PERSON

FAMILIEHeining
VORNAMEAuguste


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1866-07-01   Suche
GEBURT ORTWesterenger (Ravensberger Land)
TAUFNAMEAnna Maria Luise Auguste
EHEPARTNER26.06.1892: Kaspar Heinrich Heining (gest. 31.03.1935)
TOD DATUM1948-06-06   Suche
TOD ORTSchröttinghausen


VATERBöndel, Johann Friedrich (1832-1911)
MUTTERJohanning, Anna Maria Ilsabein (1832-1897)


BIOGRAFIE

"Eine Frau, die nicht wursten kann, darf auch nicht heiraten"
Auguste Heining (1866-1948), Bäuerin

Vor genau hundert Jahren, am 26.06.1892, kommt die frischvermählte Anna Maria Luise Auguste Heining, geborene Böndel, in der Hochzeitskutsche nach Schröttinghausen bei Werther im Ravensberger Land. Neben ihr in der von zwei Pferden gezogenen, geschmückten Kutsche sitzt Kaspar Heinrich, ihr angetrauter Ehemann, Besitzer von Heinings Hof mit 160 Morgen Land. Ein Teil davon ist Wald. Es ist der viertgrößte Hof in Schröttinghausen, das zum Kirchspiel Werther gehört. [1]

Nördlich vom Teutoburger Wald, auf dem Lehmboden, sind die Menschen schwerfälliger als auf der südlichen Seite "im Sande". Ganz ruhig ist er, ihr Kaspar Heinrich, und zwölf Jahre älter als sie. Auch sie ist mit 26 Jahren nicht mehr so jung. Zufrieden ist sie mit dieser Heirat, denn die Höfe passen zueinander.

Raus aus der Stadt, am "Haus Werther" vorbei, über den Schwarzbach führt der Weg durch die Felder. Links liegt Böckstiegels Hof, nach der Kurve entdeckt man schon den schützenden Eichenwald auf der Wetterseite des Hauses. Einbiegend in den Hofweg sieht sie die grüne Giebelspitze mit der Inschrift "Soli Deo Gloria". Darüber das Bild: Ein Greif schnappt nach einer Menschennase. Sie versteht es als Aufforderung, "sich erst an die eigene Nase zu packen".

Jetzt erreichen sie den Hof. Vor dem reich verzierten Deelentor hält die Kutsche. Sie liest die Inschrift über dem Tor:
"Menschenfeiß und Gottes Segen
schaut man hier an diesem Bau.
Möchten wir den Schatz beilehgen,
der uns thut den Himmel auf.
Darnach laßt uns treulich ringen,
daß wir mögen es vollbringen.
Gott mit uns. Ora et labora.

Im Jahre 1819, den 16. Julius haben die beiden erdachten Eheleute als Johann Heinrich Heining und Anna Maria Trebbens, jetzo gen. Heinings dieses Haus durch die Hülfe Gottes bauen und aufrichten lassen durch Meister I. H. R. Landwehr. Artivicum modus commedat."
Sie erinnert sich, ihre Großeltern haben den gleichen Spruch über der Deelentür. Nur der letzte Teil lautet anders: "Dan folgt nach der Lebenszeit die gewünschte Ewigkeit. Diesen Wunsch wollt Gott erfüllt.

Jetzt sind sie und ihr Mann an der Reihe, die Geschicke dieses Hauses zu lenken und für Mensch und Tier zu sorgen. Das kann sie und sie weiß, was sie will, Auguste Heining, geborene Böndel. Das Selbstvertrauen und den Stolz hat sie von zu Hause. Der Hof Böndel in Westerenger [2] genauso groß wie Hof Heining, ist seit dem 16. Jahrhundert im Besitz der Familie Böndel. Am 1.07.1866 wurde Anna Maria Luise Auguste als viertes von sechs Kindern geboren. Ihr Vater, Johann Friedrich Böndel (geb. 17.04.1832, gest. 28.03.1911) hatte am 13.03.1857 die Anna Maria Ilsabein Johanning (geb. 9.2.1832, gest. 14.10.1897) [3] vom Hof Johanning in Schröttinghausen geheiratet. Den Weg von Westerenger über Häger nach Schröttinghausen fuhr Auguste bei ihrer Hochzeit also nicht das erste Mal. Häufig war die Familie zu Besuch bei der Großmutter. Da fuhren sie sonntags morgens mit der Kutsche hin, nachdem die Tiere versorgt waren. Mittagessen gab es bei solchen Besuchen immer in der Stube am gedeckten Tisch. Die Kinder spielten lieber draußen oder auf der Deele.

Nur einige hundert Meter entfernt vom Hof Johanning liegt jetzt ihr neues Zuhause. Das Haupthaus, ein prachtvoller Zweiständerbau von 1810, ist drei Balkenlängen lang und drei Deelenhöhen hoch. Der "Alte Kotten" mit Teilen von einem alten Haupthaus von 1595, unten am Bleichteich gelegen, ist die Leibzucht (Altenteil). Südwestlich vom Haupthaus liegt der "Neue Kotten", das Heuerlingshaus aus dem späten 18. Jahrhundert. Das Schweinehaus, um 1800 gebaut, liegt östlich vom Haus, daneben, nicht weit von dem Bleichgraben an den Weiden, steht das Backhaus, auch Backs genannt. Backhaus und zwei Scheunen links und rechts der Hofeinfahrt stammen aus dem späten 18. Jahrhundert. [4]

Auguste Heining weiß um den Wert des alten. So wie die Vorfahren gelebt haben, will sie die Tradition fortsetzen. Entschieden geht sie an die Arbeit. "Auf Heinings Hof hat sie die Hosen angehabt." [5]

Viele angehende Bäuerinnen der damaligen Zeit erhielten ihre Ausbildung in der "Landwirtschaftsschule für Frauen" in Gohfeld bei Löhne. Andere lernten Haushaltsführung als Angestellte in Pensionen oder Kurbädern. Wo Auguste Heining ihre Erfahrung gesammelt hat, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Wahrscheinlich hat sie in dem elterlichen Betrieb gelernt.


