DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
FRANZ EGGER Johann Rudolf Wettstein und die internationale Anerkennung der Schweiz als europäischer Staat |
Johann Rudolf Wettstein (1594-1666), seit 1645 Bürgermeister von Basel, gehörte in der Mitte des 17.
Jahrhunderts zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des politischen Lebens
in der Schweiz. Ihm verdankt die Eidgenossenschaft die juristische
Loslösung vom Reich, die Anerkennung als souveräner Staat und damit
die Aufnahme in die europäische Völkerrechtsgemeinschaft. Der
vorliegende Aufsatz kann sich nur einem Ausschnitt von Wettsteins Tätigkeit
widmen, nämlich seinem außenpolitischen
Wirken. [1]
I. Die Schweiz am Rande
des Reiches
Im Juni 1631 spielte sich in Basel
eine merkwürdige Begebenheit ab, welche die lokalen Politiker in Staunen
versetzte. Ein kaiserlicher Bote erschien mit etlichen Schreiben und
kaiserlichen Mandaten. Der Rat beschloß, die Schreiben anstandshalber
entgegenzunehmen, die Mandate aber dem Boten mit der Bemerkung wieder
zuzustellen "man seige allhier nicht gewont, dergleichen mandata zu empfahen,
weniger öffentlich anzuschlagen, soll sich derowegen wider hinweg begeben
und zur vermeidung Spots, diese mandata nirgendt anderswo anschlagen. Es habe
ein statt Basel mit den Reichsgeschäften nichts
zethun." [2]
Die Absage mochte noch so
klar sein, Reichsstellen versuchten in jenen Jahren mehrmals, Basel als Glied
des Reiches anzusprechen. Im Jahre 1638 ließen Wiener Hofräte in der
Reichsregistratur und im Archiv von Mainz nachschlagen, um festzustellen, "was
die Schweizer als Reichsgenossen [...] bei dem jetzigen Zustand des Reiches, da
es von auswärtigen Völkern überall angefallen, Kaiser und Reich
zu leisten schuldig" seien. [3]
Das
Verhältnis der Schweiz zum Reich war durch den Schwabenkrieg bzw. den
Frieden von Basel vom 22. September 1499 grundlegend bestimmt. Reich und
Eidgenossenschaft gingen fortan eigene Wege und entwickelten sich mehr und mehr
auseinander. [4] Dies ist heute die ziemlich einhellige Meinung fast
aller Schweizer Historiker. Im Wissen um den geschichtlichen Ausgang und
geprägt vom nationalstaatlichen Denken des 19. Jahrhunderts neigt man dazu,
einen langen Ablösungsprozeß der Schweiz vom Reich festzustellen und
die Wurzeln dieser Entwicklung bereits im Spätmittelalter anzusetzen. In
einer glänzenden Studie hat Karl Mommsen jedoch nachgewiesen, daß die
verhältnismäßig früh ausgebildete Staatlichkeit der
eidgenössischen Orte sich bestens mit der Zugehörigkeit zum Reich
vertrug. [5] Zumindest im Spätmittelalter deutet nichts auf eine
Ablösung hin. Deutsche Fürstentümer hatten gleichzeitig eine
ähnliche Eigenstaatlichkeit entwickelt, ohne sich später vom Reich zu
trennen. Der Unterschied lag darin, daß die eidgenössischen Orte sich
republikanisch-genossenschaftlich organisierten. Alle schweizerischen
Historiographen des 15. und 16. Jahrhunderts legten größten Wert
darauf, die Freiheiten und Rechte der Eidgenossen mit den kaiserlichen
Privilegien zu legitimieren. Die Eidgenossen beriefen sich auf Kaiser und Reich
als Quellen der eigenen Herrschaftsrechte, sie lehnten allerdings jede Form von
Zwischengewalten (Fürsten) ab. Die zeitgenössische Übersetzung
für privilegium war "Freiheit". Leider bricht Mommsens Darstellung
mit dem Beginn der Frühen Neuzeit ab; für das 16. und frühe 17.
Jahrhundert fehlt somit eine Darstellung, die auch nur annähernd die
Qualität von Mommsens differenzierter Arbeit
erreicht.
Es gibt viele Hinweise, daß die
Eidgenossen auch in der Frühen Neuzeit die alte Rechtsanschauung vertraten.
So suchten sie bei allen Kaisern des 16. Jahrhunderts durch spezielle
Gesandtschaften jeweils um die Legitimation der autonomen Herrschaft
nach. [6] In allen diesen Urkunden bestätigten die Kaiser die
Gnaden, Freiheiten, Rechte und Privilegien. Diese sogenannten Freiheitsbriefe,
prachtvoll ausgestellt, von den Eidgenossen mit vielen Mühen und teurem
Geld erworben und in ihren Archiven sorgsam gehütet, waren keine
Unabhängigkeitserklärungen, sondern Ausweise besonderer Privilegien.
Diese Privilegien schützten die Eigenstaatlichkeit der eidgenössischen
Orte und verankerten sie im Recht. Auch im 16. Jahrhundert ging es den
Eidgenossen nicht um eine Loslösung von Kaiser und Reich, sondern um die
Bestätigung und Legitimation der eigenen Herrschaftsrechte. Noch in
Westfalen leitete Wettstein die eidgenössischen Freiheiten aus den
kaiserlichen Privilegien ab. Strikt wandten sich die Eidgenossen allerdings
immer gegen jede Beeinträchtigung ihrer Autonomie. Sie vollzogen die
Reichsreform von Kaiser Maximilian I. nicht mit, sie standen zu den
Reichsständen und vor allem zum Reichskammergericht in keinerlei Beziehung.
Sie zahlten keine Reichssteuern und blieben den Reichstagen fern.
Auch die Münzbilder und die Heraldik des 16.
und frühen 17. Jahrhunderts zeigen die Eidgenossen als treue Reichsglieder.
