DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
HEINZ SCHILLING Die Konfessionalisierung Europas - Ursachen und Folgen für Kirche, Staat, Gesellschaft und Kultur |
Dreißigjähriger Krieg und
Westfälischer Friede waren auch und vor allem Ausdruck von Spaltungen und
Spannungen in der westlichen, lateinischen Christenheit, die mit dem
Frömmigkeitsaufbruch des späten Mittelalters und der aus ihm
hervorgewachsenen Reformation einsetzten und deren Höhepunkt in der
Konfessionalisierung des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts lag.
Insbesondere die Konfessionalisierung war ein vielschichtiges Geschehen, das auf
die eine oder andere Weise nahezu alle Bereiche des öffentlichen und
privaten Lebens erfaßte und diese tiefgreifend veränderte. Das ist
gemeint, wenn in der jüngeren Geschichtswissenschaft von der
Konfessionalisierung als von einem "gesellschaftlichen
Fundamentalprozeß" [1] die Rede ist. Betroffen war natürlich
in erster Linie die Kirche selbst. Ihre mittelalterliche Einheit zerbrach in
drei neuzeitliche Konfessionskirchen, die sich jeweils als die eigentliche und
reine Gemeinde Gottes verstanden und sich daher erbittert bekämpften - die
lutherische, die reformierte oder calvinistische und die tridentinische.
Letztere nannte sich weiterhin katholische
Kirche, war aber mit der den drei neuzeitlichen Konfessionskirchen gemeinsamen
mittelalterlichen Vorgängerkirche genausowenig identisch wie ihre beiden
reformatorischen Konkurrenten. Hinzu kamen die chrétiens sans
église [2], die die reformatorische Freiheit radikal
auffaßten und keiner der Konfessionskirchen angehören mochten und
daher von allen dreien um so erbitterter bekämpft wurden - Täufer,
Antitrinitarier, Spiritualisten, Mystiker, Familiaristen, Libertiner und
ähnliche Gruppierungen mehr. [3]
Kaum
weniger nachhaltig wirkte sich die Konfessionalisierung im Staat und in der
Politik, in der Gesellschaft und im sozialen Leben, bei den Glaubens- und
Verhaltensnormen des einzelnen und der sozialen Gruppen und last but not
least in der Kultur, ja selbst in den Wissenschaften aus. All das waren
außerordentlich vielschichtige und komplexe Vorgänge, die zudem alles
andere als widerspruchsfrei waren und nur zu häufig von gegenläufigen
Tendenzen gebremst oder überdeckt wurden. Die folgende Skizze kann nur
beispielhaft verfahren und keineswegs auch nur das Wichtigste vollständig
darstellen.
I. Kirche und religiöses
Leben
Der für die Ereignisse des 16. und 17.
Jahrhunderts, aber auch darüber hinaus folgenreiche Wandel in den Kirchen
und in dem von ihnen bestimmten religiösen Leben läßt sich als
Formierung und Kontrolle sowie - mit Blick auf die kirchlichen Amtsträger -
als Professionalisierung beschreiben. Formierung und Kontrolle bezogen sich
zuerst und vor allem auf die Lehre und das Dogma. Jede der drei
Konfessionskirchen bildete einen für die kirchliche Hierarchie ebenso wie
für die "Laien"-Mitglieder verpflichtenden Kanon von Lehrsätzen und
Riten aus, der genauestens definierte, was orthodox war und was nicht. Seine
Einhaltung war daher leicht kontrollierbar und wurde auf mannigfaltige Weise
auch tatsächlich und alltäglich kontrolliert. Vor allem in den
Bekenntnissen oder confessiones, die dem "konfessionellen" Zeitalter den
Namen gaben, war niedergelegt, was die eigene religiöse und kirchliche
Identität ausmachte und wo die Grenze zu der als häretisch
stigmatisierten Lehre der konkurrierenden Konfessionskirchen verlief. Die
wichtigsten dieser Konfessionen, auf die das Personal der Kirche, aber
häufig auch die weltlichen Amtsträger des Konfessionsstaates eidlich
verpflichtet wurden, waren die Confessio Augustana von 1530, zugespitzt
im Konkordienwerk von 1580 auf seiten des Luthertums; die Confessiones
Helveticae von 1536 und 1566, die Confession de Foi von 1559 der
französischen Hugenotten und die Confessio Belgica von 1561, die
Beschlüsse der Dordrechter Synode von 1619, in gewisser Hinsicht auch der
Heidelberger Katechismus von 1563 auf seiten der Reformierten; schließlich
die Beschlüsse des Konzils von Trient (1545-1563), kondensiert in der
professio fidei Tridentina von 1564 bei den
Katholiken.
Es war zuerst das eigene Personal, das
die Kirchen mit diesen Konfessionen geistig und sozial neu formierten. Die
kirchlichen Amtsträger von der Pfarr- und Seelsorgegeistlichkeit über
die mittleren Instanzen der Bischöfe oder Superintendenten bis hin zur
Kirchenleitung in den landes- oder nationalkirchlichen Konsistorien und
Geistlichen Räten oder an der Römischen Kurie wurden neu organisiert
und den konfessionellen Glaubens- wie Verhaltensnormen unterworfen. Gleichzeitig
damit erlebten zumindest Teile des kirchlichen Personals einen neuzeitlichen
Professionalisierungsschub, der sie auf den Beruf des Seelsorgers und Predigers
ausrichtete. Gemeinhin hält man die Verbesserung der Ausbildung und die
besondere Vorbereitung der Pfarrer auf ihre Tätigkeiten in und an der
Gemeinde für ein exklusiv protestantisches Ereignis. Dem steht entgegen,
daß die Katholiken sich bereits früh des Vorsprunges der Protestanten
auf dem Feld der Bildung bewußt wurden und sich ans Aufholen machten. Das
bezeugt kein geringerer als Petrus Canisius (1521-1597), der "Zweite Apostel
Deutschlands", der bereits 1576 klagte: "Es ist ja wirklich traurig, daß
die Katholiken in Deutschland nun wenig und noch dazu ganz armselige
Universitäten haben", und alles daransetzte, dies zu
ändern. [4] Erziehung und Bildung wurden auch aufs Panier der
katholischen Konfessionalisierung geschrieben, zum Wohle der Laien, aber auch,
um die Geistlichen besser für ihren Beruf zu rüsten. Neuere
Forschungen konnten dann auch zeigen, daß in der Realität der
Unterschied zwischen protestantischer Pfarrerschaft und katholischem Klerus gar
nicht so groß war und daß auch die katholische Konfessionalisierung
durchaus eine gebildete, zur Seelsorge und Predigt befähigte
Gemeindegeistlichkeit
hervorbrachte. [5]
Während sich diese
Veränderungen in der Ausbildung, in der sozialen Stellung sowie im Selbst-
und Rollenverständnis der lutherischen, reformierten und katholischen
Geistlichkeit eher langfristig über die Generationen hin vollzog, wirkten
die Ausgrenzungs- und Konfrontationsmechanismen der Konfessionalisierungen
sofort und unmittelbar. In Bibliotheken von Kommentaren, Auslegungen und
Kontroversschriften wurden im letzten Drittel des 16. und im frühen 17.