"Sie war herzensgut und hat eine Ruhe ausgestrahlt.
Das gab's nicht zweimal.
Aber sie konnte auch konsequent sein.
Wenn's nicht nach ihrer Mütze ging, war's Feierabend." [6]

Auguste Heining hält die Fäden fest in der Hand. Von ihrer Küche aus organisiert sie die tägliche Arbeit. In ihrem Haushalt sorgt sie für zehn Personen. Zusätzlich verpflegt sie die Heuerlinge mit Frühstück und Nachmittagsbroten bei der Feldarbeit. Um vier Uhr morgens ist Auguste schon auf den Beinen, macht das Feuer an, weckt die Mägde und schickt sie zum Melken. Nach dem Füttern der Pferde - das ist Männersache - versammeln sich die Knechte, Mägde und Hofleute an dem langen, blankgescheuerten Eichentisch in der Küche. Auguste macht da keinen Unterschied zwischen den Hofeigenen und den Knechten und Mägden. Sie stellt die Milchsuppe für alte auf den Tisch und jeder krümelt Schwarzbrot darüber, "Imt" wurde diese erster Mahlzeit genannt. Deshalb heißt diese frühe Tageszeit "Imtszeit". Manchmal serviert sie Suppe aus Hafer, Grieß oder Sago. Die Schwarzbrotkrümel gehören immer dazu.

Der Bauer fährt dann mit den Heuerlingen und den Knechten aufs Feld. Das Ausmisten und Melken ist Frauenarbeit. Auguste hat vielleicht am Anfang mitgeholfen. Später machen es die Mägde und Töchter ohne sie.

Solange die Mädchen zur Schule gingen, brauchten sie nur nachmittags mit zuzupacken. Später, nachdem sie die Volksschule abgeschlossen hatten, mußten sie ganztags auf dem Hof mitarbeiten. "Bei den Bauern waren die Kinder die beste Arbeitskraft." [7] Für die Mädchen ist das Ausmisten Schwerstarbeit, da die Mistrinne zwei Stufen tiefer liegt als die zehn Kühe stehen.

Bevor die Milch Mitte der zwanziger Jahre nach Bielefeld in die Genossenschaftsmolkerei abgegeben wird, buttert Auguste auch für den Verkauf. Eier und Butter konnte sie an einen Händler abgeben, der immer Ende der Woche auf den Hof kam. Auf seinem Planwagen standen große Weidenkörbe. Da legte sie die Eier vorsichtig rein. Für das Geld kaufte Auguste Zucker, Salz und später auch Waschpulver. Das restliche Geld legte sie beiseite. Im elterlichen Schlafzimmer, im Geheimfach in der Truhe, wurden Wertgegenstände und Geld aufbewahrt. Daß Auguste selbständig mit dem Geld umgehen durfte, war nicht selbstverständlich. Sie galt als patent und ihr Mann überließ ihr die Geldbörse.

Zwischen neun und halb zehn gibt's das große Frühstück. Im Sommerhalbjahr tragen die Mägde die Mahlzeit aufs Feld. Die Brote bereitet Auguste immer selbst, und sie ist nicht knauserig. Die Graubrotschnitten sind reichlich belegt mit Mettwurst, Leberwurst und Schinken. Als Getränk kocht sie Kaffee aus Gerste und Roggen. Um zwölf Uhr muß das Mittagessen fertig sein. Meistens kocht die Hausfrau einen Eintopf: 2/3 Kartoffeln und 1/3 Gemüse, je nach Jahreszeit. Hauptsächlich kocht sie Hülsenfrüchte und Kohl, manchmal würzt sie mit einer Speckeinlage.

Bis zwei Uhr nachmittags ruht die Arbeit. Das gilt als großzügig, fängt doch die Arbeit auf anderen Höfen schon eine halbe Stunde früher an.

Für die Nachmittagszeit auf dem Feld müssen wieder Brote zubereitet werden. Wenn es richtig heiß ist, mischt Auguste ein "Brotwasser", Wasser wird mit Essig und Zucker verrührt. Dahinein legt sie ganze Scheiben Schwarzbrot. Das Brotwasser löscht den Durst gut und wird auch gerne von den Kindern getrunken. So schnell kommen die Kinder sonst nicht an Zucker.

Die Nachmittagsstunden verbringt Auguste weiterhin in ihrer Küche. Das Essen für den kommenden Tag muß vorbereitet werden. Für sie bedeutet das vor allem Kartoffeln schälen. Die Hände arbeiten flink. Die Schalen werden für die Schweine gleich auf dem Herd gekocht. In einem Topf wird auch immer der Wermut gegen Magenverstimmungen warmgehalten. Im Sommer werden die "Wamkenstrünke" gesammelt, die überall auf dem Mergelboden wachsen. Den Strunk schneidet man kurz vor der Blüte und hängt ihn zum Trocknen auf und kocht daraus den Wermuttee. Sogar die Kühe bekommen den Wermut mit Weinflaschen eingeflößt.

Von der Küche aus hat Auguste die Kontrolle über die Arbeit der Mägde bei den Tieren. Von. ihrem Fenster kann sie sehen, was auf dem Hof passiert. Vergißt mal ein Kind, das Gattertor zu schließen, öffnet sie schnell das Fenster und ruft: "Urke, mak dat hecke tau!" (Junge, mach das Tor zu)." [8] Sonst laufen die Schweine weg, die unter den Eichen wühlen.

Die Küche ist zugleich der Ort des gemeinschaftlichen Lebens auf dem Hof. Wenn die Arbeit auf dem Feld und im Garten beendet ist, kommt häufig Lehrer Kollmeier von der Schule in der Nachbarschaft und setzt sich zum Bauern Heining und dessen älteren unverheirateten Bruder, der auf dem Hof lebt. Sie zünden die langen Pfeifen an und unterhalten sich über die Preise von Aussaat, Schweinen und Pferden, lesen die Zeitung und erörtern die Ereignisse in der Welt. Die Auguste ist immer dabei.

