DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
ANJA STIGLIC Zeremoniell und Rangordnung auf der europäischen diplomatischen Bühne am Beispiel der Gesandteneinzüge in die Kongreßstadt Münster |
"Ganz Münster ist ein
Freudental" [1] - so wurde die alltägliche Situation in der
Kongreßstadt während der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden
gerne charakterisiert. Diese Feststellung war keineswegs übertrieben, denn
man kann aus den überlieferten Quellen einen Festkalender für die
Stadt Münster erstellen, der für die Zeitspanne von Mai 1643 bis
Frühjahr 1649 ca. 100 Festlichkeiten umfaßt. [2] Das
vielschichtige Spektrum unterschiedlichster Feierlichkeiten läßt sich
generell anhand der Anlässe und der jeweiligen Veranstalter ordnen, unter
denen nicht nur die Bürgerschaft, sondern auch die Friedensgesandten als
Festveranstalter in Erscheinung traten. Ihre Feste dienten zum einen der
Kurzweil und dem Zeitvertreib während der verhandlungsarmen Sommermonate,
zum anderen aber erfüllten sie auch ganz bestimmte politisch-diplomatische
Funktionen im Gesamtablauf des Kongresses. Die Einzüge der Gesandten in die
Kongreßstadt eignen sich besonders gut dazu, diese politische
Funktionalisierung sichtbar zu machen: "Bey der Reception der Abgesandten wird
[...] ein Unterschied gemacht, ob Kayserliche, Königliche,
Chur=Fürstliche, Fürstliche oder Reichs=Gräfliche Gesandten [...]
abgeschickt werden. Bißweilen halten sie einen sehr prächtigen und
solennen Einzug, zuweilen aber stellen sie sich ohne dergleichen Solennität
in der Stille ein." [3] Folgt man dieser Beschreibung von Rohrs, so
bestand die erste Funktion der Einzüge darin, daß die Gesandten sich
und ihren Souverän den Münsteranern vorstellten, da die Art des
Empfangs vom Rang des Einziehenden abhängig war. Inwieweit man gerade von
der Öffentlichkeit nach seinem äußeren Auftreten beurteilt
wurde, ergibt sich aus einer Klage des Basler Bürgermeisters Wettstein, der
in seinem Tagebuch feststellte, daß er anläßlich einer
Formalvisite "uff die bestimpte Stundt einen zimlichen Weg mit groser
Ungelegenheit, so guett [...] (er) gekhönt, (habe) forthzopplen
müessen." [4] Doch nicht jede in Münster eintreffende
Gesandtschaft hatte das Recht und die finanziellen Mittel, einen feierlichen
Einzug zu halten. Die Anreise der Diplomaten kleinerer Potentaten und
Reichsstände wurde lediglich angezeigt, während im wesentlichen die
Vertreter des Kaisers, der Kronen, der Friedensvermittler, der Generalstaaten
sowie der Kurfürsten das Privileg hatten, sich feierlich einholen zu
lassen. Zeremoniell und Rangordnung waren in der ständischen Gesellschaft
der Barockzeit also keine Kunstgebilde, sondern als allgemein bekannte
Zeichensysteme dienten sie auf staatlicher sowie zwischenstaatlicher Ebene dazu,
eine ordnende Struktur zu schaffen.
Bis zur
Ankunft des ersten kaiserlichen Gesandten am 30. Juli 1643 [5] hatte man
sich in Münster so weit mit den Empfangszeremoniellen vertraut gemacht,
daß ihm durch das Aegidiitor Vertreter der Bürgerschaft in Waffen vor
die Stadt entgegenzogen und ihn, angeführt von zwei Kohorten, unter
Salutschüssen und Reden in die Stadt geleiteten. [6] Diese Art der
Einholung eines hohen Gastes entsprach dem traditionellen christlichen
Zeremoniell für Päpste, Könige und - in abgestufter Weise -
für ranghohe militärische und diplomatische Vertreter. Da sich im
Sommer 1643 noch keine Gesandten anderer Souveräne in Münster
befanden, repräsentierten die Abordnungen die ranghöchsten Einwohner
und verschiedenen Gruppen der Stadt, die mit diesem Entgegenziehen letztlich dem
Kaiser ihre Reverenz erwiesen: Ihm stand nach dem zeitüblichen Zeremoniell
die größte Begleitung zu, so daß das Spalierstehen der
Bürgerfahnen unter Waffen in diesen Zusammenhang einzuordnen ist. Die nach
Rang und Status geordnete Auflistung der Gruppen, die mit dem kaiserlichen
Gesandten Johann Ludwig Graf von Nassau-Hadamar in die Stadt einzogen, ist keine
Besonderheit der Annalen des Jesuiten Heinrich Turck, sondern vielmehr ein immer
wiederkehrendes Merkmal dieser Berichte. [7] Mit der detaillierten
Übersicht, wer tatsächlich anwesend war, konnte man auf eindrucksvolle
Weise demonstrieren, daß alle wichtigen Gruppen teilgenommen und somit
ihrer Zustimmung zu der Rechtmäßigkeit des Vorgangs Ausdruck
verliehen hatten.
