Forschungsstelle "Westfälischer Friede": Dokumentation

DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa

Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft

OLIVIER CHALINE
Die Schlacht am Weißen Berg (8. November 1620)

Der böhmische Aufstand fand seinen tragischen Höhepunkt am 8. November 1620 an den Hängen des Weißen Berges. Binnen zweier Stunden schlugen die Streitkräfte des Kaisers und der katholischen Liga die Truppen Böhmens, Mährens, Schlesiens und Niederösterreichs, die von der ungarischen Kavallerie unterstützt wurden. Die Niederlage war endgültig. Der pfälzische Kurfürst, der von den Aufständischen Prags zum König gewählt worden war, unternahm nicht einmal den Versuch, die Stadt zu verteidigen: Er verließ Prag am folgenden Tag. Damit fiel nahezu das ganze Königreich Böhmen an Kaiser Ferdinand II. zurück. [1] Vor allem in der tschechischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wurde diese verhängnisvolle Schlacht als Beginn der "Zeit der Finsternis" (Temno) [2] dargestellt. Seither wird die Schlacht am Weißen Berg unaufhörlich erwähnt und ist dennoch weitgehend unerforscht. Im militärischen Sinne gibt sie wenig her und wird auf die wenig glorreiche Flucht "tschechisch" genannter Truppen reduziert. Das gefühlsbetonte tschechische Nationalbewußtsein, das sich in den letzten hundert Jahren entwickelte, stilisierte das Datum zu einem verfluchten Tag und einer schmerzlichen Erinnerung und lief Gefahr, die Realität des Jahres 1620 zu verschleiern. Hier beginnt die Arbeit des Historikers, der im Dickicht von Hypothesen und Interpretationen das eigentliche Forschungsobjekt wieder zutage befördern muß. Es erscheint ratsam, die Schlacht zunächst aus der Sichtweise der Soldaten zu betrachten und sie als "Eintritt neuer Dimensionen der Kriegsgewalt" zu analysieren. Auf diese Art und Weise ist es möglich, den außerordentlich schwerwiegenden Religionsfaktor aus dem eigentlichen Verlauf des Gefechts auszuklammern und die Schlüsselaussagen über das Krisenmoment herauszustellen. [3]



I. Dem Leiden ein Ende bereiten

Die Schlacht kann nicht losgelöst vom Feldzug des Jahres 1620 gesehen werden, dessen Höhepunkt sie war. [4] Der 8. November war ein spätes und schlecht geeignetes Datum für eine Entscheidungsschlacht, denn die kalte Jahreszeit hatte begonnen, und die Soldaten dachten schon an ihre Winterquartiere. Dennoch waren beide Seiten darum bemüht, gerade zu diesem Zeitpunkt die endgültige Entscheidung herbeizuführen. Die Heerführer wollten ein viertes fruchtloses und äußerst kostspieliges Kriegsjahr vermeiden, für die Soldaten sollte das unerträgliche Leiden ein Ende finden. Seit dem Sommer des Jahres 1620 waren die katholischen Heerscharen in Böhmen einmarschiert, sie hatten einen Feind verfolgt, der ihnen unentwegt entwischte. Weit davon entfernt, ein Triumphzug zu sein, ging dieses ungewisse Vorrücken mit furchtbarer Gewalt einher, in einem verwüsteten Land, in dem die Soldaten und ihre Familien unter Hunger, überhöhten Lebensmittelpreisen, Epidemien und Angst litten. Die Soldaten, die wegen sich verzögernder Soldzahlungen meuterten, begrüßten den Beginn der militärischen Operationen. Obwohl man im Feindesland vorrückte, blieb das Ziel des Feldzugs lange Zeit verworren. Die katholischen Verbündeten, General Buquoy an der Spitze der Kaiserlichen (hierzu gehörten ein großer Teil wallonischer, spanischer, neapolitanischer und toskanischer Truppen sowie polnische Kavallerie) und der Herzog von Bayern, der mit dem Grafen von Tilly die Streitkräfte der katholischen Liga anführte (Bayern, Soldaten der rheinischen Kirchenfürsten, auch Lothringer) waren sich weitgehend uneins. Buquoy, der in den Niederlanden die spanische Kriegsführung erlernt hatte, wollte den Entscheidungskampf, für den seine Verbündeten plädierten, vermeiden. Deshalb wurde Prag erst Ende Oktober zum Angriffsziel erklärt. In Eilmärschen erreichten die Katholiken in den ersten Novembertagen bei Kälte und Nebel die Umgebung von Prag. Nach wiederholtem blinden Alarm schien die Schlacht gegen die verteidigungswillige Armee der Aufständischen jetzt unausweichlich.

