DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
KLAUS MALETTKE Frankreichs Reichspolitik zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens |
I. Handlungsmaximen und Wirklichkeit der Außenpolitik Richelieus und Mazarins
1.
Richelieus Außenpolitik seit Beginn seines Ministeriats (29. April 1624)
während der Phase des "verdeckten
Krieges"
Frankreich war wegen der Religions- und
Bürgerkriege in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts außen-
und mächtepolitisch weitgehend gelähmt. Erst unter Heinrich IV.
(1589-1610) wurde die französische Monarchie wieder in stärkerem
Maße auf der Bühne der europäischen Außenpolitik
aktiv.
Aber nach der Ermordung des Königs am
14. Mai 1610 war die französische Innen- und Außenpolitik
während der folgenden Jahre bis zur Berufung Richelieus in den Rat des
Königs (29. April 1624) durch eine "notorische Instabilität auf der
Ministerebene" [1] gekennzeichnet. Daß in dieser schwierigen Phase
eine kontinuierliche und klaren langfristigen Zielvorgaben verpflichtete
Außenpolitik nicht möglich war, liegt auf der Hand. Dies änderte
sich erst mit dem Ministeriat Richelieus. Die französische
Außenpolitik nach 1624 wurde wesentlich durch ihn geprägt, aber
keineswegs von ihm allein bestimmt. König Ludwig XIII. war und blieb
entschlossen, seine Autorität in jeder Hinsicht zu wahren. Richelieu hat
dieser Grundeinstellung des Königs stets Rechnung getragen. Der Kardinal
und der König stimmten indessen in dem zentralen Anliegen überein,
Autorität und Macht der Krone zu stärken und gegen Angriffe
entschieden zu verteidigen. Aus dem spezifischen Charakter des
Verhältnisses zwischen Richelieu und Ludwig XIII. resultiert für die
Außenpolitik des Kardinals, daß damit nicht eine Politik gemeint
sein kann, bei der in jedem Fall und in allen Details seine authentische
Urheberschaft nachgewiesen werden kann. Wenn daher im folgenden von dessen
Außenpolitik gesprochen wird, so ist damit im wesentlichen eine Politik
gemeint, die vom Geist des Prinzipalministers geprägt und seinem
Verantwortungsbereich zuzuordnen ist.
Das
außenpolitische Programm Richelieus basierte nicht allein auf
machtpolitischen Erwägungen und Prinzipien. Es ist vielmehr auch - und
nachhaltig - gekennzeichnet durch den ständigen Rekurs auf allgemeine
Rechtsprinzipien und durch die Orientierung an konfessionellen Überlegungen
sowie an einem theologisch fundierten
Staatsethos.
Richelieus Bündnispolitik mit
protestantischen Mächten scheint sich auf den ersten Blick als Ausdruck
einer modernen, überkonfessionellen Politik zu erweisen. Bei genauerer
Analyse wird jedoch deutlich, daß dies keineswegs einen prinzipiellen
Verzicht auf konfessionell fundierte Leitlinien bedeutete. Richtig ist indessen,
daß sich auch in seiner Politik der Paradigmawechsel von der zwischen
1570/80 und 1620/30 in Europa vorherrschenden Konfessionalisierung der
Außenpolitik, die allerdings nie total und absolut war, "hin zur
Leitfunktion des Staatsinteresses in [...] [den, K.M.] internationalen
Beziehungen"
manifestiert. [2]
Handlungsleitend
für die Außenpolitik des Kardinals waren ebenso traditionelle
Gründe wie Fragen des Rechts. Welch hohen Stellenwert er dem Recht
einräumte, verdeutlicht seine intensive Beschäftigung mit der
Problematik der Intervention. Im Prinzip sprach er sich gegen die Wahrnehmung
eines derartigen Rechtes aus. "Es ist nicht recht", so führte er aus,
"daß die Untertanen Beziehungen zu einem fremden Fürsten unterhalten
und von ihm ihr Heil erwarten, das allein von ihrem rechtmäßigen
König abhängen darf." [3] Der Kontext, in dem diese Aussage
steht, läßt klar erkennen, daß sie für den Kardinal
allgemeine Geltung besaß. Gleichwohl bedarf dieser Satz Richelieus einer
einschränkenden Präzisierung. Generell abzulehnen sei nämlich die
Ausübung eines Interventionsrechts nur bei solchen Staaten, in denen die
Untertanen ihrem Fürsten verpflichtet seien und dieser ein absolut
regierender Herrscher, also ein Souverän im Sinne des von Jean Bodin
(1529/30-1596) propagierten Souveränitätsbegriffes, sei. "Wo dagegen
die monarchische Gewalt beschränkt war, erkannte Richelieu [...] in
Übereinstimmung mit der Lehre vom Herrschaftsvertrag den Untertanen bei
Verletzung ihrer Rechte durch den Fürsten ein Widerstandsrecht zu. Und wenn
die Untertanen in Ausübung eines solchen rechtmäßigen
Widerstandsrechtes den Beistand einer fremden Macht anrufen, dann, aber auch nur
dann, ist ein Interventionsrecht
gegeben." [4]
Für den
Prinzipalminister war das Interventionsrecht nur mit der dargelegten
Einschränkung anwendbar. Sie ermöglichte es ihm, es als Waffe im Kampf
gegen Spanien und den Kaiser zu benutzen, es den Feinden Frankreichs aber unter
Berufung auf die politische Organisation Frankreichs als einer absoluten
Monarchie abzusprechen. Hingegen waren Spanien und das Heilige Römische
Reich deutscher Nation nach der Überzeugung Richelieus, der sich auf Jean
Bodin und andere französische sowie deutsche Juristen und Staatstheoretiker
stützen konnte, durch aristokratische Staatsformen gekennzeichnet, die den
jeweiligen Ständen ein Widerstandsrecht
erlaubten.
Auch bei seinen Überlegungen im
Kontext territorialer Erwerbungen ließ sich Richelieu von rechtlichen
Erwägungen leiten, nicht allein von der Staatsräson, der Machtpolitik
oder vom Kriegsrecht, dem ius belli. Bereits bald nach seinem Amtsantritt
ließ er durch französische Juristen Rechtstitel für
französische Gebiets- und Herrschaftsansprüche ermitteln und auf ihre
Rechtmäßigkeit hin prüfen. Dabei stützten diese sich auf
das Fundamentalgesetz von der Unveräußerlichkeit des
französischen Krongutes. Demgemäß wurde zur Krondomäne
gehörig gezählt, was ihr entweder ausdrücklich einverleibt oder
über einen Zeitraum von zehn Jahren von königlichen officiers
verwaltet worden war. Ein Verzicht auf solche Rechtstitel der Krone war
infolgedessen nicht allein eine Frage des politischen Kalküls. Er war auch
- und vor allem - eine Frage des Rechts und des Gewissens. Aber dem Staatsmann
Richelieu wurde auch klar, daß er bei dieser Position nicht haltmachen
konnte, weil damit die Handlungsfreiheit des Politikers gelähmt würde.