Die Einzugsroute Nassaus
läßt sich durch die Ortsangabe Turcks mit relativer Sicherheit
rekonstruieren, da man durch das Aegidiitor in die Stadt hineinzog und über
die Rothenburg zum Markt abbog. An der Vorderfront des Rathauses vorbei wurde
der Zugang zum Domhof passiert, auf dem sich in einer Domherrenkurie das
Quartier des Grafen befand. Diese Route war durchaus nicht neu gewählt,
sondern entsprach der in Münster für solche Anlässe üblichen
Strecke, wenn der Ankommende die Stadt durch das Aegidiitor betrat. Neben dem
Geschütz auf den Wällen, das abgefeuert wurde, läuteten alle
Glocken in der Stadt, so daß der Einzug einem Triumphzug gleichkam:
Blumen, Gilde- und Zunftzeichen sowie andere Dekorationen konnten zur Ehre des
Einziehenden mitgeführt und an den Gebäuden entlang der Route
befestigt werden. Selbst die Bürgerfahnen bzw. Stadtsoldaten, die teilweise
in Uniform gekleidet waren, sowie die spalierstehende Bürgerschaft dienten
in diesem Zusammenhang als "Schmuck" der Stadt, da sie den festlichen Charakter
des Tages allein durch ihre Anwesenheit unterstrichen. Insgesamt dokumentierte
sich der Rang des entsendenden Souveräns in der Pracht eines solchen
Einzugs, da die Anzahl der Teilnehmer, Pferde und Kutschen wie auch deren
prunkvolle Dekoration ein Gradmesser fürstlicher Autorität darstellen
konnten, wobei dem Gefolge ein besonderes Augenmerk zukam. [8] Dem
Jesuiten Turck waren diese Prestigefaktoren offensichtlich fremd, da er
hinsichtlich des Gefolges nur auf die Familienmitglieder Nassaus
hinwies [9], während der Sekretär des französischen
Gesandten d'Avaux, der als Quartiermacher in Münster diesen Einzug erlebte,
Umfang und Ausstattung dieses Festzuges um so genauer notierte. Nach dieser
Darstellung blieben dem Gesandten - abgesehen von Weinfässern - lediglich
zehn Wagen für sein gesamtes Gepäck, was seiner Meinung nach typisch
für einen Deutschen sei. [10] Eine genaue Beschreibung der Kutschen
wie auch der Ausstattung der Angehörigen des Hofstaats lieferte aber auch
der Franzose nicht, obwohl die Gesandtschaft Nassaus mit ihren 72 Personen, die
sich hauptsächlich aus adeligen Begleitern, Dienern, Lakaien und
Fuhrparkpersonal zusammensetzte [11], zu einer der zehn
größten Delegationen des Gesamtkongresses zählte. Diese
signifikante Beobachtungslücke läßt nur einen Schluß zu:
Der Einzug des Grafen Nassau wurde vom französischen Gesandten als nicht so
prunkvoll empfunden, als daß man ihn nicht hätte überbieten
können. Daher erübrigte sich eine detaillierte Beschreibung des
Festzuges.
Von einem Empfangsgeschenk in Form von
Wein, Getreide oder Fisch durch den Stadtrat berichten weder Turck noch der
französische Beobachter; aber in diesem Fall kann man davon ausgehen,
daß Nassau ein solches überreicht wurde, da der Stadtrat am 9.
