DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
DIETER WYDUCKEL Reichsverfassung und Reichspublizistik vor den institutionellen Herausforderungen des Westfälischen Friedens |
I. Das Vertragswerk als
Friedensschluß und als Reichsgrundgesetz
Von
den großen europäischen Friedensschlüssen der neueren Geschichte
gehört der Westfälische Friede gewiß zu den bedeutendsten. Er
stellt nicht nur das Ende langandauernder religiöser und politischer
Auseinandersetzungen dar, sondern schafft für das Alte Reich zugleich eine
tragfähige verfassungsrechtliche Grundlage, die ihm für mehr als
anderthalb Jahrhunderte Halt und Struktur zu geben vermochte. Der Frieden
gewinnt so den Charakter eines "Schlüsseldokuments" [1], auf das
sich nahezu alle bedeutsamen staats- und völkerrechtlichen Regelungen des
Reiches bis zu seinem Ende, ja noch darüber hinaus, immer wieder
beziehen.
Von den beiden Bestandteilen des
Friedens kommt dem Instrumentum Pacis Osnabrugense (IPO) für Reich
und Reichsverfassung zweifellos die größere Bedeutung zu. Dies wird
auch ganz überwiegend in der Reichspublizistik so gesehen, in der das
Osnabrücker Friedensinstrument im Zentrum des Interesses steht. Beide
Vertragswerke sind jedoch nicht voneinander zu trennen, sondern aufeinander
bezogen und miteinander verschränkt, wobei die wichtigsten Bestimmungen des
Osnabrücker Friedens in das münstersche Friedensinstrument inseriert
sind.
Obwohl der Westfälische Frieden keine
Neuordnung in dem Sinne darstellt, als daß das Reich eine völlig
andere Struktur erhalten hätte, wird doch schon durch die Umstände des
Friedensschlusses selbst und durch seine Rahmenbedingungen eine veränderte
Gesamtlage geschaffen, die auch die Bekräftigung bereits bestehender
rechtlicher und politischer Verhältnisse in einen neuen Kontext
einrücken läßt. [2] Als außerordentlich
folgenreich erwies sich vor allem, daß nunmehr auf ein schriftlich
fixiertes Dokument verwiesen werden konnte, das eine Reihe lange umstrittener
reichsverfassungsrechtlicher Fragen auf eine positivrechtliche Grundlage stellte
und damit rational diskutierbar machte.
Zu den
für das Reich wohl bedeutsamsten Regelungen des Friedens gehört die
rechtliche Anerkennung der reichsständischen Landeshoheit. Sie war freilich
längst Teil des Reichsherkommens, das insoweit nur formell bestätigt
wird. Eine Souveränität im Sinne der maiestas Bodins ist damit
nicht gemeint, obwohl die französische Garantiemacht politisch eben darauf
zielte. Die zentrale Vorschrift des Art. VIII
� 1 IPO
spricht zurückhaltend von der freien Ausübung des Territorialrechts
("liberum exercitium iuris territorialis"), was darauf hindeutet, daß der
Terminus der Landeshoheit hier vermieden werden sollte. An anderer Stelle
ist dann aber deutlicher im Zusammenhang mit dem Reformationsrecht doch vom
Territorial- und Hoheitsrecht ("ius territorii et superioritatis") der
Reichsstände die Rede (Art. V
� 30 IPO).
Zweifellos werden die Reichsstände damit rechtlich und politisch
aufgewertet, um so mehr, wenn man das in Art. VIII
� 2
zuerkannte Bündnisrecht mit Auswärtigen ("ius faciendi cum exteris
foedera") in Betracht zieht. Jedoch wird die Schwelle des zeitgenössischen
Souveränitätsverständnisses damit nicht erreicht oder gar
überschritten. [3] Nicht etwa nur deshalb, weil die
hinzugefügte salvatorische Klausel Bündnisse gegen Kaiser und Reich
untersagte, sondern auch und vor allem, weil der Gesamtzusammenhang des Friedens
von seiner Intention her das Reich als Ganzes im herkömmlichen Sinne intakt
läßt. Jedoch wird das Verhältnis von Kaiser und Reich zugunsten
der Reichsstände institutionell neu gewichtet. Das Reich war fortan
aufgrund der den Reichsständen eingeräumten Mitwirkungsrechte in
Reichsangelegenheiten als absolute Monarchie rechtlich kaum mehr vorstellbar,
sondern bildete eine komplex gegliederte politische Ordnung, in der
hierarchische und ständisch-föderative sowie territoriale Momente eine
enge Verbindung eingingen. [4]
Ein
besonders umstrittenes Kapitel stellten begreiflicherweise die
religionsrechtlichen Fragen dar. Es konnte dem Kaiser nicht gerade leicht
fallen, die Unumkehrbarkeit der Reformation anzuerkennen und zu akzeptieren,
daß nunmehr ein plurales Nebeneinander verschiedener Konfessionen, ja ein
konfessioneller Föderalismus [5] im Reich Platz greifen würde,
in den, anders als noch im Augsburger Religionsfrieden, auch die Reformierten
ausdrücklich einbezogen waren (Art. VII IPO). Doch stimmte
schließlich auch der Kaiser dem Friedenswerk zu. Dieses setzte in
Religionsangelegenheiten nicht länger auf Konflikt und Konfrontation,
sondern auf jene amicabilis compositio, die Mehrheitsentscheidungen in
religiösen Fragen im Reichstag ausschloß, auf Konsens und Ausgleich
zielte und auf diese Weise erste Ansätze einer sowohl friedensvertraglich
als auch reichsverfassungsrechtlich verankerten Toleranz anmahnt (Art. V
� 52 IPO).
