Elektronische Archivierung

von Brigitta Nimz
(PDF-Dokument als Druckversion (86 kb)
1. Einleitung
Besondere Aufmerksamkeit verdienen zunächst die terminologischen Unterschiede, wenn man es mit der ,,Elektronischen Archivierung" zu tun hat. In der Sprache der Informationsspezialisten und der Archivare umfasst der Begriff ,,Archivierung" völlig andere Dimensionen. In der Informationstechnik (IT) bedeutet es lediglich die Ablage und die Recherchemöglichkeit von Dokumenten, und unter dem Begriff ,,Langzeitarchivierung" wird eigentlich nur die revisionssichere Aufbewahrung der Daten entsprechend den gesetzlichen Aufbewahrungsfristen verstanden. Archivierung in Bezug auf elektronische Systeme bedeutet vor allem die Auslagerung von Daten auf externe Speichermedien und zum Teil auch die Digitalisierung von Papierdokumenten auf elektronischen Informationsträgern. Weit verbreitet sind hierbei die optischen Speichersysteme.

Im Archiv versteht man unter Langzeitarchivierung die wirklich dauerhafte Aufbewahrung aller archivwürdigen Unterlagen, einschließlich der elektronischen Unterlagen aus der Verwaltung. Archivgut wird sozusagen ,,für alle Ewigkeit" aus rechtlichen, administrativen oder historischen Gründen aufbewahrt.

Die Archivierung als Prozess verstanden, umfasst alle Tätigkeiten des Archivars, angefangen von der Bewertung und Übernahme von Schriftgut und sonstigen Unterlagen staatlicher und nichtstaatlicher Stellen über die Ordnung und Verzeichnung, die Sicherung und Lagerung bis hin zur Gewährleistung der Benutzung des Archivguts. Daher ist es besonders interessant, die Auswirkungen der Übernahme elektronischer Unterlagen aus der Verwaltung auf den gesamten Prozess archivarischen Handelns hin zu überprüfen.

Bisher begann die Tätigkeit des Archivars am Ende des (aktiven) Lebenszyklus von Unterlagen, vielfach ausgelöst durch einen Hilferuf aus den Dienststellen, die sich von dem sogenannten ,,Aktenballast" befreien wollten. Mit der Einführung der IT-gestützten Vorgangsbearbeitung muss der Archivar schon am Beginn des Lebenszyklus elektronischer Akten, nämlich bei der Konzeption dieser Systeme, eingreifen. Abzuwarten, bis digitale Unterlagen in einer Behörde nicht mehr benötigt werden, heißt, dass es dann bereits zu spät für eine dauerhafte Archivierung sein könnte. Die Flüchtigkeit und Manipulierbarkeit digitaler Unterlagen und deren Abhängigkeit von sich ständig wandelnden Technologien erfordern frühzeitiges Eingreifen.

Um die besondere Problematik, die mit der dauerhaften Sicherung der elektronischen Unterlagen verbunden ist, zu verstehen, muss sich der Archivar auch mit den neuen Eigenschaften elektronischer Dokumente auseinandersetzen. Im Gegensatz zum traditionellen Archivgut, wo Inhalt, Form und Träger der Informationen eine unzertrennbare Einheit bildeten, sind elektronische Informationen unabhängig von ihrem physischen Träger. Sie können online und offline auf verschiedenen Speichermedien abgespeichert sein. Erwähnenswert sind zwar die Eigenschaften der besseren Recherchemöglichkeiten, der großen Speicherkapazitäten, aber auch die begrenzte Lebensdauer und die Dynamik der Informationen, die meist keine abgeschlossenen statischen Einheiten sind.

Man ist sich weitgehend darin einig, dass die elektronischen Informationsträger in der Regel keinen eigenen Bestand bilden, sondern logisch in die Gesamtüberlieferung einer abliefernden Stelle gehören. Die Ausnahme bilden die elektronischen Informationsträger als Sammlungsgut; diese können einen eigenen Bestand bilden. Die physische Lagerung kann unabhängig von der logischen Ordnung gesondert und unter speziellen Bedingungen erfolgen. Endarchive, die elektronische Informationsträger von Behörden und anderen Einrichtungen im Rahmen ihrer Gesamtüberlieferung erhalten, werden sich an den Ordnungskriterien der abliefernden Stelle orientieren, so dass als vorrangige Aufgabe die Langzeitsicherung und die Haltbarkeit von elektronischen Informationsträgern angesehen werden kann.

