DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
VOLKER GERHARDT Zur historischen Bedeutung des Westfälischen Friedens - Zwölf Thesen |
Der folgende Text ist aus einem
Diskussionsbeitrag auf der Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats der
Ausstellung 350 Jahre Westfälischer Friede am 10. Oktober 1995 in
Osnabrück hervorgegangen. Da die zwölf Thesen der Verständigung
über die Zielsetzung der Ausstellung gedient haben, kommen sie hier - durch
einige sachliche Belege ergänzt - zum Abdruck. Auch die Maximen für
die Konzeption der Ausstellung wurden nicht gestrichen. Sie können eine
kritische Auseinandersetzung mit der Präsentation in Münster und
Osnabrück erleichtern.
I.
Das Jahr
1648 markiert einen historischen Wendepunkt von zivilisationsgeschichtlichem
Rang, denn im politischen Bewußtsein vollzieht sich der Übergang
vom Krieg zum Frieden. Wenn es in der politischen Theorie der Gegenwart
heißt, der Frieden sei der Grund, das Merkmal und die Norm des
Politischen [1], dann gilt das für die Theorie der Politik zwar
schon von Platon an und wird an der Schwelle zur Neuzeit im Defensor
pacis des Marsilius von Padua (1324) wieder bewußt gemacht. Auch durch
die Friedensrufe des Erasmus von Rotterdam und des Sebastian Franck, des Herzogs
von Sully und eines Émeric Crucé und später durch die
Friedensbotschaften William Penns bekommt die politische Friedenserwartung
darüber hinaus neue Impulse, in die moralische und religiöse
Erwartungen eingehen.
Aber in der
öffentlichen Anerkennung des die Politik tragenden Friedenswillens durch
die politischen Mächte Europas wird mit dem Abschluß des
Friedensvertrages von 1648 ein neues Datum gesetzt. Auch wenn die Machthaber es
mit ihren Deklarationen gar nicht ernst gemeint haben sollten: In den
Abschlußdokumenten von Osnabrück und Münster wird der
politische Primat des Friedens erklärt. Er ist damit zum Bestandteil
der praktischen Politik geworden und wird erstmals von den Machthabern
selbst - auch angesichts fortbestehender Konflikte - vor einer großen
Öffentlichkeit propagiert.
Dahinter konnte
und kann man nur noch auf die Gefahr eines Selbstwiderspruchs zurück; heute
jedenfalls gibt es niemanden mehr, der sich öffentlich gegen den Frieden
erklären und trotzdem politisch ernstgenommen werden könnte.
Politiktheoretisch ist der Friede zu einer Selbstverständlichkeit geworden.
Der Bellizismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist demgegenüber
ein Rückfall, den man wohl nur erklären kann, wenn man die
Französische Revolution in Verbindung mit ihrem napoleonischen Nachspiel zu
verstehen
sucht.
II.
Die
Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück sind durch ihr
Verfahren wie durch ihr Ergebnis die erste große
politische Konferenz der europäischen Mächte. Hier fand eben kein
Konzil und auch kein Reichstag mehr statt, sondern eine Zusammenkunft
selbständiger territorialer politischer Einheiten, erstmals auch unter
Einbeziehung der relevanten Bündnisse. Der Hl. Stuhl war nur noch als
Beobachter beteiligt. Der Primat säkularer Politik bahnt sich an.
Auch wenn dies gewiß noch nicht in der Absicht der beteiligten Mächte
und Machthaber liegt, so schaffen sie doch die Voraussetzungen für eine
neue Form politischer Verständigung. Durch den Friedensvertrag vom 24.
Oktober 1648 wird ein übergeordnetes Recht geschaffen, dem sich, wie
der � 113
feststellt, alle bestehenden "kanonischen und weltlichen Rechte, allgemeine oder
besondere Konzilsbeschlüsse, Privilegien, Bewilligungen, Verordnungen,
Beauftragungen, Untersagungen, Befehle, Beschlüsse, Verfügungen" bis
hin zu den "Konkordaten mit den Päpsten, das Interim vom Jahre 1548 oder
weltliche oder kirchliche Ordnungen" zu fügen haben. [2] Erst eine
solche Aufzählung macht bewußt, wie weit die normierende Kraft des
Vertrags reichen soll und welcher alle bisherigen Regelungen übergreifende
Machtanspruch mit dem Verhandlungsergebnis verbunden
ist.