Zahlreiche Münzen eidgenössischer Orte und viele Wappenscheiben aus
dieser Zeit tragen den Reichsadler. Als die mächtige Republik Bern 1641 bis
1644 ein neues Stadttor baute, versah man den Turm mit dem bildhauerischen
Schmuck eines gehauenen Wappenreliefs. Es zeigt das Doppelwappen Berns
überhöht mit dem Reichswappen, dies an einem bernischen Staatsbau,
fünf Jahre vor dem formellen Ausscheiden der Eidgenossenschaft aus dem
Reichsverband. [7] Basel prägte 1640 Münzen mit dem
Reichsadler. Mit großer Selbstverständlichkeit zählte der
gebürtige Baseler, Matthaeus Merian d.Ä., 1642 die Schweiz in der
Topographia Helvetiae zum Reich: " Die Herren Eydgenossen, und ihre
Confoederierten, die Graubündtner und Walliser, [sind] nicht allein von
Uhralten Zeiten unter dem Namen [...] des Teutschen Reichs begriffen gewesen:
sondern auch jetzt noch zum Teutschland gerechnet werden." [8]
Die Verbundenheit mit Kaiser und Reich
läßt sich bis 1648 auch auf der Gegenseite beobachten. Als Kaiser
Ferdinand III. 1637 der Tagsatzung seinen Regierungsantritt mitteilte, redete er
die Eidgenossen mit "Unsere und des Reichs Liebe und Getreue" an. [9] Im
Jahre 1629 verfaßte Isaak Volmar (1582-1662) als Kanzler der
vorderösterreichischen Länder mit Sitz in Ensisheim (Elsaß) eine
Denkschrift über die mit der Eidgenossenschaft verbündete
elsässische Stadt Mülhausen. Volmar - er war später am
Friedenskongreß zweiter Bevollmächtigter Kaiser Ferdinands III. und
unterstützte das Exemtionsbegehren tatkräftig - legte dar, "dass die
Schweizer insgemein sich gar nicht dergleichen vollkommener,
unnachzüglicher Freiheit rühmen können, sondern dass die
röm. Kaiser noch bis auf den heutigen Tag sie anders nicht als mit dem
Prädikat 'Unsere und des Reichs Liebe und Getreue' zu beschreiben pflegen,
welche Worte ihrer Art und Eigenschaft nach eine subjectionem mit sich
führen und nur gegen solche, die dem Reich zugetan und verwandt sind
gebraucht werden, denen auch von den Schweizern meines Wissens bis jetzt nie
widersprochen wurde [...] Und dass sie dem röm. Reich ungezweifelte, doch
von andern gemeinen Reichsschuldigkeiten ausgezogene und befreite Bürger
und Angehörige seien, bezeugen hin und wieder im ganzen Schweizerland ihre
gemeinen Gebäude, da sie allenthalben den Reichsadler über ihre Stadt
und Landwappen zu malen pflegen und damit öffentlich zu erkennen geben,
dass sie unter den Schutz und Hoheit desselben gehörig
seien." [10]
Bis ins 17. Jahrhundert
hinein hatten die Eidgenossen also nie eine Loslösung von Kaiser und Reich
angestrebt, wenn sie auch immer grossen Wert auf die Behandlung als freier Stand
legten. Mit Freiheit meinten sie aber nicht Exemtio, Loslösung, vom Reich,
sondern Selbstverwaltung. Mit Stolz betonten sie den
genossenschaftlich-republikanischen Charakter der eidgenössischen Orte und
setzten sich damit von den Fürstentümern
ab.
Die Entwicklung des Reiches zum
Ständestaat, die zunehmende staatliche Verdichtung im Reich und vor allem
die im 17. Jahrhundert zu beobachtenden Bemühungen der Reichsinstitutionen,
vor allem des Reichskammergerichts, die am Rande liegende Eidgenossenschaft oder
Teile von ihr enger an das Reich zu binden, warfen die Frage nach der Stellung
der Schweiz zum Reich auf. Nicht Staatstheoretiker oder besonders intelligente
Politiker, sondern zwei an sich nebensächliche Rechtsstreitigkeiten
lösten die Debatte über die völkerrechtliche Stellung der Schweiz
aus und führten zu einem ungeahnten Prinzipienstreit. Sie machten das
Problem überhaupt erst bewußt und zwangen die Eidgenossen, eine
einwandfreie juristische Klärung anzustreben. Dabei ging es
ursprünglich nicht um einen Austritt aus dem Reichsverband, sondern um die
Niederschlagung der Ansprüche eines fremden Gerichts. Wenn das
Reichskammergericht im frühen 17. Jahrhundert die eidgenössischen
Freiheiten (Selbstverwaltung) weiterhin respektiert hätte, wäre in der
Schweiz wohl niemand auf die Idee gekommen, einen Gesandten zum
Westfälischen Friedenskongreß zu
entsenden. [11]
Der Exemtionsstreit
spielte sich während des Friedenskongresses auf der Folie der
Auseinandersetzung um die Reichsverfassung ab. Die Fürsten gingen aus
diesem Kampf bekanntlich gestärkt hervor; die Schweiz tat noch ein paar
Schritte mehr und trat aus dem Reichsverband aus. Ob diesem Vorgang ein langer
und geradliniger Ablösungsprozeß vorausgegangen war, der bereits im
Spätmittelalter einsetzte, müßte genauer untersucht
werden.
II. Von Bagatellfällen zur
Grundsatzfrage
Der in Basel eingebürgerte
Genuese Dr. Melchior ab Insula, Rechtsprofessor an der Universität, hatte
nach einem Urteil des Baseler Stadtgerichts 1628 Klage beim Reichskammergericht
eingereicht. Der zweite Rechtsfall, der Basel in Streitigkeiten mit dem
Reichskammergericht verwickelte, war vom Schlettstädter Weinhändler
Florian Wachter angezettelt worden. Wegelagerer hatten einen Weintransport vom
Elsaß nach Basel überfallen und einige gemietete Pferde geraubt. Da
Wachter nicht für den Schaden aufkommen wollte, beschlagnahmten die
Pferdebesitzer Wachters Weinlager in Basel. Der Rechtshandel wurde 1641 in Basel
ausgetragen. Hernach forderte Wachter eine Entschädigung für die
verlorene Zeit. Das Stadtgericht ordnete eine Teilung des Schadens und der
Kosten an, worauf Wachter sich an das Reichsgericht wandte. Den angeklagten
Baseler Bürgern verbot der Rat in beiden Fällen, sich mit dem Speyrer
Gericht einzulassen. Das Kammergericht gab den Klageparteien deshalb das Recht,
Baseler Handelsgüter im Reich zu beschlagnahmen. Damit traf man die
Handelsstadt Basel am Lebensnerv. Die Stadt wandte sich 1643 an die
Eidgenossenschaft und bat diese um Hilfe. Die Tagsatzung protestierte bei Kaiser
Ferdinand III. Da sich der Kaiser trotz mehrerer Mahnungen ausschwieg, schlug
Basel im Juli 1645 den evangelischen Städten vor, die eidgenössische
Freiheit mit französischer Hilfe im Friedensvertrag sichern zu lassen. Der
französische Bevollmächtigte, Henri d'Orléans, Herzog von
Longueville, möge um Vermittlung ersucht werden, damit die
Eidgenossenschaft in den allgemeinen Frieden eingeschlossen werde und mit
solchen Neuerungen, die ihrer althergebrachten Souveränität
zuwiderliefen, künftig verschont werde. Der französische Ambassador in
der Schweiz war der Ansicht, daß das Land einen eigenen Gesandten für
die Friedensverhandlungen delegieren sollte. Wettstein und sein Amtskollege
Oberstzunftmeister Brand nahmen den Plan sofort auf und versuchten Zürich
für das Vorhaben zu gewinnen. [12] Die Zeit
eilte.