Jedoch bleibt das reichsständische Reformationsrecht als ein wesentliches
Merkmal der Landeshoheit bestehen, wird durch die Festlegung des Normaljahres
1624 indessen weitgehend entschärft.
Von
seiner Rechtsnatur her ist der Frieden zugleich Gesetz und Vertrag, Gesetz
freilich in einer besonderen Weise. Art. XVII
� 2 IPO
ordnet ihn den Reichsgrundgesetzen zu und sieht zugleich seine Aufnahme in den
Reichsabschied und die kaiserliche Wahlkapitulation vor. Der Jüngste
Reichsabschied von 1654 nennt den Frieden in
� 6
dementsprechend ein Fundamentalgesetz und eine immerwährende Richtschnur
des Reiches. Dem kam aus Sicht der Reichsstände ganz besonderes Gewicht zu,
weil die entstehungsgeschichtlich auf die mittelalterlichen
Herrschaftsverträge zurückgehenden Reichsfundamentalgesetze als
Verträge zwischen Herrscher und Ständen begriffen wurden, aus denen
beiden Teilen gleichermaßen Verpflichtungen erwuchsen. Der
Westfälische Frieden wird so zu einem wesentlichen Teil der
Reichsverfassung, an die sowohl der Kaiser als auch die Reichsstände
gebunden waren. Er trägt zugleich dazu bei, bestehende Konflikte zu
versachlichen und zu entschärfen, weil nunmehr eine rechtliche Basis
gegeben war, auf die sich alle Beteiligten ungeachtet der fortbestehenden
religiösen Differenzen berufen
konnten.
II. Rechtliche und politische
Voraussetzungen des Friedens in der reichsständischen Publizistik
Die auf dem Friedenskongreß verhandelten
reichsverfassungsrechtlichen Fragen gehören zu den großen und
kontroversen Themen, die die rechtliche und politische Diskussion seit der Wende
zum 17. Jahrhundert zunehmend bestimmen. Die Reichspublizistik, in der diese
Debatten ausgetragen werden, ist ein zunächst noch relativ offener Bereich
unterschiedlicher Richtungen, die sich in Ausdifferenzierung befinden und um das
ius publicum des Reiches kreisen. [6] Sie erhält
mächtigen Auftrieb durch die im Gefolge von Reichsreform und Reformation
eingetretenen politischen Veränderungen, vor allem aber durch die
Ausdifferenzierung eines von Staatsräson und Souveränität
geprägten Rechts- und Gemeinwesenverständnisses, das zunehmend auch im
Reich durchdringt und zum Überdenken tradierter Strukturen nötigt. Die
Staats- und Souveränitätslehre Bodins mußte - auf die
spezifischen Gegebenheiten des Reiches angewandt - vor diesem Hintergrund nicht
unbeträchtliche Probleme bereiten. Einmal wegen des auf eine höchste
und absolute monarchische Gewalt zielenden Souveränitätsbegriffs, zum
anderen deshalb, weil dieser eine Verbindung mit der neuaristotelischen
Staatsformenlehre einging, die nur reine oder einfache Staatsformen gelten
lassen wollte und Mischtypen ausschloß. [7] Die Vielfalt der
frühmodernen Staatenwelt konnte auf diese Weise nur partiell und nicht ohne
Verzerrungen eingefangen werden. Dies wurde in dem Maße deutlich, in dem
man die Lehre Bodins für die Reichspublizistik nutzbar zu machen suchte.
Die kaiserliche Reichsstaatsrechtslehre, wie sie vor allem von Theodor Reinkingk
auf der Grundlage eines mit römisch-imperialen Momenten angereicherten
Souveränitätsbegriffs vertreten wurde, entbehrte bereits weitgehend
des realpolitischen Hintergrunds und stellte angesichts des beträchtlichen
Gewichts der Reichsstände eine zunehmend isolierte, in vielem
rückwärtsgewandte Auffassung dar. [8] Die von Bogislav Philipp
von Chemnitz unter dem Pseudonym Hippolithus a Lapide zu Beginn der vierziger
Jahre mit großer Schärfe verfochtene reichsstaatsrechtliche
Gegenposition, der zufolge die Souveränität allein den
Reichsständen zustehe und das Reich deshalb - darin trotz des ganz anderen
politischen Ansatzes mit Bodin übereinstimmend - als Aristokratie zu
qualifizieren sei [9], kam den politischen Realitäten des Reichs
schon näher, verzeichnete aber das reichsverfassungsrechtliche
Ordnungsgefüge, weil infolge des starren Souveränitätsbegriffs
der monarchischen Stellung des Kaisers und Königs nicht hinreichend
Rechnung getragen werden konnte.