Zum Abendbrot nehmen alle wieder Platz an dem langen Eichentisch, der mit Holzasche gereinigt ist. Das Tischgebet spricht Auguste: "Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was Du uns bescheret hast." Bei feierlichen Anlässen spricht sie folgendes Gebet: "Speis' uns Vater, Deine Kinder. Tröste die betrübten Sünder. Sprich den Segen zu den Gaben, die wir jetzt so vor uns haben. Und laß uns einst mit den Frommen zu der Himmelsmahlzeit kommen. Amen."

Alle essen gemeinsam die "Plundermilch" mit Schwarzbrot. Von dem Holzbord werden die Tonschalen mit der dicken Milch heruntergeholt. Die Lehrerskinder mögen die dicke Plundermilch gar nicht. "Sowas aßen nur die Bauern." [9]

Nach der Mahlzeit spricht Auguste wieder ein Tischgebet: "Hilf Gott alle Zeit, mach uns bereit zur ewigen Freud und Seligkeit durch Jesum Christum. Amen."


"Ora et labora! Bete und arbeite!"

Für Auguste Heining, die als erste morgens aufsteht und als letzte ins Bett geht, bleibt oft nicht mal Zeit, in die Kirche zu gehen. Nur den Sonntagnachmittag hat sie Muße. Dann zieht sie ihr Sonntagskleid an, deckt in der Stube zum Kaffee und bleibt das erste Mal in der Woche ruhig sitzen.

Außer der Bibel und der Zeitung, hat sie nicht viel gelesen. "Lesen ist keine Arbeit", hieß es allgemein bei den Bauern. Bald werden die Kinder sie auch in Anspruch nehmen.

Auguste Heining ist in anderen Umständen mit dem ersten Kind. Knapp ein Jahr nach ihrem Einzug auf Hof Heining, am 9.04.1893, bringt sie ihren ältesten Sohn Heinrich zur Welt. Zu dem Ereignis kommt die Hebamme zu Fuß die drei Kilometer aus Werther. Es ist nicht übermittelt, ob es irgendwelche Probleme bei der Geburt gegeben hat. Die Freude ist groß über den Sohn. Zuerst wurden üblicherweise die Großmütter hinzugezogen. Bei Heinings war die des Neugeborenen, Anna Katharina Ilsabein Heining, geborene Deppermann, schon 1872 gestorben. Augustes Mutter konnte nicht so schnell aus Westerenger kommen.

Die Großmütter auf dem Hof waren die Paten für das erstgeborene Kind. Für die weiteren Kinder waren es dann Onkel. und Tanten. Anhand der Paten konnte man die Verwandtschaftsverhältnisse feststellen, weil die Reihenfolge der Paten auf den Höfen festgelegt war. [10]

Nach dem dritten Tag kommen die übrigen Verwandten und Nachbarn zu Besuch. Das sind Sundermanns aus dem Sudheideweg, der Lehrer Schröer und seine Frau, die Heuerlinge Vogel vom Kotten am Hof, die Bauern von Dieckmanns Hof und die Raters vom Kampkotten. Sie bringen den "Stöhnestuten", eine Art Stollen, der bis zu zwei Meter lang sein kann. und für die Gratulationsgäste gedacht ist. Jemand bringt der Wöchnerin sogar eine Flasche Rotwein zur Stärkung.

Eine Schonzeit nach der Niederkunft gibt es nicht. Wie die Heuerlinge muß die Auguste selbst gleich wieder ran. Das verlangt die Arbeit. "Da waren sie hart mit sich." [11]

Die Taufe findet so schnell wie möglich nach der Geburt statt, um sicher zu gehen, daß kein Kind als Heide stirbt.

Die Hebamme ist auch dabei, als das Kind getauft wird. Sie trägt das Kind und sorgt dafür, daß der Pastor und die Taufpaten es zur richtigen Zeit in den Arm gelegt bekommen.

Wurde ein Kind im Winter geboren, oder waren die Taufpaten alt oder behindert, so daß die Fahrt zur Kirche durch Schnee und Kälte Gefahr für das Kind und Paten bedeuten konnte, fand die Taufe zu Hause statt. Dann kam der Pastor ins Haus. "Fitzebohnen" (Schnippelbohnen) war das typische Kindstaufessen auf dem Bauernhof.

Noch sechs Kindern hat Auguste Heining das Leben geschenkt: Heinrich Wilhelm 1894, Johanne 1896, Wilhelm 1900, Herrmann 1902, Anna 1907 und August 1907. [12]

Ein schwerer Schlag für Auguste und die ganze Familie ist der Verlust des zweiten Sohnes Heinrich Wilhelm. Am 28.06.1899 wird er tot aus dem Bleicherteich im Wald geborgen. Wahrscheinlich ist er beim Spielen hineingefallen und konnte sich nicht alleine aus dem moderigen Wasser retten. Er wurde nur viereinhalb Jahre alt.

Zwei Jahre davor hatten Heinings zwei Todesfälle in der Familie. Am 18.08.1897 ist Augustes Schwiegervater Johann Heinrich Heining mit 87 Jahren an Altersschwäche gestorben. Augustes Mutter, Anna Maria Ilsabein, war 65 Jahre, als sie am 14.10.1897 auf dem Hof Böndel in Westerenger starb.

Bei den Bauern findet die Trauerfeier im Hause statt. Alle Verwandten und Nachbarn werden geladen. Der nächste Nachbar von Heinings, Hof Sundermann, ist verpflichtet zum Standesamt nach Werther zu gehen, um die Formalitäten zu erledigen.

Er muß den Pastor, den Posaunenchor, die Totengräber und das Glockengeläut bestellen.

Der Tote wird in einer abgedunkelten Kammer aufgebahrt. Alle Spiegel im Hause werden mit schwarzen Tüchern verhängt. Damit die Seele frei entfliehen kann, öffnet man ein Oberlicht im Fenster.