Jahrhundert die dogmatischen Unterschiede bis ins kleinste entfaltet und
für den religiösen Alltag in Gemeinde und Familie aufbereitet. Einiges
- wie etwa die Heiligenverehrung, die Rechtfertigungslehre oder das
Sakramentsverständnis, z.B. im Fall der Ehe - ist auch heute noch
Gegenstand konfessionskundlicher Abhandlungen. Die Diskussionen erfolgen
allerdings längst im ökumenischen Horizont gegenseitiger Bereitschaft
des Verstehens und innerchristlicher Verständigung. Im 16. Jahrhundert
dagegen war die konfessionell-theologische Auseinandersetzung noch ganz und gar
agonal, d.h. auf die geistige, nicht selten auch physische Vernichtung des
Gegners ausgerichtet.
Seit den 1570er Jahren
spitzte die Kontroverstheologie allenthalben in Europa die geistige und
politische Konfrontation der Eliten zu und begleitete die Organisation der
europäischen Mächte in Militär- und Allianzblöcke
propagandistisch. Indem auch die Prediger und Seelsorger in den Städten wie
in den Dörfern sich in diese konfessionellen Kontroversen einspannten und
den Gläubigen allsonntäglich von der Kanzel herab die
Gottgefälligkeit der eigenen und die Verteufelung der anderen Lehre
einhämmerten, war für eine "ideologische" Verankerung der
religiösen und politischen Gegensätze in breiteren Schichten gesorgt.
Flugblätter, die bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein den
Glaubensstreit begleiteten, taten ihr übriges, zumal wenn sie ihre
Botschaft in einprägsamen Versen und Liedern auf schlagkräftige
Melodien verkündigten. [6] Die Katholiken, voran die Jesuiten,
hatten längst erkannt, daß Luthers Lieder mehr Seelen gewonnen -
beziehungsweise, in ihren Augen, in die ewige Verdammnis geführt - hatten
als Predigt und Seelsorge. Und so setzten auch sie Lieder und Musik ein, um
unter jung und alt die eigene Glaubenswahrheit zu propagieren, aber auch um die
Gegner zu verspotten, so wie diese manch gehässiges Lied auf Papst und
Klerisei dichteten und
komponierten. [7]
Die geistige und
emotionale Aufrüstung der Konfessionslager war um so wirksamer, als es um
mehr als die irdisch-zeitliche Existenz ging, nämlich um das ewige
Seelenheil. Zudem wurden die dogmatischen Differenzen, deren subtile
theologische Begründung nur wenige verstanden, massenwirksam vereinfacht
und aussagekräftig zugespitzt auf bestimmte alltäglich erlebbare Riten
und symbolische Handlungen. Das gilt auf seiten des erneuerten Katholizismus vor
allem für die Heilige Messe und die Prozessionen, die die Protestanten in
dem Maße als überholtes magisches Brimborium verspotteten, wie sie
den Katholiken zur identitätsstiftenden Mitte ihres Glaubens wurden. Diese
unheilige Zuspitzung führte 1607 in Donauwörth anläßlich
der Markusprozession zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen katholischer
Minderheit und protestantischer Mehrheit unter den Bürgern. Im
Anschluß an diesen reichsweit beachteten Konflikt kam es zur
militärischen Aufrüstung der deutschen Konfessionsblöcke, die
sich am 14. Mai 1608 zur protestantischen Union und am 10. Juli 1609 zur
katholischen Liga zusammenschlossen.
Vielleicht
noch wirksamer und explosiver als im Fall der Prozessionen waren die
Gegensätze im Verständnis der Eucharistie beziehungsweise des
Abendmahls, die ebenfalls ganz konkret als augenfällig unterschiedliche
Riten am Tisch des Herrn erlebbar waren. Das betraf nicht nur den Unterschied
zwischen Protestanten und Katholiken, der in der katholischen Elevation, das
heißt der feierlichen Erhebung der zum Leib Christi gewandelten Hostie,
und im protestantischen Laienkelch jedem verständlich sichtbar wurde. Auch
Lutheraner und Reformierte feierten das Abendmahl unterschiedlich - die einen
ähnlich sakral-feierlich wie die Katholiken unter Verwendung von Oblaten,
die anderen häufig um einen Tisch sitzend und einfaches Brot essend. Und da
dies Ausdruck tiefgreifender Differenzen in der Deutung des Abendmahlsgeschehens
war - "das ist mein Leib" für die Lutheraner, "das bedeutet
mein Leib" für die Reformierten -, kam es auf dem Höhepunkt des
Konfessionalismus immer wieder zu beißendem Spott: "Menschenfresser"
wurden nicht selten die Lutheraner gescholten, "Brotfresser" und Profanierer des
heiligen Mahles umgekehrt die Reformierten. Für die Mehrheit vollends
unakzeptabel waren die extrem spiritualistischen Gruppierungen, wenn sie - wie
aus der Frühzeit der ostfriesischen Reformation überliefert - statt
des Weines im Kelch zum Abendmahlsbrot Bier aus gewöhnlichen Gläsern
tranken.
