DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
THOMAS KAUFMANN Lutherische Predigt im Krieg und zum Friedensschluß |
Die zentrale Bedeutung, die der
Predigt im kirchlichen und gesellschaftlichen Leben der evangelischen
Christenheit seit der Reformation zukommt [1], gründet in ihrer
exklusiven theologischen Wertung als das Wort der Bibel aktualisierende und
applizierende Anrede Gottes. Die liturgischen Umgestaltungen der
Gottesdienste [2] trugen der Zentrierung des religiösen Lebens auf
die Predigt Rechnung und sollten die Wirkung des gepredigten Wortes
unterstützen; letzteres galt auch für die im Luthertum im Unterschied
zur reformierten bzw. calvinistischen Konfession gepflegte kirchliche Kunst und
Musik. In der Inszenierung evangelischer Kirchenräume fand die Zentrierung
auf die Predigt ihren sinnfälligen Ausdruck, wobei die Reformierten in der
Regel radikaler erneuerten als die sich vorreformatorisches Kulturgut
religiös anverwandelnden Lutheraner. Neben der Aufgabe, durch Wort und
Glaube das Heil zuzueignen, übernahm die Predigt im konfessionellen
Luthertum wichtige Funktionen der sozialen Lebensregulierung, der praktischen
Information, der exemplarischen Verifikation gelebten Glaubens sowie der
theologischen Deutung und Integration kosmischer Bedrohungen (Naturkatastrophen,
Kometen usw.) [3] oder der hygienischen Prävention, etwa im Falle
von Pestepidemien.
Der zentralen
gesellschaftlichen Aufgabe der Predigt in der lutherischen
Konfessionsgesellschaft der Frühneuzeit entsprach eine "mehrdeutige"
Beziehung der Geistlichkeit zu den politischen Herrschaftsträgern in der
Stadt und in den Territorien. [4] Einerseits waren die lutherischen
Prediger in das System des Konfessionsstaates integriert; sie wurden durch die
Institutionen des landesherrlichen Kirchenregiments eingesetzt, geprüft und
visitiert und hatten im Sinne der obrigkeitlich erlassenen Kirchenordnungen zu
predigen und ihr Amt wahrzunehmen. Andererseits hatten sie eine von den
Obrigkeiten trotz häufiger Konflikte religiös bejahte Rolle als
bevollmächtigte Ausleger des göttlichen Wortes auch im kritischen
Gegenüber zur gesellschaftlichen Ordnung wahrzunehmen. Die spannungsreiche
soziale Situation der lutherischen Geistlichkeit in der Konfessionsgesellschaft
der Frühneuzeit spiegelt ihre "exzentrische" Aufgabe, Ausleger des
göttlichen Wortes in den Bindungen ihrer Zeit zu
sein.
Die Vorbereitung der lutherischen
Geistlichen auf die zentrale Aufgabe ihres Amtes, die Predigt, spielte schon im
Zusammenhang des Theologiestudiums eine Rolle. [5] Probepredigten unter
Anleitung eines erfahrenen Pfarrers oder eines damit besonders beauftragten
Theologieprofessors waren ein integraler Bestandteil der theologischen
Ausbildung lutherischer Pastoren des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine reiche
Hilfsliteratur zur Predigtlehre (Postillen, Exempelbücher, Homiletiken
etc.), die in enger Beziehung zur zeitgenössischen Rhetorik stand,
entwickelte immer differenziertere sprachliche Ausdrucks- und rhetorische
Aufbauschemata, einerseits, um dem Problem der alljährlichen Wiederkehr
derselben Predigttexte (sogenannter Perikopenzwang) durch Variationen zu
begegnen, andererseits, weil die Prediger des späteren 16. und des 17.
Jahrhunderts - zumal in den Städten - einem durchschnittlich gebildeteren,
kulturell und religiös anspruchsvolleren "Predigtpublikum" zu entsprechen
hatten, als dies für die ersten beiden Generationen nach der Reformation
galt.