Oktober 1643 dem zweiten kaiserlichen Gesandten, dem Juristen Dr. Isaac Volmar,
"1 ohm Wein und 3 moldt habern" überreichte. Ferner läßt sich
durch die Tagebuchaufzeichnungen Volmars das Bild eines feierlichen Einzugs
insofern vervollständigen, als er verzeichnet, daß er in Wesel beim
hessischen Generalleutnant Eberstein u.a. um einen Trompeter als Begleitung nach
Münster gebeten habe. [12] Auf die akustische Demonstration des
Ranges der Reisegruppe wurde also bereits unterwegs unbedingter Wert gelegt, so
daß man auch bei der Einholung auf diese Art von musikalischer
Unterstreichung des Geschehens nicht verzichtet haben wird. Als beliebte
Tageszeit für einen Einzug zeichnet sich der Nachmittag ab, was darauf
hindeutet, daß diese Inszenierungen für das städtische Publikum
den Höhepunkt des Tages bilden sollten. Formell beendet wurde diese Art von
Feierlichkeit mit der Publikation der Ankunft, was häufig erst am
nächsten Morgen erfolgte.
In der Tatsache,
daß auch zu diesem Zeitpunkt die Vertreter der anderen Teilnehmerstaaten
noch nicht anwesend waren [13], dürfte bereits eine Ursache
für den insgesamt eher kargen Rahmen der feierlichen Elemente zu sehen
sein, mit denen lediglich die Bevölkerung beeindruckt werden mußte,
nicht aber konkurrierende Gesandtschaften: Man brauchte also keinerlei
Maßnahmen zu ergreifen, um die Reputation des Kaisers kontrastierend zu
den "nur" königlichen Abgesandten zu verdeutlichen. Vielmehr liefen mit der
Einholung der kaiserlichen Delegation erst alle Normierungsversuche dieser
Repräsentationen an. Dies läßt sich mit den Instruktionen und
Anordnungen Ferdinands III. bezüglich des Verhaltens seiner Gesandten bei
der Ankunft der diversen Abordnungen in Münster belegen. [14]
Ferner lassen sich diese Versuche auch an den Aktivitäten des Stadtrates
festmachen, der in der Sitzung am 22. Oktober 1643 die bevorstehende Anreise
unterschiedlichster Delegationen diskutierte und - neben der Überreichung
eines angemessenen Begrüßungsgeschenks - als einheitliches Ergebnis
festschrieb, "daß zuvorderst denen von gekröneten herrürenden
abgesandten mit lösung geschützes und fürters mit gratulation und
empfahung, auch vermittelst darstellung einiger burgerschafft in ihrer gewehr
und rüstung under augen zu gehen, und [...], daß den venezianern wie
auch der herrn Staten abgesandten zum respect etwan ehrenschüsse zu
beschehen" [15] hätten. Mit diesem Beschluß wird die neutrale
Haltung des münsterschen Magistrats gegenüber allen Gesandtschaften
zum Ausdruck gebracht. Das ist insofern bemerkenswert, als die Gleichstellung
der Republik Venedig mit den Kronen im Völkerrecht bis dahin nicht
verbindlich war. Im Vorfeld der westfälischen Friedensverhandlungen wurde
sie sogar von Frankreich in Frage gestellt, was im Laufe des Kongresses immer
wieder zu zeremoniellen Differenzen führte, die auch die Feierlichkeiten
überschatteten.