Die Friedensverhandlungen von Münster
und Osnabrück werden so zum exemplarischen Fall zwischenstaatlicher
Konfliktbewältigung und erscheinen rückblickend wie ein Modell
für alle nachfolgenden überregionalen Konferenzen über Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa. Die Korrespondenz von Staatsgründung und
Friedensschluß, die bislang auf einzelne Territorien beschränkt war,
tritt erstmals, wenn auch nur in der Tendenz, in ihrer
staatenübergreifenden Logik hervor. Pax et pactum
convertuntur. [3]
III.
Der
Westfälische Frieden ist ein Ereignis in einer von Glaubenskämpfen
zerrissenen christlichen Welt. Hier werden die Einflußsphären
der Konfessionen abgegrenzt und mit neuen juristischen Mitteln festgelegt. Aber
eben damit kommen sich die Konfessionen näher. Unter dem prozeduralen Zwang
von Verfahren und Schiedssprüchen gehen die Kirchen politisch aufeinander
zu. In einer immer wirksamer werdenden humanistisch-irenischen
Atmosphäre entspannt sich der theologische Gegensatz zwischen den
christlichen Bekenntnissen. Wie bei den politischen Entwicklungen gilt auch
hier, daß sich Annäherung und Verständigung oft gegen den Willen
der Akteure vollziehen. Dies wird um so deutlicher, wenn man die steigende
Inbrunst der jeweils praktizierten Konfession dagegen hält. Nach innerer
und äußerer Anteilnahme hat es selten eine Zeit gegeben, in der
Politik und Religion so nachdrücklich aufeinander bezogen waren. Die
Säkularisierung der politischen Sphäre geht mit einem Crescendo
des Glaubens einher, der einen aufrichtigen Ausdruck in der Fürbitte des
Friedens findet. Die eindringlichen Friedensgebete und
Friedenslieder des 17. Jahrhunderts lassen sich heute durchaus auch als
eine Selbsteinstimmung der Kirchen auf die bürgerliche Lebenswelt
deuten.
IV.
Das
historisch Neue in der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges tritt
primär in den juridischen und diplomatischen Verfahren sowie in den
legitimatorischen Ansprüchen hervor; es braucht daher nicht zu wundern,
daß es den Beteiligten in seiner Dynamik nicht bewußt ist. Die
Not des Krieges wirkte weit über das individuelle Bewußtsein
hinaus. Das im Münsteraner Vertragstext zum Ausdruck gebrachte Verlangen
nach "immerwährendem Vergessen und Vergebung [perpetua oblivio et
amnistia] all dessen, was seit Beginn dieser Auseinandersetzungen an
irgendeinem Ort oder auf irgendeine Weise von der einen oder der anderen Seite,
hinüber oder herüber, feindlich geschehen ist" [4],
läßt den politischen Willen erkennen, die erfahrene Not politisch zu
überwinden. Nur der gemeinsam erlebte Schrecken macht den Wunsch nach
"vollständiger Tilgung" und "immerwährendem Vergessen"
verständlich: Es sollen, so heißt es in
� 2, "alle
und die einzelnen bis heute und vor dem Krieg in Worten, Schrift und Taten
zugefügten Rechtsverletzungen, Gewalttaten, Kriegshandlungen, Schäden
und Kosten ohne jede Rücksichtnahme auf Personen oder Sachverhalte so
vollständig getilgt sein [penitus abolitae sint], daß das, was
auch immer unter Berufung auf eine solche Sache einer gegen den anderen
vorbringen könnte, in immerwährendem Vergessen begraben sein soll
[perpetua sit oblivione
sepultum]." [5]
Erst heute, nachdem
zwei Weltkriege uns die Leiden des Dreißigjährigen Krieges wieder
nahegebracht haben, können wir auch die epochalen Folgen überblicken.