Die Trauerfeier, die auf der Deele stattfindet, leitet der Lehrer Schröer. An den Wänden, direkt neben den Tieren, stehen die Bänke für die Trauergäste. Während Verwandte, die von weitem angereist kommen, sich mit einer Tasse Kaffee stärken, singen sechs Schüler Lieder "über dem Sarge". Erst kurz vor der Andacht, in der über das Leben des Verstorbenen gesprochen wird, macht man den Sarg aus hofeigenen Eichenbrettern zu.

Der Leichenwagen ist ein Planwagen, der extra für Trauerfälle mit schwarzen Tüchern überzogen wurde. Auch die Pferde werden mit schwarzen Umhängen und schwarzen Hauben bedeckt. Vom Hof fährt er zum Friedhof nach Werther, zu Fuß begleitet von der Trauergesellschaft. Der Posaunenchor spielt, und die Kinder singen Choräle vor den Häusern, an denen der Trauerzug vorbeikommt.

Nach der Beerdigung, die der Pastor verrichtet, werden Verwandte und gute Bekannte zum Kaffee mit Platenkuchen auf dem Hof eingeladen.


"Grünt die Eiche vor der Esche,
hält der Sommer große Wäsche. Grünt die Esche vor der Eiche,
hält der Sommer große Bleiche." [13]

Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Kartoffeln, Klee, Runkeln und Steckrüben werden angebaut. Und der Flachs wächst in dieser Gegend auf dem Lehmboden besonders gut. Allerdings macht er viel Arbeit: frühmorgens muß man schon säen, dann mehrmals jäten - eine Aufgabe für die Jugendlichen. In den Teichen im Wald und bei Fritsche [14] wird der Flachs nach der Ernte geröstet, damit die Fasern verarbeitet werden können.

Die Frauen hächeln, spinnen und würken (weben). Auguste Heining hat ihr eigenes Spinnrad aus dunkel geschnitztem Holz mit in die Ehe gebracht.

Das fertige Leinentuch wird dann ausgebreitet auf der "Bleiche", eine Insel mit Bleichgraben nordöstlich vorn Wohnhaus. Mit einer Gießkanne gesprengt oder ganz naß getaucht werden die Tücher auf der Bleiche ausgebreitet und in der Sonne getrocknet. Die Brücke zur Insel ist gleichzeitig die Hütte für die Wache. Mit einer Schrotflinte oder auch nur einer Heuforke bewaffnet, muß der Wächter auf Leinendiebe achten. Ausruhen kann er auf Stroh in dem Bettgestell in der Hütte.

Bis in die 40er Jahre dieses Jahrhunderts stand die Bleichhütte. Schon lange. spannen Auguste und ihre Töchter nicht mehr zu Hause. Den Flachs lieferten sie nach Bielefeld in die maschinelle Verarbeitung. Zuletzt spielten die Nachbars-und Heuerlingskinder gerne in der Hütte. Die Insel beherbergte später die Enten.
Das fertiggebleichte Leinen bewahrte die Hausfrau in den schön geschnitzten Leinenschränken auf, die heute noch auf Heinings Hof stehen. Bei Familienfeiern zeigte Auguste stolz ihren Besitz und die Aussteuer der Töchter.

Direkt hinter dem Haus in südöstlicher Richtung hat Auguste Heining ihren Garten. Der Garten ist die Visitenkarte des Hauses und der Stolz der Hausfrau. Außer einem Blumengarten mit Pfingstrosen, Nelken und Dahlien pflegt sie heimische Sträucher wie Flieder und Holunder. Für den Nutzgarten holt sie Samen in der Gärtnerei Langer, die heute noch in Werther existiert. Laut einer Rechnung vom 10.02.1914 an Herrn Colon Heining werden Samen und Setzpflanzen für Einmachgurken, Zwiebeln, Blätterkohl, Karotten, Schlangengurken, Porree, Kürbis, Pflücksalat und Petersilie für die Summe von 1,20 Reichsmark geliefert.

Stangenbohnen und dicke Bohnen für den Eintopf sowie Karotten und Porree werden für den Winter eingeweckt. Ein Teil der Karotten kam in den Keller in einen Sandhaufen, wo man sie nach und nach herausholte. Kohl und Wirsing stampft man ein, d. h. man verarbeitet den Kohl zu Sauerkraut. Die Frühkartoffeln wachsen auch im Garten, die späteren nur auf dem Feld. "Kartoffeln und Bohnen, unser A und 0, das ganze Jahr immer derselbe Eintopf!" [15]

Wenn der Schultag zu Ende ist, müssen die Mädchen mit in den Garten und Unkraut jäten, ernten und anschließend auch mit einkochen. Mit dem Einkochen nimmt es Auguste sehr genau. Hat eins der Mädchen die Monatsblutung, darf sie nicht dabeisein. Die Gläser würden sonst nicht "zubleiben". Genausowenig dürfen die Mädchen an "unreinen" Tagen die Kirche besuchen. Abergläubisch ist sie eigentlich nicht, die Auguste Heining. Sie steht mit beiden Füßen auf der Erde. Kommen Zigeuner auf den Hof und wollen die Karten legen oder in der Hand lesen, lehnt es Auguste entschieden ab. Unfreundlich ist sie dabei nicht. Jeder bekommt ein Stückchen Brot oder einen Apfel und muß dann unverrichteter Dinge wieder gehen.

Unten im Keller "wo es so gruselig schummrig ist", [16] stehen die Weckgläser in langen Reihen. Äpfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen aus dem Obstgarten holt sie im Winter zum Nachtisch oder für den Kuchenbelag. Am häufigsten backt sie den Platenkuchen, einfach mit Streuseln obendrauf.

Bis in die 30er Jahre backt Auguste das eigene Brot in dem Backhaus auf dem Hof. Nur das Schwarzbrot wurde schon damals vom Bäcker gebacken. Auguste hat sicherlich auch die "Stuten" aus Weizenmehlteig gebacken. Das übliche Brot in dieser Gegend ist jedoch das Graubrot. Wollte sie keine Kruste, legte sie die Brote ganz dicht aneinander. Dann wurden die Seiten weich. Nachdem die Bäcker im Auftrag für die Höfe backten, haben die Bauern das Mehl zum Bäcker gebracht. Von Heinings Hof ist es nicht weit zur Deppendorfer Mühle. Von dort wurde das Mehl zum Bäcker Voß an der Schröttinghauser Straße geliefert. Das fertige Brot holten die Kinder mit dem Bollerwagen oder der Schubkarre ab.

