QUELLE

DATUM1949-06   Suche   Suche DWUD
URHEBER/AUSSTELLERBeckhäuser, E.
AUSSTELLUNGSORTDortmund
TITEL/REGESTStellungnahme der Industrie- und Handelskammer, Dortmund, (E. Beckhäuser) zur Demontage der Fischer-Tropsch-Synthese-Werke
TEXT[S. 1] Auf Grund des Washingtoner Abkommens der westlichen Militärregierungen vom 6. April 1949 über die in Deutschland verbotenen und beschränkten Industrien ist u. a. auch die Demontage der nach dem Verfahren von Fischer-Tropsch arbeitenden Synthese-Werke angeordnet worden. Unser Kammerbezirk wird durch diese Maßnahme sehr hart getroffen, da drei bedeutende Werke der Kohlechemie damit der Zerstörung anheimfallen. Es handelt sich um die

Fischer-Tropsch-Anlagen der Gewerkschaft Victor in Castrop-Rauxel,
Dortmunder Paraffin-Werke GmbH, Dortmund und
Chemische Werke Essener Steinkohle AG Bergkamen.

Der Kohlechemie kommt im westfälischen Teil des Ruhrgebietes besondere Bedeutung zu, weil hier fast ausschließlich Fettkohle gefördert wird, auf der die Kohleveredlung im wesentlichen basiert. Da der Ruhrbergbau wegen seiner im Durchschnitt höheren Teufe und geringen Stärke der Flöze kostenmäßig sehr viel ungünstiger liegt als z. B. der amerikanische oder englische Steinkohlenbergbau, mußten neue Wege gesucht werden, um die wirtschaftliche Grundlage zu verbessern. Dies war der Anlaß zum Aufbau zahlreicher Kohleveredlungsanlagen. Durch die Verkokung der Kohle und die damit verbunden Gewinnung der Nebenprodukte Teer, Benzol, Ammoniak und Gas wurde die Ertragsfähigkeit gehoben. Bei der zunehmenden Teufe und infolge des Anwachsens der sonstigen Kosten genügte aber nach kurzer Zeit diese Basis nicht mehr. Die wissenschaftliche Forschung entwickelte deshalb immer wieder neue Kohleveredlungsverfahren, deren bedeutendstes das Fischer-Tropsch-Synthese-Verfahren war. So konnte man auch die starken Marktschwankungen in etwa ausgleichen, denen der Bergbau ausgesetzt war, zumal bei Absatzrückgängen nicht alle Kohlenarten und -sorten der Förderung entsprechend gleichmäßig betroffen werden.

Der Aufbau umfangreicher Kohlechemie-Werke, insbesondere Synthese-Werke, im nördlichen Ruhrrevier nahm diesem Gebiet, in dem vorher fast ausschließlich Bergbau betrieben wurde, seine Krisenanfälligkeit. Diese Veredlungsanlagen wurden für eine Friedenswirtschaft im Interesse einer größeren Ertragsfähigkeit des Bergbaus entwickelt. Die erste Veröffentlichung über die Synthese von Kohlenwasserstoffen erschien bereits im Jahre 1926. Langjährige Versuche führten schließlich, [S. 2] nachdem in einer Versuchsanlage die Brauchbarkeit des entwickelten Verfahrens unter Beweis gestellt war, im Jahre 1935 zu der Errichtung der ersten Großanlage, der Ruhrchemie AG in Oberhausen-Holten, die 1936 in Betrieb genommen wurde. Das Interesse des Bergbaus an diesem Verfahren war sehr groß, da es hinsichtlich der wirtschaftlichen Ausnutzung des Rohstoffs Kohle große Möglichkeiten bot. Dies führte dazu, daß gleichzeitig mit dem Ruhrchemie-Werk drei weitere Fischer-Tropsch-Anlagen in Angriff genommen wurden, unter ihnen auch die Anlage der Gewerkschaft Victor in Castrop-Rauxel. Dieses Werk war bereits vor Herbst 1936 in Betrieb, also bevor die damalige Regierung das Autarkie-Programm für die Treibstoffversorgung verkündete. Vor diesem Zeitpunkt hatte ebenfalls die Essener Steinkohlen-Bergwerke AG bereits den Beschluß zum Bau der Syntheseanlage in Bergkamen gefaßt. Die Gründung der Dortmunder Paraffin-Werke erfolgte auch im Jahre 1936. Die Errichtung dieser Anlage stellte eine Weiterentwicklung des bisherigen Verfahrens insofern dar, als hier die inzwischen entwickelte Mitteldrucksynthese zur Anwendung gelangte, die es ermöglicht, auf Kosten des für Treibstoffzwecke wenig geeigneten Benzins einen hohen Prozentsatz hochsiedender Kohlenwasserstoffe zu erzeugen, wie Paraffin, Paraffin-Gatsch und Kogasin, Produkte, die z. B. für die Seifen- und Waschmittel-, Textilhilfsmittel-, Lack-Fußbodenpflegemittel-, Lederpflegemittel- und Kerzenindustrie wichtigste Rohstoffe darstellen.