Von diesen
Extrempositionen abgesehen, herrscht in der Reichspublizistik eine eher
gemäßigte Linie vor, die der reichsständischen freilich sehr
viel näher als der kaiserlichen Position steht. Ganz überwiegend
ordnet man das Reich entweder der Monarchie oder aber einem aus monarchischen
und aristokratischen Momenten gemischten Status zu. Damit allein war freilich
noch nicht viel gewonnen, weil es weniger auf das Ergebnis als vielmehr auf die
Begründung ankam. Diese jedoch bereitete wegen des mit dem Bodinschen
Souveränitätsbegriff verbundenen Absolutheitsanspruchs, vor allem aber
infolge des Ausschlusses staatlicher Mischformen, erhebliche Probleme. Die
reichsständische Publizistik sucht die damit verbundenen Schwierigkeiten
mit Hilfe einer Teilung der Souveränität auszuräumen. Danach soll
dem Kaiser die persönliche Souveränität (maiestas
personalis) zustehen, während der Gesamtheit der Reichsstände die
Realsouveränität (maiestas realis)
zukommt. [10]
Auf Bodin konnte sich die
Konzeption einer geteilten Souveränität schwerlich berufen. Zwar hatte
dieser, indem er zwischen Staats- und Regierungsform unterschied, die strenge
Souveränitätsdoktrin aufzulockern gesucht [11], doch blieb die
Unterscheidung vordergründig und inkonsequent, da Bodin sich von den
selbstgesetzten Prämissen seines auf die Absolutheit monarchischer Gewalt
zielenden Souveränitätsbegriffs nicht zu lösen vermochte und so
nicht nur die rechtliche Eigenart des Reiches, sondern auch die Vielfalt
frühmoderner Staatlichkeit verfehlte. Eine im Ansatz schlüssigere
Grundlage für die reichsständische Position bot die politische Theorie
des Johannes Althusius, die in vieler Hinsicht eine Art institutioneller
Alternative zur Lehre Bodins darstellt. Althusius begreift das Gemeinwesen nicht
als Ergebnis staatsräsongeprägter hierarchischer Macht- und
Herrschaftskonzentration, sondern als dynamischen, auch gegenläufigen
Vorgang konsensualer und konsozialer Institutionalisierung, der bei den
kleineren Gemeinschaftsbildungen ansetzt und erst von daher zum
größeren Zusammenschluß des Ganzen gelangt. [12] Dies
paßte schon vom Ansatz her auf das Reich mit seiner gegliederten Struktur
sehr viel besser als das starre Konzept Bodins. Auf den
Souveränitätsbegriff wird hierbei keineswegs verzichtet. Jedoch wird
der absolute Charakter souveräner Herrschaftsgewalt in Zweifel gezogen und
die Souveränität anders als bei Bodin von vornherein als eine
rechtlich begrenzte und umschriebene Gewalt, nämlich als ius
maiestatis konzipiert. [13] Alle Herrschaft ist danach als Mandat
und Auftrag, d.h. als Ausübung fremden Rechts zu begreifen mit der Folge,
daß der Herrscher nurmehr als oberster Amtsträger (summus
magistratus) erscheint und die gesamte Gewalt bei der einsetzenden
Gemeinschaft als ihr zu eigen verbleibt. [14] Als noch bedeutsamer
erweist sich, daß das Souveränitätskonzept in den
größeren Zusammenhang einer das gesamte Gemeinwesen rechtlich
konstituierenden lex fundamentalis eingefügt ist. [15] Im
Zeichen dieses grundlegenden Gesetzes ist das Gemeinwesen eingerichtet. Auf
dieses stützt es sich wie auf ein Fundament. Es handelt sich also nicht wie
bei den leges imperii Bodins um einen im Grunde systemfremden
Bestandteil, der einer zuvor behaupteten absoluten Gewalt einschränkend
hinzugefügt wird, sondern um den Grundpfeiler (columna regni), auf
den das gesamte Gemeinwesen sich stützt.