Der Baseler Vorschlag fand jedoch wenig
Anklang. Auf der Februarkonferenz der evangelischen Städte sprach man nicht
einmal darüber und die katholischen Orte wandten sich im März 1646 gar
entschieden gegen eine Delegation, "in welcher Form sie auch geschehen
möchte". Sie hofften, daß den Baseler Beschwerden auch ohne eine so
kostspielige Maßregel abgeholfen werden könnte, zumal sie von
Innsbruck bereits Vertröstung erhalten hatten. [13] So drohte das
Vorhaben an der Interessenlosigkeit und an der mangelnden Solidarität der
eidgenössischen Orte zu scheitern.
Wettstein
gab nicht nach und spannte die Fäden offenbar im Hintergrund. Am 14.
November 1646 berichtete er dem Rat von Basel, er sei privat (!) in Bern und
Solothurn gewesen und habe den französischen Botschafter aufgesucht. Dieser
habe ihm erklärt, er halte eine Gesandtschaft nach Westfalen für
ratsam, die Bevollmächtigten Frankreichs (in Münster) hätten
nämlich Befehl erhalten, sich der eidgenössischen Freiheiten,
besonders derjenigen von Basel, anzunehmen. [14] Die französische
Regierung hatte also Druck auf ihren Gesandten ausgeübt. In Basel handelte
man diesmal rasch. Wettstein erhielt vom Kleinen Rat den Befehl, sich
unverzüglich nach Zürich und Luzern zu begeben. In Zürich traf er
am 19. November mit einem Ratsausschuß - Namen sind keine bekannt -
zusammen. Aus Schaffhausen war Bürgermeister Ziegler angereist. Geschickt
wies Wettstein wiederum auf die Unterstützung durch den Botschafter hin.
Man wünsche in Basel nun auch die Ansicht der beiden anderen Orte zu
vernehmen. Nach eingehender Besprechung stellte man fest, daß der
Botschafter sich sicherlich aus Wohlwollen für die Eidgenossenschaft der
Sache so annehme, daß dies nicht außer acht zu lassen, sondern
"darein der Wille zu geben sei." Das kam den Befürwortern einer Mission
gelegen. Selbstverständlich handelten die Franzosen nicht aus
Selbstlosigkeit. Mit ihrer Unterstützung wollten sie die Sympathien der
Schweizer gewinnen, um in der Alpenrepublik gute Stimmung für die
bevorstehende Erneuerung der Soldallianz zu machen. Zudem war Frankreich jede
Schwächung der Habsburger und des Reiches willkommen. Die Zürcher
Versammlung hieß definitiv eine Abordnung gut und beschloss, den Auftrag
einer geeigneten Persönlichkeit der Stadt Basel - es konnte nur Wettstein
gemeint sein - zu übertragen. Diese solle sich in keine Disputation
einlassen, sondern einzig und allein bei den anwesenden Bevollmächtigten
sich dafür verwenden, daß die gemeine Eidgenossenschaft ihrer
Privilegien und ihres Herkommens halber unpertubiert und gesichert sei. Das
Geschäft müsse im Namen aller eidgenössischen Orte unternommen
werden, deshalb solle Wettstein nach Luzern und Bern reisen. Falls Luzern eine
Absage erteile, solle der Abordnung dennoch im Namen der gemeinen
Eidgenossenschaft der Fortgang gelassen
werden. [15]
Die eidgenössische
Solidarität versagte kläglich. In Luzern erhielt Wettstein den
Bescheid, der Rat fühle sich nicht bevollmächtigt, im Namen der
katholischen Orte der Abordnung beizustimmen; man halte eine Delegation für
unnötig. Hinter der ablehnenden Haltung der katholischen Orte stand
einerseits das konfessionelle Mißtrauen gegenüber einem Unternehmen,
das bis dahin von den reformierten Orten gefördert worden war, andererseits
eine Fehleinschätzung der geplanten Mission. Man glaubte, es handle sich um
eine Baseler Angelegenheit und versagte dem reformierten Stand seine
Solidarität. Die Bedeutung, die Wettsteins Mission schließlich
für die gesamte Eidgenossenschaft erhalten sollte, ahnten zu diesem
Zeitpunkt allerdings auch die Reformierten
kaum.
III. Die
Instruktion
Das Instruktionsschreiben wurde von
der Zürcher Konferenz aufgesetzt, die definitive Fassung von der
Zürcher Kanzlei am 10. Dezember 1646 ausgestellt. Obwohl nur Vertreter aus
Basel, Zürich und Schaffhausen anwesend waren, wurde das Schreiben im Namen
der reformierten Orte Zürich, Bern, Glarus, Basel, Schaffhausen,
Appenzell-Außerrhoden und der beiden zugewandten Städte St. Gallen
und Biel abgefaßt. Wettstein war an der Ausführung mitbeteiligt, ja
er dürfte der führende Kopf gewesen sein. Zürich siegelte
für alle oben genannten Orte. Das Original hat sich bis heute
erhalten. [16]
Die Instruktion steckte
nicht nur die Ziele ab, sondern sie schrieb auch sehr genau die Strategie vor.
Das Schriftstück gibt einen vorzüglichen Einblick in die Absichten.
Wettstein wurde beauftragt, sich in Westfalen zu den Gesandten des Kaisers und
des französischen Königs zu begeben und ihnen darzulegen, daß
das Kammergericht mit seinen Angriffen auf Basel gegen die kaiserlichen
Privilegien und Freiheiten dieses eidgenössischen Ortes verstoßen
habe. Die Eidgenossen seien nun genötigt, über die Angelegenheit zu
verhandeln, um die hergebrachten Freiheiten zu erhalten. Wettstein solle seinen
Auftrag "mittels der königlichen Majestät in Frankreich als
gnädigem Herrn Bundesgenossen" erfüllen. Das Ausspielen der
Großmächte, das Wettstein so beherrschen sollte, war in der
Instruktion bereits vorgezeichnet. Ferner solle der Gesandte darauf hin
arbeiten, daß man die Eidgenossenschaft weiterhin bei ihren "hargebrachten
Freyheiten ruhig, ohnangefochten und ohnbekümmert" belasse. Er dürfe
sich zwar auch bei anderen Gesandten vorstellen, müsse aber dringend
verhindern, daß die Angelegenheit vom versammelten Kongreß behandelt
werde, weil der Ausgang negativ ausfallen könnte; vielmehr solle er
versuchen, über die Vermittlung und den Druck der französischen
Bevollmächtigten ans Ziel zu gelangen. Wettstein solle sich vor
Streitigkeiten über die eidgenössische Freiheit hüten; falls die
Freiheit angezweifelt werde, möge er protestieren und sofort
abreisen.