Die politischen Nah- und Fernwirkungen des Westfälischen Friedens
können daher nicht überzeugend dargestellt werden, wenn nicht auch das
Elend des Krieges - Verwüstung, Vertreibung, Verletzung,
Vergewaltigung, Verachtung, Vernichtung, Pest und Tod - anschaulich wird. Die
Zerstörung unwiederbringlicher kultureller Güter, die jähe
Aufwertung und Abwertung einzelner Schicksale, die Raserei des Zufalls unter dem
Kalkül des Krieges - von alledem muß in der Ausstellung etwas
sichtbar
werden.
V.
Der
Westfälische Frieden ist ein europäisches Ereignis auch durch eine in
diesem Ausmaß zuvor nie dagewesene Anteilnahme der
Öffentlichkeit. Das Vertragswerk selbst wird in verschiedenen Editionen
publiziert. Schon dies ist ein Novum. Darüber hinaus lassen Zeitungen,
Flugblätter und eine Flut von Münzen und Bildern die unerhörte
und in diesem Ausmaß historisch wirklich neue Beteiligung der
Menschen erkennen. Das gemeinsame, vor keiner Grenze haltmachende Leid und
der ausgreifende, man möchte fast sagen: der totale Charakter der
Kriegshandlungen, die ja nicht nur politische und religiöse Motive hatten,
sondern oft nur aus persönlicher Machtgier und purer Raub- und Mordlust
angetrieben wurden, schufen eine Aufmerksamkeit, die alle Stände und
Regionen einbezog. Und erstmals gab es auch die Verkehrs- und
Publikationsmittel, die schnell genug waren, das Informationsbedürfnis zu
befriedigen. Bei den "Landeskindern" und "Untertanen" regt sich erstmals auch in
größeren Flächenstaaten ein Interesse an
staatsbürgerlicher Selbständigkeit. Wir beobachten hier die
Genese der bürgerlichen Öffentlichkeit, ohne die sich Politik
heute gar nicht mehr denken, geschweige denn rechtfertigen
läßt.
VI.
Auch
wenn Karl Marx das Gegenteil behauptet hat: Die Philosophen haben die Welt
höchst selten nur einfach interpretiert; sie haben sie immer auch
verändert. Dafür liefert der Westfälische Frieden ein die
Nachwelt eminent betreffendes Beispiel: Die Theorie des Völkerrechts
- im Konziliarismus des 15. Jahrhunderts geboren, im Spanien des frühen 16.
Jahrhunderts entwickelt und eng mit der Ausweitung europäischer
Ansprüche durch Kolonisierung und Missionierung verbunden - wird in der
Zeit des Dreißigjährigen Krieges systematisiert. Das ist die Leistung
des Hugo Grotius. [6] Mit Berufung auf die antike Rechtstradition
verteidigt er den Begriff des "öffentlichen" und "formellen" Krieges, der
in Anlaß, Führung und Abschluß ganz und gar dem Recht
unterworfen ist. Eine zivile Institution wird dadurch zum absoluten Herrn des
Krieges.
Durch die theoretische Leistung des Hugo
Grotius wird das Ius publicum Europaeum ins öffentliche
Bewußtsein gerückt, und es wird in den Verhandlungen, vor allem aber
im Vertragswerk selbst, zu einem praktischen Element der Politik. Darüber
hinaus kommt es in den Nachwirkungen des Friedenswerks zu Effekten in
Völkerrecht, Staatstheorie und politischer
Publizistik, die in ihrer grundlegenden Bedeutung heute noch nicht
genügend aufgearbeitet sind. So hat man viel zu wenig darauf geachtet,
daß die bedeutendste Staatstheorie dieser Epoche, die während des
Dreißigjährigen Krieges entstandene politische Lehre des Thomas
Hobbes [7], ein erstes Naturgesetz aller Politik postuliert,
das auf nichts anderes zielt als auf den Frieden. In der ersten englischen
Fassung lautete dieses First and Fundamentall Naturall Law aller Politik:
"That every man, ought to endeavour Peace, as farre as he has hope of obtaining
it." [8] Die politische Theorie nimmt hier offenkundig die politischen
Erfahrungen ihres Zeitalters auf und wirkt langfristig auf die politischen
Verhältnisse zurück; Locke, Montesquieu, Rousseau und Kant, um nur die
herausragenden Köpfe zu nennen, nehmen das Friedensgebot des Natur- und
Vernunftrechts auf und wirken über die Verfassungsdebatten in England,
Amerika und im revolutionären Frankreich bis in die Gegenwart. Die
internationalen Bündnisse, Sicherheitskonferenzen und
Sicherheitsorganisationen sowie Völkerbund und Vereinte Nationen lassen
sich ohne diese durch die politische Theorie nachhaltig verstärkten Impulse
nicht verstehen.