Nach diesen relativ
schmucklosen Einzügen der kaiserlichen Gesandten Nassau und Volmar im
Sommer 1643, die als "Prototypen" für feierliche Einholungen dienten, wurde
der internationale Charakter der Friedensverhandlungen durch die noch in
demselben Jahr erfolgenden Einzüge der spanischen Bevollmächtigten
Zapata, Brun und Saavedra sowie des venezianischen Friedensvermittlers Contarini
geprägt, wobei sich diese Festzüge hinsichtlich ihres
äußeren Ablaufs sowie der Ehrenbezeugungen durch die Stadt
Münster nicht wesentlich von denen der Kaiserlichen unterschieden. Die zur
Schau gestellte Repräsentation wurde kontinuierlich gesteigert und durch
akribische Beobachtungen von den Vertretern der jeweils anderen Souveräne
und Mächte bis ins letzte Detail notiert und dadurch zum Politikum
hochstilisiert. In diesem Kontext ist auch die Einholung der Delegationen durch
die anderen, bereits präsenten Gesandten besonders signifikant, da eine
solche Reverenzerweisung nicht allgemeiner Usus war. [16]
Die folgenden festlichen Einzüge wurden im
Vorfeld durch endlose Präzedenzdiskussionen geprägt, da mit
zunehmender Anwesenheit diverser Delegationen die zeremoniellen Fragen immer
differenzierter wurden. Bei dem Einzug eines der Mediatoren, des
päpstlichen Nuntius Chigi, am 19. März 1644 brachen die schwelenden
Spannungen erstmalig in aller Deutlichkeit aus. Ferdinand III., der eine
Kollision der kaiserlichen Prestigeansprüche mit denen des zu erwartenden
geistlichen Gefolges Chigis befürchtete, hatte seine Gesandten angewiesen,
dem Nuntius zwar entgegenzufahren und ihn zu begrüßen, ihn aber nicht
einzuholen. Diese Lösung lehnten Nassau und Volmar jedoch aus mehreren
Gründen ab: Sie gaben dem Kaiser zu bedenken, der Legat könnte ein
solches Verhalten als einen persönlichen Affront werten, was die folgenden
Verhandlungen beeinflussen würde. Ebenso wäre es - gesetzt den Fall,
ein französischer Diplomat wäre bereits vor der Ankunft des
päpstlichen Vertreters in Münster eingetroffen - taktisch unklug, wenn
dieser ihm nicht nur allein entgegenziehen, sondern auch im Festzug begleiten
und somit seine Sympathien gewinnen würde. Schließlich bezogen Nassau
und Volmar noch die zwischenstaatliche Ebene zwischen Frankreich und Spanien in
ihre Argumentation mit ein. Blieben die Kaiserlichen im Festzug aus,
während die Franzosen und Spanier anwesend wären, so käme es
unweigerlich zum offenen Ausbruch des Streits um das Vortrittsrecht zwischen den
Vertretern dieser beiden Souveräne.
Wie
realistisch diese Einschätzung war, zeigt sich am französischen
Verhalten während des Entgegenfahrens: D'Avaux, der sich drei Tage zuvor
akkreditiert hatte, akzeptierte zwar das Vortrittsrecht der kaiserlichen
Gesandten, nicht aber das der sie begleitenden Reiter. Auf freiem Feld wurden
diese durch ein lautes Kommando an den französischen Kutscher von der
kaiserlichen Kutsche getrennt, so daß die französische Kutsche sich
direkt der kaiserlichen anschließen konnte. In seinem Bericht an die
französische Regentin begründete d'Avaux dieses Verhalten damit,
daß in Münster ein Gerücht umgelaufen sei, die Spanier
würden sich während der Fahrt mit den Kaiserlichen
zusammenschließen. Nur um dieser ungerechtfertigten Aneignung der zweiten
Position in der europäischen Hierarchie auf Kosten Frankreichs vorzubeugen,
sei die Reitergruppe vor die Stadt geschickt worden. [17] Diese
Argumentation zeigt sehr deutlich, daß die Teilnahme an einer solchen
Zeremonie nicht in erster Linie dazu diente, dem Ankommenden die Reverenz zu
erweisen, sondern vielmehr dazu, nach außen die eigene Position zu
demonstrieren und zu festigen. In diesem Fall war für den Franzosen
offensichtlich das zu erwartende spanische Verhalten der neuralgische Punkt: Mit
der Aufspaltung der Habsburgerdynastie in den österreichischen und
spanischen Zweig hatte eine permanente Rivalität begonnen. Philipp II.
von Spanien konkurrierte mit Karl IX. von Frankreich um den zweiten Platz
in der europäischen Rangfolge nach dem Kaiser, wobei sich der
französische König auf einen päpstlichen Schiedsspruch von 1558
berief. [18] Dies behinderte seitdem alle bilateralen
Kontakte.