Drei Ziele waren formuliert: Abwehr der
Ansprüche des Reichskammergerichts an Basel auf Grund der kaiserlichen und
königlichen Privilegien und der eidgenössischen Freiheiten, Garantie
der schweizerischen Freiheiten, Einschluß der Schweiz in den allgemeinen
Frieden. Die eidgenössische Freiheit als solche durfte in keiner Weise
angezweifelt werden, ja sie hatte als Beleg für das widerrechtliche Handeln
des Reichskammergerichts zu dienen. Die Beweisführung mit den kaiserlichen
Privilegien Basels und den hergebrachten Freiheiten der Eidgenossen zeigt,
daß sich die Zürcher Konferenz noch in traditionellen, eigentlich
mittelalterlichen Rechtsvorstellungen bewegte. Die Autonomie Basels und der
Schweiz leitete man aus den kaiserlichen Privilegien ab, nicht aus der modernen
Staatslehre Jean Bodins. Verhaftet im alten Rechtsdenken, strebte man eine
weitere kaiserliche Privilegienbestätigung an, um die Ansprüche des
Reichskammergerichts niederzuschlagen. Folgerichtig ließ Wettstein vor der
Abreise in den eidgenössischen Archiven Kopien der Freiheitsbriefe
anfertigen, diese legte er in Westfalen dann tatsächlich vor. Erst die
Warnungen der Franzosen [17], vereinzelter Deutscher [18] und
der Verhandlungsablauf in Westfalen lehrten ihn, sich nicht auf diese
Rechtstitel, sondern auf die erkämpfte Macht zu stützen. Er erkannte,
daß das Ziel - die Bestätigung der Exemtionsfreiheit vom
Reichskammergericht - nicht mehr mit den traditionellen kaiserlichen Privilegien
zu erreichen war. Er suchte nach einem neuen Rechtstitel und sah diesen fortan
nur in der Exemtio vom Reich. Nun verknüpfte er das ursprüngliche Ziel
seiner Mission vollständig mit der Bestätigung der Exemtio vom Reich.
Damit stellte er die in der Instruktion geforderte Garantie der
eidgenössischen Freiheiten auf eine neue juristische Grundlage, die er aber
vorerst hart erkämpfen mußte.
Das
Instruktionsschreiben der Zürcher Konferenz wurde am 28. November 1646 im
Kleinen Rat von Basel vorgelesen und genehmigt. Auf Antrag der Zürcher
Konferenz wählte der Rat Wettstein zum Gesandten. Als Sekretär wurde
ihm Hans Rudolf Burckhardt, Ratssubstitut, später Stadtschreiber,
zugestellt. Nach eigener Wahl durfte Wettstein zwei Diener wählen. Zum
Gesandtschaftspersonal gehörte auch Wettsteins jüngster Sohn, der
vierzehnjährige Fritz.
IV. "Reis per
Münster"
In der Morgenfrühe des 14.
Dezember 1646 schiffte sich Wettstein mit seiner sonderbaren Begleitung an der
Baseler Schifflände ein. "Dass waltte der getrewe Gott. Den 4. Xbris [alter
Stil] anno 1646 bin ich auss Befelch meiner gnädigen Herren, der
Evangelischen Ortten der Eydtgnoschafft, in Gottes Nammen von Basell per
Münster und Ossnabruckh abgefahren in einem bedekhten Schiff, sampt Herren
Vetter Ruedolph Burkard, Rathssubstituten, so mein gnädigen Herrn mir alss
gleychsam auffzewartten zuegeben, neben Hannss Jäkhlin, dem Übelreuter
und Hannss Horn von Seehausen, so in meiner Herren Diensten undt hiebevor
Quartiermeister gewesen, und meinem Sohn Friderich." So beginnt das
ausführliche Tagebuch Wettsteins, das er über die "Reis per
Münster" führte. [19] Das letzte Wegstück von Wesel bis
Münster legte die Reisegruppe auf dem Landweg zurück, nachdem sie
Pferd und Karren gemietet hatte. Am 27. Dezember ist die Gesellschaft "nach
überstandenem 8 oder 9 stündigem, bösem Weeg durch Eyss und
Morast zue Münster, Gott sey gedankh, glükhlichen
angelangt." [20]
Aus Gründen der
Sparsamkeit mußte Wettstein mit einer äußerst bescheidenen
Unterkunft Vorlieb nehmen; er wohnte bei einem Wollweber. Durch die
aufgezwungene Einfachheit fühlte er sich gegenüber den anderen
Gesandten, die zum Teil mit fürstlichem Gepränge und großem
Gefolge auftraten, zurückgestellt. Die gesellschaftlichen Unterschiede
traten besonders dann zutage, wenn Gesandte Wettstein ausnahmsweise in seiner
Unterkunft aufsuchten und er nichts mehr verbergen konnte. So erschien am 22.
Mai 1647 überraschend der schwedische Gesandte Johann Adler Salvius. Der
hohe Gast fuhr mit zwei in rotem Samt ausgeschlagenen Kutschen und einem Gefolge
von 20 Personen vor. Die Kutschenkästen waren vergoldet und mit seidenen
Quasten versehen. Wettstein führte den Gast ins Wollweberstübchen "so
vor ettlich Wuchen noch ein Hüenerstall gewesen." [21] Seinem
Freund Rippel schrieb er später nach Basel: "Daselbsten habe ich ihn
vermahnet auf einem Sessel niederzusitzen, so nebenzu nur eine Lehne (ich bin
übereilt worden, hätte sonsten die andere zur Erhaltung der
schweizerischen Reputation auch weggebrochen) und ein blau, alt, schmutzig
Wullenweberkissi aufgehabt, dadurch die Flocken und etliche Federn
herausgeschaut; welchen Apparat er ziemlich ins Gesicht gefasset, vor und ehe er
sich recht bequemen wollen. Darüber ich auch mein Stell auf einem Sessel
mit drei Beinen, so dieser Landen sehr gemein sein, unterher eingenommen. Es
sind ihro Excellenz dick und schwer von Leib und haben sehr übel auf dem
Holze gesessen; wie sie denn solchen ettliche Mal gerutscht. Aber weil der
Boden, so von Eichenbrettern belegt, so uneben und bebuckelt ist, dass einer
kaum darauf gehen konnte, so hat es sich nirgend schicken wollen, sondern es
sind nie mehr als zwei Füss vom Sessel, der gleichwohl vier gehabt, zum
Boden zu bringen gewesen; und hat er also halber sitzen und halber schweben oder
gigampfen müssen. Zwar hat er mich, der in Ängsten war, ziemlich
wieder getröstet. Denn als ich mich entschuldigen wollte wegen schlechten
Losaments und dass Ihro Excellenz so übel akkomodiert seien, hat er etwas
schmollend gesagt: er wisse wohl, dass man die Losament nicht mitführen
könnte; id est, wie ichs verstanden: wenn nur das Sitzen besser akkomodiert
wäre, so fragt er nach keinem köstlichen Zimmer. Dabei ist es nun
verblieben; und hat gleichwohl sich der gute Herr fast bei zwei Stunden bei mir
geduldet." [22] Auch in Osnabrück - Wettstein begab sich dreimal
dorthin - war er bei der kinderreichen Familie eines Wollwebers in Untermiete.