Die konfessionsspezifische Bindung des
Luthertums an die altkirchlichen Predigttexte (Evangelien- und Epistelperikopen)
spielte auch außerhalb des Kirchenraums eine wichtige,
allgemein-kulturelle Rolle. [6] Die Perikopen bildeten häufig die
Grundlage häuslicher Erbauungsliteratur, sie spielten bei schulischen
Übersetzungs- oder Dichtungsübungen eine wichtige Rolle und sie
verschränkten - ähnlich wie das geistliche Lied - private und
öffentliche Religion, kirchliche, häusliche und schulische Kultur. Die
Bibelkenntnisse lutherischer "Laien" des konfessionellen Zeitalters dürften
vornehmlich auf die Perikopen zentriert gewesen sein, den neben dem Katechismus
und dem Gesangbuch wichtigsten Medien der lutherischen Konfessionskultur mit bis
an die Schwelle der Gegenwart reichenden
Langzeitwirkungen. [7]
Ein prägendes
Merkmal lutherischer Konfessionskultur in bezug auf die Predigt betrifft deren
Häufigkeit und Länge. Zwei Sonntags- und mindestens eine Wochenpredigt
waren von den einzelnen Pastoren, auch auf dem Land, neben den Kasualpredigten
zu halten, im Jahresdurchschnitt kaum unter 200 Predigten. In den Städten
waren neben den frühmorgendlichen Katechismuspredigten zwei
Sonntagspredigten und mehrere Wochenpredigten die Regel. In Städten wie
Lübeck, Augsburg, Straßburg oder Rostock sind wöchentlich
zwischen 35 und 40 reguläre Predigten gehalten worden, im Laufe eines
Jahres also zwischen 1500 und 2000 Predigten. Hohe Fest- und Gedenktage unter
Einschluß der im Luthertum noch im 17. Jahrhundert häufig begangenen
Apostel- und Heiligenfeste wurden mindestens mit einer Morgen- und einer
Nachmittagspredigt begangen. Obrigkeitliche Mandate schärften die Teilnahme
an den Sonn- und Feiertagsgottesdiensten ein. Die von normativen Quellen wie
Kirchenordnungen oder Predigtmandaten vorgeschriebene Predigtlänge belief
sich in der Regel auf etwa eine Stunde. Kanzeluhren sollten die Einhaltung
dieser Norm gewährleisten. Insbesondere die dogmatisch ausgeformte
theologische Überzeugung, daß die heilige Schrift als einzige
Wahrheitsnorm zu gelten habe und ihr Text inspiriert sei [8],
führte zu einer bisweilen exzessiv anmutenden Sorgfalt der Kommentierung,
die auch die Widerlegung fremder Auslegungen einschließen mußte,
ohne die Applikation auf die zeitgenössische Lebenswelt
vernachlässigen zu dürfen. Bei Leichenpredigten, einem insbesondere im
Luthertum gepflegten und in massenhafter Druckverbreitung seit dem letzten
Drittel des 16. Jahrhunderts popularisierten "Medium der Erbauung" [9],
dürfte es zum Teil zu erheblich längeren Predigtzeiten, bis zu drei
Stunden, gekommen sein.
Der zentralen
theologischen und religiösen Bedeutung der Predigt im Luthertum entsprach
eine massenhafte Verbreitung gedruckter Predigten. [10] Neben Postillen,
fortlaufenden Auslegungen der Evangelien- und Epistelperikopen im Zyklus des
Kirchenjahres, die als Hilfsmittel der Prediger, aber auch als häusliche
Andachtsbücher Verwendung fanden - im lutherischen Deutschland des 17.