Als im Backs nicht mehr gebacken wurde, hat Auguste darin das Obst getrocknet. "Backte Bion und Plumen" (gedörrte Birnen und Pflaumen) waren in dieser Gegend immer beliebt.

Für die Kinder aus der Nachbarschaft und vom Heuerling Vogel blieb das Häuschen ein Anziehungspunkt. Immer gab's was zum Gucken. Nie gingen die Kinder leer aus. "Die Oma Heining hat uns immer was zugesteckt. Damals gab's keine Schokolade und keine Bonbons. Aber wenn wir so'ne Handvoll Dörrobst bekamen, waren wir gut zufrieden." [17]

"Überhaupt hatte sie die Kinder gern und es machte gar keinen Unterschied, ob wir Heuerlingskinder da waren oder die eigenen." Gern gingen die Kinder an den Brotschrank in der Küche und haben ein Stück Brot genommen. "Nie hat die Oma Heining was dagegen gehabt. Deshalb hat sie sich geärgert, als Knecht Ruprecht zu Nikolaus gekommen ist und mit der Rute gedroht hat. 'Stimmt das, daß du Brot aus dem Kasten genommen hast? Das Brotstehlen mußt du ab sofort lassen!'."

Der Auguste Heining ist der Vorfall unangenehm gewesen. Sie nimmt den Jungen in den Arm, beruhigt ihn und sagt: "Das bißchen Brot darfst du doch gerne haben." [18]


"Eine Frau die nicht wursten kann,
darf auch nicht heiraten." [19]

Das Schlachtfest, ein großes Ereignis auf dem Bauernhof, ist hauptsächlich eine Frauenangelegenheit. Auguste Heining verteilt die Aufgaben. Töpfe, Wannen und Schüsseln werden auf die Deele geschleppt. Wurstemühle, Fleischwolf und Pökelfaß müssen ganz sauber sein. Im großen Waschkessel kocht sie Wasser. Nun warten alle auf den Schlachter. In der Regel ist das ein Maurer, der im Winterhalbjahr von Hof zu Hof zieht und die Hausschlachtungen ausführt.

Am häufigsten werden Schweine geschlachtet. Zu großen Feierlichkeiten wie Verlobung und Hochzeit wurde auch mal ein Kalb vorbereitet.

Mindestens vier Männer müssen das vier bis fünf Zentner schwere Schwein festhalten, das laut quiekt und schreit. Neugierig kommen die Kinder angerannt und wollen zugucken. Bei Heinings werden sie beim Schlachten nicht weggeschickt, nur wenn eine Kuh oder eine Stute gedeckt werden soll. "Das ist nichts für Kinder." [20]

Jetzt ist es soweit. Die Männer haben das Schwein im Schlag mit dem Hammer zwischen die Augen und das Schwein ist betäubt. Ruck zuck wird es auf die Erde gezogen und abgestochen. Schnell muß die Magd das Blut in einer Schüssel auffangen und mit der Hand so lange rühren, bis das Blut erkaltet ist, damit es nicht gerinnt.

Während die Kinder die Schweinsblase aufpusten, wird das Schwein abgebrüht und zum Auskühlen unter der Deelendecke aufgehängt, unerreichbar für die Katzen.
Am nächsten Tag, nachdem der "Finnenkieker" (der Fleischbeschauer) das Tier auf Trichinen untersucht hat, treten die Frauen in ihren dunkelblauen Kleidern mit schwarzen Schürzen die Arbeit an. Die "Wurstemoim" (Wurstefrau) aus der Nachbarschaft kommen der Bäuerin zu Hilfe. Auguste Heining gibt dem Schlachter Anweisungen, wie sie das Tier zerlegt haben will. Damit ist seine Arbeit beendet. Er kann zum nächsten Hof gehen.

Es geht lustig zu unter den Frauen, obwohl die Arbeit sehr hart ist. Große Fleischstücke werden gepökelt und eingekocht, andere zu Wurstebrei, Mettwurst, Blutwurst und Sülze verarbeitet. Für das leibliche Wohl der Frauen sorgt die Hausfrau. Kräftige Brote und mehrere Kannen Kaffee werden gereicht. Am zweiten Tag nach der Schlachtung kann Auguste eine "Pickertsoppen" auf den Tisch stellen. Die Fleischbrühe mit Lappenpickert und Fleischstückchen aus Lunge, Herz und Magen löst Freude und Anerkennung aus. Ein anderes Schlachtgericht, das den üblichen Eintopf ablöst, ist "Schweinepfeffer", eine Brühe mit Kochfleisch und Blut angedickt. Nach einigen Wochen kommt "Möppkenbrot" in Scheiben geschnitten und gebraten auf den Frühstückstisch.

Die fertigen Würste, Schinken und Speck "kommen in den Rauch", wo sie mit trockenen Buchenspänen und Buchenholz geräuchert und anschließend unter die Decke gehängt werden.

Sobald die Deele voller Würste und Schinken hängt, weiß Auguste, daß die ihrigen keinen Hunger leiden müssen.

Im Sommer ist alle vier Wochen Waschtag. Frühmorgens stellt Auguste die großen Wasserkessel aufs Feuer. Für das "Inbüken" (das Einweichen) wird viel Wasser benötigt. Während das Wasser heiß wird, zieht sie die Betten ab. Im Sommer zieht sie die hellen Bezüge aus Damast, im Winter die dunkelroten auf. Noch hat man keine Matratzen, nur Weizenstroh, das im Bett aufgelockert wird. Darüber spannt Auguste ein frisches Leinentuch.