Bei den vorherigen Einzügen in
Münster hatte diese Problematik insofern noch keine Relevanz gehabt, als
die französischen Bevollmächtigten noch nicht eingetroffen waren. Die
Spanier, die sich dieser Präzedenzveränderung bewußt waren,
hatten im Vorfeld versucht, die Kaiserlichen zu beeinflussen, ebenfalls auf die
Entgegenschickung zu verzichten, was diese aber entsprechend ihrer eigenen
diplomatischen Argumentation ablehnten. Nachdem d'Avaux den venezianischen
Vermittler Contarini als Sprachrohr benutzt hatte, um in Münster zu
verbreiten, daß die französische Kutsche den Platz hinter der
kaiserlichen notfalls auch mit Gewalt einzunehmen hätte, mußten die
Spanier eine Entscheidung treffen, zumal die bewaffneten Reiter instruiert
waren, daß "wann jemand sich darzwischen eindringen wollte, sie
zuschlagen" [19] sollten. Die spanische Delegation, die dieser offenen
Gewaltdemonstration einerseits personell nicht gewachsen war, mußte
andererseits damit rechnen, daß Chigi gemäß dem
päpstlichen Schiedsspruch in dem Streit eine für sie nachteilige
Position beziehen würde. In dieser Situation auf sich allein gestellt,
zogen sie es vor, dem Festzug ganz fernzubleiben. Offiziell begründeten sie
ihr Ausbleiben mit einer zu späten formellen Ankündigung des
Anreisetermins, was aber nur vorgeschoben war, wie man aus den
zeitgenössischen Berichten unterschiedlichster Couleur entnehmen
kann. [20] Die französische Version, die Spanier hätten sich
mit ihrer Kutsche bereits auf dem Weg aus der Stadt heraus
befunden [21], ist in diesem Kontext als übertreibende Darstellung
des Triumphes zu sehen.
Ebenso wie für das
spanische Fernbleiben Eigeninteressen vorlagen, waren auch für das
Nichterscheinen des Vermittlers Contarini venezianische Gründe
ausschlaggebend: Venedig befand sich mit dem Kirchenstaat im offenen
Kriegszustand, was ein Zusammentreffen der Mediatoren von vornherein
ausschloß. [22] Anstatt zu diesem Faktum zu stehen, berichtete
Contarini in seinem Dispaccio ausführlich über diesen Festzug,
bei dem er gar nicht anwesend war, um zu dem Schluß zu kommen, daß
sich für niemanden die Teilnahme an diesem Einzug gelohnt habe, weil er mit
minimalem Gefolge, sogar ohne die Kutsche Chigis stattgefunden
habe. [23] Diese Beschreibung dürfte die Ausstattung des Festzuges
bewußt untertrieben haben, aber Contarini konnte dadurch die Diskrepanz
der Repräsentation des Heiligen Stuhls zu der der Republik Venedig noch
pointierter darstellen. Auch hob er seine eigene Position in Münster
hervor: Wenn der Einzug des päpstlichen Vertreters so wenig
prestigebewußt war, dann waren der Republik Venedig durch den Boykott
keine Nachteile für ihre eigene Reputation entstanden; indirekt wurde diese
sogar gestärkt. Diese Wirkung zu erzeugen war für den Venezianer um so
wichtiger, als Chigi als Vertreter des Padre Commune, also des Heiligen
Vaters, einen natürlichen Bonus bei den meisten katholischen Gesandten und
der münsterschen Bevölkerung hatte. Für sich selbst konnte
Contarini die Folgerungen ziehen, daß seine Politik, zwischen Frankreich
und Spanien nicht schlichtend einzugreifen, sondern die jeweiligen Informationen
lediglich weiterzugeben, aufgegangen war. Die Spanier erschienen überhaupt
nicht zur Begrüßung Chigis, und die Spannungen zwischen d'Avaux und
den Kaiserlichen überschatteten den Einzug. Insgesamt könnte man seine
passive Haltung als Profilierung zu seinen und der Republik Venedigs Gunsten
ansehen, da zu seinem eigenen Einzug im Gegensatz zu dem aktuellen alle
Diplomaten erschienen waren, um ihm die Reverenz zu
erweisen.
Chigi versuchte dieses
Präsentationsmanko offensichtlich durch die Terminwahl zu kompensieren: Als
Friedensvermittler in Münster erwartet, ließ sich der päpstliche
Nuntius bei seinem Einzug gleichsam zum Friedensbringer
hochstilisieren. [24] Sein Gefolge bestand überwiegend aus
Geistlichen und war im Gegensatz zu dem der anderen Delegationen vom Umfang eher
bescheiden [25], was er im Sinne seiner Mission instrumentalisieren
konnte: Auf diese Weise wurde der Bedeutung seiner Aufgabe als Mediator Rechnung
getragen. Er beteiligte sich nicht an der Prestigekonkurrenz der
Verhandlungsparteien. Indirekt wurde auch noch die traditionelle Stellung des
Papstes als friedensvermittelnde und -stiftende Institution
bestätigt.