Sämtliche Erzeugnisse der Fischer-Tropsch-Synthese dienen der deutschen chemischen Industrie als Rohstoffe, die sonst unter hohem Devisenaufwand aus dem Ausland bezogen werden müssen.

Mit Sicherheit ist in absehbarer Zeit wieder mit einem Kohlenüberfluß zu rechnen, der nur durch Umwandlung in hochwertige Erzeugnisse an Ort und stelle nutzbringend Verwendung finden kann. Wenn wider Erwarten der angedeutete Rückgang in der Absatzfähigkeit von Kohle und Koks nicht in Erscheinung treten sollte, so kann in den Generatoren der Fischer-Tropsch-Synthese-Anlagen auch geringwertiger, für den Verhüttungsprozeß nicht geeigneter Koks eingesetzt werden, der aus Gaskohle hergestellt wird. Die wertvollere und für die Verkokung besonders geeignete Fettkohle kann dann, wie bisher, für den europäischen Eisenhüttenbedarf Verwendung finden.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Fischer-Tropsch-Synthese ersieht man daraus, daß der Wert der nach diesem Verfahren hergestellten Produkte das 3¼fache des Wertes der eingesetzten Ausgangsrohstoffe, Koks und Gas, ausmacht. Diese Wertvermehrung ist von wesentlicher lohnpolitischer Bedeutung, da die Ertragsfähigkeit des Bergbaus dadurch erheblich gesteigert wird. Bei den schwierigen geologischen Verhältnissen des Ruhrgebiets können die Bergarbeiterlöhne nur dann ihren Vorrang vor den Löhnen anderer Beschäftigter halten, wenn dem Bergbau diese Erlöse aus der Kohleveredlung zufließen.

Die Anordnung der Demontage für die Fischer-Tropsch-Werke ist umso unverständlicher, als teils auf Veranlassung, teils mit Genehmigung der Militärregierung der Wiederaufbau der im Kriege zerbombten Anlagen unter Neuinvestierung erheblicher Mittel durchgeführt wurde.

Das Fischer-Tropsch-Werk der Gewerkschaft Victor ist seit einiger Zeit bereits wieder in Betrieb, während bei den Anlagen der Dortmunder Paraffin-Werke GmbH und der Chemische Werke Essener Steinkohle AG in Bergkamen der Wiederaufbau noch nicht beendet werden konnte. Die für den Wiederaufbau der Werke verwandten Gelder würden verschwendet worden sein; denn nicht einmal die produzierende Anlage der Gewerkschaft Victor hat in der kurzen Zeit, die seit der Wiederinbetriebnahme des Werkes vergangen ist, durch ihre Produktion Gewinne hereinbringen können, die auch nur in etwa mit den aufgewendeten Instandsetzungskosten verglichen werden können.

Nach aufgestellten Berechnungen wird bei der Demontage der Fischer-Tropsch-Anlagen wertmäßig ein ähnliches Ergebnis herauskommen, wie bei den Demontagen in der Eisen-Industrie. Für die [S. 3] mit erheblichem Kapitalaufwand gebauten Werke würde nur etwa ein Zehntel ihres Herstellungswertes, entsprechend dem Schrottwert, dem Reparationskonto gutgeschrieben werden, während die Demontagekosten das Dreifache dieses Wertes betragen.