Jahrhunderts sollen es ca. 700 verschiedene Postillendrucke gewesen sein
- [11], wurden zumeist in den nicht-perikopengebundenen Wochenpredigten
gehaltene Predigtzyklen zu einzelnen biblischen Büchern oder zu bestimmten
Themen oder emblematisch entfalteten Motiven gedruckt. Auch Einzelpredigten oder
Predigtreihen, die bei herausragenden Ereignissen, bei Jubiläen und
Jahrestagen, gehalten wurden, fanden eine massenhafte Verbreitung im Druck, die
ohne eine sich darin ausdrückende Nachfrage der Öffentlichkeit nicht
erklärbar wäre. Bei vielen dieser gedruckten Predigten wurden die
zahlreich aufgeführten Schriftbelege am Rand vermerkt, um ihren Lesern so
Wege in die Schrift zu zeigen, Ausführungen der Prediger nachvollziehen,
aber auch überprüfen und gegebenenfalls korrigieren und im Rahmen
eines Gesamtverständnisses des biblischen Wahrheitskosmos verstehen zu
können. Auch die Zahl der angeführten Kirchenväter, die man bei
der Exegese neben den Reformatoren, besonders Luther und Melanchthon, ausgiebig
benutzte, war zum Teil beträchtlich. Dem Anspruch lutherischer Theologie,
keine "neue", sondern die alte Lehre des Evangeliums zu vertreten, wurde durch
das Gespräch mit den Vätern in der Dogmatik ebenso wie in der
Predigtpraxis Ausdruck
verliehen. [12]
Unter den Bedingungen des
Dreißigjährigen Krieges nahm die Produktion langer, kostspieliger,
oft mehrbändiger Postillenwerke ab, die stärker ereignisbezogener
Einzelpredigten oder thematischer Predigtzyklen nahm hingegen zu. Dieser
druckgeschichtliche Befund sagt weniger etwas über die tatsächlich
gehaltenen, perikopengebundenen Sonntagspredigten als über die
Wochenpredigten und Predigtzyklen, die den Predigern die eigene Wahl eines
bestimmten biblischen Buches oder eines Themas erlaubten, und über die
Lesebedürfnisse der Zeit aus.
Ein vornehmlich
im Spiegel der nicht-perikopengebundenen Predigtzyklen aus der Zeit des
Dreißigjährigen Krieges gewonnenes Bild der lutherischen Predigt ist
zwar unvollständig, läßt aber gleichwohl Akzente erkennen, die
für die im Luthertum praktizierten theologischen und religiösen
Umgangsweisen mit dem Krieg charakteristisch sind. Gemeinhin zeichnen sich die
gedruckten Predigten durch eine intensive Bemühung aus, die
maßgeblichen Inhalte der ausgearbeiteten theologischen Dogmatik in einer
homiletisch angemessenen, elementarisierenden Gestalt darzustellen. [13]
Auffällig scheint zunächst die Hinwendung zu alttestamentlichen
Prophetenbüchern zu sein, insbesondere zu den vorexilischen
Gerichtspropheten, die den Untergang Israels ankündigten bzw. Israel zur
Buße mahnten. [14] Das gegenwärtige Deutschland ist das
Israel, dem die Unheilsverheißungen der Schrift gelten. Im Schicksal des
biblischen Volkes soll das Geschick des gegenwärtigen Deutschland, eines
besonderen Territoriums oder einer bestimmten Stadt geschaut werden, sollen
Perspektiven, drohendes Unheil doch noch abzuwehren, aufgezeigt oder
Bewährungsstrategien im Hinblick auf das nahe Ende eingeübt
werden.
Hatten die mit großem
öffentlichen Echo verbundenen Feierlichkeiten aus Anlaß des
Reformationsjubiläums von 1617 [15] eine neuartige
Vergegenwärtigung Luthers und der auf die kämpferische
Auseinandersetzung mit dem antichristlichen Papsttum zugespitzten Akzente seiner
Lehre, verbreitet in einer seit der frühen Reformation nicht wieder
erreichten publizistischen Kampagne, mit sich gebracht, so spielte die
apokalyptische Gegenwartsdiagnostik nun im Angesicht des Krieges eine
herausragende Rolle. Dabei traten weniger die beim Reformationsjubiläum
zwar nicht beherrschenden, aber deutlich vernehmbaren
"konfessionstriumphalistischen" Töne in den Vordergrund, sondern der Ruf
zur Buße. Deutschland solle heute, unter der Bedrohung des
hereinbrechenden Endes, Buße tun und zum Gehorsam gegenüber Gott
zurückkehren. Leiderfahrungen der Gegenwart, Kriegsbedrängnisse, seien
Gottes Strafe für ein unbußfertiges Leben. Die weisheitliche
Tradition eines Tun-Ergehens-Zusammenhangs im Alten Testament bestimmt die
theologische Wirklichkeitsverarbeitung angesichts des Krieges. "Soll Gott seine