Um die zeitaufwendigen
Präzedenzdiskussionen und -zwischenfälle zu beenden, setzte Chigi
für den Einzug des französischen Plenipotentiarius, des Herzogs von
Longueville, am 30. Juni 1645 durch, daß er nur noch von den
französischen Mitgesandten sowie den Vertretern der verbündeten
Mächte eingeholt werden sollte. Die wesentliche Verkürzung des
Festzuges, die diese Vereinbarung zur Folge gehabt hatte, wurde von den
Franzosen aus eigenen Ressourcen aufgefangen. Zum Ärger der gegnerischen
Beobachter konnte die französische Gesamtdelegation beispielsweise allein
zehn äußerst kostbar geschmückte Personenkutschen aufbieten, die
von einem unüberschaubaren Gefolge begleitet wurden. Der Festzug gliederte
sich in insgesamt 41 Abteilungen, wovon die erste Hälfte sich von der
Vorhut über Bagagewagen, Offiziere, Kavaliere und Lakaien bis zu den
Trompetern erstreckte, die direkt vor dem Stadtkommandanten Reumont und der
vergoldeten Kutsche des Einzuholenden gingen. Die zweite Hälfte des Zugs
bestand aus den Kutschen des Einzuholenden und der Einholenden, die jeweils vom
eigenen Gefolge begleitet wurden, sowie einer Nachhut. Nicht nur das ausnehmend
gute Wetter nach einer Reihe von Regentagen war für den
festlich-prächtigen Charakter der Feierlichkeit verantwortlich, sondern
auch die Livreen der Dienerschaft ließen ein farbliches Feuerwerk
aufflammen und spiegelten den Luxus der verwendeten Stoffe. Selbst die Tiere,
wie beispielsweise zwölf Maulesel oder eine Gruppe Reitpferde, wurden
dieser repräsentativen Ausschmückung unterworfen: Sie waren mit Decken
aus blauen Samt abgedeckt, die überreichlich mit goldenen Borden und
symbolischen Stickereien (Lilien als Zeichen für das bourbonische
Herrscherhaus) dekoriert waren. An diese farblich von Blau und Gold dominierte
Abteilung schloß sich direkt die Dienerschaft Longuevilles in ihren "gelbe
Ledere Wämbser / und rothe scharlachen Hosen und Mäntel" an, die mit
silbernen Spitzen abgesetzt waren. Im Kontrast dazu trugen die Pagen zwar auch
rote Mäntel und Hosen, die aber innen mit meergrünem Satin
gefüttert waren. Abgeschlossen wurde das Gefolge Longuevilles von 25
Kavalieren, die, in den unterschiedlichsten Farben gekleidet, in Dreierreihen
nebeneinander ritten und damit den Wohlstand ihres Herzogs durch die
üppigen Gold- und Silberdekorationen zur Schau stellten. Die Dienerschaft
d'Avaux' war in schwarzer Livree erschienen, während Serviens Leute in
neuen stahlgrünen Uniformen mit roter, goldener und silberner Verzierung an
dem Einzug teilnahmen. An all diesen Elementen erkennt man die Verbundenheit mit
der christlichen Farb- und Zahlensymbolik. Die Zahlen zwölf und sechs, die
die Universalität, die menschliche Kraft, gleichzeitig auch Macht sowie
Ordnung und Beherrschung der Welt symbolisierten [26], schienen zu
dominieren.
Wenn ein Diplomat anreiste und nicht
von den Vertretern der fremden Mächte in die Stadt begleitet wurde, dann
bedeutete das nicht, daß sein Einzug nicht zur Kenntnis genommen wurde.