Das
in dieser Weise näher bestimmte Fundamentalgesetz ist nicht nur rechtliche
Grundlage der Herrschaftseinsetzung, sondern hat zugleich eine föderale
Funktion. Die lex fundamentalis ist nämlich Inbegriff von
Verträgen, die die regionalen Gliederungen des Reiches - das sind vor allem
Städte und Provinzen - mit dem erklärten Ziel eingehen, ein und
dasselbe Gemeinwesen zu bilden und dieses mit Rat und Tat, Schutz und Hilfe zu
stützen und zu verteidigen. [16] So gelingt es, vertikale und
horizontale, hierarchische und föderale Gemeinschaftsbildung im Zeichen
einer für das gesamte Reich grundlegenden Fundamentalnorm rechtlich
miteinander zu verknüpfen. Auf diese Weise kann das
Souveränitätspostulat aufrechterhalten und in modifizierter Form
sowohl mit dem Ansatz einer gegliederten Ordnung als auch mit dem Gedanken
rechtlicher und fundamentalgesetzlicher Bindung vereinbart werden. Hier, und
nicht im Souveränitätskonzept Bodins, sind die Anfänge
verfassungsrechtlichen Denkens zu suchen. [17] Hier werden zugleich die
rechts- und politiktheoretischen Voraussetzungen eines föderalen Konzepts
formuliert, das es ermöglichte, die verschiedenen Gemeinschaftsbildungen
strukturell einzufangen und sowohl rechtlich als auch politisch
einzuordnen. [18]
Die in der politischen
Theorie der Zeit entwickelten Konzeptionen von Grund und Grenzen
herrschaftlicher Gewalt haben in vielfältiger Weise in der
Reichspublizistik ihren Niederschlag gefunden. Allen voran die
Souveränitätslehre Bodins und seiner deutschen Adepten, die - obwohl
sie auf das Reich so nicht paßte - in mancherlei Hinsicht prägende
Wirkung entfaltete. Aber auch die politische Theorie des Althusius hat in der
Reichspublizistik nachhaltige Spuren hinterlassen. Sie ist vor allem für
die reichsständische Staatsrechtslehre des Jenaer Juristenkreises um
Dominicus Arumaeus und Johannes Limnaeus bedeutsam geworden. [19] Zu den
zentralen in diesem Kreis diskutierten Themen gehört die Frage nach den
Rechtsgrundlagen der Reichsgewalt, nach der Rechtsstellung des Kaisers im
Verhältnis zum Reich und zu den Reichsständen sowie schließlich
die nach dem rechtlichen und politischen Status des Reiches
selbst.
Ins Blickfeld der
reichsverfassungsrechtlichen Erörterungen treten damit die Goldene Bulle,
die Wahlkapitulation und die Reichsabschiede sowie nicht zuletzt das
Reichsherkommen. Daß dem Kaiser unter diesen Umständen keine
absolute, sondern eine rechtlich umschriebene und durch die Stände
beschränkte Herrschaftsgewalt zukommt, erscheint einleuchtend, bedurfte
freilich genauerer Explikation. Zentraler Ansatzpunkt der Argumentation ist auch
hier der Begriff der Souveränität. Dieser wird jedoch nicht, wie bei
Bodin, positivrechtlich verselbständigt, sondern Althusius folgend ins
Licht einer fundamentalgesetzlichen Begründung gerückt. Am
deutlichsten kommt dies wohl bei dem dem Jenaer Kreis zuzurechnenden
kursächsischen Juristen Benedikt Carpzov zum Ausdruck, der die
souveräne Herrschaftsgewalt auf eine rechtliche Grundlage stellt, indem er
sie verfassungsrechtlich unterfängt. Danach ist die Souveränität
von den Fundamentalgesetzen nicht zu trennen. Der Zusammenhang ist rechtlicher
Art und besteht darin, daß die maiestas nicht als absolute Gewalt,
sondern als reichsgrundgesetzlich umschriebene Rechtsmacht ("potestas legibus
circumscripta") vorzustellen ist. Dies wiederum hat zur Folge, daß weder
die maiestas realis noch die maiestas personalis ohne das beide
fundierende Recht begriffen werden
können. [20]
Für den
Westfälischen Frieden ist die reichsständische Publizistik in vieler
Hinsicht bedeutsam geworden. Zwar kann der Frieden nicht schlechthin als
unmittelbare Umsetzung einschlägiger Vorstellungen der Reichspublizistik
bzw. der zugehörigen politischen Theorie begriffen werden. Doch war der
reichsständisch geprägte rechtliche und politische
Vorstellungshorizont als Hintergrund durchaus präsent und auch wirksam,
wenn man bedenkt, daß das Friedensinstrument die Reichsstände als
Partner explizit einbezieht, des weiteren sich selbst fundamentalgesetzlichen,
d.h. auch: vertraglichen Charakter zumißt und überdies die
Bestimmungen des Friedens als künftige Richtschnur normativ für alle
Seiten dauerhaft verbindlich vorschreibt. Wenn der Frieden darüber hinaus
gemäß Art. XVII
� 2 IPO auf
den nächstfolgenden Reichstag gebracht und als Reichsgrundgesetz
verabschiedet wird, so gewinnt er in der Tat den Charakter eines
Verfassungsprogramms und der Reichstag quasi die Funktion einer
verfassunggebenden Versammlung. [21] In diesem Punkt dürfte die
Jenaer Schule der Reichspublizistik wohl am stärksten gewirkt haben und
über diese Vermittlung auch althusisches Gedankengut, selbst wenn dies
nicht durchweg manifest zum Ausdruck kommt.