In dieser Situation allumfassender und
alltäglich erlebbarer Konfrontation wurden die Jahrzehnte um 1600 zu einer
Zeit eschatologischer Unruhe und engster Rückbindung des irdischen
Geschehens an den Willen Gottes - im Sternen- und Kometenglauben, aber auch in
der Predigt über Krieg und Frieden. [8] Auf dem Höhepunkt des
Konfessionalismus, der zugleich eine Jahrhundertwende war, beobachteten
Fürsten und Politiker ebenso wie Obristen, Handwerker oder Bauern,
Theologen gleichermaßen wie Juristen und Naturwissenschaftler gebannt den
Sternenhimmel, um Zeichen für die Zukunft zu erhalten. Zwar waren die
systematischen Himmelsbeobachter früherer Generationen längst zu der
Erkenntnis gekommen: "Kometen sind keine Propheten". Doch als 1618 Kometen am
Himmel erschienen, nahm man sie sogleich begierig als Propheten auf und deutete
sie so, wie man sie deuten wollte. Innerhalb weniger Wochen erschienen rund
einhundertzwanzig Kometenflugschriften, die eine Zeit des Schreckens
ankündigten. In den Kirchen wurden "Kometenpredigten" gehalten, die zur
Buße mahnten. Die Theologen beriefen sich auf Jesaja, der "weissaget,
daß in diesen letzten Zeiten die Wölfe bei den Schafen werden
wohnen". Vor allem die Calvinisten leiteten daraus den Auftrag ab, noch
entschiedener vorzugehen gegen das Laster und das Sektierertum im Innern und
nach außen gegen den Antichristen in Rom und Madrid. Gereizt und gespannt
war die Stimmung vor allem im Nordwesten des Reiches an der Nahtstelle der
Systeme, wo sich am Dollart ein calvinistisch-niederländisch geführter
und ein katholisch-spanischer Machtblock gegenüberstanden, bis 1594
Groningen in die Hand der Holländer fiel. Der Keim des Verderbens lauerte
überall: Die schwangeren Frauen - so malten es die calvinistischen Eiferer
an die Wand - drohen, "mit dem bösen Feind beschwert" zu werden, wenn
Theologen und Politiker der "antichristlichen Gaukelei" und der Vermischung von
göttlicher und satanischer Ordnung nicht entschieden wehren. Selbst der
Hexenwahn erhielt in dieser Situation neuen
Auftrieb. [9]
Doch nicht nur blinder
Glaubenseifer, Haß und Inquisition - der Sache nach den protestantischen
Konfessionskirchen kaum weniger unbekannt als der katholischen - waren die
Folgen der Konfessionalisierung von Kirchen und religiösem Leben, sondern
auch die Erneuerung von Seelsorge, Spiritualität, Frömmigkeit und
religiöser Kultur allgemein. Es war die Zeit der frommen Postillen, der
anrührenden Leichenpredigten, des geistlichen Liedes. Besonders
ausgeprägt war das bei den Lutheranern, allen voran bei Paul Gerhardt
(1607-1676), in dessen Liedern Kriegsnot und Zuversicht, Verzweiflung und
Gottvertrauen des Zeitalters zu großartigen allgemeingültigen Versen
zusammenflossen, die sich die evangelischen Christen erst heute und ohne
überzeugenden Ersatz zu vergessen anschicken. Nicht weniger beeindruckend
sind aber auch die Psalmengesänge der Calvinisten oder die geistliche
Barocklyrik des Katholizismus, etwa in der 1634 veröffentlichten Sammlung
"Trutz-Nachtigal oder Geistliches Poetisch Lustwaeldlein" des Trierer Jesuiten
Friedrich Spee von Langenfeld
(1591-1635). [10]
Es war zugleich die Zeit
des Aufbruchs zu neuen Formen christlicher Vergemeinschaftung. Bei den
Katholiken blühten neue oder reformierte Orden auf, die Jesuiten zumal, und
auch die Laien erfuhren mit Inbrunst eine Neuorganisation, etwa in den
Marianischen Kongregationen und ähnlichen Bruderschaften, die neuen
Methoden der christlichen Geselligkeit, aber auch der individuellen
Selbstchristianisierung und einem vertieften Verständnis von Ehe und
Familie verpflichtet waren. [11] Auf ganz anderer theologischer und
rechtlicher Grundlage, aber als Christianisierungsschub im alltäglichen
Leben ganz ähnlich, entwickelten die Calvinisten ihre intensive
Nachbarschaftlichkeit und brüderliche bzw. schwesterliche Nähe der
presbyterial verfaßten Gemeinden, die genauestens darauf achteten,
daß kein sündiges und unwürdiges Glied die reine Gemeinschaft
der Heiligen befleckte. [12] Dieser neue, hohe Anspruch führte etwa
in den Niederlanden dazu, daß gerade in überwiegend calvinisierten
Gegenden nur ein kleiner Teil der Stadt- und Dorfbewohner Mitglied der
calvinistischen Gemeinde wurde, während die Mehrzahl als "liefhebbers",
also "Liebhaber" oder Sympathisanten, nur locker angeschlossen war, bis sie sich
selbst würdig zur Vollmitgliedschaft
fühlten. [13]
Zu einem gewissen Grad
war auch die Überwindung des Konfessionalismus der lebendigen Diskussion
der Theologen geschuldet. So wie die Wende vom Krieg zum Frieden in den 1640er
Jahren ohne die im Einleitungsteil beschriebene Friedensfähigkeit auch des
konfessionalisierten Christentums undenkbar ist [14], so auch der
Durchbruch zu einer neuen Frömmigkeit nicht ohne die Debatten der
konfessionellen Orthodoxie. Geboren und zuerst öffentlich propagiert wurden
Irenik und Forderung nach religiöser Duldung allerdings im Lager der
chrétiens sans église und des vor- oder
überkonfessionellen Späthumanismus. [15] Bereits vor dem Krieg
traten diese Kreise mit einzelnen Flugblättern an die Öffentlichkeit,
etwa mit dem berühmten Blatt "Geistlicher Rauffhandel", auf dem Luther,
Calvin und der Papst sich in den Haaren liegen, während die fromme
"Einfalt" betet: "Gott helfe den Verirrten allen". [16] Daß diese
frühen Rinnsale schließlich zu einem breiten Strom anschwollen, ist
aber dem Aufbruch in den Konfessionskirchen selbst zu danken - zur
Herzensfrömmigkeit des Pietismus auf seiten der Protestanten und zum
Jansenismus als Korrektur der amtskirchlichen Orthodoxie bei den
Katholiken. [17] Selbst der erwähnte Glaube an Wunder und
Prodigien, d.h. an Vorzeichen guter oder schlechter Ereignisse, der wesentlich