Er prüfte deshalb die Frage, ob nicht unter bestimmten Umständen ein
Verzicht auf solche Rechtsansprüche erlaubt sein könne. Bei dieser
Prüfung gelangte er zu folgendem Schluß: "Man muß den Grundsatz
so verstehen, daß er die Freiheit zur Veräußerung von
Kronrechten nicht ganz und gar aufhebt, sondern nur auf solche Fälle
beschränkt, wo diese Maßnahme unbedingt notwendig erscheint, um den
Staat vor völligem Ruin zu
bewahren." [5]
Nach 1624 setzte sich
Richelieu, je länger desto erfolgreicher, für eine Beendigung der seit
1610 betriebenen akzentuiert katholisch-spanischen Politik Frankreichs ein.
Für den Kardinal stellte das Verhältnis Frankreichs zu Spanien wieder
- wie bereits im 16. Jahrhundert - das Grundproblem der französischen
Außenpolitik dar. Dieses Grundproblem resultierte keineswegs allein aus
den bilateralen Spannungen, die zwischen den Nachbarn Frankreich und Spanien
immer wieder virulent wurden, sondern vielmehr aus den in Frankreich als
für die gesamte Christenheit bedrohlich empfundenen politischen
Aktivitäten Spaniens.
Richelieu war davon
überzeugt, daß es nach wie vor das Ziel der spanischen Politik sei,
auf der gesamthabsburgischen Basis eine Universalmonarchie zu errichten. Von
derartigen Ambitionen war aber nicht mehr allein Frankreich, sondern die ganze
Christenheit betroffen. Wenn also der französische König, dessen
Monarchie von allen Seiten vom Hause Habsburg umschlossen und unmittelbar
bedroht sei, der ehrgeizigen Hegemonialpolitik entgegentrat, die Spanien unter
dem Vorwand verfolge, Verteidiger des Katholizismus zu sein, dann betrachtete
der Kardinal diese Entscheidung nicht nur als einen Akt gerechtfertigter
Selbstverteidigung, sondern auch - und vor allem - als eine Maßnahme zum
Schutz der gesamten Christenheit und als ein französisches Engagement, das
im Interesse des allgemeinen Friedens
liege.
Brennpunkt der spanisch-französischen
Konfrontation war zunächst der oberitalienische Raum. Bis in die Jahre
1629/31, in denen die französische Außenpolitik eine deutliche
Schwerpunktverlagerung nach Norden vollzog, war es das vorrangige Anliegen
Richelieus, die Position Spaniens in Italien zu schwächen. Mit seiner
Italienpolitik verfolgte der Kardinal drei Ziele: 1. Sperrung der strategisch
wichtigen Alpenpässe für Habsburg-Spanien (Veltlinproblem), 2. die
Eröffnung und dauerhafte Sicherung von Interventionspunkten für
Frankreich (Savoyen, Saluzzo, Pinerolo, Susa) und 3. Reduzierung des spanischen
Einflusses in Oberitalien (Erbfolge in Mantua und
Montferrat).
Die französische Italienpolitik
darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Sie war und blieb stets Teil des
gegen Spanien und das Gesamthaus Habsburg gerichteten außenpolitischen
Programms Richelieus und hatte infolgedessen bereits in jenen Jahren eine oft
unterschätzte, den Kaiser und die Reichsangelegenheiten betreffende
Dimension. Letzteres ergab sich nicht zuletzt auch daraus, daß, abgesehen
von der Republik Venedig, der größte Teil Norditaliens zu
"Reichsitalien" zählte.
Durchgängig
versuchte Richelieu, schon während der Phase des "verdeckten Krieges",
diese drei Hauptziele zu verwirklichen. Als Instrumente dienten ihm dabei nicht
nur begrenzte direkte militärische Interventionen (Veltlin, Mantuanischer
Erbfolgekrieg 1627-1631), sondern auch diplomatische Mittel, mit denen die
Errichtung von gegen Spanien und das Gesamthaus Habsburg gerichteten
Bündnissystemen in Italien, von italienischen Ligen, erreicht werden
sollte. Diese kurzlebigen und alles in allem wenig erfolgreichen Ligaprojekte,
die nach ihrer Vollendung und unter Einbeziehung der Gegner Frankreichs
schließlich zu einem Instrument dauerhafter Friedenssicherung gestaltet
werden sollten, sind einzuordnen in Richelieus Bemühungen, eine breite
Front gegen Spanien zu schaffen.
Im Verlauf des
Konflikts um die Erbfolge in Mantua zeichnete sich schon früh die bereits
angesprochene Schwerpunktverlagerung der französischen Außenpolitik
nach Norden ab. Richelieu sah sich nämlich mit der Tatsache konfrontiert,
daß sich in dieser Frage der Kaiser zugunsten der spanischen
Ansprüche und Interessen engagierte. Das Verhalten Ferdinands II. (reg.
1619-1637) wertete der Kardinal als ein alarmierendes Indiz dafür,
daß es zu einer Unterstützung der spanischen Politik durch die
österreichische Linie des Hauses Habsburg sowie durch den habsburgischen
Kaiser kommen werde, der zudem die ihm im Reich gegebenen Möglichkeiten
nutzen könne. Die vor diesem Hintergrund sich vollziehende
Schwerpunktverlagerung der Politik Richelieus nach Norden und ins Reich
mündete in den Vertragsabschluß mit Schweden im Jahre 1631 und wurde
im Gefolge des massiven Eingreifens Gustav Adolfs (reg. 1611-1632) im Reich
verstärkt. "Zwar entstand hierbei nun plötzlich ein gefährlicher
Konkurrent, der statt nach Wien bis an den Rhein und ins Elsaß vordrang,
aber Richelieu beschränkte sich während der nächsten Jahre noch
darauf, die eigenen Positionen hier zu stärken (Protektionsvertrag mit
Kurtrier 1632, der Frankreich immerhin Garnisonen bis zum rechtsrheinischen
Ehrenbreitstein und bis nach Philippsburg eröffnete, Vordringen in
Lothringen, Protektionsverträge mit elsässischen Ständen), und
dies vor allem im Sinne jener Erweiterung der französischen
Interventionsmöglichkeiten, wie sie der berühmte Avis vom 13. Mai 1629
über die bereits gewonnenen norditalienischen Einfallstore hinaus für
die gesamte Front zu Land und zu Wasser gegen ein zusammengeschlossenes Habsburg
gefordert hatte." [6]
2.