Vielmehr wechselten die Gesandten der gegnerischen Parteien in den Status der
Zuschauer über. Zum einen hatte man sicherlich seine "Spione" unter das
Volk an den Straßenrändern gemischt, zum anderen aber ließen
die Gesandten selbst sich dieses Spektakel nicht entgehen: So sah Nassau
beispielsweise von einem Haus an der Rothenburg aus dem Longuevilleschen Einzug
zu, wobei er keineswegs versuchte, seine Neugierde zu verbergen oder inkognito
zu bleiben. [27] Durch Weinspenden an die Bevölkerung konnte
Longueville die Rezeption beeinflussen und sie zusammen mit den Besuchern aus
ganz Westfalen zu einem unerhörten Ereignis hochstilisieren. [28]
Daß sich diese Abschlußpassage in einem Bericht als Beilage der
schwedischen Korrespondenz finden läßt, ist ein deutlicher Beleg
für die Bedeutung solcher Festelemente. Immerhin nahm der schwedische
Resident in der französischen Legationskutsche an diesem Einzug teil, so
daß die Verbündeten sich in diesem machtvollen Glanz sonnen konnten.
Berücksichtigt man bei der Bewertung, daß die Einnahme von Maasdijk
genau zu diesem Zeitpunkt in Münster bekannt wurde [29], dann kann
man diesen Einzug geradezu als Triumphzug der französischen Vertreter
ansehen. Diese Haltung dokumentiert nicht nur uneingeschränktes
Selbstbewußtsein, sondern auch das Wissen um die Vorteile für die
eigene Verhandlungsposition, die bisher durch die unüberschaubare
militärische Situation sowie durch die Rivalitäten innerhalb der
Gesandtschaft überschattet worden waren. Insgesamt übertraf diese
feierliche Einholung alles in der Kongreßstadt bisher Dagewesene in einem
solchen Maße, daß Berichte und Zeitungen darüber in ganz Europa
verbreitet wurden.
Der spanische Prinzipalgesandte
Peñaranda, der sich am 5. Juli 1645, also nur wenige Tage später, in
Münster akkreditieren wollte, befand sich nach diesem französischen
Spektakel in einer Zwickmühle: Spanien, das immer bemüht war, den
Vorrang vor Frankreich zu postulieren, konnte mit dem von Longueville zur Schau
gestellten Luxus nicht mithalten. Eine weitere Schwierigkeit für das
Einzugszeremoniell ergab sich aus der Kommunikation mit den Kurfürsten.
Mangels Instruktion wollte Peñaranda die Vertreter der Kurfürsten
nicht mit dem Prädikat "Exzellenz" anreden, wogegen die kurfürstlichen
Gesandten ihr Unverständnis äußerten und versuchten, die
Titelfrage durch Zeittaktik noch zu ihren Gunsten zu entscheiden. [30]
Diese Absicht vereitelnd, zog der Spanier nur eine Stunde nach der Unterredung
der kurfürstlichen Vertreter öffentlich in die Stadt ein, wovon selbst
der Stadtkommandant überrascht wurde: Reumont ritt ihm zwar entgegen, hatte
aber zuvor "in der eyll nhur 2 Compagnien Soldaten mit den fähnlein [...]
aufwarten undt eine Salve schießen laßen." [31] Dieser
überstürzte und bescheidene Einzug hatte also nicht nur die direkten
Vorteile, daß Zeitgenossen wie der Jesuit Turck Peñarandas
Zurückhaltung lobten [32] und die finanziellen Ressourcen geschont
wurden, sondern beendete die Präzedenzdiskussion im Sinne der Spanier, die
die Kurfürsten auf ihren Platz als Reichsfürsten verwiesen. Dennoch
zog dieses außergewöhnliche Verhalten auch Kritik in den Berichten
der anderen Gesandtschaften nach sich. Von "Stillem Ceremoniell" ist die Rede,
und auch der direkte Vergleich zu Longueville wird gezogen. [33] Am
deutlichsten spiegelt sich diese negative Rezeption im Bericht des
dänischen Gesandten Clain, in dem schon allein die Reitordnung der Pagen so
beschrieben wird, daß sie "wie die schweine ins thor
lauffen." [34] Man kann sich denken, daß dieser Bericht von
Spaniens Gegnern in Umlauf gebracht
wurde.