Die schmutzige Wäsche wird in das Einweichfaß gelegt, darüber ein Leinentuch gespannt, worauf sie Holzasche schüttet. Aus den großen Kesseln gießt sie jetzt kochendes Wasser über die Asche, die dadurch auslaugt. Sobald die Asche ausbleicht, wird sie durch neue ersetzt, heißes Wasser wird hinzugegossen, bis der Kübel gefüllt ist. Das Eingeweichte steht bis zum nächsten Tag, an dem die eigentliche Wäsche beginnt. Wäschewaschen war harte Arbeit und deshalb auch ein Gemeinschaftswerk der Frauen.

Die großen Wasserkessel kommen erneut auf den Herd. Der Pflock in dem Einweichfaß muß jetzt herausgezogen werden, so daß die Lauge aus Asche und Wasser abfließen kann. Gemeinsam tragen die Frauen das kochende Wasser zum Faß und gießen es auf die Wäsche und fangen es unten wieder auf. Das setzen sie solange fort, bis das abfließende Wasser kochend wieder herauskommt. Dann ist die Wäsche sauber und weiß. Nur die großen Holzschuhe mit den selbstgestrickten Socken verhindern, daß sie sich nicht mit dem heißen Wasser verbrennen. Zum Spülen schleppen alle gemeinsam die Wäsche zum Bleichgraben. Auf der Bleiche wurden die Wäschestücke zum Trocknen ausgebreitet. Als in den 20er Jahren der neue Schweinestall gebaut wurde, bekam Auguste im nördlichen Teil eine Waschküche. Da hat sie die Wäsche in Soda eingeweicht und in großen Kübeln gekocht.

Damals wurde nicht so viel gebügelt wie heute. Wenn Auguste bügelt, steht sie in ihrer Küche am langen Tisch. Im Feuer liegen die Bolzen, die sie in das hohle Eisen reinschiebt. Damit sie sich nicht verbrennt, hat das Eisen eine kleine Holzklappe, die sie vor das Loch schiebt. Zwei bis drei Bolzen werden neu erhitzt und ausgewechselt. Später hat sie sogenannte Setzeisen. Das war ein Holzgriff, der einfach auf ein erhitztes Eisen gesetzt wurde.

Es ist das Jahr 1915 und Deutschland befindet sich im Krieg. Das bedeutet Einschränkungen und Abgaben. Schon am 1. Februar ordnet der Bundesrat an, daß jeder Deutsche verpflichtet ist, seine Vorräte an Getreide und Mehl anzugeben. Das Verbrennen von Brotkorn zu Schnaps wird verboten.

Im Juni 1915 wird Werther Garnisonsstadt. Die Landwirte müssen Naturalien für die Verpflegung der Truppe beisteuern. Schulkinder sammeln alle entbehrlichen Gold- und Silbergegenstände für die Nationalstiftung "Vaterlandsdank" ein. Der Erlös kommt den Hinterbliebenen der im Krieg Gefallenen zugute. [21]

1917, mitten in den Krieg, fällt das Fest der silbernen Hochzeit. An große Ausgaben für ein Fest ist nicht zu denken. Die Bevölkerung wird in der Presse wiederholt aufgefordert, Geld für den Krieg zur Verfügung zu stellen: "Die neue Kriegsanleihe muß ein großer Erfolg werden. ... Ein schlechtes Ergebnis der Kriegsanleihe verlängert den Krieg ins Unabsehbare, weil die Feinde dann neue Zuversicht schöpfen und neue Vernichtungspläne schmieden. Darum zeichne!" [22]

Die Landwirte müssen ihre Produktion auf Fettpflanzen umstellen. In einem Flugblatt fordert der "Kriegsausschuß für Oele und Fette" in Berlin die Landwirte auf, Raps und andere ölhaltige Pflanzen anzubauen, "wo der Boden es erlaubt". [23]

Aus dieser unruhigen Zeit ist ein Foto mit der ganzen Familie erhalten. Gertenschlank und kerzengrade sitzt Auguste noch mit 50 Jahren vor dem Fotografen. Sie ist der Mittelpunkt der Familie. Ihre Augen sind klar und wach, der Mund immer noch ganz entschieden. Mit den zurückgekämmten Haaren sieht sie fast streng aus. Ganz anders die Hände, die rechte mit dem breiten Ehering ruht weich auf dem Schoß. In der linken hält sie die Hand des Jüngsten. August ist acht Jahre alt und weiß nicht so recht, was er von dem Ganzen halten soll.

Vor dem noch strohgedeckten Haus sind sie alle in aasten Sonntagskleidern versammelt. Auguste trägt ein schwarzes hochgeknöpftes Kleid mit Biesen und Spitzenvolants, darüber eine lange Perlenkette. Die eine Reihe liegt. eng am Hals. Ihr zwölf Jahre älterer Ehemann, der ebenfalls sitzt, sieht müde und verbraucht aus. Die sechs Kinder rahmen die Eltern ein. Der Älteste, Heinrich, steht hinten in Husarenuniform mit weißen Kordeln über der Brust. Von der "5. Eskadron des Husarenregiments Nr. 8 in Paderborn, Schloß Neuhaus", ist er gerade zu Besuch. Vielleicht muß er danach ins Feld. Er kämpfte an der Ostfront in Rußland.

Die Tochter Johanne in weißem Spitzenkragen und schwarzer Schleife ist schon im heiratsfähigen Alter. Sie heiratet erst im Jahr 1940 und wird die zweite Frau des Bauern Meyer zu Hoberge in Steinhagen. Der Herrmann ist dreizehn und trägt seinen Konfirmationsanzug. Er bleibt unverheiratet auf dem Hof Heining. Die Tochter Anna im kurzen Kleid, trägt Zöpfe und geht noch zur Schule. Der Jüngste ist August. Er soll den Hof übernehmen.

Im Ravensberger Land herrscht das Jüngstenrecht. Damit der Bauer nicht zu früh den Hof abgeben und aufs Altenteil ziehen muß, geht der Hof an den Jüngsten weiter.

Der alte Heinrich Heining würde sich gerne zurückziehen können. Doch mit dem Heiraten geht's bei den Heinings gar nicht so schnell, denn auch die Höfe sollen zueinander passen. Da ist die Auguste genau.

