - Stand dieser Seite: 2. Mai 2002