zur Erregtheit und Kampfbereitschaft der Jahrzehnte um 1600 beigetragen hatte,
wurde im Kern nicht durch eine anti- oder außerkirchliche Wende der
Frühaufklärung, sondern durch theologisches Spezifizieren und
Differenzieren innerhalb der Konfessionskirchen selbst überwunden. In der
"Welt der Wissenschaft" waren für das "neu entstehende Bild von der Natur",
das keine wundersamen Vorkommnisse mehr zuließ, Entwicklungen in der
Naturphilosophie weit weniger wichtig als die Tatsache, daß "Autoren aller
Konfessionen im 17. Jahrhundert immer skeptischer gegenüber angeblichen
Wundern [wurden], welche der Unterhaltung von Massen dienten, die Moral
verspotteten, Zielen von Sekten Vorschub leisteten [und] den Aberglauben
schürten". [18]
II. Staat und
Gesellschaft
Staat, Politik und Gesellschaft, die
in Alteuropa stets eng mit Religion und Kirchen verzahnt waren, wurden in
mannigfaltiger Weise im Zuge der Konfessionalisierung verändert. Direkt im
Protestantismus, indirekt und in komplizierter Abstimmung mit der
Universalkirche bei den Katholiken übernahm der Staat wichtige
administrative Befugnisse über die jeweilige National- und Landeskirche und
gewann damit zugleich neue, ehemals kirchliche Kompetenzen - vor allem in bezug
auf das Kirchengut und die sogenannten res mixtae oder Misch-
beziehungsweise Zwischendinge zwischen Religion und Politik, also über Ehe,
Erziehung und Bildung sowie Armen-, Kranken- und Sozialfürsorge. Die
Gesellschaft geriet in einen kräftigen Sog des Wandels: Gleichzeitig mit
den sozialen, politischen und institutionellen Spielregeln des frühmodernen
Flächenstaates sah sie sich mit den Glaubens-, Verhaltens- und christlichen
Sozialformen der Konfessionskirchen konfrontiert, die die neue politische
Ordnung geistig-sakral legitimierten und wie diese auf Vereinheitlichung,
Formierung und Normierung ausgerichtet
waren.
Beides, die Formierung des Staates wie der
Gesellschaft, war ein Prozeß von Generationen, und der Anteil der
Konfessionalisierung daran war von Land zu Land und in den einzelnen Zeitphasen
sehr unterschiedlich. Am Vorabend und während des
Dreißigjährigen Krieges standen die sozialen, geistigen und
politischen Formierungen im Zeichen des Konfessionalismus im Vordergrund.
Zeitlich parallel und mit ganz ähnlichen Mitteln wie die erwähnte
Straffung und Neuorganisation des kirchlichen Personals und der christlichen
Gemeinden erfolgte die geistige und institutionelle, nicht selten auch
körperliche Formierung der Beamtenschaft, des Hofes, der Armeen und weiter
Teile der Untertanenschaft. Die zeitliche wie sachliche Verschränkung tritt
etwa bei den frühmodernen Söldnerarmeen zutage, die im Zuge der
europäischen Konfessionalisierung durch Eid, Drill, soziale Kontrolle und
Disziplinierung, Korpsgeist der Offiziere und Verpflichtung auf ein
religiös-konfessionelles Ethos neuzeitliche Gestalt annahmen. "San Jago
España; Sante Jorge Imperio" hieß bereits die Losung des
kaiserlich-spanischen Heeres, als es am 24. April 1547 bei Mühlberg an der
Elbe gegen die Führer des deutschen Protestantismus losschlug [19] .
Bei der Schlacht am Weißen Berg, die am 8. November 1620 den
Dreißigjährigen Krieg eröffnete, wurde dem katholischen Heer ein
großer, elfenbeinerner Kruzifixus vorangetragen, und es galt die Losung
"Santa Maria". [20] Protestantische Söldnerführer aus dem
norddeutschen landsässigen Niederadel ließen sich zwar noch lange
durch die Finanzkraft der katholischen Spanier locken, wollten sich aber "widder
Gottes Wort keineswegs [...] geprauchen lassen". Der Oberst Hilmar von
Münchhausen bestand sogar auf einer formellen Festlegung in seinem
Anstellungsvertrag, "gegen die reine lhere der augspurgischen confession tzu
dienen keinesweges verbunden (zu) sein". [21] Wie beim Klerus ging auch
im Falle der Armee die soziale und geistig-ideologische Formierung einher mit
einem Professionalisierungsschub, besonders ausgeprägt in der sogenannten
Oranischen Heeresreform, die in den nördlichen, calvinistischen
Niederlanden ausgangs des 16. Jahrhunderts ein vorzüglich organisiertes und
effektives Berufsheer auf die Beine stellte.
Doch
nicht nur die Heere und die politischen und höfischen Eliten, sondern auch
die Fürsten selbst gerieten in den Sog der konfessionellen Konfrontation.
Sie ließen sich immer häufiger durch führende
Theologieprofessoren oder - im Falle der Katholiken - durch Beichtväter,
meist aus dem Jesuitenorden, beraten. Besonders ausgeprägt war das bei
Herzog, später Kurfürst Maximilian I. von Bayern und Adam Contzen, SJ,
sowie bei Kaiser Ferdinand II. und dem Jesuiten William Lamormaini, der seit
1624 als kaiserlicher Beichtvater das kirchliche und politische Programm des
Habsburgers maßgeblich
mitprägte. [22]
Selbst die Zeit wurde
konfessionell: Papst Gregor XIII. führte 1582 mit der Bulle "Inter
gravissimas" einen neuen Kalender ein. Dabei ging es darum, die Fehler in der
Zeitrechnung zu korrigieren, die sich in der alten, noch auf Caesar
zurückgehenden Julianischen Zeitrechnung eingeschlichen hatten, weil dieser
ein gegenüber der objektiven Zeit etwas zu kurzes Jahr zugrunde lag. Um die
über die Jahrhunderte aufgelaufene "Fehl-" beziehungsweise "Überzeit"
zu beseitigen, ließ der Papst in seinem neuen Kalender zehn Tage
fortfallen und verfügte, daß auf den 4. Oktober 1582 sogleich der 15.
Oktober folgen solle. Diese Reform entsprach den objektiven Notwendigkeiten. Sie
war wissenschaftlich, nicht religiös bedingt. Und auch, daß der Papst
sie in die Hand nahm, war an sich nicht außergewöhnlich, war die
Zeitrechnung doch eine überstaatliche Angelegenheit und der Papst die
einzige Instanz überstaatlichen Zuschnitts im damaligen
Europa.
