EREIGNIS

JAHR1850   Suche
MONATAugust
TAG17
TITELGründung der Spinnerei "Vorwärts" in Bielefeld


INFORMATIONDie Brüder Carl und Gustav Bozi errichten zwischen den Bielefelder Ortsteilen Gadderbaum und Brackwede und unmittelbar an der Köln-Mindener-Eisenbahn die Spinnerei "Vorwärts", der eine Pionierrolle bei der Mechanisierung der Leinenherstellung im Ravensberger Land zufällt. Bis 1858 erreicht die Spinnerei "Vorwärts" eine Kapazität von 8.000 Spindeln.

Das seit dem 16. Jahrhundert im Ravensberger Land betriebene Leinenhandwerk war nach 1830 in eine schwere Krise geraten, weil die handgesponnenen und -gewebten Garne und Stoffe gegenüber den maschinell und damit billiger hergestellten Produkten nicht mehr konkurrenzfähig sind. Der Standort Bielefeld bietet jedoch günstige Voraussetzungen für die Aufnahme einer industriellen Massenproduktion. Hier wird unter günstigen naturräumlichen Bedingungen Flachs angebaut. Mit den Handspinnern und -webern stehen zahlreiche billige Arbeitskräfte mit dem nötigen Verständnis für den Produktionsablauf zur Verfügung. Und dank der Köln-Mindener-Eisenbahn ist eine preisgünstige Versorgung mit der für den Betrieb der Dampfmaschinen benötigten Kohle und eine Verbindung zu den Absatzmärkten gesichert. Die Dampfmaschinen müssen anfänglich allerdings importiert werden. Da der preußische Staat die Mechanisierung der Herstellungsprozesse massiv unterstützt, erhalten unter anderem auch die Gebrüder Bozi staatliche Zuschüsse für den Erwerb dieser teuren Maschinen.

Die zunächst der industriellen Fertigung ablehnend gegenüberstehenden Leinenhändler werden schnell zu Vorreitern der Industrialisierung. 1854 gründen namhafte Bielefelder Leinenkaufleute die Ravensberger Spinnerei als Aktiengesellschaft. Als die Flachsgarnspinnerei 1856 ihren Betrieb aufnimmt, besitzt sie mit 20.000 Spindeln eine enorme Produktionskapazität. Zeitweise ist sie die größte Maschinenspinnerei auf dem europäischen Kontinent.

Zur Weiterverarbeitung der produzierten Garne zu Stoffen wird 1862 von Bielefelder Kaufleuten die erste "Mechanische Weberei" gegründet. Hervorragende Qualität und eine daraus resultierende große Nachfrage sorgen für rasche Erfolge, die sich an der Kapazität der Bielefelder Fabriken ablesen lassen: Im Jahr 1870 laufen etwa 11 Prozent aller Spindeln und Webstühle Deutschlands in Bielefeld. Auch in anderen Städten der Region wird das Garn direkt vor Ort verarbeitet. Die Arbeiterschaft dieser Fabriken rekrutiert sich zunächst aus den ehemaligen Handspinnerinnen und -webern der Umgebung, dann müssen zusätzlich Arbeiterinnen aus Regionen wie Schlesien und dem Ruhrgebiet angeworben werden.

Die von den Fabriken hergestellten Stoffe werden zunehmend auch in der Region verarbeitet. Der Import der Nähmaschine Ende der 1850er Jahre ist Voraussetzung für ein florierendes Heimgewerbe, in dem Frauen Weißwäsche herstellen. 1873 arbeiten allein in Bielefeld 3.000 Wäschenäherinnen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird die Handnäherei von der industriellen Fertigung von Haushalts- und Bettwäsche abgelöst. Vor allem in Bielefeld, Herford und Gütersloh entstehen Konfektionsfabriken, die unter anderem Hemden und Blusen, Tisch- und Bettwäsche herstellen, sowie Plüsch- und Seidenwebereien. Allein die Baumwollweberei ist in Gütersloh zeitweilig mit sechs Betrieben vertreten. Während so in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vielen Teilen Ostwestfalens eine florierende Textilindustrie aufgebaut wird, kommt die Leinenherstellung im Fürstentum Lippe größtenteils zum Erliegen.

Zwischen 1960 und 1980 geht die Zahl der Textil- und Konfektionsunternehmen in Ostwestfalen wegen der billiger produzierenden asiatischen Konkurrenz stark zurück, aber auch heute kommt diesem Industriezweig noch immer Bedeutung zu.



SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.8   1850-1899
Ort1.4   Ostwestfalen-Lippe
2.1   Bielefeld, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet10.6.1   Unternehmen, Unternehmer
10.13   Industrie, Manufaktur
AUFRUFE GESAMT2696
AUFRUFE IM MONAT240