Die
religionsrechtlichen Fragen treten demgegenüber zurück. Jedoch wird
die ständische Libertät in Religionssachen betont [22], was
nicht erstaunlich ist, wenn man bedenkt, daß die Reichspublizistik der
Zeit vor allem eine protestantische Domäne ist. Indessen fügen sich
die zentralen rechtlichen und politischen Fragen der Reichsverfassung nicht
einfach einem konfessionellen Schema. Auch verlaufen die politischen Interessen
der Reichsstände nicht durchweg entsprechend den konfessionellen Grenzen,
lassen sich jedenfalls nicht ausschließlich nach diesen beurteilen. Die
Reichspublizistik hat, indem sie für diese Diskussionen einen
verfassungsrechtlichen Bezugsrahmen bereitstellte, einen bedeutsamen Beitrag zu
einem rationaleren Verständnis des Rechts und - in Verbindung mit den
einschlägigen Regelungen des Westfälischen Friedens - zugleich zur
Säkularisierung des ius publicum des Reiches
geleistet.
III. Die verfassungsrechtliche
Institutionalisierung des Friedens als reichspublizistische Herausforderung
Obwohl der Friede keine völlige Neuordnung
der rechtlichen und politischen Verhältnisse bringt, führt er für
das Alte Reich doch eine charakteristisch veränderte Lage herbei. In der
Reichspublizistik wird der Friede schon bald in Übereinstimmung mit dem
Reichsabschied von 1654 in seiner Bedeutung als beständiges und allgemein
verbindliches Reichsgrundgesetz gewürdigt und ganz überwiegend
begrüßt, ja in den Rang einer - freilich reichsständischen -
"Bibel" erhoben. [23] Dies ist nicht erstaunlich, denn die
Reichsstände konnten sich künftig auf ein schriftlich fixiertes
reichsrechtliches Dokument berufen, das hohe Autorität besaß, ihren
Rechtsvorstellungen weitgehend entgegenkam und zudem außenpolitisch durch
die Garantiemächte, insbesondere Schweden, gewährleistet wurde. Der
Osnabrücker Frieden gewinnt unter diesen Umständen ganz besonderes
Gewicht. Ihm wird gegenüber dem münsterschen Friedensschluß vor
allem deshalb gesteigerte Bedeutung und erhöhte Aufmerksamkeit zuteil, weil
man ihm nicht zu Unrecht die Beendigung des inneren Krieges in Deutschland und
die universelle Wiederherstellung des Friedens unter Einbeziehung aller
Reichsstände zuschreibt. [24] Von einhelligem Lob des Friedens
oder gar von kritikloser Verherrlichung kann jedoch nicht die Rede
sein. [25] Von Anfang an schwingen auch kritische Stimmen mit, die
darauf hindeuten, daß dem Westfälischen Frieden sowohl in
religiös-konfessioneller als auch in politischer Hinsicht eine Ambivalenz
eignet, die nur schwer auf eine griffige Formel zu bringen
ist. [26]
Einen besonderen Streitpunkt
stellt auch nach dem Friedensschluß die Frage des Reichsstatus dar. Sie
tritt zunächst zugunsten von Problemen, die unmittelbar auf den Frieden und
seine praktische Umsetzung bezogen sind, zurück, bricht aber zu Beginn der
1660er Jahre erneut auf. Nun erst scheint man sich bewußt zu werden,
welche politischen Folgen der Frieden zeitigt und welche staats- und
völkerrechtliche Bedeutung ihm für Reich und Reichsverfassung zukommt.
Die Pufendorfsche Reichsverfassungsschrift markiert in dieser Debatte einen
bedeutsamen Wendepunkt. [27] Sein Monstrositätsurteil, das bis in
unsere Tage diskutiert wird, ist neben dem Hegelschen Diktum die wohl
bekannteste Aussage über das Alte Reich, die sogleich heftiger Kritik
ausgesetzt ist und darauf hindeutet, daß ein sensibler Punkt des
Selbstverständnisses von Kaiser und Reich getroffen wurde. [28]
Wenn Pufendorf das Reich als einen irregulären und einem Monstrum
ähnlichen Körper - "irregulare aliquod corpus et monstro simile" -
begreift, so will er damit zunächst nichts anderes zum Ausdruck bringen,
als daß es in keine der seinerzeit geläufigen staatstheoretischen
Kategorien paßt.
Die Staatlichkeit soll dem
Reich damit nicht abgesprochen werden, wie er - freilich erst später -
gegenüber seinen zahlreichen Kritikern deutlich macht. [29] Doch
ist diese Staatlichkeit irregulär, entspricht also nicht dem Regelfall.