Rute und Stecken niederlegen / wir müssen auffhalten ihm durch Sünde
zu widerstreben: Kehret euch zu mir spricht der Herr Zebaoth / so will ich mich
zu euch kehren. Gott gebe uns bußfertige Hertzen", ruft der Rostocker
Theologieprofessor und St. Marien-Pastor Johannes Quistorp d.Ä. seiner
Gemeinde zu [16], in dieser Hinsicht ein typischer Vertreter
lutherischer Predigt in der Zeit des
Krieges. [17]
Der
Dreißigjährige Krieg dürfte im lutherischen Deutschland mit
Intensivierungsschüben apokalyptischer Naherwartung verbunden gewesen sein,
zugleich aber auch mit einer Zunahme der Hoffnung auf ein chiliastisches
Friedensreich, das nach der Zerstörung des römischen Antichristen
anbrechen werde. [18] Die eigene Gegenwart erschien als Durchgangszeit
ungeheuerlicher, endzeitlicher Veränderungen, die in
Gestirnskonstellationen oder apokalyptisch gedeuteten Ereignissen oder Personen
manifest wurden. Der Kanzelruf zur Buße, der in die ausgebreiteten
Gnadenarme des gekreuzigten Gottes treiben wollte, wird wohl eine der wenigen
religiösen, sozialen und konfessionskulturellen Konstanten in den
lutherischen Konfessionsgesellschaften der Kriegszeit gewesen
sein.
Mit der Intensität der Bußpredigt
korrespondierte die Überzeugung lutherischer Prediger, daß die
meisten Menschen ihrer Zeit durch blinde Sicherheit oder durch die im Zuge des
Krieges gesteigerte Sündhaftigkeit und die alltäglich gewordene
Verachtung des göttlichen Wortes der ewigen Verdammnis anheimfielen. Johann
Matthäus Meyfart, einer der bedeutendsten Prediger und Schriftsteller aus
der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, rief aus: "O Herr Jesu / in was
Zeit hast du uns versparet! Ach leider in solche Zeiten / da mancher Kriegsbub
sich öffentlich herfür thut / sagend: Er habe vor etzlichen vielen
Jahren ein Vater unser gebetet / welches jhme noch auß dem Munde stincke.
Seithero aber ers unterlassen / were das Glück mit Hauffen zugeschlagen.
Genug von diesem / die Felsen möchten darüber
zerspringen." [19] Von den durch die apokalyptischen Texte der Bibel
vorausgesagten Zeichen des Endes galt der größte Teil als
erfüllt, so daß - wie Quistorp formulierte - "wir alle Tag und Stund
auffwarten / und bereit sein sollen / damit uns nicht dieser Tag plötzlich
uberfalle / und unbereit
antreffe." [20]
Der geschichtstheologische
Gesamtrahmen, in dem man die eigene Gegenwart deutete, war durch die
Vier-Monarchien-Lehre des apokalyptischen Danielbuches (Kap. 4) geprägt.
Das vierte Weltreich, das Römische, ging aus der Sicht der Zeitgenossen
gerade seinem Ende entgegen. Das aber bedeutet: "es werde bald / wie Daniel
redet / Gott vom Himmelreich / alle Königreich zermalmen und zerstören
/ Himmel und Erden in hauffen werffen / und hergegen ein Königreich darin
er allein herrschen wird / das nimmermehr zerstöret [...] und ewig bleiben
wird / auffrichten." [21] Während das Ende für die Gottlosen
Schrecken bedeutet, gereicht es den Bußfertigen zum Trost. Den
eindrücklichen Schilderungen der in die Gegenwart hineinreichenden
apokalyptischen Schrecken korrespondierten Bilder des mit Christus im
himmlischen Jerusalem [22] vereinigten
Gottesvolkes.
Die lutherische Bußpredigt aus
der Zeit des Dreißigjährigen Krieges ist auch ein sensibler Indikator
wenn nicht der sittlichen und sozialen Zustände als solcher, so doch ihrer
Wahrnehmung durch die Theologen. Denn diese wußten sich für die ihnen
anvertrauten Gemeinden zur Rechenschaft gefordert. Deshalb galt die
öffentliche oder die private Bußzucht durch verantwortungsvolle
Prediger [23] bis an die Schwelle des Pietismus [24] als
Inbegriff geistlicher Amtsführung. In Analogie zu dem Sprichwort: "Weiche
& gelinde Ärzte / machen faule stinckende Wunden" formulierte man:
"auch gelinde Seelenärzte / machen stinckende Seelenwunden." [25]
Nicht die soziale Disziplinierung, sondern die Beseitigung von Heilshindernissen
war das vorrangige Anliegen lutherischer Bußpredigt und Kirchenzucht, auch
und zumal in den von sozialen Dekompositionsprozessen begleiteten Zeiten des
Krieges.