Die Unterkunft war notdürftig hergerichtet worden. Ein Teil des Hauses
wurde als Fleischtrocknerei verwendet, da hingen Würste, halbe und ganze
Speckseiten im Überfluß. Die Kleider der Zimmerfrau stanken nach
Fischschmalz. Der Geruch übertrug sich auf das Bettzeug und war selbst mit
Abbrennen von Reckholderbeeren und Kümmel kaum zu
vertreiben. [23]
Im äußeren
Auftreten stand Wettstein weit hinter den Gesandten anderer Staaten zurück.
Geld und Zeit fehlten für eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, an
Empfängen, Banketten und Kutschenfahrten. Sein Einritt in Osnabrück
etwa bot einen kümmerlichen Anblick. Mit dem Quartiermeister ritt Wettstein
dem Gepäckwagen voraus. Der Karren war mit einem grünen Wachstuch
bespannt, darauf saßen sein Sohn Fritz, sein Leibdiener und sein
Sekretär. Wettstein ertrug all dies mit einer Mischung aus Groll und
Ironie, spürte aber auch, daß mit dieser spartanischen Bescheidenheit
das Ansehen der Schweiz litt. "Ich bezeuge nochmals, unter uns, zum
höchsten, dass die Eidgenossenschaft meines Erachtens der thorechtesten und
gröbsten Stücke eines getan, so sie lange Zeit begangen, denn wenn man
nur den vierten Teil der Pracht, so die Holländer erzeigten, angewendet und
auch Leute, so sich in die Welt zu richten wüssten, abgeordnet hätte,
so wäre es sehr hoch und wohl aufgenommen und ein sehr grosser Respekt
dadurch zuwege gebracht worden." [24] Viel schwerer als diese
äußeren Widrigkeiten wog für ihn allerdings die mangelnde
Legitimation durch die Eidgenossenschaft - er war Gesandter nur der vier
evangelischen Orte und zweier zugewandter Städte - sollte aber im Namen
aller auftreten.
V. Verhandlungen in
Münster
Sofort nach Eintreffen in
Münster trat Wettstein im Einverständnis der französischen
Bevollmächtigten mit den Legaten des Kaisers in Verhandlungen: Basel sei
als Glied der Eidgenossenschaft und kraft seiner Privilegien vom Speyrer
Gerichtszwang freizusprechen. Der kaiserliche Gesandte, Isaak Volmar, machte
geltend, daß die Angelegenheit Kaiser und Reich betreffe. Volmar
reichte das Memorial nicht beim Kaiser in Wien, sondern bei den Reichskollegien
ein. Wettstein hatte diesem Vorgehen nur zögernd beigestimmt, wohl wissend,
daß er damit seinem Auftrag zuwiderhandelte. Damit war das Verfahren von
Anfang an falsch eingeleitet worden, weil das Begehren - entgegen dem
ausdrücklichen Verbot in der Instruktion - zu einem Traktandum der
Reichsstände erhoben wurde. Erschwerend kam hinzu, daß die
kaiserlichen Gesandten Wettstein nur als Abgeordneten Basels betrachteten. Er
entwarf sofort eine zweite Note und hielt darin fest, daß die
Eidgenossenschaft ein freier Stand sei und neben Gott niemandem Rechenschaft
schulde. Inzwischen reagierten auch die Vertreter des Reichskammergerichts; sie
verlangten, daß die Reichsbehörden zu entscheiden hätten, ob
Basel die Reichszugehörigkeit überhaupt habe rechtmäßig
lösen können. Eine erste Sitzung der Kurfürsten zeigte, daß
die Meinungen geteilt waren. Ein Urteil wagte das Kollegium nicht abzugeben, da
die Frage bereits mit politisch-taktischen Überlegungen vermischt wurde;
die kaiserlichen Gesandten hatten nämlich davor gewarnt, die aufgebrachten
Schweizer an die Seite Frankreichs und Schwedens zu treiben. Die
brandenburgischen Gesandten regten an, die Exemtion vom Reich und die Exemtion
vom Kammergericht zu trennen, also die jurisdiktionelle Frage von der
staatsrechtlichen abzuspalten. Die Kurfürsten nahmen diesen Antrag
einstimmig an, die Fürsten und Städte mehrheitlich. Der Kaiser solle
ersucht werden, die Exemtion Basels vom Kammergericht gnädigst zu erteilen
(jene der übrigen eidgenössischen Orte stand gar nicht zur
Diskussion). Damit hätte man sich wieder in die Tradition
spätmittelalterlicher Privilegienerteilung begeben. Die Definition der
staatsrechtlichen Stellung der Schweiz wollte man - zum Schrecken Wettsteins -
auf einen späteren Reichstag verschieben. Für Basel wäre das
Problem vordergründig gelöst worden, für die Schweiz aber wurden
die "hargebrachten Freyheiten" in Zweifel gezogen. Wettstein schrieb den
Mißerfolg der noch immer mangelnden Legitimation zu. Sarkastisch schrieb
er Hans Caspar Hirzel in Zürich, dem Sohn des Bürgermeisters: "Ich
wundere mich höchlich, was etliche Orte denken, dass sie in einer so
billigen, nicht die Religion, sondern die allgemeine Freiheit berührenden
Sache wegen eines einfachen kräftigen Empfehlungsschreibens so viel
Bedenken haben [...] Wenn es um ein Pfaffennest [gemeint ist das katholische
Konstanz] zu tun und zu retten ist, da muss jedermann mit Spiess und Stangen
laufen und dem Seckel die Riemen ziehen, wenn es aber um uns andere zu tun ist,
so sähe man uns tausendmal lieber verloren und unterdrückt, als
erhalten." [25]
Das Eintreffen des
eidgenössischen Beglaubigungsschreibens am 20. Februar 1647 empfand
Wettstein als Schicksalsfügung. [26 ] Er machte einen Neubeginn,
trat nun selbstbewußt im Namen der Eidgenossenschaft auf und forderte in
einer Eingabe an die kaiserlichen Gesandten, die Schweiz bei ihrem freien,
souveränen Stand und Herkommen zu belassen. Die Schweizer seien bereit,
sich mit Gottes Hilfe selbst zu schirmen, und Gewalt mit Gewalt
abzutun. [27] Er machte zum ersten Mal geltend, daß es nicht um
die Privilegien Basels oder der Eidgenossenschaft gehe, sondern um die
Bestätigung der schweizerischen Souveränität. Die Begriffe
Souveränität, Freiheit und Exemtio verwendete er allerdings unscharf.