Die bei der Fischer-Tropsch-Synthese anfallenden Benzine sind, wie bereits erwähnt, wegen ihres geringen Klopfwertes als Treibstoff für Vergasermotoren kaum verwendbar, aber wegen ihrer Reinheit und einheitlichen Zusammensetzung eignen sie sich besonders für die Weiterverarbeitung in der chemischen Industrie. Deshalb ist die vorwiegend im Ausland vertretene Ansicht unzutreffend, daß die Fischer-Tropsch-Synthese ein Verfahren darstellt, das ausschließlich oder vorwiegend auf die Erzeugung von Treibstoff ausgerichtet ist. Tatsächlich haben die westdeutschen Fischer-Tropsch-Werke selbst während des Krieges, als das Treibstoffproblem von besonderer Wichtigkeit war, für die Deckung des Treibstoffbedarfs nur eine unbedeutende Rolle gespielt, da nur 2 bis 2½ % des Mineralölbedarfs durch Fischer-Tropsch-Erzeugnisse gedeckt wurden. Die Werke stellen deshalb kein beachtliches Kriegspotential dar. Im übrigen ist es kein Problem, größte Werksanlagen dieser Art durch einen einzigen Luftangriff für die Kriegswirtschaft völlig auszuschalten. Die harten Tatsachen des letzten Krieges haben dies zur Genüge bewiesen.

Obwohl die Fischer-Tropsch-Werke nicht zu den arbeitsintensiven Betrieben zu rechnen sind, bedeutet ihr Abbau oder ihre Stillegung eine neue Ausweitung der Arbeitslosigkeit. Noch bedeutungsvoller ist die Tatsache, daß in diesen Werken im wesentlichen Arbeitskräfte tätig sind, die mit der Überwachung von Apparaturen beschäftigt werden. Hier besteht die Möglichkeit, in großem Umfang Schwerbeschädigten und Frauen, für die in unserem Gebiet nur in sehr beschränktem Umfang Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sind, Arbeitsplätze zu geben, an denen sie vollwertig eingesetzt sind.

Durch die deutsche Wissenschaft und Technik ist das Fischer-Tropsch-Verfahren entwickelt und verbessert worden. Dem Auslande gegenüber wurde die Fischer-Tropsch-Synthese niemals als Geheimverfahren behandelt. Vielmehr wurden Lizenzverträge mit Gesellschaften vieler Länder abgeschlossen. In den vereinigten Staaten von Amerika wird das Fischer-Tropsch-Verfahren jetzt in großem Maßstab angewandt. Es ist deshalb eine unvertretbare und ungerechtfertigte Maßnahme, dem Lande, welches ein solch bedeutungsvolles und wichtiges Rohstoffverfahren erarbeitet hat, dieses zu verbieten und ausschließlich andere als Nutznießer an dieser deutschen Leistung teilnehmen zu lassen.

Dem Ruhrgebiet werden durch diese Demontagen seine jüngsten und modernsten Industriezweige fortgenommen. Es wird in seiner Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Dortmund, im Juni 1949

Industrie- und Handelskammer zu Dortmund
E. Beckhäuser
Präsident
ERLÄUTERUNGDie Fischer-Tropsch-Werke dienten der Treibstoffherstellung aus Steinkohle. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auf Geheiß der Alliierten zahlreiche Industrieanlagen, die als wichtige Bestandteile der deutschen Rüstungsindustrie galten, demontiert. Dazu gehörten auch die Anlagen zur Treibstoffgewinnung.

Die Demontage der Fischer-Tropsch-Werke stieß auf heftigen Widerstand: Behörden legten Widerspruch ein und wiesen auf den Verlust von Arbeitsplätzen und die Bedeutung der Werke für die deutsche Wirtschaft insgesamt hin. Die Arbeiter versuchten den Abbruch der Werke zu verhindern. Konrad Adenenauer erreichte mit dem Petersberger Abkommen 1949 einen Demontagestopp in Deutschland. Auch die Abbrucharbeiten in den Treibstoffwerken wurde unterbrochen, das Produktionsverbot schließlich 1951 aufgehoben.


PROVENIENZ  Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv
BESTANDIndustrie- und Handelskammer zu Dortmund
SIGNATURK1 Nr. 2258


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Ort1.2   Dortmund, Stadt <Kreisfr. Stadt>
1.5   Ruhrgebiet
1.12.1   Bergkamen, Stadt
3.6.1   Castrop-Rauxel, Stadt
Sachgebiet5.11   Wiederaufbau
10.6.3   Industrie- und Handelskammern
10.13   Industrie, Manufaktur
DATUM AUFNAHME2004-03-31
AUFRUFE GESAMT5736
AUFRUFE IM MONAT452