Diese Armee, mit dem Fürsten Christian von Anhalt an der Spitze, war ebenso erschöpft wie ihre Verfolger. Sie ließ sich in aller Eile am Weißen Berg nieder, einem Steilhang im Westen Prags nahe dem Schloß Stern, wo der neue König im Jahre 1619 empfangen worden war. Das Heer bestand aus deutschen Söldnern aus den böhmischen Ländern, Verstärkungstruppen aus Mähren, einem schlesischen Truppenkontingent sowie österreichischen und ungarischen Protestanten. Dieses Heer kann keinesfalls als "nationale tschechische Armee" bezeichnet werden; es bestand, wie damals üblich, aus Einheiten unterschiedlicher Nationalitäten, unter denen durchaus nicht immer Einigkeit herrschte. Bei den Söldnern machte sich Unzufriedenheit breit, weil die böhmischen Staaten schlecht und spät zahlten. Warum sollte man sich für derartige Auftraggeber schlagen? Einige Soldaten hatten sogar vor, Prag zu plündern, um sich auf diese Weise zu entschädigen. In der Nacht hörten die Männer des Fürsten von Anhalt den dumpfen Donner der feindlichen Kolonnen im Anmarsch. Die Bayern voran, rückte der Feind immer schneller vor, wie von einem unsichtbaren Magnet angezogen: Prag. Die Soldaten sehnten ein Ende herbei, für ihre schmerzenden Füße, ihren Mangel an Schlaf, ihre leeren Mägen und ihre Angst vor den Ungarn, die über die Planwagen ihrer Familien herfielen. Der Kampf schien, verglichen mit der endlosen Spannung und der verzehrenden Angst, das kleinere Übel zu sein. Im Morgennebel überfiel die polnische und wallonische Kavallerie ein Dorf am Fuß des Weißen Berges. Die erschöpften Ungarn, die dort arglos schliefen, wurden ohne Widerstand zu leisten niedergemetzelt. Einige Überlebende flohen und übertrugen ihre Angst auf den Berg, wo die Vorposten der Anhaltiner sie plötzlich aus dem dichten Nebel auftauchen sahen. Das Phänomen "Schlacht am Weißen Berg" hatte begonnen.

Im Laufe des Vormittags nahmen die Bayern eine verlassene Brücke am Fuße des Weißen Berges ein, ohne auf Widerstand zu stoßen. Dann überquerten sie die sumpfige Flußaue und marschierten los. Die Kaiserlichen rückten langsam nach, ohne daß die gegnerische Armee versuchte, Teile des Geländes zu sichern, obwohl es für sie von Vorteil gewesen wäre. Zahlenmäßig unterlegen (ungefähr 21.000 gegen 30.000 Mann), bemühte sich die böhmische Armee, ihre Stellung auf dem Gipfel zu halten, ohne sich zu weit zu verteilen. Sie konzentrierte ihre Verteidigungsstellung auf den Lustgarten des Schlosses Stern zu ihrer Rechten. Weil er seinen Truppenverband nicht auseinanderziehen wollte verzichtete Anhalt darauf, mit einem Teil seiner Truppen die Bayern anzugreifen, die sich im Tal in einer verwundbaren Lage befanden. Er ließ abwechselnd Kavallerie und Infanterie von zwei Linien aus angreifen, und zwar so, als ob er ein kompaktes Infanterie-Karree aufgestellt hätte [5], was ihm die Absicherung der am meisten bedrohten Punkte ermöglichte. Die ungarischen Streitkräfte sollten den linken Flügel unterstützen, da, wo der Abhang an wenigsten steil war. Doch sie hielten sich nicht an seine Befehle, blieben im Hintergrund und bildeten eine dritte, ungeplante Linie. Zahlenmäßig überlegen, waren die beiden katholischen Armeen auf zwei Linien verteilt, die aus riesigen Karrees mit vier Regimentern aus Musketieren und Pikenieren bestanden. Sie mußten eine Steilwand erklimmen, die vor ihnen wie eine Mauer lag. Während die Bayern nach links vorrückten, wo der Hang am schwierigsten zu überwinden war, sie aber vor den Blicken des Feindes schützte, befanden sich die Kaiserlichen zur Rechten, wo der Abhang am wenigsten steil war. Man fragt sich, ob es unter diesen Bedingungen sinnvoll war, sich eine Schlacht zu liefern.