Alles, was in den späteren Monaten folgte, war ein Ringen um die
bedingungslose Exemtio. Anderthalb Jahre später erfüllten die
Friedensverträge diese Forderung. Volmar und Trauttmansdorff leiteten
Wettsteins Antrag an Kaiser Ferdinand III. weiter. Die Baseler Regierung wies
Wettstein an, eine Absage des Kaisers nur mit Protest zuhanden des
Reichsprotokolls zu empfangen. Selbstverständlich erhoben die
Reichsstände Widerstand. Da die kaiserliche Antwort ausblieb, bekam
Wettstein Selbstzweifel. So mußte er etwa befürchten, daß sich
die Angelegenheit zu einem Kompetenzstreit zwischen Kaiser und Reich ausweiten
könnte, ein Streit, bei dem er in keiner Weise hätte mitreden
können. Erneute Beschlagnahmungen von Baseler Handelsgütern
ließen in der Schweiz Zweifel an Wettsteins Wirksamkeit aufkommen. Zu
allem Überdruß erschien im März in Basel ein Bote des
Kammergerichts. Die Baseler Obrigkeit verweigerte ihm die Audienz und ließ
ihn durch Knechte aus der Stadt
führen. [28]
Um den toten Punkt zu
überwinden, löste Wettstein die Schweizerfrage aus dem innerdeutschen
Rahmen heraus und erhob sie zur internationalen Angelegeheit. Geschickt spielte
er die Rivalitäten unter den Großmächten aus und wandte sich an
die Feinde der Habsburger und des Reiches. Bei den Franzosen gelangte er
mühelos ans Ziel. Sie nahmen im Juli 1647 einen mit Wettstein vereinbarten
Artikel über die Schweiz in das Vertragsprojekt auf; die Schweden taten ein
Gleiches. Die kaiserlichen Gesandten gerieten derart unter Druck, daß sie
ihrerseits dem kaiserlichen Vertragsentwurf ebenfalls einen Exemtionsartikel
einfügten. Das Ziel war nun in Reichweite. Im September 1647 gaben
Franzosen, Schweden und die Kaiserlichen schriftlich ihre Zusagen, den
vereinbarten Artikel über die Schweiz in den definitiven Friedensvertrag
aufzunehmen oder statt dessen das Dekret Ferdinands, falls es noch eintreffen
sollte. Wettstein bereitete die Heimreise vor, da lief am 6. November das
kaiserliche Dekret ein. Volmar überreichte es Wettstein am 7.
November. [29] Wie sehr der Kaiser auf Druck der Franzosen gehandelt
hatte, ging aus der Rückdatierung des Dekrets auf den 16. Mai 1647 hervor.
Im Beibrief, den Volmar vorlas, bekannte sich Kaiser Ferdinand offen zu dieser
Tatsache. Wettstein notierte im Tagebuch: "Do vermelden nun Ir Mayestet die
Ursachen, warum solches beschehen; do dann die vornembste Ursach dessen ist, wie
er [Volmar] mir es auss dem Brieff abgelesen, dass die Franzosen nicht vermeinen
sollen, sie hetten es mitt ihrem Projecto Instrumenti Pacis zewegen
gebracht." [30] Das Dekret Ferdinands wurde - wie die drei Parteien
versprochen hatten - in die Friedensverträge aufgenommen. Die Exemtion
Basels und der Schweiz vom Reich wurde im 6. Artikel des schwedischen und im 61.
Artikel des französischen Vertrages
ausgesprochen.
Elf Monate vor der
Vertragsunterzeichnung trat Wettstein am 21. November 1647 die Heimreise an:
"Bin den bemelten 11./21. 9br. gegen 10 Uhren mit Gottes Nammen sampt den
Meinigen vonn Münster verreysst, und habe hiemitt mein Abscheydt auss
Wüest oder (wie es ettliche zuenennen pflegten) Mistphalen genommen. Und
seindt wür samptlich vor allem Übel bewahrt durch Gottes Gnadt den
6./16. Xbris 1647 auff die Nacht glükhlichen und wohl zue Basell wider
angelangt, nach deme ein gantzes Jahr und zween Tag mitt solcher Reyss
zuegebracht worden. Dem allmechtigen Gott seye für solche erzeygte
vätterliche Gnadt und Wolthat Lob, Preys und Dankh gesagt inn alle
Ewigkheit Amen, Amen." [31] Damit endet das
Tagebuch.
Zu Hause angekommen, zögerte
Wettstein mit der Berichterstattung. Am 15. Januar 1648 tat er vor dem Baseler
Rat "etwas Relation" [32], eine Woche später legte er vor der
Versammlung der evangelischen Städte Bericht ab. Schließlich wollte
er Ende Februar die Tagsatzung informieren, doch reichte die Zeit dazu nicht
aus. Für ein Dankesschreiben an die Großmächte kamen nicht
einmal alle 13 Standesstimmen zusammen. [33] Erst im Juli 1648 konnte
Wettstein vor der eidgenössischen Tagsatzung ausführlich über
seine Mission berichten. [34] Er erntete großes Lob. Die
Versammlung beschloß, die Originalakten dem Baseler Archiv zu
übergeben, wo sie sich bis heute
befinden.
Dem vereinbarten Exemtionsartikel wurde
in Westfalen nochmals Schwierigkeiten bereitet. Im Frühjahr 1648 brach der
von Wettstein befürchtete Kompetenzstreit zwischen Kaiser und
Reichsständen aus. Wettstein - längst wieder zu Hause - vertraute auf
das von den Großmächten gegebene Wort und nahm die Angelegenheit
zunächst gelassen auf. "Sie werden, wie man sagt, den Bletz neben das Loch
setzen." [35] Wenige Wochen vor der Vertragsunterzeichnung spitzte sich
die Lage aber bedrohlich zu. Die Reichsstände wollten der Exemtion nur
unter bestimmten Bedingungen zustimmen. Als sogar Schweden und Franzosen diesen
Antrag unterstützten, stand Wettsteins Werk auf dem Spiel. Mit großer
Entschiedenheit wandte er sich an die Gesandten in Westfalen; die Schweiz werde
nur die bedingungslose Exemtion annehmen. Die Lage entspannte sich im Juni, als
der Kaiser in einer Note an die Eidgenossenschaft bestätigte, den
verabredeten Wortlaut in die Friedensverträge aufnehmen zu lassen. In
Abwesenheit von Wettstein wurden die Verträge am 24. Oktober 1648 in
Münster unterzeichnet. Damit wurde die Schweiz juristisch ein
souveräner, europäischer Staat; die Unabhängigkeit vom Reich war
international anerkannt.