Wilhelm, der zweitälteste Sohn, bekommt das zu spüren. Auf einer Tierschau in Jöllenbeck hat er seine Frau Alwine aus Bardüttingdorf [24] kennengelernt. Der Hof Möller ist nicht so groß wie der eigene, die Anzahl der Pferde ist geringer. Hochnäsig ist sie nicht, aber einen gewissen Bauernstolz hat sie. Die Heirat gilt für Auguste nicht als "standesgemäß". Das Verlobungsfest wurde trotzdem groß gefeiert, denn Wilhelm hat sich gegen die Mutter durchgesetzt.

Das hat die jüngste Tochter Anna nicht geschafft. Sie galt als eine "ganz treue Seele, viel zu gutmütig". [25] Den Freier aus Enger lehnt die Auguste ab. Er bringt nicht genug in die Ehe mit. Die Tochter horcht aufs Elternwort und bleibt ihr Leben lang auf dem Hof Außer der Aussteuer hat sie nichts. Für die Arbeit, die sie verrichtet, bekommt sie ein Taschengeld. Das war so üblich bei unverheirateten Kindern. Vielleicht wollte Auguste gerne eine weibliche Kraft im Haus behalten, da bislang keine Schwiegertochter als Nachfolgerin eingezogen, war.

Als Kaspar Heinrich Heining am 31.03.1935 an Altersschwäche stirbt, hält die Witwe Auguste immer noch die Zügel in der Hand. Durch viele technische Erneuerungen ist die Arbeit leichter geworden. Ende der 20er Jahre wurde elektrisches Licht in das Haus verlegt. Auguste bekam eine Zentrifuge für die Butterherstellung. Das alte Plumpsklo hinten am Backhaus wurde an die Deele neben dem Kuhstall verlegt, damit man sich nicht bei Wind und Wetter "den Tod holte". [26] Herrmann hatte sogar ein Grammophon mit großem Trichter und einen ganzen Stoß Schallplatten.

Trotz der Veränderungen verrichtet die Auguste ihre Arbeit nach wie vor in der Küche. Vom Fenster kann sie sehen, wie der Schwager auf der Treppe an der Westseite schnitzt. "Ein Talent", meint Peter August Böckstiegel, der ihn gerne bei der Arbeit malen will. Der Schwager, der ein Fettgeschwür auf der Stirn hat, will sich nicht malen lassen. Die Bauern in der Gegend zeigen wenig Verständnis für den Bauernsohn Böckstiegel, der "mit einem Laken herumrennt und Farbe darauf kleckst, anstatt richtig zu arbeiten". [27] Zu Heinings kommt er gerne. Auguste geht immer freundlich auf ihn ein, und so bleibt er häufig in ihrer Küche und "küert met den Lüen" (spricht mit den Leuten).

Wieder muß Auguste Unruhe und Krieg in der Weit miterleben. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die von den meisten in der Gegend positiv bewertet wird, hält die Stadt Werther einen Dankgottesdienst auf dem Schulhof. Anschließend wird ein großes Feuer auf dem Blotenberg angezündet.

Durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kommen Strafgefangene als Arbeitskräfte auf den Hof. Unten in Dieckmanns Kotten befindet sich ein Strafgefangenenlager. Dort sind aber keine Schwerstverbrecher, eher Leute, die mit den schlechten Wirtschaftsverhältnissen nicht zurechtkommen. Ein Gefangener erzählt: "Ich habe ja nur einen Strick geklaut und am anderen Ende hing eine Kuh." [28]

Es kamen auch Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten auf den Hof. Die Polin Maria Smigielska weiß zu erzählen, daß es sehr gerecht bei Heinings zuging. Alle aßen am selben Tisch, was eigentlich nicht erlaubt war. Da hat Auguste keinen Unterschied gewußt. Als nach dem Krieg Racheakte gegen die Deutschen verübt wurden, haben die ehemaligen Zwangsarbeiter Heinings Hof geschont. [29]

Während des Krieges ist ihr Sohn Heinrich Ortsbauernvorsteher von Westschröttinghausen. Da mußte ein Telefon angeschafft werden. Bei Heinings holen die Leute von den umliegenden Höfen die Lebensmittelmarken. Oft kommen die Kinder auf dem Weg von der Schule. Sie werden von Auguste empfangen, die in ihrem Stuhl mit einer schwarzen Haube sitzt. Freundlich erkundigt sie sich nach jedem, ruft die Tochter Anna, die dann die Marken verteilt.


"So oft die Tür den Angel wend',
bedenk oh Mensch, dein letztes End." [30]

Auguste Heining hat den Krieg überlebt und keinen ihrer Söhne verloren.
Kurz nach dem Krieg heiratet ihr ältester Sohn Heinrich doch noch. Am 29.06.1945 zieht Friederike Elfriede Ruhig aus Ummeln bei Bielefeld als die neue Frau Heining ein.

Im Jahre 1946 kann Auguste ihren 80. Geburtstag im Kreis ihrer Familie feiern. Pastor Heinrich Baumann, die Frauenhilfe und der Posaunenchor überbringen herzlichste Glückwünsche.

Im Jahr 1947 wird die Erbfolge neu geregelt. Der jüngste Sohn August, der eigentliche Erbe, bleibt auf dem Hof in Gütersloh und Heinrich, der den Hof gut zehn Jahre bewirtschaftet hat, wird als Hoferbe eingesetzt. In den Akten hat Auguste vermerken lassen, daß sie bis an ihr Lebensende in dem elterlichen Schlafzimmer bleiben kann, "mit dem Mobiliar, das sie wünscht". [31]

Ihre letzte Zeit verbringt sie in ihrem Himmelbett aus Eichenholz. Vier gedrechselte Säulen halten die geschnitzte Decke, wo der Vorhang befestigt ist.
Frühmorgens am 06.06.1948 stirbt Auguste Heining in diesem Bett. Die Geburt des neuen Hoferben Heinrich Heining 11.12.1947 hat sie noch bewußt miterleben können.