Buquoy war dagegen: Der Feind habe eine zu starke Position, und eine Niederlage vor den Toren Prags werde sich schnell zu einer Katastrophe entwickeln. Warum nicht um den Berg herumgehen und sich der Stadt nähern? Die Bayern wollten sich auf keinen Fall die Gelegenheit entgehen lassen, sich einen müden, noch nicht verschanzten Feind vom Halse zu schaffen, obgleich sie wußten, daß die bevorstehende Schlacht große Verluste bringen würde. Tilly meinte, man würde mit der "Barmherzigkeit der Geschütze" durchkommen. Zu diesem Kriegsrat, der sich nicht einigen konnte, stieß - ohne eingeladen worden zu sein - ein spanischer Karmeliter, der die bayerische Armee begleitete, mit Namen Dominicus a Jesu Maria. Er zeigte dem Kriegsrat ein von protestantischen Ikonoklasten beschädigtes und geschändetes Gemälde und beteuerte, daß ihm in mehreren Visionen der Sieg prophezeit worden sei, weil damit die Gottlosigkeit der Ketzer bestrafe werde, und daß die Engel an der Seite der Soldaten kämpfen würden. [6] Die Entscheidung für die Schlacht fiel. Die Soldaten erhielten am Morgen nach der Beichte den Marschbefehl, den sie mit Geschrei und Freudengesängen aufnahmen.



II. Die Erfahrung der Gewalt

Gegen Mittag stimmte der jesuitische Beichtvater von Buquoy, Pater Fitz-Simon, das Salve Regina an. Der Schlachtruf, ausgewählt von Anführer der katholischen Liga, Maximilian von Bayern, hallte von den Hängen des Weißen Berges zurück: "Maria!", wie in Lepanto. Er spornte die Männer an, er schweißte sie in dem Augenblick zusammen, in dem es hieß, den ersten Schritt nach vorn zu tun und Entschlossenheit statt Angst zu zeigen. Ein Wald aus Piken setzte sich in Bewegung, zuerst von der rechten Seite aus, wo die Kaiserlichen lagen. Mit dem Vorrücken der spanischen Kavallerie und der wallonischen Infanterie löste sich auch der linke Flügel des Truppenverbandes auf, wenn auch langsamer wegen des steilen Abhangs. Ohne zu kämpfen, schossen ganze Söldnerverbände des Gegners in die Luft und flohen dann nach Prag, dabei erleichterte ihnen die vom Fürsten Anhalt gewählte Aufstellung in kleinen Einheiten auf fatale Weise, zu desertieren. Andere hingegen rückten vor, um die Lücken zu schließen und kämpften mit unbändiger Wut. So auch die Soldaten des jungen Prinzen von Anhalt, dem Sohn des befehlshabenden Generals. Er ging zu einem kraftvollen Gegenangriff über, schlug die spanische Kavallerie zurück, die in alle Himmelsrichtungen davonlief, und zerschlug ein wallonisches Karree, das, von Artillerie und Musketieren besiegt, die Hälfte seiner Männer verlor. Die Soldaten verloren in diesem Chaos den Überblick und nahmen das alles nur noch flüchtig und als Halluzination wahr: den Lärm der Schüsse und Schreie, den schwarzen Rauch aus den Musketen und Kanonen; es war für sie eine ungeheure physische Anstrengung. [7] Die Soldaten bemühten sich, beieinander zu bleiben, um mit ganzer Kraft zuschlagen zu können. Wir wissen nur sehr wenig von der Schlagkraft dieser Unmenge von Pikenieren. Die bildlichen Darstellungen ignorieren dieses schreckliche Geschehen, die Augenzeugen bleiben stumm. Die Kämpfenden wollten eine Bresche in die gegnerische Linie schlagen. Sie rückten vor, so gut sie konnten und marschierten dabei über die Leichen der schon Gefallenen - über aufgeschlitzte, zerquetschte, erstickte Körper. In der Endphase des Kampfes fochten die Pikeniere und Musketiere mit Schwert und Dolch, Mann gegen Mann. Zu diesem Zeitpunkt kämpfte nur noch eine Minderheit der Soldaten, doch für sie war es die Hölle auf Erden.