Nicht nur die
äußeren Verhältnisse an der Mission Wettsteins waren
merkwürdig gewesen, auch am Kongreß selbst hatte er eine sonderbare,
wohl einmalige Außenseiterrolle gespielt. Er besaß zwar den Rang
eines Gesandten, war aber vom Kongreß nicht eingeladen. In rastloser
Tätigkeit organisierte er Hunderte von Gesprächen und eilte als
Bittsteller von Audienz zu Audienz - er nannte es hinhoppeln -, um
einflußreiche Kongreßteilnehmer für seine Anliegen zu gewinnen.
Auch fehlt Wettsteins Unterschrift auf den Verträgen. So war die Schweiz in
einem wichtigen Moment ihrer Geschichte weit mehr Objekt der
Großmächte als handelndes Subjekt
gewesen.
VI. Die
Durchsetzung
Mit der Unterzeichnung der
Verträge war die Gegnerschaft der Reichsstände keineswegs
niedergerungen. Das Reichskammergericht erkannte die Bestimmungen nicht an,
forderte Basel erneut zu Beitragszahlungen auf und ließ im Jahre 1650
entlang des Rheins wieder Baseler Handelswaren konfiszieren; in Basel erregten
die Arrestmandate höchste Entrüstung. Wieder war der Wirtschaftskrieg
da. Wettstein erkannte, daß nur ein kaiserliches Machtwort an das
Reichskammergericht und an die Reichsstände Abhilfe schaffen konnte. Am 11.
November 1650 referierte er vor der Tagsatzung und schlug die Entsendung einer
Delegation nach Wien vor. Von einem Ausschuß unterstützt, redigierte
er Beglaubigungs- und Protestschreiben. [36] Welchen Wert man der Sache
diesmal beimaß, zeigt der Umstand, daß man die beiden bedeutendsten
Staatsmänner der damaligen Schweiz mit der Legation beauftragte: Wettstein
und den Urner Landammann Sebastian Peregrin Zwyer von Evibach (1597-1661). Die
Gesandten sollten beim Kaiser in Wien vorsprechen und erklären, daß
man solche Gewalttaten nun nicht mehr dulde. Am 19. Dezember stand Wettstein in
der Wiener Hofburg Kaiser Ferdinand III. gegenüber. Die Schweizer
Delegation kam rasch zum Ziel. Binnen zehn Tagen erreichte sie beim Kaiser ein
Mandat, das das Reichskammergericht zur bedingungslosen Anerkennung der
westfälischen Friedensverträge aufforderte. Für das
Entgegenkommen des Kaisers sollten die Schweizer die österreichischen
Interessen gegenüber Frankreich wahren. Kaiserliche Hofräte setzten
ein Memorial mit den Wünschen Österreichs auf: Die Eidgenossenschaft
solle die vorderösterreichischen Länder am Oberrhein schützen
helfen, Frankreich solle Schweizer Söldner nur in den alten Grenzen
einsetzen dürfen. Der Kaiser wußte, daß das Soldbündnis
zwischen der Schweiz und Frankreich 1651 ablief und daß Frankreich eine
Erneuerung anstrebte. Der Kaiser wünschte den Verzicht auf die
Allianzerneuerung. Weder Wettstein noch Zwyer wagten, ein solches
Zugeständnis zu machen. Bei der Abschiedsaudienz schenkte Kaiser Ferdinand
dem Baseler Bürgermeister eine Goldkette mit einer
Bildnismedaille.
In den folgenden Jahren setzten
sich Zwyer und Wettstein zunächst erfolgreich für die
österreichischen Anliegen ein. Wettsteins austrophile und
antifranzösische Haltung war in der Schweiz mittlerweile so bekannt,
daß die im Jahre 1654 erschienene Kampfschrift "Ob eine lobliche
Eidgnoschaft die zu End geloffene Pundtnus mit der französsischen Cron
wieder erneuern solle" sofort Wettstein zugeschrieben wurde, obwohl die
Verfasserschaft nie geklärt werden konnte. Am 27. Mai 1653 verlieh ihm
Kaiser Ferdinand den Adelstitel und eine Wappenbesserung, ein Akt, der
zweifellos mit politischen Absichten verbunden
war. [37]
Wettstein stand zu Beginn der
fünfziger Jahre auf dem Höhepunkt seiner Macht und seines
außenpolitischen Einflusses. Im schweizerischen Bauernkrieg von 1653 griff
er als typischer Vertreter absolutistischer Herrschaftsgesinnung hart durch.
Sein hohes Ansehen zeigte sich nochmals nach dem Ersten Villmergerkrieg 1656
(Religionskrieg in der Eidgenossenschaft), als er mit dem Präsidium des
Schiedsgerichts betraut wurde.
In den späten
fünfziger Jahren wurde es rasch ruhig um Wettstein. Die gemeinsame
eidgenössische Front gegen Frankreich bröckelte ab. Zu groß
waren die Verlockungen der Louis blancs und der Zollprivilegien, zu
kunstvoll die finanziellen und diplomatischen Lockmittel der Franzosen. Einzelne
Kantone schlossen in den späten fünfziger Jahren Sonderallianzen mit
Frankreich ab, die schließlich 1663 in eine Gesamtallianz mündeten.
Wettstein stand auf verlorenem Posten. Das Bündnis mit Frankreich wurde im
November 1663 in Gegenwart von König Ludwig XIV. und 227 Abgeordneten aus
der Schweiz mit barocker Prachtentfaltung in der Kathedrale Notre-Dame in Paris
beschworen; Wettstein war in Basel
geblieben.
Wettstein hatte die juristische
Unabhängigkeit vom Reich erwirkt, war aber mit seinem Konzept einer nach
zwei Seiten ausgerichteten und ausgewogenen Außenpolitik des Kleinstaates
gescheitert. Er hatte vergeblich versucht, die durch den Aufstieg Frankreichs
verursachte politische Gewichtsverlagerung auszugleichen, um der
Eidgenossenschaft wenigstens einen kleinen Spielraum für eigenes Handeln zu
erhalten. Kaum waren die Bande mit dem Reich gelöst, geriet die Schweiz
zunehmend in französische Abhängigkeit, für mehr als ein
Jahrhundert wurde sie ein Satellit Frankreichs. Aus der Rückschau gewinnt
man den Eindruck, daß die Schweiz auf Jahrzehnte hinaus weder willens noch
fähig war, die von Wettstein errungene Souveränität politisch zu
verwirklichen.
VII. Ehrungen und
Mißverständnisse
Für das Ringen um
die schweizerische Souveränität erhielt Wettstein drei Geschenke: eine
goldene Medaille, einen silbervergoldeten Nautiluspokal und einige Grund- und
Bodenzinse von Gütern der stadtnahen Dörfer Riehen und Bettingen. Die
Geschenke werfen ein Licht auf die Einschätzung von Wettsteins
Tätigkeit durch die Zeitgenossen.