Grundzüge der Außenpolitik Richelieus vom Eintritt Frankreichs in den
Dreißigjährigen Krieg bis zum Tode des Kardinals
(1635-1642)
Die dargelegten
Grundüberzeugungen und Leitlinien Richelieuscher Außenpolitik
bestimmten sein politisches Handeln und seine Entscheidungen auch in der Phase
des "offenen Krieges", die mit der Kriegserklärung Ludwigs XIII. (reg.
1610-1643) an Spanien am 19. Mai 1635 begann. Der unmittelbare Anlaß, die
Gefangennahme des unter französischer Protektion stehenden Kurfürsten
von Trier am 26. März 1635, war nach Überzeugung des
Prinzipalministers ein Akt, der nicht nur Philipp Christoph von Sötern und
Ludwig XIII. betraf, sondern auch "alle Fürsten der Christenheit", wie es
in der französischen Kriegserklärung hieß. Die
Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Spanien stellte also keine bilaterale
Angelegenheit dar. "Nun wäre es nur eine unvollkommene und einseitige
Beschreibung, wollte man die Richelieusche Außenpolitik als eine rein
defensive Reaktion betrachten, die sich zwar innerhalb des umfassenderen Rahmens
der Christenheit politischer und militärischer Mittel bediente, die sich
aber doch darauf beschränkte, diese Mittel lediglich zur Abwehr einer
Bedrohung einzusetzen. Was Richelieu erreichen wollte, war nicht lediglich eine
Verteidigung der Christenheit. Das zentrale Ziel war ein Frieden der
Christenheit. Dies ist das eigentliche Leitthema für seine
Außenpolitik seit Beginn seiner Tätigkeit als verantwortlicher
Minister des Königs. Es ging darum, 'une bonne paix de la
chrétienté' zu
schaffen." [7]
Mit dem offenen Eintritt
Frankreichs in den Krieg erlangte dieses Leitthema für Richelieu noch mehr
Gewicht, denn nun mußte Frankreich noch mehr daran interessiert sein,
einen umfassenden und dauerhaften Frieden zu erreichen. Um dieses große
Ziel zu erreichen, mußten nach Richelieus Überzeugung zentrale und
für diesen Frieden konstitutive Elemente realisiert werden. Zu diesen
Elementen gehörten das Gleichgewichtskonzept und die Sicherung des
Staatenpluralismus. Die Idee, daß eine Gruppe von europäischen
Staaten mit Frankreich als ihrem Zentrum ein Gegengewicht gegen die Habsburger
bilden sollte, war ein integraler Bestandteil seiner ständig um die
Problematik der Friedenssicherung kreisenden
Überlegungen.
Neben der Universalität
und der Sicherheit des anzustrebenden Friedens gab es noch ein weiteres Element,
das Richelieu für dessen Zustandekommen als maßgeblich erachtete. Es
handelte sich dabei um die Rolle, die Frankreich selbst in diesem Friedenssystem
spielen sollte. Sicherlich lag ein Friedensschluß generell insofern im
Interesse des französischen Königs, als mit ihm der Krieg und die
Gefahr neuer militärischer Konflikte für die unmittelbare Zukunft
beseitigt werden konnten. Für Richelieu ging es aber um weit mehr. Der
französische König sollte nicht nur Schiedsrichter sein und eine
zentrale Schützerrolle im Rahmen der Garantiemaßnahmen für einen
"sicheren Frieden" wahrnehmen, sondern er sollte auch Protektor der gesamten
Christenheit sein. Damit Frankreich seine Funktion als Gegengewicht gegen
Habsburg-Spanien und Protektor der Christenheit erfüllen könne,
müsse es, so betonte Richelieu immer wieder, dazu in die Lage versetzt
werden. Er ging jedoch noch einen Schritt weiter. So formulierte er 1629 als
Ziel seiner politischen Strategie: "Rendre le Roi le plus puissant monarque du
monde et le prince le plus estimé." [8] Die vom
französischen König zu übernehmende Rolle wurde also mit dem Ziel
verknüpft, die Stellung Frankreichs und seines Königs in der
Christenheit erheblich zu stärken. Enthält aber, so muß man
fragen, die zitierte Formulierung nicht das Eingeständnis, daß der
Kardinal für Frankreich seinerseits nach der Universalmonarchie strebte?
Johannes Burkhardt hat kürzlich dezidiert diese Ansicht
vertreten. [9] Eine so weitgehende Interpretation ist aber zumindest
nicht zwingend. Sie entspricht wohl auch nicht der Logik der Konzeption
Richelieus. Dieser Konzeption zufolge erlangte der französische König
seine herausgehobene Stellung, seine Größe, seine Reputation als
Befreier und Protektor der Christenheit.
"Es liegt
nahe, in derartigen Argumentationen nichts anderes als die Verschleierung einer
kalten Hegemonialpolitik zu sehen. Ich glaube, daß man hier sehr
vorsichtig sein muß. Es besteht kein Zweifel daran, daß im
politischen Denken Richelieus die Größe Frankreichs und insbesondere
die Größe des französischen Königs an erster Stelle stand.
Aber wenn er damit auch das Interesse der gesamten Christenheit in Verbindung
brachte, so war dies für ihn nicht nur eine Sache des politischen
Kalküls, sondern auch ein Bestandteil seiner politischen
Ordnungsvorstellung. Die Frage ist durchaus berechtigt, ob sich nicht mit
Richelieus Auffassung von der Christenheit und der darin zu spielenden Rolle des
Allerchristlichsten Königs auch der Gedanke an eine französische
Kaiserkandidatur verband, wie sie dann später von Mazarin einmal angestrebt
werden sollte. Ausdrücklich findet man bei ihm auf entsprechende Pläne
keinen Hinweis." [10]
Richelieus Kampf
gegen die spanisch-habsburgische Universalmonarchie kann nicht nur als eine
Infragestellung des von Spanien-Habsburg dominierten Staatensystems bezeichnet
werden. Sein Ziel war vielmehr, dieses System aufzubrechen und dessen
Wiederbelebung für die Zukunft zu verhindern. An dessen Stelle sollte ein
europäisches System kollektiver Sicherheit treten, in dem indessen
Frankreich die Führungsrolle zugedacht war. Basis und Grundvoraussetzung
dieses Sicherheitssystems war die Pluralität prinzipiell gleichberechtigter
Staaten. Bei näherer Betrachtung der Konzeption Richelieus kommt man zu der
Schlußfolgerung, daß seine Vorstellungen auf ein multipolares System
von Staaten hinausliefen. Dessen Hauptpol sollte Frankreich
bilden.