Daß mit diesen öffentlichen
Feierlichkeiten Politik gemacht wurde, liegt auf der Hand. Die Hauptebene, auf
der sich die Machtpräsentation, -demonstration, aber auch -prätention
abspielte, war der zwischenstaatliche Bereich. Für eine solche
Funktionalisierung eigneten sich in besonderer Weise die von den Gesandten im
Kongreßort Münster inszenierten Feierlichkeiten. Betrachtet man die
Einzüge, die sich in mehr oder minder normativer Form abspielten, so kam
den Diskussionen im Vorfeld und deren praktischer Umsetzung die eigentliche
Bedeutung zu. Zum einen wurde sicher dem Ankommenden der Respekt durch das
Entgegenschicken ausgesprochen, zum anderen aber boten diese zeremoniellen
Bestandteile ein Austragungsforum für latente Präzedenzstreitigkeiten.
Konnten die Spanier nicht sicher sein, daß ihnen der Platz unmittelbar
nach den kaiserlichen Vertretern gewährt wurde, so gingen sie der
Konkurrenz Frankreichs aus dem Weg, indem sie nicht erschienen und sich mit
Hoftrauer, verspäteter Notifikation oder ähnlichem entschuldigten.
Eine andere Variante, die im Verlauf des Verhandlungsgeschehens immer beliebter
wurde, bestand darin, bei einem höherrangigen Gesandten in der Kutsche
mitzufahren und so den eigenen Status aufzuwerten. Wartenberg als
ranghöchster Vertreter des Kurfürstenkollegs sicherte sich seinen
Vortritt regelmäßig damit, daß er seine Kollegen beim Einholen
in seine Kutsche einlud und auf diese Weise die Zugführung beanspruchte.
Aber auch die Solidarität und Verbundenheit zweier Verhandlungsparteien
ließ sich durch die Teilnahme an einem Einzug augenfällig
demonstrieren. Insgesamt wurden alle Details, die für das Prestige des
entsendenden Staates relevant waren, akribisch festgehalten und
ausgewertet.
Bei allen diesen Eigeninteressen der
Staaten darf man die absolute Friedenssehnsucht der vom Kriegselend betroffenen
Bevölkerung nicht außer acht lassen: Aus dieser Haltung heraus
nutzten die Gesandten die Möglichkeit, taktische Verzögerungen oder
Verhandlungsrückschläge durch die Inszenierung prachtvoller
Feierlichkeiten zu verschleiern. Damit prätendierten sie inhaltlich nur die
Macht, die Verhandlungsbereitschaft und den
Ruhm.
Berücksichtigt man bei der Beurteilung
des glanzvollen Einzugs der Herzogin von Longueville, daß es sich bei
ihrer Anreise nach Münster "lediglich" um die Ankunft eines
Familienmitglieds handelte, das dem Einfluß des Pariser Hofes entzogen
werden sollte, nicht aber um die Anreise eines verhandlungsbefugten Diplomaten,
so kann man der prunkvollen Ausgestaltung einen prätendierenden Charakter
nicht absprechen.
Auch auf städtischer Ebene
lassen sich Auswirkungen von solchen Festlichkeiten finden: Viele Bewohner der
Stadt waren Zuschauer und Nutznießer der Festivitäten, aber auch die
ersten Kritiker. Sollten beispielsweise die Einzüge den Höhepunkt des
Tages bilden, so zeigte sich mit jeder neuen Anreise der innere Zwang, die
Bevölkerung durch permanente Präsentationssteigerung zu beeindrucken,
was den zwischenstaatlichen Konkurrenzkampf noch anfachte. Solche Auswirkungen
sind ein Beweis dafür, daß die öffentlichen Feierlichkeiten der
Gesandten den Zweck der Machtpräsentation gegenüber der
Stadtbevölkerung ebenfalls erfüllten. Dennoch dienten sie nicht in
erster Linie dazu, die Zuschauer zu beeindrucken und zu unterhalten, sondern
ihnen kam eine konkrete diplomatische und politische Funktion in den
Gesamtverhandlungen zu: Sie wurden gezielt als Instrument eingesetzt, um die
eigene Position innerhalb des zu schaffenden zwischenstaatlichen Systems
sichtbar zu definieren sowie eine Möglichkeit offiziöser Kontakte
untereinander zu schaffen, wobei die Öffentlichkeit diese inszenierten
Selbstdarstellungen in der Hoffnung auf einen baldigen Frieden allzu gern als
konkreten Verhandlungsfortschritt
rezipierte.