Die
dreizehn Orte der Eidgenossenschaft stifteten Wettstein 1652 gemeinsam eine
goldene Verdienstmedaille. [38] Die Vorderseite zeigt in der Mitte einen
Wolkenkranz mit der Hand Gottes. Um das Zentrum sind die Wappen der dreizehn
alten Orte angebracht. Auf der Rückseite halten zwei Engel ein Kreuz, auf
dessen Balken der Bibelspruch nach Röm. 8,31 steht: SI DEUS PRO NOBIS /
QUIS CONTRA NOBIS (Wenn Gott für uns ist, wer mag gegen uns sein ?). Die
Umschrift ist ein Zitat aus Sallust, Bellum Jug. 10,6: CONCORDIA RES PARVAE
CRESCUNT: DISCORDIA MAXIMAE DILABUNTUR (Durch Eintracht wachsen die kleinen
Dinge, durch Zwietracht werden die größten
zerstört). [39] Diese Verdienstmedaille war keine
Neuschöpfung. Sie geht als Typus auf eine von Hans Jakob Stampfer
(1505-1579) geschaffene Medaille zurück, die die Eidgenossenschaft 1548
König Heinrich II. von Frankreich anläßlich der Geburt von
Prinzessin Claudia schenkte. Sie gehörte zu den beliebtesten
schweizerischen Medaillen, von der zahlreiche spätere Nachgüsse in
abweichenden Formen existieren. [40]
Das
prachtvollste Geschenk wurde Wettstein 1649 übergeben. Sieben Baseler
Handelsherren ließen in Straßburg einen silbervergoldeten
Nautiluspokal anfertigen. [41] Das Bildprogramm des dreieinhalb Kilo
schweren und 65 cm hohen Trinkgefässes nimmt Bezug auf Wettsteins
Tätigkeit in Westfalen. Ein Basilisk - Fabeltier und beliebtes Motiv als
Baseler Wappenhalter - hält den Baselschild und trägt die Kuppa, die
in Form einer Nautilusmuschel aus Edelmetall gefertigt ist. Rechts und links
sind auf der Wandung die Wappen von Münster und Osnabrück eingraviert;
am Bug verewigten sich die sieben schenkenden Baseler Handelsherren mit ihren
Wappen. Auf der Plattform der Kuppa treten die drei schwörenden Eidgenossen
auf, ein beliebter Rückgriff auf die Geschichte, der belegen sollte,
daß die Schweiz ihre Anfänge nicht einer Rebellion, sondern dem
Zusammenschluß freier Männer verdankte. Auf der Innenseite des
entrollten Wirbels ist eine silberne Plakette mit dem Wappen Wettsteins
angebracht, darüber befindet sich die Widmungsinschrift und die Jahreszahl
1649. Oben am Wirbel sind rechts und links die Wappen Frankreichs und Schwedens
eingraviert, jener beiden Mächte, die neben dem Kaiser die Exemtion der
Schweiz vom Reich aussprachen und international anerkannten. Das
Trinkgefäß wird durch den Reichsadler bekrönt; in der rechten
Klaue hält er als Friedenssymbol einen Ölzweig und die gesiegelte
Urkunde mit der Inschrift PRIVILEGIA. Auf der Rückseite der Urkunde ist der
Name des Kaisers eingraviert: FERDINAND III. So haben also die Zeitgenossen
Wettsteins Mission als traditionelle Privilegienbestätigung
mißverstanden. [42] Unter dem Schutz des Reichsadlers und der
kaiserlichen Privilegien leisten die Eidgenossen den Schwur. Wettsteins Freunde
- und vermutlich viele Zeitgenossen - hatten nicht begriffen, daß die
Schweiz ein vom Reich unabhängiger, souveräner Staat geworden war.
Dieses Geschenk läßt uns wieder an den Ausgangspunkt
zurückkehren. Antrieb für Wettsteins Abordnung war nicht ein
staatsrechtliches Programm gewesen, sondern die Wiederherstellung der
Handelsfreiheit. Dieses Ziel wollte er mit dem Argument der traditionellen
eidgenössischen Freiheit erreichen. Dazu reichten aber die vermeintlichen
Beweismittel der alten Briefe nicht aus. Erst die Widerstände in Westfalen
machten ihm bewußt, daß diese Freiheit einer grundsätzlichen,
modernen staatsrechtlichen Definition bedurfte. Die Baseler Handelsherren
honorierten mit dem kostbaren Pokal zwar die Wiederherstellung der
Handelsfreiheit, die staatsrechtliche Errungenschaft Wettsteins aber hatten sie
nicht begriffen.
Das dritte Geschenk, die Gabe von
Wettsteins Vaterstadt Basel, bestand aus ein paar Grund- und Bodenzinsen an
"früchten, wein, geltt, hüenern, eyern, oder wie das sonsten nammen
haben mag," die der verdiente Bürgermeister 1661 der Stadt zu einem
Vorzugspreis von 2000 Gulden abkaufen konnte! Die mit umständlichen
Wendungen abgefaßte Verkaufsurkunde nennt Wettsteins Verdienste,
legitimiert das Geschenk und verrät mit stupender Offenheit den
kleinkrämerischen Geist seiner politischen Kollegen. Das
Reichskammergericht habe dem freien Stand Basel mit Prozessen zugesetzt, dadurch
ein "gemeines stattwesen, sonderlichen wegen steckhung der freyen commercien,
handels und wandels in unwiderbringlichen schaden gesetzt worden." Wettstein
habe "dergleichen irrungen aus dem Mittel geraumbt." Auch hier ist das Verdienst
Wettsteins auf die Rückgewinnung der Baseler Handelsfreiheit reduziert. Ein
Ratsausschuß habe vorgeschlagen, "dass villeicht für dissmahl das
beste wehre, wann dem gemeinen weesen mit paarer aussgab verschohnt und hingegen
solche mittel darzu angewendet würden, dehren mann so hoch nicht
benötigt und die sich im abgang befinden, auch könfftiger zeiten zu
grösserm theil verlohren gehen möchten [...] Vermeinten derwegen, wann
ehrnbemelter herr altburgermeister Wettstein solche in leidenlichem preiss
(dardurch alles zugleich eingeschlossen würde) annemmen thette, es dem
gemeinen weesen am aller unempfindtlichsten
wehre." [43]
Der Unterschied zwischen den
beiden letztgenannten Geschenken könnte kaum größer sein; hier
der silbervergoldete Pokal einiger Handelsherren, dort die kleinliche Gabe der
knauserigen Amtskollegen. Die politische Tragweite von Wettsteins Errungenschaft
wurde erst späteren Generationen
bewußt.