Damit stellt sich die Frage nach dem Maßstab der Kritik. Grundlage und
Ausgangspunkt ist ein Staatsverständnis, das sich an der
neuaristotelischen, auf reine Formen ausgerichteten Staatslehre orientiert, die
schon für Bodin richtungweisend gewesen war, nunmehr aber durch den
vertragstheoretischen Rationalismus Hobbesscher Prägung zugespitzt und
verschärft wird. Pufendorf vermag auf diesem rechts- und
staatstheoretischen Hintergrund den Status des Reichs nicht angemessen zu
erfassen, weil schon die Prämissen seines unter ganz anderen, nämlich
einheitsstaatlichen Voraussetzungen konzipierten Rechts- und Staatsbegriffs, wie
er nur wenig später in seinem naturrechtlichen Hauptwerk [30]
entfaltet wird, die Mehrdimensionalität der Reichsstrukturen verfehlen. Es
handelt sich hierbei keineswegs um ein Scheinproblem, wie mitunter behauptet
wird, weil die Frage nach dem Status des Reichs eben nicht nur terminologisch
oder definitorisch bedeutsam war, sondern sowohl rechtliche als auch
(macht-)politische Grundfragen aufwarf. [31] Zwar übernimmt
Pufendorf die Hobbessche Lehre nicht in voller Schärfe und Konsequenz, doch
war auch sein gemäßigt absolutistisches Konzept von Recht und Staat
nicht ohne weiteres auf das Reich übertragbar. Es mochte schon eher auf die
politische Struktur der größeren Territorien des Alten Reichs
projizierbar sein (was, soweit es sich um protestantische Gebiete handelte,
durchaus in seinem Interesse lag), ließ sich jedoch nicht in gleicher
Weise auf die Reichsebene und das komplexe Verhältnis von Kaiser und Reich
beziehen. Das Staatsverständnis Pufendorfs ist nämlich nicht vom
bestehenden Reich her bestimmt, sondern vielmehr durch das ganz anders
strukturierte zeitgenössische Frankreich geprägt, das für ihn im
Zeichen des aufsteigenden Absolutismus in vieler Hinsicht vorbildhafte Züge
besitzt. [32] Es darf deshalb bezweifelt werden, ob er sich mit Hilfe
der Monstrum-Formel von der neuaristotelischen Orthodoxie wirklich habe absetzen
wollen, um einer von den Zwängen der tradierten Staatsformenlehre befreiten
Sichtweise das Wort zu reden. Dies mag die latente Folge seiner Analyse des
Reichsstatus gewesen sein, wohl auch spätere Deutung, erscheint jedoch als
bewußt getroffene Entscheidung aus der Perspektive seines rechts- und
staatstheoretischen Grundkonzepts wenig plausibel. [33] Auch wenn
Pufendorf die Monstrum-Formel später abgeschwächt und
schließlich sogar ganz fallengelassen hat [34], so dürfte
dies eher unter dem Eindruck einer in diesen Jahren nicht von der Hand zu
weisenden Stärkung der hierarchischen Strukturen des Reichs geschehen als
auf die Absicht zurückzuführen sein, sein Theoriekonzept zu
modifizieren oder gar grundlegend zu ändern. So bleibt es von dem einmal
bezogenen Standpunkt her bei einem Verständnis des Reiches als eines nicht
näher qualifizierbaren Gebildes, das einem System mehrerer Staaten zwar
nahekommt, sich der rechts- und staatstheoretischen Verortung letztlich aber
entzieht und nicht weiter zu fassen ist, weil es als Ganzes betrachtet am Ende
doch wieder als irregulär zu bewerten
wäre. [35]
Daß man das Reich
auch aus ganz anderer Perspektive sehen konnte, zeigt sowohl die Pufendorfs
Reichsverfassungsschrift voraufgehende als auch die sich daran
anschließende Kontroversliteratur. So unternimmt der hannoversche Jurist
Ludolf Hugo wenige Jahre vor Erscheinen der Pufendorfschen Schrift den
bemerkenswerten Versuch, das Alte Reich nach Art einer doppelten
Herrschaftsstruktur ("duplex regimen") zu erfassen, die einmal auf das Reich
selbst, zum anderen auf die einzelnen Regionen bezogen ist. [36] Die den
Reichsständen im Westfälischen Frieden zugestandene Territorialhoheit
wird hierbei in luzider Deutung der gegebenen Verhältnisse als eine der
höchsten Gewalt analoge Herrschaftsbefugnis begriffen, die zwar nicht
völlig frei, aber doch derart allgemein und umfassend ist, daß sie
etwas von der höchsten Gewalt anzunehmen scheint. [37] Am
konsequentesten ist der Gedanke einer doppelten Herrschaftsstruktur im Reich