3. Zwischen Kontinuität und
Wandel: Hauptmerkmale der Außenpolitik Mazarins bis zum Westfälischen
Frieden
Mazarins innen- und außenpolitische
Aktivitäten waren in starkem Maße von Pragmatismus geprägt.
Italienischer Herkunft, hatte der leitende Minister, der Ludwig XIII. von
Richelieu als "Nachfolger" empfohlen worden war und Anfang Dezember 1642, vier
Tage nach dem Tode seines Vorgängers, in den Rat des Königs berufen
worden war, in der Monarchie Frankreichs einen noch schwereren Stand als
Richelieu, zumal er von Anbeginn seines Ministeriats mit innerfranzösischen
Spannungen zu kämpfen
hatte.
Vergegenwärtigt man sich, daß
Mazarin von Richelieu nicht nur in dessen außenpolitische Konzeptionen
eingeweiht, sondern daß Mazarin auch an der Ausarbeitung der
Friedensinstruktion von 1641 intensiv mitgearbeitet hat, so überrascht es
nicht, daß er die Grundgedanken seines Vorgängers in der
Hauptinstruktion von 1643 fast wörtlich übernommen hat. Trotz aller
aus den sich wandelnden politischen Rahmenbedingungen sowie aus den jeweiligen
Zeitumständen resultierenden Änderungen in Detailfragen setzte Mazarin
in den zentralen Punkten die Außenpolitik Richelieus fort. Die in der
Hauptinstruktion auffällige und wohl auch aus den zu jenem Zeitpunkt
gegebenen spezifischen politischen Rahmenbedingungen resultierende
Zurückhaltung Mazarins sowohl im Hinblick auf französische
territoriale Forderungen als auch in Hinsicht auf die von Frankreich angestrebte
Führungsrolle im europäischen Staatensystem ist dann in der Folgezeit
mehr und mehr aufgegeben worden.
II. Die
Reichspolitik Richelieus und Mazarins
1.
Richelieus Reichspolitik im Kontext seiner außenpolitischen Konzeptionen
und seines politischen Denkens
In der Sitzung des
Rates des Königs am 25. November 1624 äußerte sich Richelieu zur
politischen Lage im Reich und zu den daraus sich ergebenden Rückwirkungen
auf die französische Politik wie folgt: " [...] les affaires d'Allemagne
sont en tel état que si le roi les abandonne, la maison d'Autriche se
rendra maîtresse de toute l'Allemagne et ainsi assiégera la France
de tous côtés." [11] Die hier formulierte Beurteilung der
Relevanz, welche die Vorgänge im Reich für Frankreich hatten, hat
Richelieus Reichspolitik bis zum Ende seines Ministeriats maßgeblich
bestimmt. Wie dieser sehr frühe Quellenbeleg verdeutlicht, orientierte sich
seine Politik gegenüber Kaiser und Reich ganz wesentlich an seiner
Überzeugung, daß das Haus Habsburg, insbesondere unter dem
Einfluß des spanischen Zweiges, die Errichtung der Universalmonarchie
anstrebe. Die spanischen Habsburger seien stets darauf aus, den Kaiser und - mit
Hilfe seiner einflußreichen Stellung im Reich - die Machtmittel und
Ressourcen Deutschlands im Interesse der Ambitionen der Casa de Austria
zu instrumentalisieren. Nach Richelieus Überzeugung hatte infolgedessen die
französische Reichspolitik zunächst und in erster Linie das Hauptziel,
zu verhindern, daß Habsburg-Spanien weiterhin Kaiser und Reich zur
Durchsetzung spanischer Interessen
"mißbrauchte".
Berücksichtigt man diese
Leitlinie Richelieuscher Reichspolitik sowie den Ablauf der politischen und
militärischen Ereignisse, so ist festzustellen, daß sich das Reich
zunächst nicht im Zentrum der Außenpolitik des Kardinals befand; dies
war zumindest so lange der Fall, wie sich die spanisch-französische
Konfrontation auf den italienischen Raum konzentrierte. Mit der Ausdehnung und
Verlagerung der Auseinandersetzungen nach Norden und in dem Maße, wie sich
in Richelieus Sicht die Kooperation zwischen Wien und Madrid intensivierte,
mußte die französische Außenpolitik Kaiser und Reich
zwangsläufig stärkere Aufmerksamkeit widmen als
zuvor.
Nach Richelieus Überzeugung zielte die
Politik des Kaisers insbesondere nach dessen militärisch-politischen
Erfolgen gegen Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre darauf
ab, "sich zum Herrn Deutschlands zu machen, das Reich in eine absolute Monarchie
umzugestalten und die altehrwürdigen Gesetze der germanischen Respublica zu
zerstören." [12] Deshalb galt es, die Libertät des Reiches,
das freie Bündnisrecht der Reichsstände, das Wahlrecht und den
Charakter des Reiches als einer "Aristokratie" im wohlverstandenen Interesse der
Reichsstände nicht nur entschieden zu verteidigen, sondern noch weiter
auszubauen.
2. Die wesentlichen Phasen der
Reichspolitik des Kardinals
Bei näherer
Betrachtung läßt sich die Reichspolitik Richelieus in drei Abschnitte
untergliedern: Der erste umfaßt die Jahre vom Beginn seines Ministeriats
(1624) bis Ende 1630 bzw. Anfang 1631; der zweite endet um die Wende 1634/35;
der dritte erstreckt sich von Ende 1634 bzw. Anfang 1635 bis zum Tode des
Kardinals am 4. Dezember 1642.
Während der
ersten Phase war die französische Reichspolitik eng mit der Italienfrage
verknüpft. Für Richelieu war klar, daß Spanien-Habsburg seine
Stellung in Italien auf Dauer nur behaupten konnte dank der Verbindungen zum
Reich und der Hilfsmittel, die nördlich der Alpen mobilisiert werden
konnten. Die Reichspolitik des Kardinals war deshalb darauf angelegt, die
Position der Habsburger im Reich so weit wie möglich zu schwächen. Es
war daher nur konsequent, wenn er während der Phase des "verdeckten
Krieges" auch im Reich alle jene Mittel gegen das Gesamthaus Habsburg
einzusetzen sich bemühte, die einer offenen Intervention in den Krieg zwar
sehr nahe kamen, mit denen ein direkter Kriegseintritt Frankreichs aber dennoch
vermieden werden konnte.
Auf Einzelheiten kann
hier nicht eingegangen werden. Zu betonen ist jedoch, daß Richelieu bei
seinen Aktivitäten gegenüber den verschiedenen Reichsständen die
zunehmenden Spannungen nutzen konnte, die sich im Verhältnis zwischen ihnen
und dem Kaiser manifestierten. Den in ihrer Libertät bedrohten
Reichsständen bot Richelieu französische Unterstützung
an.