Auf dem Höhepunkt der
Konfessionalisierung war der Konflikt aber unvermeidlich. Für die
Protestanten war der Gregorianische Kalender zwangsläufig "katholisch" und
seine Übernahme ganz undenkbar. Damit war Europa auch in der Zeitrechnung
zweigeteilt - die Katholiken waren fortan den Protestanten zehn Tage voraus,
jede der Parteien lebte an einem anderen Wochentag, und auch der Jahresbeginn
war ein anderer, der 1. Januar in den katholischen, der 1. März, wie im
Julianischen Kalender, in den protestantischen
Ländern.
In Deutschland, wo Katholiken und
Protestanten so eng zusammenlebten, verursachte das große Komplikationen
und Aufregungen, bis hin zum handgreiflich ausgetragenen Kalenderstreit in der
bikonfessionellen Reichsstadt Augsburg. Im Mai 1584 kam es dort zu einem
veritablen Aufstand protestantischer Bürger, als der evangelische Pfarrer
Mylius von St. Anna wegen seiner Opposition gegen die vom Magistrat
verfügte Einführung des Gregorianischen Kalenders der Stadt verwiesen
werden sollte. Als sich der Magistrat nach außerordentlich schwierigen
Verhandlungen 1586 dann doch durchsetzte und in der Stadt der Gregorianische
Kalender eingeführt werden konnte, wurde die neue Zeitrechnung von den
Protestanten innerlich nicht akzeptiert: Immer wieder wurden Protestanten
ertappt, die an den Sonntagen des neuen Kalenders arbeiteten oder an einem
Werktag ins Umland zum Gottesdienst liefen, weil nach dem Julianischen Kalender
Sonntag war. Und als im Dreißigjährigen Krieg die Schweden Augsburg
eingenommen hatten, setzten die Protestanten umgehend die Rückkehr zum
Julianischen Kalender durch. In den meisten protestantischen Städten und
Territorien des Reiches überlebte der alte Kalender auch den
Westfälischen Frieden und den dort gefundenen Religionskompromiß. Es
war noch ein halbes Jahrhundert der Entkonfessionalisierung nötig, bis im
Jahr 1700 auch das protestantische Deutschland die neue Zeit einführte -
nominell allerdings nicht in Form des "Gregorianischen", sondern des
"Verbesserten" Kalenders.
Der Streit um
Zeitrechnung, Wochentage und Jahresbeginn erfaßte in den letzten
Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts breite Schichten der Bevölkerung und grub
die konfessionellen Gegensätze tief in ihr Bewußtsein ein. Dasselbe
gilt für die allsonntäglichen Predigten, die Flut von Einblattdrucken,
Flug- und populären Streitschriften, durch die alle Schichten der
Gläubigen in die aufgezogenen geistig-religiösen und politischen
Fronten eingereiht wurden. Wirkungsvoll war vor allem die bereits auf die
frühen Nachrichten über Greueltaten der Spanier bei der Mission
Südamerikas zurückreichende, von der entschieden calvinistischen
Fraktion im niederländischen Unabhängigkeitskampf in zahllosen
Schriften propagierte und bis heute nachwirkende legenda negra, die
"schwarze Legende", die den Spaniern jede erdenkliche Grausamkeit und Gemeinheit
zuschrieb und alle Gegner Spaniens zum entschlossenen Widerstand aufrief. Das
von Anfang an in dieser Propagandafigur, die sich bald zu einer realen Denkfigur
verselbständigte, enthaltene religiös-kirchliche Argument - gerichtet
insbesondere gegen die Inquisition - verschärfte sich Zug um Zug und erfuhr
in den 1580er Jahren einen mächtigen Konfessionalisierungsschub. Neben die
niederländischen traten englische Pamphlete, die Spanien zum englischen
Nationalfeind und zum eschatologischen Gegenspieler der "godly christians", also
der guten, reingläubigen, reformierten Protestanten, stilisierten. Vor
allem der Triumph über die Armada 1588 ließ in England, aber auch
darüber hinaus im protestantischen, vor allem calvinistischen Europa das
Bewußtsein anschwellen, "like Israel" in einem heiligen Kampf gegen
Spanien zu stehen, "to beat down this develish pride and falsehood of the
Antichristian band, all true Christians [...] ought to go on couragiously and
cheerfully to tread the wine press of the Lords
wrath". [23]
In den 1590er Jahren erfuhr
die konfessionelle Formierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit eine
weitere Zuspitzung. Vor allem an der bereits erwähnten Schnittstelle der
Macht- und Weltanschauungssysteme am friesischen Dollart entwickelten die
calvinistischen Pamphletisten ein konfessionalistisches Weltbild, in dem die
Auseinandersetzungen der europäischen Mächte und Allianzsysteme als
eschatologischer Endzeitkampf der "godly christians" gegen den Antichristen, der
Kinder des Lichts gegen die Boten der Dunkelheit und ewigen Verderbnis gedeutet
wird. Zu bekämpfen sei, so heißt es wörtlich, die expansiv
imperialistische "Monarchy der Spanier, der die ganze Christenheit unterthenig
sein solte, wie das 'Regnabit ubique' bey dem (spanischen) Leone Belgico
außweiset". Das war für die calvinistischen Pamphletisten aber nur
die äußerliche, weltliche Seite. Dahinter sah man die überall im
protestantischen Europa drohende Subversion der gehaßten Jesuiten sowie
eine allgemeine "Römische Päpstliche Tyrannei". Die Calvinisten waren
sich einig, daß "die Spanier und ihre anhang darnach trachtenn, das sie
Papistische abgötterei von neuem einführen, gemeines vatterlands
libertet unterdrücken, unnd ein barbarische servitut cum absoluta
oboedientia anrichten mögen". Selbst dort, wo Diplomaten und Politiker
sachlich berichten, wie etwa Pieter van Brederode, der erste Gesandte der
Niederlande in Deutschland im Frühjahr 1603 nach Den Haag, ist die
konfessionalistische Nomenklatur der Außenpolitik zur
Selbstverständlichkeit geworden - die "partye van de gereformeerden" wird
den "Baptistischen" gegenübergestellt, die Politik der Spanier ist nicht
nur leibliche, sondern auch geistliche
Tyrannei. [24]
Natürlich hatte die
katholische Propaganda längst ihre eigenen eschatologischen Bild- und
Vorstellungswelten entwickelt - wohl am eindrucks- und wirkungsvollsten in den
großen Plastiken, Gemälden und Kupferstichen mit dem St.