In ihrer Grundtendenz zielt die
lutherische Bußpredigt darauf ab, die eigene Gemeinde und Kirche, das
Gottesvolk, die von den Evangeliumspredigten angesprochenen Erwählten
Gottes, zu läutern bzw. sie wegen ihrer Verstrickung in "weltgreuel" wie
"Gottes lästerung / fluchen / meineid / hurerey" [26] zu strafen.
In bezug auf die konkrete Umgangsweise mit den politischen Herausforderungen des
Krieges wirkt gerade die Bußpredigt als kritisches Korrektiv
gegenüber einer protestantischen Kriegspolitik unter Führung Gustav
Adolfs, die "fette Praebenden, nicht [...] die Religion" erstrebe, die "Land und
Leute an die Spitzen des Degens gewaget" und die Unschuldige, auch
"glaubensgenossen", "frawn und Jungfrawen", "ja viel 1000 menschen elendiglich
auf die fleisch banck geliefert" habe. [27] Unter den zusehends in
heterodoxe Milieus abgedrängten "Antikriegspropheten" [28] spielten
entsprechende Bußappelle, häufig verbunden mit chiliastischen
Auffassungen, eine herausragende
Rolle.
Lutherische Theologen lehnten
Begründungstheorien für "heilige Kriege" im Namen der Religion
grundsätzlich ab. Sie lehrten, daß "man [...] auch einer ketzerischen
Oberkeit / wann sie schon zu ihrer Ketzerey die Unterthanen zwingen wil / mit
Wehr und Waffen nicht wider streben" [29] solle. Dem Vertrauen auf
Gottes Weltregiment gemäß sollte auch der Kampf gegen das
antichristliche Papsttum allein mit geistlichen Waffen geführt werden. Das
eigentliche Ziel einer Politik der evangelischen Stände war darauf
gerichtet, die Restitution des Augsburger Religionsfriedens von 1555, der den
"Augsburgischen Konfessions-Verwandten" ihr politisches Leben im Verband des
Reiches garantiert hatte, zu erreichen. Das die militärischen Erfolge des
Kaisers krönende, die "absolute Priorität" seiner
"gegenreformatorische [n] Katholizität" [30] offenbarende
Restitutionsedikt von 1629 brachte freilich eine neuartige militärische
Bedrängung des Protestantismus hervor, die auch auf die geistliche und
theologische Verarbeitung der Kriegsfrage zurückwirkte. Der Leipziger
Konvent zahlreicher lutherischer und reformierter Reichsstände und
Reichsstädte von 1631, dessen politisches Ziel in der Aufrichtung einer
dritten Macht zwischen dem Kaiser und Schweden bestanden hatte und der neben der
politischen Annäherung der konfessionell getrennten Reichsstände und
Reichsstädte auch konfessionstheologische Verständigungen
förderte [31], wurde von bisher für das deutsche Luthertum
untypischen politisch und militärisch offensiven theologischen
Deutungsmustern begleitet. [32] Diese Tendenz spiegelt sich besonders in
Predigten des in kursächsischen Diensten stehenden Dresdener
Oberhofpredigers Matthias Hoë von Hoënegg [33], die zur
Eröffnung und zum Abschluß des Konvents gehalten wurden, denen also
für die publizistische Wirkung der Versammlung eine beträchtliche
"offizielle" Bedeutung zuerkannt werden muß. In seiner
Eröffnungspredigt über den 83. Psalm, ein Klagelied des Volkes Israel
im Angesicht eines Bundes von Feinden [34], deutet Hoë die
Situation der als Volk Gottes verstandenen evangelischen Stände in Analogie
zum Gottesvolk Israel und bezieht das Psalmwort "Wir wollen die Häuser
Gottes einnehmen" (Ps 83,13) auf das kaiserliche Restitutionsedikt. Die
Gottesfeinde seien die auf den "Römischen Antichrist" eingeschworenen
Ligisten [35], deren Bund gegen Gott selbst gerichtet sei. Das