Die im Kontext mit dem Mantua-Problem in
verstärktem Maße erfolgte Hinwendung der französischen
Außenpolitik zu den Reichsangelegenheiten fand bei den
anläßlich des Regensburger Kurfürstentages geführten
Friedensverhandlungen mit dem Kaiser ihren deutlichen Niederschlag. Diese
Verhandlungen führten schließlich zum Abschluß des Regensburger
Vertrages vom 13. Oktober 1630. Er wurde als Generalfrieden deklariert und von
den französischen Unterhändlern - wenn auch unter Hinweis auf ihre nur
zur Regelung des Italienkonflikts begrenzten Vollmachten -
unterzeichnet.
Richelieu kritisierte an diesem
Vertrag, daß er sich nicht auf die Regelung der Mantuanischen Erbfolge
beschränkte und die Vertagung der Streitigkeiten um Metz, Toul und Verdun
auf eine spezielle Konferenz sowie die Beendigung der Auseinandersetzungen mit
dem Herzog von Lothringen vorsah. Vor allem stieß sich der Kardinal an dem
universellen Charakter des Vertrages und den daraus für die
französische Außenpolitik resultierenden Konsequenzen. Mit der
Annahme und Ausführung dieser Vertragsbestimmungen wären nicht nur die
kaiserlichen Truppen in Oberitalien freigesetzt, die dann im Reich gegen die
Schweden hätten eingesetzt werden können, sondern auch jegliche
französische Unterstützung für Schweden wäre unmöglich
gemacht worden. Nach Richelieus Überzeugung hätte eine Annahme des
Regensburger Vertrags die Fortsetzung der kaiserlich-spanischen Dominanz in der
Christenheit bedeutet. Außerdem bemühte sich der Kardinal gerade in
jenen Monaten, ein neues Bündnissystem gegen das Haus Habsburg aufzubauen,
das mit dem französisch-schwedischen Vertrag von Bärwalde (23. Januar
1631) seinen Abschluß finden sollte. Indessen konnte dank neuester
Forschungen nachgewiesen werden, daß man auf französischer Seite
kurze Zeit nach den ersten, äußerst negativen Reaktionen von der
extremen Position wieder abrückte. Von einer pauschalen Ablehnung sprach
man nicht mehr. Vielmehr signalisierte man die Bereitschaft, die
Vertragsartikel, die Italien betrafen, umzusetzen und die Gespräche
weiterzuführen, nachdem kaiserliche Minister Entgegenkommen gezeigt hatten.
In Wien war man mit einigem Erfolg bemüht, die Befürchtungen
Richelieus zu zerstreuen, Ferdinand II. könne den Vertrag dazu nutzen, um
Frankreich über Oberitalien hinaus zu inakzeptablen Konzessionen zu
zwingen, den französischen König zur Aufgabe seiner Verbündeten
zu drängen und ihn damit in Abhängigkeit von Kaiser und Reich zu
bringen. [13]
Mit der Schwerpunktverlegung
der französischen Außenpolitik nach Norden setzte die zweite Phase
der Reichspolitik Richelieus ein. In dieser Phase, die sehr stark durch die
schwedischen Erfolge im Reich geprägt ist, nahmen Ausmaß und Umfang
der französischen Forderungen und Ansprüche gegenüber dem Kaiser
zunächst zu. Gleichzeitig verlor die Fixierung der französischen
Außenpolitik auf Spanien an Gewicht. Demgegenüber ist eine zunehmende
Ausrichtung der französischen Aktivitäten an der Politik und an den
Interessen Schwedens festzustellen, das sich als gefährlicher Konkurrent
erwies. Nach der Schlacht bei Nördlingen im Herbst 1634, in der die
kaiserliche Armee die Schweden und ihre deutschen Verbündeten entscheidend
schlug, und nachdem 1636 die habsburgischen Verbände weit in die Gebiete
des französischen Königs eingedrungen waren, reduzierte Richelieu die
französischen Ansprüche indessen deutlich. In jenen Jahren war es
Ferdinand II., der, gestärkt durch seine Erfolge, weitreichende
Forderungen nach Restitution und Entschädigung stellte. Hingegen wurden
jetzt die französischen Gesandten im Reich angewiesen, zu retten, was zu
retten war.
In dieser zweiten Phase der
Reichspolitik gewann Richelieus "Passagen- und Protektionspolitik" auch für
die französische Ostgrenze besondere Bedeutung. Zunächst in
Oberitalien praktiziert, wurde sie im bereits genannten Avis von 1629
detailliert entwickelt, in jenem außenpolitischen Aktionsprogramm also,
das der Kardinal nach dem Sieg über die Hugenotten für den König
formuliert hatte. Frankreich habe sich, so liest man in dieser Denkschrift, an
allen Grenzen Ausfalltore, Passagen, zu verschaffen, um sich damit
Möglichkeiten der Intervention zum Schutz der kleineren Mächte in
Italien und der Reichsstände zu eröffnen. Dieser
außenpolitischen Zielsetzung folgend, "wurden von den Ostgrenzen des
Königreiches aus Auffang- und Ausgangsstellungen zum Reich hin
vorgeschoben, Einflußzonen geschaffen, Verbindungslinien vorangetrieben,
deren vorderste Spitzen sich in Ehrenbreitstein, Philippsburg, Straßburg
und Breisach Brückenköpfe suchten, Stützpunkte, Pforten, sichere
und gesicherte Übergänge. Defensive Maßnahmen waren es, von
militärisch-strategischen Erwägungen her ausgelöst, Sperren gegen
eine kaiserliche Offensive, Riegel gegen eine schwedische
Bedrohung." [14]
In den Jahren 1631/32 war
Richelieu bemüht, einen Ausgleich zwischen der katholischen Liga und der
protestantischen Union herbeizuführen, um danach zwischen der Liga und dem
Schwedenkönig vermitteln zu können. Noch 1634 setzte er seine
Anstrengungen fort. Das Scheitern dieser Bemühungen und die wachsende
Bedrohung des lothringisch-elsässischen Raumes zuerst durch das Vordringen
Schwedens und dann Spaniens nach der Schlacht von Nördlingen hatten einen
stärkeren Rekurs auf die "Passagen- und Pfortenpolitik" zur Folge. Wie aber
die politisch-militärischen Zusammenhänge erkennen lassen und neuere
Untersuchungen bestätigt haben, zielte Richelieus "Passagen- und
Pfortenpolitik" in jenen Jahren nicht auf umfangreiche territoriale Erwerbungen.