Michaelsmythos. Dieser apokalyptische Engel war in überdimensionaler
Gestalt bald in jeder Jesuitenkirche zu sehen, und Fürsten wie Kaiser
ließen sich in der Pose dieses Teufelskämpfers portraitieren, so
Erzherzog Ferdinand von Innerösterreich - in der Anfangsphase des
Dreißigjährigen Krieges als Kaiser Ferdinand II. Triumphator
über die Protestanten - in Graz durch ein Gemälde Giovanni Pietro de
Pomis'. [25]
Auf der Basis dieses in allen
drei Konfessionen und Konfessionskulturen verbreiteten eschatologischen
Weltbildes bildete sich ausgangs des 16. Jahrhunderts ein dualistisches System
von protestantischen und katholischen Mächten heraus, beziehungsweise von
Blöcken unter katholischer und calvinistischer Führungsmacht: Der
Forschung seit Jahren bekannt ist der sogenannte "calvinistische
Internationalismus", der sich vor allem nach dem Schock der französischen
Bartholomäusnacht von 1572 politisierte, um sich der scheinbar
unaufhaltsamen Flut der Gegenreformation entgegenzustemmen.
Führungsmächte dieses protestantischen Blocks, dem das katholische
Frankreich wegen der traditionellen Feindschaft mit Spanien zunächst
nahestand, später dann zugehörte, waren die Niederlande und die
Kurpfalz. Wichtige Mitglieder waren darüber hinaus England, die
böhmischen Stände, Dänemark und später Schweden. - Diesem
calvinistischen entsprach ein gegenreformatorischer oder katholischer
Internationalismus, ja eigentlich ging dieser jenem voraus. Führungsmacht
und Motor waren Spanien und die österreichischen Habsburger, deren
mächtepolitisches Konzept darauf abzielte, das Reich durch eine Allianz
katholischer Mächte zu umschließen, um hier in der Mitte Europas, in
ihrem Ursprungsland die Häresie auszulöschen und gleichzeitig damit
die spanische Hegemonie in Europa und die absolute Kaisermacht im Reich zu
errichten. Als Polen unter seinem katholischen König Sigismund III. Wasa
(1587-1632) in den 1590er Jahren sich diesem katholischen Block anschloß,
ergab sich die realistische Möglichkeit, diesen eisernen Ring katholischer
Mächte von Spanien über Italien, Österreich, Böhmen und
Polen bis hinauf nach Schweden, auf dessen Thron Sigismund Anspruch erhob,
auszuweiten und am Ende sogar das dänische Norwegen anzuschließen,
wohin sich soeben einige Jesuitenmissionare mit großer Hoffnung auf
religiösen und politischen Umsturz im katholischen Sinne eingeschifft
hatten. [26]
Natürlich gingen
Konfessionssolidarität und Staateninteressen nie ganz reibungslos
ineinander auf. Auf die Beteiligung des katholischen Frankreich am
protestantischen Block wurde bereits hingewiesen. Auch zwischen den
protestantischen Nachbarn Schweden und Dänemark wurde immer wieder die
konfessionelle Mächteallianz durch die weit älteren und langfristig
angelegten politischen Interessengegensätze im Kampf um die Vorherrschaft
in der Ostsee unterlaufen, ähnlich wie im katholischen Lager zwischen
Österreich und Bayern durch die ständischen und territorialen
Reibungspunkte im Reich.
Im Zuge dieser
politischen und konfessionellen Propaganda der Zeit um 1600 bildeten sich
erstmals territorial- oder nationalstaatliche Kollektividentitäten als
Vorformen der späteren nationalen Identitäten heraus. In ihnen flossen
politisches, kulturelles und konfessionelles Selbst- und Fremdbewußtsein
zusammen und wurden zu mächtigen Strömen ausgeprägten
Wir-Gefühls - die katholische Identität im Falle Spaniens oder Bayerns
entsprach der protestantischen Identität Englands oder Schwedens, um nur
das Augenfällige zu nennen. [27]
Die
Konfessionalisierung von Kirche, Gesellschaft und Politik setzte eine gewaltige
Dynamik frei - positiv, indem jene konzentrierenden und organisierenden
Kräfte ihren Lauf nahmen, die in Bürokratie, Wirtschaft, zum Teil
sogar in der Bildung und der Wissenschaft einen tiefen, neuzeitlichen Wandel
bewirkten; negativ, indem innerstaatliche und innergesellschaftliche Konflikte
zugespitzt wurden und der Kontinent den ersten gesamteuropäischen
Mächte- und Glaubenskrieg erleiden mußte. Mit dem Westfälischen
Frieden wurde diese politische und gesellschaftliche Dynamik der
Konfessionalisierung weitgehend gebändigt und entschärft. [28]
Und so spricht einiges dafür, daß die dauerhaftesten, bis in unsere
Tage hinein spürbaren Wirkungen dieses gewaltigen Umbruchs nicht in der
Politik und im Staat, sondern in der Kultur und dem individuellen Verhalten zu
suchen sind, wobei allerdings auch diese Prägungen längst
säkularisiert und daher nur noch historisch begreifbar
sind.
III. Mentalität und
Verhalten
Was zunächst das Verhalten der
Menschen anbelangt, so ist unbestritten, daß alle frühneuzeitlichen
Konfessionskirchen, aber auch manche der dissidierenden Religionsgemeinschaften,
etwa die Täufer, einen detaillierten Normenkanon entwickelten und
Institutionen oder Mechanismen errichteten, ihn einzuüben und seine
Einhaltung zu kontrollieren. [29] In der konkreten Durchführung
ging man durchaus getrennte Wege - die institutionalisierte Kirchenzucht im
Falle der Calvinisten, Beichte und Inquisition bei den Katholiken, Visitationen
und Ermahnungen durch Predigt und geistliches Schrifttum bei den Lutheranern, um
nur die wichtigsten Instrumente zu nennen. Auch bei den Inhalten gab es
Unterschiede, deutlich vor allem bei den Glaubensnormen, während die
Abweichungen bei der Ethik und den Verhaltensnormen eher gering waren. Gleich
waren dagegen bei allen Konfessionskirchen und anderen Religionsgemeinschaften
die Funktion und das Ziel der kirchlichen Disziplin und Kontrolle. Es ging um
die Einübung, nötigenfalls das Erzwingen orthodoxen, "erlaubten"
Glaubens und Denkens ebenso wie eines christlichen, "korrekten" Verhaltens, das
erstmals bis ins kleinste definiert und in ein abgestimmtes System von ethischen
und moralischen Normen gebracht wurde. So sollte z.B. die Sexualität fortan
radikal auf die Ehe beschränkt werden.