Gottesvolk sei in Bedrängnis geraten, weil es "noch nicht recht oder genug
Buß gethan" [36] habe; wenn es aber "heute / heute" Buße
tue, werde Gott sich ihm wieder zuwenden, werde er die Feinde zerschmettern,
werde er "Werkzeuge", ja einen "Edeln Held" senden, "der das Papstum geschwinde
darnieder reisse" [37] und der des Herren Krieg [38] führen
werde. Die bedrängte Situation des Protestantismus und die offenkundige
Absicht der Gegenseite, "das Pabstthumb allenthalben wider
uffzurichten" [39], fordert die Kriegsführung um der Religion
willen. Schon vor dem im Sommer 1631 vollzogenen militärischen
Schulterschluß Kursachsens und Kurbrandenburgs mit Gustav Adolf, dessen
Auftreten auch von deutschen Lutheranern zumeist euphorisch begrüßt
und in heilsgeschichtlichen Kategorien - nicht selten vor dem Hintergrund der
seit den 1620er Jahren massenhaft verbreiteten, auf ihn bezogenen paracelsischen
Verheißung eines "Löwen aus Mitternacht" [40] - gedeutet
wurde, drangen für das deutsche Luthertum bisher völlig
uncharakteristische Auffassungen auch in Predigten in den Vordergrund. Die
aufgeheizte, durch den Fall Magdeburgs [41] dramatisch zugespitzte
Entscheidungssituation schien der Anfang vom Ende der Geschichte, die
apokalyptische Schlacht zwischen den Kindern des Lichts und den Mächten der
Finsternis zu sein.
Die
theologisch-heilsgeschichtliche Legitimation der Kriegsführung im Namen des
Glaubens stellt freilich einen, aufs Ganze der lutherischen Predigtproduktion in
der Zeit des Krieges geurteilt, zwar instruktiven, gleichwohl untergeordneten
Aspekt dar. Und auch wenn man an der göttlichen Sendung Gustav Adolfs
festhielt, so wurde das Ziel einer definitiven Vernichtung des römischen
Antichrists mit dem weiteren Fortgang des Krieges in Kursachsen und den ihm
nahestehenden Territorien auf das pragmatische Ziel des freilich wegen der
Preisgabe einer gemeinprotestantischen Koalition höchst umstrittenen Prager
Separatfriedens mit dem Kaiser von 1635 zurückgenommen. [42] Die
theologische und juristische Rechtfertigung des Prager Friedens, die von
lutherischen Theologen in Gutachten, Predigten und Flugschriften vorgetragen
wurde, legitimierte die in dem Friedensschluß vollzogene Preisgabe
evangelischer Religionsfreiheit in Böhmen, Mähren, Schlesien und
Österreich mit dem ius reformandi des kaiserlichen Landesherrn und
bewegte sich damit durchaus auf jener von lutherischen Theologen bevorzugt
vertretenen Linie, die der Bewahrung bzw. Restitution des Augsburger
Religionsfriedens und der Reichsverfassung eine unbedingte Priorität
einräumte. Bei dem prominentesten lutherischen Theologen der Zeit, dem
Jenenser Professor Johann Gerhard, war gerade die Bejahung des politischen
Vernunftfriedens von Prag Grund zum Dank an Gott und - freilich unzeitige -
Hoffnung, daß "das nur gegenwärtigen Tod erfahrende Deutschland von
dem Marterbett seine geschundenen Glieder
erhebe." [43]
Der 1648 endlich
geschlossene Friede wurde vornehmlich - wie es scheint - von den Protestanten
gefeiert [44] und von evangelischen Theologen in Dankespredigten, die
zumeist aus Anlaß des Nürnberger Exekutionsschlusses vom 20.6.1650
gehalten wurden und im Druck erschienen, gewürdigt. Im Vordergrund stand
dabei die dauerhafte Bestandssicherung der weltlichen Lebensordnung und der
eigenen Konfession. Zugleich waren mit dem Friedensschluß Hoffnungen auf
eine Intensivierung der Religion verbunden: "Die recht Religion mit Creutz und