Als sich nach dem Tode Gustav Adolfs in der Schlacht bei Lützen (16.
November 1632) die Wahrscheinlichkeit eines offenen Bruchs mit Spanien
stärker abzeichnete, wurde die Passagenpolitik als Protektionspolitik auf
den ganzen Raum zwischen Ehrenbreitstein und Breisach
ausgedehnt.
Letztlich konnte aber die
französische Protektionspolitik nur bei denjenigen Reichsständen
erfolgreich praktiziert werden, die Gefahr liefen, in einen kriegerischen
Konflikt involviert zu werden und für die die Annahme französischer
Protektion Neutralität bedeutete. Nach der vernichtenden Niederlage der
Schweden und des Heilbronner Bundes in der Schlacht bei Nördlingen entstand
auch für Frankreich eine völlig neue Lage. "Der Raum, der mit den
Protektionen hatte gedeckt werden können, war bei einer direkten
militärischen Verteidigung nicht zu halten. Frankreich verlor Mannheim,
Philippsburg und Speyer und mußte auch im Unter- und Oberelsaß die
Kontrolle des flachen Landes bald an die Kaiserlichen abgeben. Nur die
eigentlichen Protektionspositionen verblieben ihm und gewannen unter einem
militärischen Aspekt nun eine neue Bedeutung für die französische
Politik." [15]
Spätestens mit der
französischen Kriegserklärung an Spanien (19. Mai 1635) endet der
zweite Abschnitt der Reichspolitik Richelieus. In der nun beginnenden dritten
Phase rückten der Kaiser und das Reich noch mehr in das Zentrum der
französischen Außenpolitik. Für Richelieu waren die Bestimmungen
des Prager Friedens vom 30. Mai 1635, der unter Ausschluß der
auswärtigen Mächte das Reich allein befrieden sollte und der den
Höhepunkt kaiserlicher Macht im Reich darstellte, ein weiterer Beweis
dafür, daß Ferdinand II. Deutschland in eine absolute Monarchie
transformieren wolle.
Bis in die Gegenwart haben
französische, englische und deutsche Historiker die Ansicht vertreten, der
Kaiser habe dem französischen König im Januar 1636 und dieser im
folgenden März bzw. Mai Ferdinand II. den Krieg erklärt. Zu
förmlichen Kriegserklärungen, zum offenen Bruch zwischen Ludwig XIII.
und Ferdinand II. ist es jedoch nicht gekommen, wie neueste Untersuchungen
ergeben haben. In der Woche zwischen dem 17. und 25. August 1635 verließ
zwar der kaiserliche Resident Paris, Richelieu und Ludwig XIII. wollten jedoch
verhindern, daß dieser Vorgang als Kriegserklärung gewertet
würde. Erst im März 1636 beschloß der Kaiser, die
Residentenstelle in Paris vakant zu lassen und den französischen Gesandten
Charbonnières zur Abreise aus Wien aufzufordern. Zu förmlichen
Kriegserklärungen kam es aber nicht.
In einem
an den Kaiser gerichteten Brief vom 14. Juni 1636 erinnerte Ferdinand (III.)
seinen Vater daran, daß man bereits vor einem Jahr darüber beraten
habe, ob man nicht "die commercia zwischen ermelter Cron und dem Heiligen Reich
aufheben, wie nicht weniger die ahm kayserlichen undt Königlich
Frantzösischen Hoff sich befindende Residenten beides theils abfordern,
undt abschaffen lassen" solle "undt dan (ohnangesehen des Prager Friden
vermelten König in Franckreich zum fall er sich zu demselben nicht
bequemte, pro Hoste Imperij für sich selbst decklarirt) dennoch und
absonderlich für deß Heiligen Reichs Feundt [Feind] publicirn und
destoweniger ein Manifestum außgehen zu lassen". [16] In seiner
Antwort sprach sich Ferdinand II. jedoch eindeutig gegen das Vorhaben seines
Sohnes aus. Der Kaiser führte am 19. Juni 1636 aus, daß ihm "bey all
dißen erinnerungen underschiedliche bedencken" gekommen seien, weil Ludwig
XIII. niemals ein Kriegsmanifest gegen Kaiser und Reich publiziert habe und
vielmehr "auch den praetext seiner Waffen vast allein auf ein frembde sach,
alß die wekfuehrung deß Churfürsten zu Trier fundieret". Er,
der Kaiser, habe trotz der militärischen Übergriffe Frankreichs auf
das Reich die Hoffnung auf einen Frieden nicht aufgegeben und seine
Bemühungen, einen Friedenskongreß zu erreichen, nicht
eingestellt. [17] Ferdinand II. lehnte also eine offene
Kriegserklärung ab. Und als später im August 1636 sein Sohn ihn erneut
bat, ein Kriegsmanifest gegen Ludwig XIII. zu veröffentlichen, und seinem
Schreiben bereits einen Textentwurf beifügte, entsprach der Kaiser
schließlich der Bitte, aber dies geschah in einer Form - und dieser
Tatbestand ist entscheidend -, die eben nicht als eine förmliche
Kriegserklärung verstanden werden konnte. Ferdinand II. nahm an dem ihm
übersandten Entwurf erhebliche Veränderungen vor, die auf eine
deutliche Entschärfung des Textes hinausliefen. Nicht nur der Tenor seines
Antwortschreibens vom 6. September 1636 [18], sondern auch die von ihm
veranlaßten Veränderungen am Entwurf belegen, daß FerdinandII.
nach wie vor darauf bedacht war, Ludwig XIII. nicht zu provozieren und den
Ausbruch eines offenen Krieges möglichst zu vermeiden. Der Kaiser lehnte es
außerdem ab, das Manifest zu unterzeichnen und in seinem Namen erscheinen
zu lassen. Unterzeichner war sein Sohn Ferdinand (III.). Wegen dieser
Vorgänge kam es auch nicht zu einem offenen Bruch zwischen Ludwig XIII. und
Ferdinand II.
Nahmen die militärischen
Auseinandersetzungen im Reich, die Frankreich im wesentlichen den mit ihm
verbündeten Reichsfürsten überließ, für Ludwig XIII.
zunächst einen wenig erfolgreichen Verlauf, so trat im Jahre 1638 eine
Wende zugunsten Frankreichs ein. Von besonderer Bedeutung war, daß der mit
dem französischen König verbündete Söldnerführer
Bernhard von Weimar am 17. Dezember 1638 den Kaiserlichen die
Schlüsselfestung des Oberrheins, Breisach, entreißen
konnte.