Archivare befinden sich besonders bei den elektronischen Unterlagen im Spannungsfeld zwischen dem Interesse der Verwaltung an einer sicheren und vertraulichen Behandlung der Unterlagen, dem Interesse der Allgemeinheit an einer intakten Überlieferung und dem Interesse zum Sicherung schutzwürdiger Belange Dritter. Die Beachtung rechtlicher Fragen gewinnt auch hier eine besondere Bedeutung.

2. Der gesetzliche Auftrag
Die Archivare sind durch die Archivgesetze des Bundes und der Länder verpflichtet, archivreife Unterlagen aus der Verwaltung, die für die laufende Geschäftserledigung nicht mehr benötigt werden, zu werten, die archivwürdigen Unterlagen zu übernehmen, zu erschließen und dauerhaft zu bewahren; das schließt natürlich die elektronischen Unterlagen mit ein. Mit der Übernahme von Unterlagen aus elektronischen Systemen folgt der Archivar seinem gesetzlichen Auftrag, öffentliches Archivgut vor Vernichtung, Zersplitterung und Entfremdung zu sichern und für die Benutzung zur Verfügung zu stellen. Die Entscheidung über die Archivwürdigkeit von elektronischen Unterlagen sollte immer im Zusammenhang mit der Gesamtüberlieferung der abgebenden Stelle gesehen werden und sich an den grundsätzlichen Bewertungskriterien für traditionelles Archivgut orientieren. Welche Unterlagen gelten als ,,archivwürdig"?

,,Archivwürdig" sind Unterlagen, die nach Feststellung der zuständigen Archivbehörde für
1. die Wissenschaft und Forschung,
2. das Verständnis der Gegenwart und der Geschichte,
3. Zwecke der Gesetzgebung, Verwaltung oder Rechtssprechung oder
4. die Sicherung berechtigter Belange Betroffener und Dritter von bleibendem Wert sind. Archivwürdig sind auch Unterlagen, die aufgrund von anderen Rechtsvorschriften oder zur Rechtswahrung dauernd aufbewahrt werden müssen. (Fussnote 1)

3. Die Rolle der Archive
3.1. Records Management
Mit Hilfe von Dokumentenmanagementsystemen oder Systemen zur IT-gestützten Vorgangsbearbeitung sollen die Tätigkeiten in der Verwaltung effektiviert und rationalisiert werden. Diese Dokumentenmanagementsysteme haben die Aufgabe, Dokumente digital zu erfassen, Weiterbearbeitungsfunktionen anzubieten (Workflow), sie zu verwalten und recherchierbar zu halten. Sie umfassen folgende Bereiche:

Schlagwort dafür ist das sogenannte ,,papierlose Büro". Diese elektronische Form der Schriftgutverwaltung ist derzeit noch heftig umstritten und wirft zahlreiche Probleme vor allem in Hinblick auf die Langzeitarchivierung auf. Doch längst nicht jede IT-Unterstützung in der Verwaltung ist tatsächlich so komplex, vielmehr gibt es verschiedene Stufen des Einsatzes der Informationstechnik in der Verwaltung.

Die IT-unterstützte Schriftgutverwaltung (Minimaloption)

Die klassischen Grundfunktionen der Bürokommunikation, wie z. B. die Textverarbeitung, die Tabellenkalkulation, Geschäftsgraphik, die Terminkoordination und die Dokumentenablage werden EDV-gestützt eingeführt. Hierbei werden die konventionellen Registraturhilfsmittel, wie Karteikarten, Einsenderkarteien und Adresslisten abgelöst.

Kennzeichen der IT-gestützten Schriftgutverwaltung ist Möglichkeit des Zugriffs auf elektronische Dokumentensammlungen, z. B. Amtsdrucksachen, Ratsbeschlüsse u. ä.. Diese Dokumente werden beispielsweise in Ratsinformationssystemen zur Verfügung gestellt und können dann in die traditionelle oder elektronische Vorgangsbearbeitung eingebunden werden. Als Ergebnis liegt in der Verwaltung eine gemischte Aktenführung vor. Neben der Erfassung der Metadaten zu den Dokumenten und Vorgängen, vor allem für Recherchezwecke, erfolgt weiterhin die papiergebundene Bearbeitung der Geschäftsvorfälle.

