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Plakat von 1918: 'Vorsicht bei Gesprächen! Feind hört mit!' / Plakat-Datenbank der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart (WLB), http://avanti.wlb-stuttgart.de/bfz/plakat/index.php, Signatur: 2.3/25







Vicente Pons Marti / Stefan Wulfram

Spionage


Ursache für Spionageverdächtigungen ist die Herausbildung von Nationalstaaten während des 19. Jahrhunderts, in deren Folge die Verteidigung militärischer Geheimnisse in der öffentlichen Wahrnehmung von einer Teilaufgabe des Militärs zur Pflicht eines jeden Bürgers wurde. Da sich auch Presse und Literatur zunehmend mit Geheimdiensten und Agenten beschäftigten, kann eine gewisse Sensibilisierung der Bevölkerung gegenüber dem Thema Spionage angenommen werden.[1]

Während des Ersten Weltkrieges entstand so eine weit verbreitete Furcht vor feindlichen Spionen und Agenten in der Bevölkerung. Nicht zuletzt weil sie durch Behörden und Presse dazu aufgerufen wurden, fühlten sich viele Bürger berufen, z.B. öffentliche Gebäude zu beschützen und Jagd auf vermeintliche Spione zu machen. Dabei wurden häufig fremd aussehende oder sich verdächtig bzw. merkwürdig verhaltende Personen zum Ziel gewalttätiger Übergriffe, vereinzelt sogar ermordet. Wolfgang Kruse spricht von einer "regelrechten Pogromstimmung" im Deutschen Reich, vor allem zu Beginn des Krieges.[2]

Gerade Westfalen wurde aufgrund der Nähe zu den neutralen Niederlanden, die als Ausgangs- und Fluchtpunkt von Spionen galten, auch vom Militär als in besonderem Maße durch Spionage und Sabotage bedroht eingeschätzt. So versetzte das Stellvertretende Generalkommando den gesamten Bezirk ab Dezember 1914 in "verschärften Kriegszustand"[3], verbot in der Folge den Vertrieb von Stadtführern und ließ vor Spionage warnende Plakate aufhängen.[4]

Zu Beginn des Krieges hatten zudem Presseberichte und Gerüchte die Stimmung in der Bevölkerung aufgeheizt. In der Kriegschronik der Stadt Münster werden zahlreiche, mitunter kurios anmutende Ereignisse erwähnt. Der Chronik zufolge hatte in den ersten Kriegstagen eine regelrechte Hysterie eingesetzt, nach dem sich Gerüchte über Attentate verbreiteten und Zeitungen über Gift- und Bombenanschläge berichtet hatten. Bevölkerung, Polizei, Militär und Feuerwehr veranstalteten Treibjagden auf imaginäre Spione durch die ganze Stadt, inklusive der Abwasserkanäle. Der städtische Obergärtner musste sich, wegen seines ungewöhnlichen Bartes und seines englischen Sportanzuges gleich viermal mit der Polizei auseinandersetzen, eine Nonne hielt man für einen russischen Spion und selbst der Stadtarchivar Dr. Eduard Schulte blieb von Verdächtigungen nicht verschont, nachdem man ihn beim Lesen englischer Zeitungen beobachtet hatte.[5] Die Zahl solcher Vorfälle nahm anscheinend ein solches Ausmaß an, dass die Behörden sich bereits wenige Tage später genötigt sahen, in den Zeitungen Aufrufe zur Eindämmung der "Spionitis" zu veröffentlichen.[6]

In diesem Kontext sind auch die hier edierten Dokumente von 1917 aus den Akten der Oberpostdirektion Münster über einen Spionageverdacht im Telegraphenamt zu sehen. Weiter ist der Vorgang ein Beispiel für den Erfolg der Propagandamaßnahmen gegen Spione. Aufgrund einer Meldung aus der Bevölkerung begann die Oberpostdirektion Münster eine recht umfangreiche interne Untersuchung, bespitzelte den Verdächtigen und verhörte vier Mitarbeiterinnen.








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Warnplakat des stellvertretenden Generalkommandos, 1915
 
Quellen
 
 
Anmerkungen
[1] Vgl. Bavemann, Gundula: La ville lumière: Kriegsgesellschaft und militärisches Geheimnis im Ersten Weltkrieg am Beispiel von Paris, in: Hirschfeld, Gerhard/ Krumeich, Gerd/ Langewiesche, Dieter/ Ullmann, Hans-Peter (Hrsg.): Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte im Ersten Weltkrieg (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte; N.F. 5), Essen 1997, S. 54-55.
[2] Vgl. Kruse, Wolfgang: Eine Welt von Feinden. Der große Krieg 1914-1918, Frankfurt a. M., 1997, S. 159-166.
[3] 01.12.1914 (Schulte, Eduard: Kriegschronik der Stadt Münster 1914/18, Münster 1930, S. 78).
[4] Vgl. 30.03.1915 (Ebd., S. 113) und 01.12.1915 (Ebd., S. 146).
[5] Vgl. 03./04.08.1914 (Ebd., S. 14-16).
[6] Vgl. 09.08.1914 (Ebd., S. 26).
 
 
Literatur
  • Bavemann, Gundula: La ville lumière: Kriegsgesellschaft und militärisches Geheimnis im Ersten Weltkrieg am Beispiel von Paris, in: Hirschfeld, Gerhard/ Krumeich, Gerd/ Langewiesche, Dieter/ Ullmann, Hans-Peter (Hrsg.): Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte im Ersten Weltkrieg (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte; N.F. 5), Essen 1997.
  • Kruse, Wolfgang: Eine Welt von Feinden. Der große Krieg 1914-1918, Frankfurt a. M., 1997.
  • Schulte, Eduard: Kriegschronik der Stadt Münster 1914/18, Münster 1930.
 
 


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