Bis zum offenen Kriegseintritt waren nicht
umfangreicher Gebietserwerb und Grenzerweiterung, sondern die militärische
Beherrschung bestimmter Schlüsselstellungen, der Erwerb von "Passagen" und
"Pforten", Richelieus Ziel. Erst nach 1635, als sich die Chance echter
Friedensverhandlungen abzuzeichnen begann, wird wohl auch die Intention
wirklicher Annexion erkennbar. Dies gilt unstrittig für Pinerolo und die
drei Bistümer Metz, Toul und Verdun, die sich jedoch bereits seit
Jahrzehnten unter französischer Protektion befanden und fast schon als zur
französischen Krondomäne gehörig betrachtet wurden. In den
letzten Jahren des Ministeriats Richelieus verdichteten sich dann auch die
französischen Ambitionen auf Lothringen. "Dagegen ist die Besetzung des
linken Rheinufers von Koblenz bis Basel, mit wichtigen Brückenköpfen
auf dem rechten Ufer (Ehrenbreitstein, Breisach), offenbar zunächst allein
von dem Wunsch bestimmt, keine der kriegführenden Mächte dort
Fuß fassen zu lassen, nach 1635 aber mehr und mehr von der Absicht,
Faustpfänder zu gewinnen, um einen Friedensschluß im Reich ohne
Berücksichtigung der französischen Interessen zu
verhindern." [19]
Wie die von Richelieu
maßgeblich bestimmte Friedensinstruktion von 1643, ihre früheren
Entwürfe und die Zusatzinstruktion in aller Klarheit erkennen lassen, hat
er in der Frage territorialer Erwerbungen kein festes und unflexibles Programm
verfolgt. Es ging ihm vor allem um die Realisierung eines
politisch-strategischen Zieles, nämlich um die dauerhafte Öffnung der
Frankreich umgebenden Grenzen. Damit sollten die Voraussetzungen für
permanente diplomatische bzw. auch militärische Interventionen geschaffen
werden. Auf diese Weise sollte der französische König in die Lage
versetzt werden, seine friedenssichernde Rolle als Protektor der Christenheit
wahrnehmen zu können.
Dieses generelle
Konzept ermöglichte Richelieu eine bemerkenswerte Flexiblilität in der
Behandlung der Problematik territorialer Erwerbungen. War er im Januar 1642 noch
bereit, mit sich über das Elsaß und die Festung Breisach reden zu
lassen, so schien er im November dieses Jahres zu deren Erwerbung entschlossen.
Es zeigt sich aber auch, daß er für den Fall der Durchsetzung der
französischen territorialen Ambitionen im Norden (Flandern) zu Konzessionen
gegenüber dem Kaiser bereit war. Einige Indizien deuten aber darauf hin,
daß er eher dazu neigte, Frankreich eine günstige und starke
strategische Position am Oberrhein zu
verschaffen.
3. Mazarins Reichspolitik von
1642 bis 1643 im Kontext innerfranzösischer Spannungen und
Krisen
Zwischen Mazarins Konzept einer
französischen Bündnispolitik, der Schaffung von Ligen deutscher und
italienischer Fürsten gegen das Haus Habsburg und der Etablierung eines
Systems kollektiver Sicherheit durch allgemeine Garantie des zu schaffenden
Universalfriedens und den Ideen Richelieus lassen sich allenfalls marginale
Unterschiede feststellen, die aber nicht auf Meinungsunterschiede, sondern auf
veränderte Rahmenbedingungen zurückzuführen
sind.
Gleichwohl zeigte sich bald, daß
Mazarin bei aller Übereinstimmung mit seinem Vorgänger in
Grundsatzfragen auch auf dem Felde der Reichspolitik weitergehende territoriale
Forderungen stellte. Es liegt nun einmal in der Natur der Sache, daß ein
Nachfolger nicht uneingeschränkt an den Ideen seines Vorgängers
festhält, und es ist ebenso verständlich, daß bei zunehmenden
militärischen Erfolgen und dem damit einhergehenden Erlahmen des
Widerstands der Gegner der Ausdehnungsdrang der Staaten wächst. Mazarins
Außenpolitik wurde dadurch begünstigt, daß am selben Tage, als
er von der Regentin als Erster Minister bestätigt wurde, der Herzog von
Enghien bei Rocroy (19. Mai 1643) einen vernichtenden Sieg über die
spanische Infanterie erringen konnte. Der Kardinal erkannte die Bedeutung dieses
Sieges und setzte durch, daß sich die französischen Armeen nach Osten
der Reichsgrenze zuwandten. In der Folgezeit eröffneten sich die Franzosen
den Zugang zum Mittel- und Niederrhein und schließlich nach
Süddeutschland. Im Jahre 1644 war das linke Rheinufer von Basel bis Koblenz
wieder und auf längere Dauer in französischer Hand. "Die so errungene
militärische Stellung ermöglichte Frankreich überhaupt erst die
Rolle, die es auf dem Friedenskongreß zu spielen gedachte und so
glänzend durchführte." [20]
Aber
auch in Anbetracht der wachsenden innerfranzösischen Spannungen brauchte
Mazarin militärische und außenpolitische Erfolge. Die schon unter
Richelieu virulente Opposition zeigte sich durch die Bestätigung Mazarins
als leitenden Minister - nach dem Tode Ludwigs XIII. (14. Mai 1643) - bitter
enttäuscht. Das daraus, aber auch aus zunehmenden sozialen und
wirtschaftlichen Spannungen resultierende Konfliktpotential entlud sich
schließlich im Frühjahr 1648 in der sogenannten Fronde, einer
schweren Krise der absoluten Monarchie.
Unter
solchen Vorzeichen liefen die entscheidenden Phasen der Friedensverhandlungen
ab, auf deren Verlauf hier nicht einzugehen ist. Daß Mazarin wohl weniger
Rücksicht auf die Interessen der Reichsstände zu nehmen gedachte als
sein Vorgänger, daß er entschlossen war, den für den
französischen König angestrebten Ruf eines uneigennützigen
Protektors reichsständischer Libertät zu opfern, um reale Vorteile zu
erzielen und für Frankreich im Reich eine einflußreiche Position zu
erlangen, wurde bald deutlich. Entgegen den Hinweisen auch wohlmeinender
Reichsstände hielt Mazarin in seinem geheimen Zusatz vom 21. November 1643
zur Instruktion für die französischen Bevollmächtigten an seiner
bereits am 1. Juli formulierten Forderung fest, für den französischen
König Ober- und Unterelsaß, Breisach und Philippsburg als
Satisfaktion zu verlangen. Die endgültige Abtretung der Bistümer Metz,
Toul und Verdun an Frankreich war ohnehin als selbstverständlich
vorgesehen. Noch weniger als Richelieu erkannte Mazarin den Widerspruch, der
zwischen den beiden Hauptzielen der französischen Reichspolitik bestand,
nämlich auf der einen Seite eine möglichst starke und geschlossene
reichsständische Opposition gegen Habsburg zu formieren, und auf der
anderen Seite selbst im Reich Fuß zu fassen, Grenzverbesserungen und
Stützpunkte zu gewinnen, ja eventuell sogar die Reichsstandschaft zu
erlangen.