Die Kavalleristen des Fürsten von Anhalt schrien schon "Sieg". Aus Furcht, ihnen könne die Beute vorenthalten werden, schwangen sich die Ungarn in den Sattel, um auf den ins Wanken geratenen Feind loszustürzen. Den Kaiserlichen drohte schon eine Niederlage. Tilly beschloß daraufhin, die italienische Kavallerie in den Kampf zu schicken, und vor allem die "Kosaken", polnische Reiter, die aus der Steppe kamen und auf ihrem Weg Angst und Schrecken verbreiteten. Eine neue Schwelle der Gewalt war überschritten und verwandelte die Schlacht in einen unwiderruflichen Paroxysmus. Furchtbares Gebrüll ausstoßend, rasten die Kosaken auf die Ungarn zu, wobei sie die Zügel ihrer Pferde zwischen den Zähnen hielten, um ihre großen zweischneidigen Schwerter besser halten zu können. Ihr Eingreifen machte das Schlachtfeld zu einem Ort des Grauens. Die Angst hatte die Fronten gewechselt. Vom Feind verfolgt, rissen die Ungarn die Zügel herum und sprangen von ihren Pferden, um schneller in die Weinberge flüchten zu können. Sie wandten sich nicht gen Prag, denn die Straße dorthin war mit Bagage verstopft, sondern strömten in eine Talmulde, die zu der Moldau abseits der Stadt führte. Vom Grauen gepackt, stürzten sich viele in den Fluß und ertranken. Auf dem Weißen Berg traten alle katholischen Einheiten, die Bayern eingeschlossen, in Aktion und erfreuten sich haushoher Überlegenheit, obwohl die gegnerischen Einheiten noch standen. Die Soldaten sahen, wie der Karmeliter zu Pferde aus dem Rauch und dem Donner auftauchte; er hielt ihnen sein geschändetes Gemälde entgegen, schwang sein Kruzifix und brüllte dem Feind die Verse aus dem nächsten Sonntagsevangelium entgegen: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist (gemeint war Böhmen) und Gott, was Gottes ist." Diese unerwartete Erscheinung löste bei ihnen Ergriffenheit aus: War es nicht die Gerechtigkeit Gottes, die diese Schlacht gewendet hatte? Die übermüdeten Männer verspürten ein starkes Gefühl der Unverwundbarkeit, verursacht durch die Flucht der Ungarn und die Erscheinung des Paters Dominicus.Waren sie noch auf der Erde oder etwa schon im Himmel? Die Soldaten versicherten später, sie hätten gesehen, wie das Gemälde und das Kruzifix Flammen gegen den flüchtenden Feind spien. Jetzt war die Zeit für den Kampf Mann gegen Mann und für das Metzeln gekommen. Die Wallonen und Neapolitaner schüttelten ihre Angst ab und massakrierten ihre Gegner. Ein letztes mährisches Karree wurde entlang der Schloßmauer zerschlagen. Als die Truppen im Innern des Parks um Gnade flehten, folgten die italienischen Soldaten nicht mehr den Befehlen ihrer Offiziere und machten nur sehr wenig Gefangene. Mordlust und das Bedürfnis, die Kameraden zu rächen, charakterisieren diesen Paroxysmus. Am Ende ließen sich die völlig entkräfteten Sieger auf der Stelle hinfallen und vergaßen die Toten und die Verwundeten, die überall auf den Hängen lagen.