Ihren Erfahrungshintergrund haben
die politischen und philosophischen Theorien der Moderne immer auch in der
Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges; und ihre Hoffnungen
schöpfen sie nicht unwesentlich aus der Tatsache, daß es gelungen
ist, diesen Krieg in der beispiellosen diplomatischen Anstrengung der
westfälischen Friedensverhandlungen zu beenden. Die Ausstellung in
Münster und Osnabrück sollte daher zumindest eine Idee von diesen sich
hier über 350 Jahre hinweg vollziehenden Übergängen zwischen
Theorie und Praxis
vermitteln.
VII.
In
den Verhandlungen kommt ein neuer Begriff von Staatlichkeit zum Ausdruck.
Die Bedingungen für die Teilnahme sind nicht mehr allein an die
territoriale Repräsentanz gebunden, sondern mit der
Rechtsförmigkeit des politischen Zusammenhangs verknüpft. Der
Friedensschluß belehrt darüber, daß wir die übergreifenden
politischen Einheiten nicht zureichend erfassen, wenn wir allein von Max Webers
Anstaltsmodell ausgehen, das allein durch einen machthabenden Willen organisiert
ist; "Staat" ist vielmehr das Gebilde, in dem sich einheitliche
Rechtsverhältnisse ausgebildet haben, die sich an einem (natur-,
vernunft- oder menschenrechtlichen) Prinzip messen lassen. Somit wird
bereits 1648 ein Staatsbegriff sichtbar, der moderner ist, als es der
Nationalstaat des 19. Jahrhunderts suggeriert. Es sind nicht zuletzt die
aufwendigen Prozeduren des Friedensvertrages und seiner Absicherung innerhalb
wie außerhalb der Staaten, die den Wert des Rechts auch für
die internationale Politik ins Bewußtsein rücken. In der
öffentlichen Selbstdarstellung der Politik treten der Jurist und der
Diplomat immer stärker hervor. Die barocke Kriegspose, in der sich
die europäischen Herrscher noch über hundert Jahre lang gefallen, hat
bereits alle Merkmale einer historisierenden
Präsentation.
VIII.
Die
Anteilnahme der Öffentlichkeit - und damit die neue Qualität von
Politik - kommt auch darin zum Ausdruck, daß sich die kulturelle
Produktivität in einer vorher nicht bekannten Weise auf Krieg und
Frieden und Politik bezieht. Die thematische Entfaltung einer alle Menschen
berührenden, direkt mit einem absichtlichen gesellschaftlichen Verhalten
verknüpften Erfahrung führt zu einer ebenfalls in diesem Ausmaß
zuvor nicht dagewesenen Popularisierung der sich immer reicher
differenzierenden Künste. Die Kunst des Barock, die in den
Kriegsjahren zur ersten Blüte kommt und sich in der Zeit nach dem
Friedensschluß in triumphaler Weise entfaltet, führt zu einer alle
Lebensbereiche erfassenden theatralisch-rhetorischen Selbstdarstellung der
Kultur. Der lange Krieg wird in aufwendiger Prachtentfaltung kompensiert;
vor allem aber genießt man in der Kunst die neuen technischen und
wissenschaftlichen Möglichkeiten, die nicht nur alles nach Europa schaffen
können, was andere Erdteile bieten, sondern eine perfektionierte
Künstlichkeit erlauben, die es so vorher nicht gegeben hat. Diese
immense menschliche und mechanische Kräfte, verschiedene Kulturen und
Epochen kontrahierenden Potenzen schaffen völlig neue Räume der
Illusion. Überdies läßt sich an den Gegenständen des
täglichen Gebrauchs sinnfällig machen, daß die heute für
das späte zwanzigste Jahrhundert reklamierte "Ästhetisierung des
Alltagslebens" schon im 17. Jahrhundert Wirklichkeit
ist.