III. Der Westfälische Friede -
Erfolge und Mißerfolge der französischen
Reichspolitik
Die von Richelieu am konkretesten in
den Friedensinstruktionen vom Februar/März 1637 und von 1641/42
formulierten Grundlagen eines europäischen Systems kollektiver Sicherheit,
das den zu schließenden Universalfrieden auf Dauer sichern sollte und das
Mazarin übernahm, konnten schließlich im Friedensvertrag allenfalls
nur bruchstückhaft realisiert werden. [21] Mit Richelieus Entwurf
sollte die für jedes System kollektiver Sicherheit charakteristische
Universalität insofern angestrebt werden, als möglichst weite Teile
Europas einbezogen werden sollten. In diesem Projekt waren auch die übrigen
konstitutiven Elemente eines derartigen Sicherheitssystems enthalten: eine
bestimmte Reihenfolge von Maßnahmen gegen jeden Friedensbrecher, wobei im
konkreten Fall zuerst eine friedliche Streitschlichtung versucht werden sollte.
Scheiterten friedliche Maßnahmen, war auch ein bewaffnetes Einschreiten
aller Mitglieder des Systems gegen den Friedensstörer
vorgesehen.
Dieses Konzept zur Friedenssicherung
war bei den damaligen politischen Gegebenheiten nicht realisierbar, so daß
Mazarin im Verlauf der Verhandlungen große Abstriche machen mußte.
Bruchstückhaft fanden Elemente dieses Konzeptes jedoch Eingang in die
Garantiebestimmungen des Westfälischen Friedens, die indessen in manchen
Punkten unpräzise und daher für Interpretationen offen blieben.
Daß dieses Sicherheitskonzept für Europa in seiner ursprünglich
beabsichtigten Form nicht realisiert werden konnte, lag nicht nur daran,
daß die Zeit dafür noch nicht reif war, sondern auch - und vor allem
- an der ablehnenden Haltung des Kaisers, Spaniens und der meisten
Reichsstände. Aus kaiserlicher und spanischer Sicht betrachtet, ist es
verständlich, daß beide Mächte einem Projekt kaum Positives
abgewinnen konnten, dessen Verwirklichung ihre machtpolitische Position weiter
geschwächt und die Stellung Frankreichs in Europa erheblich gestärkt
hätte. Aber auch bei den Reichsständen, die nicht unbedingt zu den
Anhängern des Kaisers gehörten, fand dieses Sicherheitskonzept nicht
die erhoffte Aufnahme. Mit dessen Verwirklichung und mit den Forderungen, die
sich auf Veränderungen der Reichsverfassung bezogen, hatten Richelieu und
Mazarin unter anderem das Ziel verfolgt, das Reich in eine Summe
völkerrechtlich unabhängiger Staaten aufzulösen, um die Macht des
Hauses Habsburg und des Kaisers dauerhaft zu begrenzen. Eine Reduzierung der
Macht des Kaisers lag zwar auch im Interesse der meisten Reichsstände. Was
sie aber nicht wollten, war die Auflösung des Reiches in unabhängige
Staaten, denn die Masse der mittleren und kleineren Reichsstände brauchte
den Reichsverband und den Schutz des Reiches zur Sicherung ihrer politischen
Existenz und territorialen Unversehrtheit gegenüber den Ambitionen der
mächtigen Reichsfürsten.
Trotz aller
punktuellen Kooperation herrschte bei den meisten Reichsständen - sieht man
von der kleinen aktivistischen Gruppe um Hessen-Kassel ab - tiefes
Mißtrauen gegenüber Frankreich. Dies zeigte sich auch in den
Verhandlungen über die französischen Satisfaktionsforderungen, bei
denen die französische Seite nicht zuletzt dank der Geschicklichkeit ihrer
Diplomatie ihre territorialen Forderungen im Hinblick auf das Elsaß, auf
die Bistümer Metz, Toul und Verdun, auf Breisach und auf Philippsburg im
wesentlichen durchsetzen konnte. Und selbst in jenen Punkten, wo die
französische Seite zumindest auf dem Papier Konzessionen machen
mußte, so z.B. in der Frage der Sicherung der Immediatstände im
Elsaß und in den drei Bistümern, gelang es den französischen
Diplomaten, Formulierungen in den Vertragstext einzufügen, mit denen die
französischen Ambitionen in der Zukunft und unter günstigeren
Konstellationen geltend gemacht werden konnten.
Im
Hinblick auf die konfessionellen Probleme des Reiches, die auf dem
Friedenskongreß zumindest dauerhaft entschärft werden sollten, befand
sich die französische Politik in einem Dilemma. Zum einem galt es, dem
Anspruch des Allerchristlichsten Königs, Protektor der Christenheit, d.h.
der katholischen Kirche, zu sein, Rechnung zu tragen. Daraus resultierte
für die französische Reichspolitik, dafür zu sorgen, daß
sich die Verluste der Katholiken zumindest in gerade noch erträglichen
Grenzen hielten. Auf der anderen Seite war Frankreich mit Schweden und einigen
protestantischen Reichsständen verbündet und konnte nicht riskieren,
durch allzu unnachgiebiges Verhalten gegenüber den Forderungen der
Protestanten die Unterstützung seiner Alliierten zu verlieren, auf die es
zur Durchsetzung französischer Ziele und Ambitionen ebenfalls angewiesen
war.
Alles in allem blieben die französischen
Erfolge auf dem Sektor der konfessionellen Probleme im Reich recht begrenzt.
Dafür machten die französischen Diplomaten auch die - wie sie meinten
- gelegentlich allzu große Nachgiebigkeit der Kaiserlichen
verantwortlich.
Wenn der Kardinal auch den
Generalfrieden und dessen dauerhafte Sicherung durch eine Realisierung des
Konzeptes kollektiver Sicherheit nicht erreichen konnte, so gelang doch die
Trennung der beiden Linien des Hauses Habsburg, die bereits Richelieu angestrebt
hatte. Ein Friedensschluß mit Spanien scheiterte an der Haltung Mazarins
und Serviens, weil sie zu einem Nachgeben in der lothringischen Frage nicht
bereit waren. Ob aber die in Westfalen erreichte Trennung der beiden
habsburgischen Linien dauerhafter Natur sein würde und den
französischen Vorstellungen gemäß vertieft werden konnte, das
mußte die Zukunft
erweisen.