Die Welle des Schreckens erreichte nun auch Prag. Im Glauben, die Schlacht stünde noch bevor, erhob sich König Friedrich von der Tafel im Schloß, um sich auf den Weg zu seinen Truppen zu machen, als er die vor dem Feind fliehenden Soldaten herannahen sah. Er verließ Hals über Kopf seine Residenz, um mit den Seinen auf der anderen Seite des Ufers in der Altstadt Schutz zu suchen. Mala Strana, die Prager Kleinseite, wurde in der Eile auch aufgegeben. Niemand unternahm den Versuch, die vier Städte Prags (Altstadt, Kleinseite, Neustadt und Hradschin), in die vor Entsetzen starre Flüchtlinge strömten, zu verteidigen. Am darauffolgenden Tag, dem 9. November, verließ der "Winterkönig" seine Hauptstadt für immer, um in ein lebenslanges Exil zu flüchten, während Maximilian und Buquoy in die Stadt eindrangen und bei den Kapuzinern ein Te Deum singen ließen. An diesem Tag sah ein Bürgersmann, wie ein Kavallerist schreiend und nackt, aber bewaffnet und mit Mütze durch die Altstadt lief, ein lebendes Bild des Wahnsinns, ein Zeuge des erbarmungslosen Grauens auf dem Schlachtfeld. [8]



III. Den Paroxysmus verstehen

Die Schlacht am Weißen Berg war keine gewöhnliche Schlacht. Zwar finden sich auch die üblichen religiösen Beigaben, die Gebete vor der Schlacht und das Te Deum des Siegers, dennoch spielt die Religion hier eine unvergleichlich große Rolle, die im Dreißigjährigen Krieg ohne Beispiel ist. Das einzige vergleichbare Ereignis hinsichtlich der Prophezeiungen, der Rolle der Kapuziner, der Verehrung des Rosenkranzes und der Anrufung der Heiligen Jungfrau des Sieges ist Lepanto im Jahre 1571. Bei der Schlacht am Weißen Berg hat die Religion jedoch einen ungleich größeren Stellenwert, weil die karmelitische Mystik in Person des Pater Dominicus a Jesu Maria plötzlich auf dem Schlachtfeld anwesend war.

Den Knoten zum Verständnis der Schlacht am Weißen Berg bildet der Kriegsrat, die Entwirrung dieses Knotens ist das Herzstück der historiographischen Streitigkeiten über die Schlacht. Das Auftreten und die Rolle des Karmeliters waren Gegenstand vieler wissenschaftlicher Untersuchungen, die, teils mit scharfen Kontroversen, widersprüchliche Ansätze zur Analyse der Schlacht am 8. November 1620 hervorbrachten. Ähnlich heftig war die Polemik um die Schlacht bei Königgrätz, eine Polemik, bei der auch die deutsche Einheit, der Kulturkampf und der Beginn der Nationalbewegung der Tschechen eine Rolle spielten. Die Tschechen waren den Habsburgern und dem Katholizismus feindlich gesonnen. Die unterschiedlichen Hypothesen der Wissenschaftler haben den historischen Tatbestand häufig verschleiert, doch führten sie auch dazu, daß bisher unveröffentlichte Quellen zugänglich gemacht wurden. So ermöglichten die Wiederentdeckung der Kriegstagebücher bayerischer Jesuiten [9] wie auch der Akten (unvollendet) des Seligsprechungsprozesses [10] des Paters Dominicus, dessen Existenz zu bezeugen und dessen Rolle zu beleuchten. Das ist der Zeitpunkt, in dem die Geschichtsschreibung eine vollkommen andere Richtung nimmt. Der überkommene Rahmen der Kriegskasuistik, wie ihn Vitoria, Suarez oder der Jesuit M. Becan, Feldprediger von Ferdinand II., definierten, ist gesprengt. In den wiederentdeckten Schriften finden sich die Bedingungen für eine Legitimierung von Kriegsgewalt: Ein Krieg ist nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt, die Strafe erfolgt je nach erlittenem Schaden, und das Blutbad ist auf die Dauer der Schlacht begrenzt. Das Eingreifen von Pater Dominicus ging weit über die Gepflogenheiten der Feldgeistlichen, hier der Jesuiten, und ihrer wohlgeordneten Gebetspraxis hinaus. Dieses Ereignis verschiebt am Ende das Zentrum der Kriegsentscheidungen, indem es die Macht der Befehlshaber an den Rand drängt. All dies erklärt, warum Teilaspekte dieses außergewöhnlichen Krieges in Schweigen gehüllt sind.