wohl durch Leibniz fortgeführt worden. [38] Auch wenn zu bezweifeln
ist, ob Leibniz wirklich eine Lehre vom ständischen Bundesstaat vorgelegt
hat, so wird doch deutlich, daß sich das Reich nur auf der Grundlage einer
Relativierung und funktionalen Differenzierung des strengen
Souveränitätsprinzips rechtlich angemessen erschließen
ließ. [39] Dahin gehende Überlegungen waren freilich bereits
vor dem Westfälischen Frieden sowohl in der Reichspublizistik als auch in
der politischen Theorie angestellt und erwogen worden. Indessen wird hierauf in
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kaum noch Bezug genommen. Insoweit
bedeutet der Westfälische Frieden für Reichsverfassung und
Reichspublizistik tatsächlich einen Wendepunkt. Dies wird selbst innerhalb
der Jenaer Schule spürbar, soweit sie über die Jahrhundertmitte
hinauswirkt. So argumentiert etwa Benedikt Carpzov, seinerzeit einer der
führenden Vertreter einer grundgesetzlichen Einbindung souveräner
Herrschaftsgewalt, nach dem Westfälischen Frieden in der
Souveränitätsfrage merklich zurückhaltender als
zuvor. [40] Hier wirkt sich zusehends das Erstarken der
größeren Landesherrschaften im Reich aus, die sich im Zeichen einer
tendenziell auf Absolutheit und Zentralität setzenden Staatlichkeit nicht
zu Unrecht durch die im Westfälischen Frieden zuerkannte Landeshoheit
rechtlich bestätigt sehen konnten, freilich zugleich eine Grenze in den
friedensvertraglich und fundamentalgesetzlich verankerten reichsrechtlichen
Bestimmungen fanden. Von daher fiel dem Reichskammergericht eine wichtige
Schutzfunktion zu, die in der Reichspublizistik durchaus gesehen und
gewürdigt wird. [41] Rückgriffe auf die politische Theorie des
Althusius finden sich indessen kaum noch. Wo dies geschieht, wird sie angesichts
sich stabilisierender Herrschafts- und Konfessionsverhältnisse als
umstürzlerisch und gefährlich verurteilt. [42] Hierzu hat
nicht zuletzt beigetragen, daß der Calvinismus im Reich aus einer
Minderheitenposition heraus operierte, die sich auch politisch-theoretisch
auswirkte und so die Lehre des Althusius und seiner Schule weitgehend
zurückdrängte.
Die Reichspublizistik
arrangiert sich nun mit Reich und Reichsverfassung und wendet sich ganz dem
positiven Reichsstaatsrecht zu, das rechtsquellenmäßig erschlossen
und zunehmend auch rechtssystematisch erfaßt wird. Hier wirkt sich ein
wachsendes historisches Methodenbewußtsein aus, wie es sich vor allem in
der Halleschen staatsrechtlich-historischen Schule und später auch im
systematischen Zugriff der Göttinger Schule des Reichsstaatsrechts
manifestiert. Jetzt entstehen die großen, den historisch-politischen
Hintergrund des Friedens aufhellenden Quellenpublikationen Karl Wilhelm
Gärtners und vor allem Johann Gottfried Meierns [43], aber auch
kommentierende und systematisierende Darstellungen, die - wie etwa die
umfassenden "Meditationes" von Heinrich Henniges [44] oder die knappe,
staats- und völkerrechtlich vergleichende Analyse von Christian Gottfried
Hoffmann [45] - den Frieden in seiner rechtspraktischen Bedeutung
für die Reichsverfassung würdigen. Es handelt sich hierbei nicht von
ungefähr um der Libertät der Reichsstände verbundene Juristen,
die aber auch der kaiserlichen Stellung gerecht zu werden suchen und sich der
Tatsache durchaus bewußt sind, daß die das Verhältnis von
Kaiser und Reich betreffenden Bestimmungen des Friedens durchaus
Widersprüche aufweisen, die nicht ohne weiteres auszuräumen
sind. [46]
In der Reichspublizistik treten
nunmehr zwei ursprünglich miteinander verbundene Sichtweisen zunehmend
auseinander. Die eine, die ohne Rücksicht auf einen bestimmten Staat auf
das Gemeinwesen in allgemein-theoretischer Weise bezogen ist, orientiert sich
methodisch am rationalistischen Natur- und Vernunftrecht bzw. an der tradierten
aristotelisch-orthodoxen Politiklehre und ist auf das Bild eines mehr oder
minder absoluten Fürstenstaates ausgerichtet, wie er in den
größeren Territorien angestrebt und zum Teil auch verwirklicht wurde.