Der
tatsächliche Erfolg dieser konfessionskirchlichen Kontrolle von Denken und
Verhalten läßt sich natürlich kaum naturwissenschaftlich genau
bestimmen. Und so bezweifeln Skeptiker jede Art von Wirkung. Dem halten andere
entgegen, daß Langzeitanalysen - etwa calvinistischer Kirchenzuchtsakten
vom 16. bis 19. Jahrhundert - durchaus Hinweise auf Veränderungen in den
Verhaltensdispositionen erkennen lassen - etwa durch Sensibilisierung für
Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Gewaltverzicht und
gezähmtes Sexualverhalten. [30]
Von
einer solchen weitreichenden Wirkung geht auch die englische Schriftstellerin
Doris Lessing aus, wenn sie noch in der Gegenwart Katholiken und Protestanten
tiefenpsychologisch durch die unterschiedlichen Zuchtsysteme der beiden
frühneuzeitlichen Konfessionskirchen geprägt sieht: In ihrer in
Italien angesiedelten Liebesgeschichte zwischen der englischen Touristin Judith
und dem Italiener Luigi, die durch die Verschiedenartigkeit der beiden Liebenden
im Endeffekt unglücklich ist, charakterisiert Doris Lessing den
praktizierenden Katholiken Luigi als jemanden, der "no sense of guilt, but a
sense of sin" habe, während für Judith, dem Nachfahren
nordländischer Puritaner, das Umgekehrte gelte, daß sie nämlich
"has no sense of sin: but she has guilt" - ein Unterschied, den die Autorin
zusätzlich durch den Hinweis unterstreicht, der sündenbewußte,
katholische Südländer Luigi sei "very healthy, and not
neurotic". [31] Es wäre interessant, der Frage nachzugehen, ob der
hier postulierte Unterschied zwischen katholischem Sündenbewußtsein
und protestantischem Schuldgefühl auch bereits am Vorabend und während
des Dreißigjährigen Krieges wirksam war - im Urteilen und Handeln der
Fürsten, Politiker und Theologen, aber auch bei den anderen Menschen, die
das Geschehen meist passiv und leidend erfuhren, es aber gleichwohl und mit um
so größeren Qualen seelisch verarbeiten
mußten.
IV.
Konfessionskulturen
Die langfristigen Wirkungen
der Konfessionalisierung auf die Kultur schließlich erlebt heute noch
jeder, der sehenden Auges den Kontinent durchreist. Denn die zahlreichen und
unterschiedlichen Kulturlandschaften des neuzeitlichen Europa sind nicht zuletzt
das Ergebnis der unterschiedlichen Ausdrucksweisen, die Literatur, Musik,
Malerei und Architektur innerhalb der drei Konfessionskirchen erhielten. Allen
gemeinsam war wiederum die kontrollierende, disziplinierende und lenkende
Steuerung durch Staat und Kirche. Die Volkskultur und alle anderen Formen eines
vorwissenschaftlichen Wissens, etwa in der Volksmedizin und bei magischen
Praktiken, wurden abgewertet und verfolgt, oder sie wurden kontrolliert der
neuen Konfessionskultur eingefügt, so vor allem im tridentinischen
Katholizismus, teilweise aber auch im
Luthertum.
Den konfessionellen Machtblöcken
und der unterschiedlichen Konfessionsmentalität vergleichbar entstand eine
konfessionell gespaltene Kultur, die aber zugleich Vielfalt und Variation
bedeutete - in Europa allgemein, vor allem aber in dem konfessionell
vielgestaltigen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, wo fortan neben
dem farbenfrohen und in glühender Leidenschaft an das Überirdische
hingegebenen katholischen Süden und Westen die in ihrer Religiosität
und ihren kulturellen Ausdrucksformen gezügelten protestantischen
Landschaften des Nordens und Ostens standen. [32] Die darin eingespannte
Vielfalt läßt sich allerdings kaum auf die gängige
Entgegensetzung von protestantischer Wort- und Musikkultur einerseits und
katholischer Kultur der Bilder und Symbole andererseits reduzieren: Reformatoren
wie Gegenreformatoren waren Menschen des Wortes und des Schreibtisches. Bekannt
ist das bei Luther. Für Canisius und viele andere Jesuiten ist das aber in
ähnlicher Weise gültig, wie die Ausstellung "Rom in Bayern" 1997
überzeugend darstellte, indem sie nämlich den Besucher im letzten Raum
durch eine nachgestellte Jesuitenschreibstube und mit einem Defilee an Dutzenden
von Erst-, Nach- und Übersetzungsdrucken allein aus der Feder des Petrus
Canisius entließ. [33] In der Literatur stehen neben Opitz und
Shakespeare ein Vondel, Cervantes oder Calderón de la Barca. Neben Bach,
dem großen Schöpfer der geistlichen Musik des Protestantismus, steht
Palestrina als Neuerer und Modernisierer der katholischen Kirchenmusik. Und die
Malerei mit ihrer glühenden Bildhaftigkeit wird nicht nur von Rubens, Reni
oder Velázquez, sondern auch von Cranach, Rembrandt und Vermeer
bestimmt.
Am deutlichsten treten die Unterschiede
in der Architektur und der Stadtplanung zutage. Das sind die politischsten
Künste, die die unterschiedlichen Welten inszenieren - ad maiorem Domini
gloriam, zum höheren Ruhme Gottes, so wie es die jeweilige Konfession
verstand, aber auch zur Selbstdarstellung von Macht und irdischem Reichtum - der
Fürsten und Monarchen vor allem, ebenso wie des Adels, der Prälaten
und des Großbürgertums. Und so erhielten seit dem ausgehenden 16.
Jahrhundert unzählige Städte und Landschaften den Stempel
frühneuzeitlicher Konfessionsarchitektur.