Das geschändete Gemälde, das der Karmeliter vor den Kriegsrat und später mitten in das Kampfgeschehen trug, verlieh der Schlacht eine spezifische Dimension, nämlich die einer praktizierten Apologetik. Pater Dominicus hatte die gerechte Strafe für ikonoklastische Vergehen gefordert, am bekanntesten waren die Zerstörung der Statuen am Prager Dom und des Kruzifixes auf der Karlsbrücke im Dezember 1619. Der Pfälzer, beeinflußt von seiner Frau Elisabeth Stuart und seinem Hofprediger Scultetus, zog abgrundtiefen Haß auf sich, als er Befehle zu derartigen Handlungen erteilte. Die Katholiken haßten ihn aus ganzem Herzen, und die Zerstörungen erregten auch außerhalb des Reiches großes Aufsehen. Sollte das den Habsburgern entrissene Böhmen etwa calvinistisch werden? In Böhmen selbst waren die treuen Anhänger der nationalen Kirche beunruhigt. Der lutherische Kurfürst von Sachsen war in noch größerer Sorge, weil die Ambitionen des pfälzischen Kurfürsten, der König von Böhmen geworden war, Unordnung in die gesamte Reichsverfassung brachte. Zwischen Lutheranern und Calvinisten gab es mannigfaltige Querelen. Im entscheidenden Augenblick zog der Kurfürst von Sachsen, versehen mit einem Mandat des Kaisers, gegen den Pfälzer in den Krieg. Das Gemälde steht hier in unmittelbarem Zusammenhang mit den Vorkommnissen. Die Protestanten waren in zwei unvereinbaren Lagern zerstritten, was ihre Kaisertreue und ihre Wertschätzung für bildliche Darstellungen betraf.

Es war am 10. Oktober, als Pater Dominicus in Strakonitz in einer Ruine ein Gemälde fand, das die Anbetung Christi durch die Hirten darstellte. Die Augen aller Abgebildeten, mit Ausnahme des Jesuskindes, waren ausgestochen worden. Der Karmeliter rahmte dieses Gemälde dennoch mit größter Sorgfalt und schwor Rache im Namen des Herzogs von Bayern, seiner Offiziere und des Volkes, wobei er den Sieg über die häretischen Rebellen prophezeite. [11] Die Zerstörung des Bildes wurde als große Beleidigung empfunden. Für die Soldaten aus den Niederlanden, aus Lothringen, Bayern, Italien und Spanien waren Gemälde keine sinnlosen Gegenstände. Sie waren Sinnbild der Verehrung, die man den abgebildeten Heiligen entgegenbrachte. Das Gemälde und das Kruzifix des Geistlichen, zwei bei den Calvinisten verhaßte Gegenstände, wurden zu greifbaren Symbolen des bevorstehenden Sieges. Pater Dominicus trennte sich nie von ihnen und zeigte sie überall herum. Als am 8. November die Dämmerung hereinbrach, betrachtete man die Schlacht als einen Triumph des Gemäldes, als das geheimnisumwobene Zeugnis der Wahrheit katholischer Lehre: "Genau acht Tage nach Allerheiligen haben sich die Heiligen im Himmel für alle erlittenen Missetaten an den Kalvinisten gerächt, die ihnen in Prag Hände, Lippen, Nasen und Köpfe zerschnitten haben", schrieb P. Drexel in seinem Tagebuch. [12] Der Sieg erschien wie eine Apologie, die Heiligen hatten bezeugt, daß sie den Gebeten und dem Schicksal ihrer Bilder Aufmerksamkeit schenkten.