IX.
Der
Krieg und der Frieden fallen in eine Zeit, in der sich Technik und
Wissenschaft in ungeahnter Weise entfalten. Von der Kriegstechnik
über die Verkehrs- und Mitteilungsmittel bis hin zu den neuen
Darstellungsformen der Kunst kommt hier eine neue Produktivität der
menschlichen Kultur als ganzer zum Ausdruck. Wissenschaft und Technik treten
aber nicht nur in den praktischen Leistungen der Naturbeherrschung, in der
Erleichterung von Arbeit und Verkehr oder in der entsetzlichen Effektivierung
der Waffen hervor: Sie kommen vor allem auch in der sinnfälligen Lust an
den neuen Chancen zum Ausdruck. Es ist ein Überschuß an Kraft,
der das 17. Jahrhundert in Krieg und Frieden - in schrecklicher und
prächtig-luxurierender Weise - prägt. Dabei ist der Krieg keine
einfach zugrundeliegende "sozio-ökonomische" Bedingung; er ist vielmehr
selbst immer auch Ausdruck der Extreme, die das 17. Jahrhundert zerreißen
- und die gleichwohl kulturell produktiv gemacht und künstlerisch zur
Darstellung gebracht werden können. Von alledem gilt es, in der Ausstellung
wenigstens etwas wirklich sichtbar zu
machen.
X.
Die
historische Vergegenwärtigung des Dreißigjährigen Krieges und
des Friedensschlusses von 1648 ist durch die reiche künstlerische,
politische und publizistische Überlieferung besonders begünstigt.
Die Ausstellung kann daher zu einer exemplarischen Darstellung eines
historischen Raumes mit allen seinen alltäglichen, festlichen,
künstlerischen, religiösen, ökonomischen und politischen
Elementen genutzt werden. Dazu gehört, daß Krieg und Frieden in
diesem Fall schon von den Zeitgenossen, aber dann auch von den nachfolgenden
Generationen in ihrer exemplarischen Bedeutung begriffen und
pädagogisch genutzt worden sind. Die Chance, dabei auch die
Ambivalenz der historischen Rückbesinnung zum Ausdruck zu bringen,
sollte genutzt werden. Das heißt: Es ist nicht nur nach
populär-kommerzieller und szientifischer Rezeption zu unterscheiden,
sondern auch zu bedenken, daß der Westfälische Frieden fast 150 Jahre
lang als ein Datum galt, das angeblich stärker für den Krieg als
für den Frieden sprach. Gerade heute, nachdem die Friedensidee zu den
Selbstverständlichkeiten politischer Diskurse zählt, der Krieg aber
gleichwohl eine unleugbare Realität darstellt, sollten die extremen
Bewertungsschwankungen in der Rezeption des Westfälischen Friedens
nicht vergessen werden. Vielleicht läßt sich so - auch ohne
expliziten friedenspädagogischen Anspruch - deutlich machen, daß die
Tatsache eines politischen Friedens nicht zu den Gegebenheiten der Natur, auch
nicht zu den Gnadenakten der Geschichte gehört. Der Friede muß
vielmehr aktiv gewollt, institutionell hergestellt und vertraglich in einem
komplexen Interessenfeld gesichert werden. Dazu bedarf es eines festen Willens,
der sich seiner Sache sicher ist, der aber auch Kompromisse nicht scheut. Nicht
selten verlangt der Frieden sogar kuriose Anstrengungen, für die der
Verhandlungsalltag in Osnabrück und Münster anschauliche Beispiele
liefert.