Heute steht der Hof Heining unter Denkmalschutz. Die Arbeit der vergangenen Generationen ist den Nachkommen erhalten geblieben.


Anmerkungen

[1] Die Höfe wurden nach der Größe numeriert. Hof Heining hatte die Adresse Schröttinghausen 4. Meyer zu Rahden (heute Häger) war der größte Hof in Schröttinghausen.
[2] Heute Kreis Herford.
[3] Auszüge aus den Kirchenbüchern über die Familie Böndel.
[4] Schäpers 1960, S. 351-356.
[5] Herta Sehröder, Tonband.
[6] Ebda.
[7] Ebda.
[8] Herbert Kollmeier, Tonband.
[9] Herta Sehröder, Tonband.
[10] Wolf 1905, S. 139.
[11] Herta Schröder, Tonband.
[12] Stammbuch der Familie Heining.
[13] Bauernregel. Zit. n. Reinhard Stückemann, Tonband.
[14] Heute Schloßstraße 108 in 4806 Werther.
[15] Herta Sehröder, Tonband.
[16] Ebda.
[17] Reinhard Vogel, Tonband.
[18] Ebda.
[19] Redewendung. Zit. n. Annette Heining.
[20] Herta Schröder, Tonband.
[21] Ebmeyer 1990, S. 29-37.
[22] Haller Kreisblatt vom 22.9.1917.
[23] Flugblatt, Berlin 1917.
[24] Heute Stadt Spenge, Kreis Herford.
[25] Herbert Kollmeier, Tonband.
[26] Ebda.
[27] Reinhard Stückemann, Tonband.
[28] Reinhard Vogel, Tonband.
[29] Maria Smigielska, geb. Hynek, mündliche Information.
[30]Spruch über der Tür an der Westseite, Hof Heining.
[31] Erb- und Übertragungsvertrag. Urkunde vom 21.1.1948.


Nicht gedrucktes Material

Mündliche Auskunft von Heinrich und Annette Heining, Hofbesitzer. Tonbandaufnahmen mit Zeitzeugen, die Auguste Heining gekannt haben:
1. Herbert Kollmeier (geb. 1918), Werther, Sohn von Bernhard Kollmeier, Lehrer
in der Schule gegenüber von Heinings Hof. Die Schule in Westschröttinghausen ist heute geschlossen.
2. Herta Sehröder (geb. Kollmeier 1921), Bielefeld, Tochter des Lehrers Bernhard Kollmeier.
3. Reinhard Stückemann (geb. 1931), in Schröttinghausen aufgewachsen. Bauer auf dem Nachbarhof Dieckmann.
4. Reinhard Vogel (geb. 1931), Werther, Sohn von Wilhelm Vogel, Heuerling auf Heinings Hof bis 1934.

Annette und Heinrich Heining ein herzliches Dankeschön für ihre Bereitschaft, Urkunden, Fotografien und Unterlagen vom Hof Heining zur Verfügung zu stellen. Durch ihre Unterstützung und Hilfe wurde Auguste Heining für mich richtig lebendig. Mein Dank geht auch an Herta Schröder, Herbert Kollmeier, Reinhard Stückemann und Reinhard Vogel, die in langen Gesprächen über ihre eigenen Erfahrungen mit Auguste Heining erzählt haben.


Schriftliche Urkunden

Auszüge aus den Kirchenbüchern des Kirchspiels Enger über die Familie Böndel in Westerenger Nr. 5.
Auszüge aus dem Stammbuch der Familie Heining in Werther, von dem Gemeindeamt Werther ausgestellt.
Geburts- und Sterbeurkunde des Heinrich Wilhelm Heining (geb. 29.12.1894 gest. 28.06.1899), vom Standesamt in Werther am 12.11.1936 ausgestellt.


Literatur

EBMEYER, GERHARD (Hrsg.)
So war es damals. Bericht aus der Zeit von 1908 bis 1942 von Karl Schwabedissen. Aus der Schulchronik der Ev. Grundschule Langenheide, Bielefeld 1991.

EBMEYER, GÜNTER
Damals in Werther. Über 100 Jahre Landwirtschaft, Bielefeld 1990.

EIYNCK, ANDREAS
Alles unter Dach und Fach. Bauen und Wohnen in altem Fachwerk auf dem Lande, in: Damals bei uns in Westfalen. Bd. 2, Wiedenbrück 1987.

Flugblatt an Landwirte vom Kriegsausschuß für Oele und Fette, Ernte-Abteilung/
Berlin, Mauerstraße 53, 1917.

GÜSE, ERNST-GERHARD (Hrsg.)
Peter August Böckstiegel. Retrospektive zurr 100. Geburtstag, Münster 1989.

Haller Kreisblatt, Nr. 223, 36. Jg. vom 22.9. 1917.

SAUERMANN, DIETMAR / SCHMITZ, GERDA
Alltag auf dem Lande. Bilder und Berichte aus dem Archiv für westfälische Volkskunde, in: Damals bei uns in Westfalen. Bd. 1, Wiedenbrück 1986.

SCHEPERS, JOSEF
Haus und Hof deutscher Bauern. Eine Darstellung in Einzelbänden. Teil Westfalen-Lippe (Bd. 2), Münster 1960.

WOLF, KARL
Freud und Leid im Kreise Halle (Westf.) 1800-1905, Halle (Westf.)
1905.


Aimée Delblanc

QUELLE   | "Was für eine Frau!" | S. 135-151, 276-278
PROJEKT  Portraits von Frauen aus Ostwestfalen-Lippe
AUFNAHMEDATUM2006-04-11


QUELLE     | "Was für eine Frau!" | S. 135-151

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.8   1850-1899
3.9   1900-1949
Ort1.4   Ostwestfalen-Lippe
2.32   Ravensberg, Gt. < - 1807>
Sachgebiet6.7.2   Dorf, Land
6.8.8   Frauen
10.10   Landwirtschaft, Landwirtin/Landwirt
DATUM AUFNAHME2003-10-28
DATUM ÄNDERUNG2010-05-20
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