Die Schlacht am Weißen Berg wurde im nachhinein als Triumph über die Beschlüsse des Konzils von Trient und im Streit mit den Protestanten erlebt, nicht nur als solcher interpretiert. Dominicus a Jesu Maria trat auf wie der Prophet Elias, der, von Gott beauftragt, die Baalspriester auf dem Berg Karmel herausforderte und tötete. [13] War Elias nach der Tradition seines Ordens nicht der erste Eremit der Karmeliter? Mehr als jede andere wurde diese Schlacht als Urteilsspruch Gottes empfunden, und das schreckliche Gemetzel (mehrere Tausend Tote in zwei Stunden) war die richtig bemessene Vergeltung für die schwer beleidigte Glaubensinbrunst der Anhänger der Marienverehrung und des Heiligenkults. Hier liegen die starken psychologischen Triebfedern für diesen außergewöhnlichen Paroxysmus. Im Gegensatz zu den Protestanten glaubte man an die Gemeinschaft der Heiligen. Die Schlacht fand acht Tage nach Allerheiligen statt. Vor dem Kriegsrat erklärte der Karmeliter, daß die triumphierende Kirche im Himmel der auf der Erde kämpfenden Kirche zur Seite stehen würde. Vor dem Angriff wurden viele Gebete gen Himmel geschickt. Am häufigsten wurde die Jungfrau Maria angerufen. Die Mutter Christi, Symbol der Sanftmut, war es ja, die die Schlange der Häresie zertreten hatte. Das Monogramm Marias war auf die Reiterfahne der Bayern gestickt, mit der Aufschrift "terribilis ut castorum ordinata". Auf der kaiserlichen Reiterfahne war sie als Königin der Engel mit der Losung "monstra te esse matrem" abgebildet. Unmittelbar vor dem Angriff erscholl ihr Name aus Tausenden von Mündern. Soldaten, die schon gegen die Türken gekämpft hatten, erlebten hier ihr zweites Lepanto, als sie sich am Weißen Berg unter den großen Schutzmantel der Jungfrau begaben. Die Schlacht war eingebunden in ein riesiges Geflecht aus Träumen, Ängsten und Hoffnungen. Als die Regimenter sich in Marsch setzten, fühlte jeder einzelne, daß sein persönliches Schicksal Teil eines großen Ereignisses wurde.

Niemand hegte Zweifel daran, daß diese Schlacht eine Sache der Vorsehung war. Auf beiden Seiten erwartete man große Dinge. Die Protestanten, die teils aus der Lausitz, teils aus Schlesien stammten, hatten den Pfälzer mit apokalyptischen Prophezeiungen überschüttet. Man hoffte, daß er der "letzte Kaiser" sei, durch den die Weissagung über das herannahende Ende der Zeiten in Erfüllung gehe. Der Heidelberger Hof hatte zu diesem Zweck die mysteriösen Offenbarungen der Rosenkreuzer aus den Jahren 1614-1616 hervorgeholt. Es gab nicht wenige, die glaubten, daß die "Erneuerung des Universums" [14] kurz bevorstünde. Aus Schlesien kamen eher politische Prophezeiungen, wie jene von Christoph Kotter, die den Sieg Friedrichs über die Habsburger ankündigte. [15] Seine Wahl auf den Thron von Böhmen im Jahre 1619 wurde als Vorzeichen der Apokalypse und der Pansophie gedeutet. Jakob Böhme war zu dieser Gelegenheit eigens nach Prag geeilt. [16] Der mystische Schuhmacher aus Görlitz begann nach jahrelangem Schreibverbot mit einer literarischen Produktion enormen Ausmaßes, weil er dachte, daß der letzte Kampf zwischen den Kindern Zions und den Kindern Babels nahe sei. Trotz der Bemühungen des Fürsten von Anhalt fehlte diesen apokalyptischen Hoffnungen eine solide politische und militärische Grundlage, so daß der religiöse Eifer der Katholiken bei der Schlacht auf dem Weißen Berg kein gleichwertiges Gegenüber hatte. Bei der Schlacht stießen zwei religiös motivierte Streitkräfte zusammen, doch mit einem Held trat nur eine von ihnen auf den Plan. Für Pater Dominicus war der 8. November der Endpunkt einer Reihe von mystischen Erfahrungen, die sich immer mehr verdichteten: innere Stimmen, Visionen und schließlich Ekstasen. [17] Der Karmeliter erschien also wie ein Prophet, denn er hatte die seit August aufkommenden Siegesprophezeiungen noch um ein vielfaches bekräftigt. In der Nacht vor der Schlacht waren ihm im Traum Engel erschienen, die zum Kampf bereit waren und ihm den Weg nach Prag zeigten. Während des Kampfes fiel er in Ekstase und wurde vom Herzog von Bayern, der die Schlacht schon als verloren ansah, aus diesem Zustand herausgerissen. So ist es wohl der Karmeliter, der der Schlacht am Weißen Berg ihren außergewöhnlichen Charakter verleiht .