Vor allem aber sollte man sich den Ernst
und Nachdruck vor Augen führen, mit dem 1648 der endlich ausgehandelte
Frieden in die Tat umgesetzt werden sollte. Die "Strafe des Friedensbruchs"
(poena fractae pacis) sollte jeden treffen, der den Bestimmungen des
Vertrag zuwiderhandelte
(�
114). [9] Da aber auch 1648 bekannt war, daß ein
Friedensschluß als politischer Akt nicht die Gegensätze selbst aus
der Welt schaffen kann, wird ein Vorschlag zur friedlichen Beilegung der
fortbestehenden wie der neuen Konflikte gemacht: "Der geschlossene Friede aber
soll ungemindert in seiner Kraft verbleiben, und alle Beteiligten dieses
Vertrages sollen gehalten sein, alle und die einzelnen Vorschriften dieses
Friedens gegen einen jeden ohne eine Unterscheidung nach dem Glauben zu
schützen und zu verteidigen, und wenn es geschehen sein sollte, daß
etwas davon durch wen auch immer verletzt worden ist, soll der Verletzte den
Verletzenden zuerst zwar vom Weg der Tätlichkeit abmahnen, der Fall selbst
ist aber einer freundschaftlichen Beilegung oder einer Rechtsverhandlung
unterworfen."
(�
115). [10] So macht der Vertrag auch schon erste Vorschläge zur
friedlichen Beilegung von Konflikten
überhaupt.
XI.
Der
Friedensvertrag von 1648 rückt eine Region mit zwei benachbarten
Städten ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Darin liegt eine
beachtliche Chance, die im Interesse der beiden Städte - aber auch in der
Absicht einer Versinnlichung historischer Erfahrung - genutzt werden sollte.
Angesichts der nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten wieder
wachgewordenen Bedenken gegen die politische Rolle Deutschlands in Mitteleuropa
sollte aber nicht nur auf regionale Bezüge geachtet werden. Der
Westfälische Frieden bietet die geradezu natürliche Chance, den
historischen Beitrag der deutschen Länder zur Integration Europas zu
exponieren.
Dabei hat man daran zu erinnern,
daß schon der Vertrag vom 24. Oktober 1648 "Vorsorge" (provisium)
dafür treffen will, "daß künftig in der politischen Ordnung
[in statu politico] keine Streitigkeiten entstehen"
(�
62). [11] Aus den zur Durchsetzung dieser Absicht vorgeschlagenen
Maßnahmen geht hervor, daß die politische Ordnung (in statu
politico), von der hier die Rede ist, nicht ein territoriales Staatsgebiet,
sondern den gemeinschaftlichen Herrschaftsraum aller Vertragspartner meint.
Nimmt man das zur Begründung der Friedenspolitik herangezogene Prinzip der
"allgemeinen Nützlichkeit und Notwendigkeit" (publica utilitas aut
necessitas)
(� 64)
hinzu [12], bedenkt man ferner die Erwartung, daß "nach dem
Friedensschluß der Handel [commercium] wieder aufblüht"
(�
67) [13], dann ist offenkundig, daß sich das Friedensgebot nicht
auf einen eng umgrenzten territorialen Raum beschränkt. Es liegt vielmehr
in der Logik schon des Westfälischen Friedens, eine Friedensordnung
für ganz Europa zu
wollen.
XII.
Bei
alledem darf nicht vergessen werden, daß Geschichte nun einmal
Geschichte und damit etwas unwiederbringlich Vergangenes ist. Als
Geschichte bedarf sie stets einer bewußten Aneignung. Sie
muß erinnert werden, um überhaupt erfahren zu werden. Anders
ließe sie sich auch gar nicht ertragen. Wir bleiben notwendig in einer
benötigten Distanz zu ihr. Es ist somit gar nicht möglich, Geschichte
"anzufassen" oder zu "betreten". Deshalb sollte man auch der - im medialen
Zeitalter natürlich naheliegenden - Versuchung widerstehen, sie so
aufzubereiten, daß man sich "auf" oder "in" ihr ergehen kann. Eine
Ausstellung darf dem Besucher nicht die eigene geistige Anstrengung abnehmen
wollen. Allerdings sollte sie ihm das beste ästhetische und
intellektuelle Angebot machen, damit er spürt, was ihm selber
fehlt, wenn er sich nicht
erinnert.