Die inhaltliche Spannweite reicht von der gemäßigt absolutistischen
Lehre Pufendorfs bis zu entschiedeneren Formen absoluter Staatlichkeit, wie sie
beispielsweise in der theokratisch-lutherischen Politik Johann Friedrich Horns
Ausdruck gefunden haben. [47] Diese Perspektive kam
landesherrlich-territorialen Machtansprüchen und Interessen entgegen, war
jedoch auf die reichsverfassungsrechtlichen Strukturen nicht ohne weiteres
übertragbar. Die andere Sichtweise ist ganz dem in Geltung befindlichen
positiven ius publicum des Reiches zugewandt, dessen Rechtsquellen
möglichst exakt erhoben und rechtssystematisch erschlossen werden, erstarrt
jedoch im Laufe des 18. Jahrhunderts bei Johann Jakob Moser im
historisch-sammelnden und bei Johann Stephan Pütter im
systematisch-ordnenden reichsstaatsrechtlichen Positivismus. Moser meint, sich
auch hinsichtlich des Westfälischen Friedens weitgehend auf die
Präsentation von Quellen und Fakten beschränken zu
können [48], und Pütter, der in seinem Alterswerk das letzte
umfassende Wort zum Frieden im Alten Reich spricht, gelingt es zwar, die
historisch-systematischen Zusammenhänge in bis heute vorbildhafter Weise zu
verdeutlichen, der Geist des Friedens erschließt sich auf diesem Wege
jedoch nur unvollkommen. [49]
Jetzt erst -
bereits im Zeichen eines das Reich in seinen rechtlichen und politischen
Strukturen in steigendem Maße gefährdenden
österreichisch-preußischen Dualismus - scheint allmählich das
Bewußtsein dafür zu wachsen, daß sich Staatlichkeit
legitimerweise auf mehr als nur einer Ebene entfalten kann, ohne daß dies
notwendigerweise monströs sein müßte. [50] Jedoch war
angesichts ganz neuer, nunmehr revolutionärer Herausforderungen inzwischen
längst ein Zustand erreicht, in dem das rechtliche und politische System
des Westfälischen Friedens zunehmend an die Grenzen seiner
Leistungsfähigkeit geriet. In diesem Sinne hat Hegel das Reich in seiner
Endphase schonungslos auf die Summe der Rechte reduziert, die die einzelnen
Teile dem Ganzen entzogen haben und ihm die Basis seiner Existenz abgesprochen,
weil nicht mehr ist, was nicht mehr begriffen werden kann. [51] Hegel
zieht damit die Konsequenz aus der revolutionsbedingten neuen Kräfte- und
Machtkonstellation und denkt zugleich das Reich zu Ende, das nicht einmal mehr
als Monstrum vorstellbar ist. Die Frage nach der Staatlichkeit des Reiches
schien damit ebenso gegenstandslos wie die nach seiner föderalen Struktur,
zumal die letztere im Gefolge eines an Volkssouveränität und
nationaler Identität orientierten Denkens ohnehin nur als Negativum,
nämlich als Vorgang zunehmender Partikularisierung und ungezügelten
Freiheitsstrebens der Glieder in den Blick
kommt.
Inzwischen erscheinen im Abstand von fast
zwei Jahrhunderten zum vernichtenden Diktum Hegels Reich, Recht und Frieden in
charakteristisch verändertem Licht. Angesichts tiefgreifender weltweiter
Herausforderungen sind Staat und Souveränität als Leitkategorien in
die Defensive geraten. Ein etatistisch-statisches Denken, wie es das 19. und
weite Teile des 20. Jahrhunderts bestimmte und die Vielschichtigkeit
föderativ strukturierter politischer Ordnungen auf die
staatsorganisationsrechtliche Unterscheidung von Bundesstaat und Staatenbund zu
reduzieren suchte, erweist sich als weithin obsolet. Dies läßt in der
Tat die Frage berechtigt erscheinen, ob die nationalstaatliche Entwicklungslinie
die einzig denkbare der deutschen Geschichte ist oder sein
muß. [52] Die komplizierte und widerspruchsvolle rechtliche und
politische Struktur des Alten Reiches, die aufs engste mit dem System des
Westfälischen Friedens verknüpft ist und so gar nicht dem Typus des
souveränen Einheitsstaates entspricht, rückt uns auf diesem
Hintergrund wieder näher. [53] Wenn die zeitgenössische
staatsrechtliche und staatstheoretische Reflexion dem Alten Reich in seiner
vielfältig gegliederten Wirklichkeit nach dem Westfälischen Frieden
nur zum Teil gerecht zu werden vermochte, so sollte dies kein Anlaß zu
allzu kritischer Beurteilung sein. Auch in unserer Zeit gelingt es mitunter nur
mühsam, die Vielfalt und Entwicklungsdynamik komplexer politischer
Gemeinschaftsbildungen rechtlich angemessen zu erfassen. Nicht von ungefähr
werden heute, wenn es um die Bestimmung der Rechtsnatur der Europäischen
Union geht, Formeln und Begriffe gebraucht, die auch in ihrer Hilflosigkeit an
Pufendorfsche Nöte gemahnen. Nur bemühen wir inzwischen nicht
länger Monstren und Monstrosität, um das institutionell
Unwahrscheinliche begreifbar zu machen, sondern ziehen uns eleganter aus der
Affäre, indem wir von institutionellen Gebilden "eigener Art" oder
subtiler, weil lateinisch, von Institutionalisierungen "sui generis"
sprechen. [54] . Das strukturelle Grundproblem, das uns der
Westfälische Frieden aufgegeben hat, bleibt in transponierter Form also
weiter virulent. Es besteht darin, in Zeiten gewaltsamer politischer und
ideologischer Auseinandersetzungen Grund und Grenzen einer über den
einzelnen Staat hinausweisenden rechtlichen Ordnung zu etablieren, die in der
Lage ist, Recht und Frieden einvernehmlich sowohl zu schaffen als auch dauerhaft
zu garantieren.