Als Paroxysmus der Gewalt war die Schlacht auch der Höhepunkt mystischen Erfahrung. Auf zwei unterschiedliche Weisen gerieten die Männer in einen Zustand außerhalb ihrer selbst: Der Karmeliter fiel in mystische Ekstase und die anderen verfielen dem Rausch des Kampfes. Diese beiden Erscheinungen ein und desselben wirren Erlebnisses haben dennoch ihre Gemeinsamkeit in dem Gefühl, einer Theophanie teilhaftig geworden zu sein. In dem Bezug auf die Figur des Elias vereinten sich zwei Aspekte: für die Karmeliter repräsentierte er Gebet und göttliche Inspiration und für die Soldaten stand er für die Zerstörung der falschen Propheten. So ist die Schlacht am Weißen Berg als herausragendes Ereignis der katholischen Gegenreformation zu sehen. Volksfrömmigkeit kam zusammen mit karmelitischer Gottesverehrung, die Brutalität der Soldaten mit den Erfahrungen der mystischen Elite. In diesem Sinne ist die Schlacht weitaus mehr als eine Schlacht. Sie ist ein absolutes Ereignis, das uns alle Soldaten in einem Zustand zeigt, den wir sonst nicht zu sehen bekommen. Der Paroxysmus der Gewalt ist beredt. Auch für den Historiker kann er "apokalyptisch", das heißt enthüllend sein.



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ANMERKUNGEN


1. Zur Schlacht am Weißen Berg vgl. Gindely 1869, III; Krebs 1879; Teige/Kuffner/Herain 1921; Polišensky 1971; Petráň 1971.

2. Petráň 1993.

3. Ich beziehe mich hier auf einige Elemente einer Studie über den Weißen Berg, die 1998 publiziert wird.

4. Eine wichtige Sammlung von Berichten über die Schlacht ist publiziert bei Gindely 1877. Die beste Studie über militärische Details der Schlacht ist Krebs 1879, das in unmitelbarer Beziehung zu Königrätz und Sedan geschrieben wurde. Krebs ist sehr kritisch Gindelys Position gegenüber.

5. Der genaueste Bericht über die Ständearmee stammt von Christian von Anhalt, vgl. Frauenholz 1938, III 1, S. 65-78.

6. Über den Karmeliterorden vgl. Giordano 1991; Riezler 1897.

7. Die Realität des Kampfes wurde in der Geschichtsschreibung oft vernachlässigt, auch hier fehlt der Platz, sie wird aber Gegenstand einer bald erscheinenden Publikation sein. Ich möchte dennoch die Aufmerksamkeit des Lesers auf die wenigen Studien lenken, die sich mit diesem Aspekt der Schlacht beschäftigen: Davis Hanson 1990; Keegan 1993.

8. Skala ze Zhoře 1868, IV, S. 333.

9. Riezler 1906.

10. Gindely 1884, S. 137-142. Eine Kopie der Unterlagen befindet sich in der Bibliothèque Nationale in Paris, H 844 bis 848.

11. Giordano 1991, S. 178f. "Actes du procès de béatification", Paris, Bibliothèque Nationale, H 848, 2042, S. 269.

12. Riezler 1906, S. 184.

13. 1. Buch Könige, 18, 20-40.

14. Yates 1972, besonders S. 15-29, 91-102 und 156-170.

15. Die Prophezeiungen des Christoph Kotter wurden zusammen mit anderen 1657 in Amsterdam von Johann A. Comenius unter dem Titel "Lux in tenebris" publiziert.

16. Jakob Böhme, vierter Brief an Christian Bernhard, 14.11.1619, § 38; in: Böhme 1979, I, S. 59,

17. Die Unterlagen zur Beatifikation erlauben einen Blick auf diesen Aspekt, dank des Gebrauchs einer sehr interessanten Quelle, geschrieben von Pater Dominique, le P. Pierre de la Mère de Dieu, der Pater Domenico di Gesú Maria sehr nahestand und ihn während seiner Kampagne in Böhmen begleitete: "Vita del M.R.P. Fr. Domenico di Gesù Maria, carmelitano scalzo". Dieser Bericht befindet sich in Rom, im Generalarchiv des Ordens der barfüßigen Karmeliter, 319 a.



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© 2001 Forschungsstelle "Westfälischer Friede", Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, Domplatz 10, 48143 Münster, Deutschland/Germany. - Stand dieser Seite: 2. Mai 2002