Buch geziert / Wird mit dem Friden auch zugleich hierein geführt",
hieß es in einem Augsburger
Flugblatt. [45]
Die lutherischen Theologen
schärften in ihren Dankespredigten vor allem ein, daß der Friede eine
Gabe Gottes sei, der es in einer ernsthaften Bußgesinnung zu entsprechen
gelte. Einer Kritik am Friedensschluß, die sich darauf bezog, daß
das Papsttum keiner endgültigen Vernichtung zugeführt und die
chiliastische Erwartung eines Fünften Reiches der Heiligen nicht
verwirklicht worden sei, wurde seitens lutherischer Theologen wie dem Esslinger
Prediger und späteren Tübinger Professor Tobias Wagner scharf
entgegengetreten. [46] Wagner setzte dieser theologisch-politischen
Einschätzung die Auffassung entgegen, daß die Vierte Monarchie, das
Imperium Romanum, das bis zum Ende der Welt bestehen werde, durch das
Westfälische Friedenswerk "in Sicherheit und Ruhe gesetzt" [47]
worden sei. Die Restitution der Vierten Monarchie lasse "alle profan
Gedancken" [48], die in dem Friedensschluß lediglich ein Werk
menschlicher Klugheit sehen, in den Hintergrund treten. Der Kirche ist mit dem
von Gott heraufgeführten Frieden eine "Gnadenzeit" eingeräumt, in der
"die Evangelische Kirch wieder Lufft hat"; er ist ein Praeludium der "Ewige [n]
Herrligkeit" [49], aber zugleich Anlaß, sich der Notwendigkeit,
Buße zu tun, mit Gott Frieden zu machen und des kommenden Gerichts
eingedenk zu sein, zu erinnern. Mit dieser Haltung trugen die lutherischen
Friedensprediger maßgeblich zur religiösen und theologischen Bejahung
einer Friedensordnung bei, der eine den Religionskonflikt im Reich dauerhaft
paralysierende Wirkung beschieden sein sollte.
Die
von dem Straßburger Theologen Johann Conrad Dannhauer vertretene
Auffassung, der Westfälische Friede sei ein "höchstgefährliche [r]
fride" [50], weil er zu weltförmigem Lebensglück und
Unbußfertigkeit Anlaß gebe und deshalb von der gebotenen
Zurüstung auf den nahen Jüngsten Tag abhalte, scheint hingegen
für die im Luthertum verbreitete Umgangsweise mit dem Frieden nicht
charakteristisch gewesen zu sein. Die von Dannhauer beschworene Gefahr bestand
darin, daß man nun meinte, "von Gottes Satzungen frey" zu sein und sich
nur "nach der Politik und Weltlauff" [51] zu richten habe. Dannhauers
Position befand sich in einer unvermittelbaren Spannung zu einem
Lebensgefühl, das sich nach dreißigjähriger Lebensminderung und
Bedrohung der weltlichen Hoffnung auf irdisches Lebensglück hingeben
wollte.
Auch die Friedensfreude der lutherischen
Prediger im Angesicht des Westfälischen Friedens war - unbeschadet aller
nachdrücklichen Bejahung dieser guten Gabe Gottes - von der Erinnerung an
die im Krieg erfahrene Strafrute des Herrn der Geschichte und der
fortwährenden Mahnung zur Buße begleitet. Der Lobpreis des fast
uneingeschränkt bejahten weltlich-politischen Friedens war für die
lutherischen Friedensprediger zugleich ein Umkehrruf zum Gott des Friedens: "So
haben wir demnach überaus große Ursach, zwar mit inniglicher
Herzensdemut zu Gottes Ehr und Lob zu jubilieren und zu sagen: Es ist Friede, er
ist aus dem Rachen der Friedenshasser und blutgierigen falschen Leute
herausgerissen, aber nicht: es hat durchaus keine Gefahr, sondern vielmehr uns
aller Sicherheit zu entschlagen und dem vom Himmel erschienenen Frieden mit
gottseligem Eifer, Andacht, Gebet und inbrünstiger wirklicher Dankbarkeit
entgegenzugehen." [52]