Das
gilt vor allem für die katholischen Landschaften, etwa für die
Sakralinszenierungen im Maintal von Bamberg bis Würzburg; für
München, wo das in den Jahrzehnten vor dem Dreißigjährigen Krieg
erbaute Jesuitenkolleg mit der gewaltigen St. Michaelskirche "hineinschlägt
in die gotische Stadt wie ein Meteorit" (Reinhold Baumstark) und somit die
Stadtanlage, die Herzog Albrecht V. in dem Sandtnerschen Stadtmodell eben noch
meinte verewigen zu sollen, von Grund auf verändert und
modernisiert [34]; für Antwerpen, wo mit der Sint Carolus Kerk und
dem zugehörigen Konvent samt Schule der Jesuiten zu Beginn des 17.
Jahrhunderts mitten in die gotische Stadtanlage in einem gewaltigen barocken
Baukörper die Modernität frühneuzeitlicher Urbanistik einbrach.
Und natürlich gilt das auch und zuerst für Rom selbst, wo die Jesuiten
bereits eine Generation zuvor in der Renaissancearchitektur ihrer Kirche Il
Jesù ein vielkopiertes Modell frühmoderner Sakralarchitektur
errichtet hatten und wo die Peterskirche, die im ausgehenden Mittelalter als
Ersatz für die niedergelegte Lateranbasilika projektiert war, erst jetzt
erstand als Geste und Zeichen für den konfessionalistisch katholischen
Anspruch auf die Stadt und den Erdkreis. Überhaupt ist das moderne Rom mit
der Erschließung des nachantiken Stadtareals und dem großangelegten
Stadtnetz ganz die Schöpfung von Sixtus IV., dem Papst der
Gegenreformation.
Auch andernorts wurde die
katholische Stadt des späten 16. und 17. Jahrhunderts von einem gewaltigen
Bauboom erfaßt. Allenthalben entstanden Neubauten im Renaissance- oder
Barockstil - die großen Jesuitenkirchen, vor allem aber auch Parochial-,
Hof- oder Triumphkirchen wie die Wiener Karlskirche, die dem Sieg des
gegenreformatorischen Heiligen Carlo Borromeo über die Häretiker ein
weithin sichtbares urbanes Denkmal setzt, dazu Schulen, Hospitäler und
Niederlassungen der zahlreichen Orden.
Die
protestantische Stadtarchitektur blieb demgegenüber gebändigt, ja
zurückhaltend. Gebaut wurde nur dort, wo Bevölkerungs- und
Wirtschaftswachstum neue Stadtteile entstehen ließen - in Amsterdam, in
London, in einigen wenigen deutschen Städten - etwa Hamburg und Emden -
entstanden predigtbezogene Sakralbauten als "Hörsäle", die auf Schmuck
verzichteten, um den Gottesdienstbesucher nicht vom Wort Gottes abzulenken.
Gewaltig allerdings sind in der Regel die Prospekte der Orgel, die den
Gemeindegesang mächtig zum Himmel ansteigen lassen. Die Masse der
protestantischen Städte, die Reichsstädte im deutschen Süden
ebenso wie die Hansestädte des Nordens - etwa Greifswald mit seinen drei
das Stadtbild bis heute dominierenden Backsteinkirchen St. Marien, St. Nikolai
und St. Jakob - erlebten so gut wie keine Bautätigkeit, weil der
mittelalterliche Kirchraum für den Gemeindegottesdienst mehr als
ausreichte. Nicht wenige Kirchen oder Konventsgebäude wurden sogar
profaniert oder halbprofaniert, nämlich zum Nutzen der Lateinschulen oder
Universitäten wie in Danzig, Helmstedt oder Marburg, als Bibliothek oder
Archiv wie in Zürich oder Göttingen oder auch als Altersheim oder
Waisenhaus wie in vielen nordniederländischen Städten. Aufs Ganze
gesehen blieben somit die meisten lutherischen oder reformierten Städte der
Schweiz, Mitteleuropas und Skandinaviens im äußeren Erscheinungsbild
seltsam mittelalterlich, während sich die katholischen Städte
architektonisch und topographisch
modernisierten.
In dieser Situation bedeutete jede
territoriale Verschiebung zwischen Katholizismus und Protestantismus zugleich
eine Veränderung in den europäischen Kulturlandschaften. Als Polen
unter König Sigismund III. Wasa von protestantisch geprägter
Mehrkonfessionalität zum gegenreformierten Katholizismus wechselte,
entfesselte sich auch dort seit Beginn des 17. Jahrhunderts der barocke
Sakralbauboom, so daß "in Topographie und Architektur der Akzent vom
Rathaus zur Kirche und den Stadtpalais der Magnaten" wechselte. [35]
Prag wurde erst zur goldenen Barockstadt, nachdem die Protestanten am
Weißen Berg besiegt worden waren und der habsburgische Katholizismus
triumphierte, wie auch in Österreich die pietas
Austriaca [36] nur zur kulturbestimmenden Kraft werden konnte, weil
die protestantischen Stände gleich zu Beginn des Dreißigjährigen
Krieges besiegt worden waren und es den Habsburgern später bei den
Verhandlungen in Münster gelang, ihre Hausmachtterritorien aus allen
Restitutionsbestimmungen zugunsten der Protestanten herauszuhalten, mit Ausnahme
einiger Fürstentümer in Schlesien und dreier sogenannter
"Friedenskirchen" vor den Toren von Glogau, Jauer und Schweidnitz. [37]
In Ungarn, wo sich, begünstigt durch die Türken, auch nach dem
Dreißigjährigen Krieg der Protestantismus zu behaupten wußte,
zogen pietas Austriaca und katholische Barockarchitektur sogar erst zu
Ende des 17. Jahrhunderts ein, als nach der Vertreibung der Türken die
katholische Staatskonfession der Habsburger durchgesetzt werden konnte und das
Stadtbild von Ödenburg (Sopron), Raab (Györ), Gran (Esztergom),
Budapest oder Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) eine
Spätkonfessionalisierung erlebte, ausgewiesen unter anderem durch die
markante Zopfstilarchitektur des 18. Jahrhunderts zahlreicher kirchlicher
Gebäude. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das in Stuhlweißenburg,
der altehrwürdigen Krönungsstadt des Königreiches Ungarn, wo die
mittelalterliche Krönungsbasilika des heiligen Stephan die
Türkenherrschaft im Äußeren unbeschädigt überlebt
hatte und erst nach deren Ende im Jahre 1689 der Modernisierungswut des
katholischen Konfessionalismus weichen mußte, um einem spätbarocken
Dom und dem dazugehörenden, erst ausgangs des 18. Jahrhunderts gebauten
Bischofspalast Platz zu machen.