Die IT-gestützte Vorgangsbearbeitung (Maximaloption)

Überlegungen zur Straffung von Verwaltungsabläufen in der Verwaltung stehen im Vorfeld der Konzeption einer ganzheitlichen IT-Unterstützung bei der Vorgangsbearbeitung. Die Realisierung der IT-Unterstützung erfolgt schrittweise mit zunehmender Rückwirkung auf die Aufbau- und Ablauforganisation in der Verwaltung. Dabei wären folgende Teilschritte denkbar:

Workflow

Eine Workflow-Automation ermöglicht eine integrierte Vorgangsbearbeitung anhand vordefinierter oder steuerbarer Geschäftswege und damit die Möglichkeit, die Geschäftsprozesse auch elektronisch zu überwachen. Workflowkonzepte sind vergleichbar mit dem Business Reengineering mittels moderner Informations- und Kommunikationstechnologien in der Verwaltung. Die Vorgänge werden EDV-gestützt bearbeitet, um die Bearbeitung einerseits zu beschleunigen und andererseits natürlich auch zu verbessern, also einen Mehrwert zu erreichen. Den Bürgern sollen effizienter erstellte Dienstleistungen, verbunden mit einem verbesserten Service und schnellerer Bearbeitung, unter Einsparung aller zur Erstellung von Dienstleistungen notwendigen Ressourcen angeboten werden.

Dem Einsatz von Workflowkonzepten gehen gründliche Planungen voraus, in denen man u. a. prüft, ob die vorgesehenen Geschäftsprozesse sich für ein Workflowmanagement eignen. Daran schließt sich bei positiver Beantwortung die Definition der einzelnen Vorgänge, die Ermittlung der einzelnen Prozesse und Prozessschritte, die Festlegung der Ablauforganisation, die Analyse der Art der erzeugten Daten sowie die „Ermittlung der benötigten Materialien, und der notwendigen Softwareanwendung an. Begleitet wird das ganze durch die Erstellung einer Historie, die den gesamten Ablauf dokumentiert und somit genau aufzeigt, wer was wann und warum getan hat. Kontrollinstrumente zeigen den Stand der Bearbeitung, den zeitlichen Aufwand usw. auf. Unstrukturierte Abläufe, z. B. in der Sachbearbeitung sind das k.o.-Kriterium von Workflowsystemen. Zu beachten ist, dass auch beim Workflow eine Flexibilität in der Vorgangsbearbeitung gewährleistet sein muss, etwa durch alternative Handlungsweisen oder durch die Änderung der Reihenfolge in der Bearbeitung. Hauptanwendungsbereiche von Workflowsystemen in der öffentlichen Verwaltung liegen in der staatlichen Leistungsverwaltung und der Einzelfallbearbeitung.

Elektronische Vorgangsbearbeitung

Ziel der elektronischen Vorgangsbearbeitung ist die Kontrolle des Verwaltungshandelns, die Beschleunigung der Vorgangsbearbeitung und die Verbesserung des internen Informationsflusses. Recherchen und Auskünfte an Bürger können nun unmittelbar, sozusagen ,,auf Knopfdruck" erfolgen. Dabei können direkt elektronische Dokumente erstellt oder weiterverarbeitet, aber auch in Papierform vorliegendes Schriftgut, Anfragen/Anträge der Bürger u. ä., gescannt, per Texterkennungssoftware zugänglich gemacht und ebenfalls weiterbearbeitet werden. Nach verschiedenen Ordnungskriterien, z. B. dem Aktenplan, werden dann die elektronischen Unterlagen abgelegt und indiziert, so dass eine Recherche nach Vorgängen oder Einzelschriftstücken möglich ist.

Bei der elektronischen Vorgangsbearbeitung unterscheidet man ,,strukturierte" und ,,unstrukturierte" Geschäftsprozesse. (Fussnote 3) Antragsbearbeitung in der Verwaltung gehört zur den strukturierten (festen) Abläufen und eignet sich daher besonders für die elektronische Aktenführung. Im Ergebnis entstehen die Fallakten. Sachbearbeitung ist ,,unstrukturiert, die Reihenfolge und die Art der Arbeitsschritte lässt sich nicht immer vorhersagen und in einem elektronischen System nur schwer definieren. Sie müssen durch Verfügungen steuerbar sein. Als Ergebnis entstehen die Sachakten.

Viele Kommunen sind bereits mit der Optischen Archivierung und/oder mit Dokumentenmanagementsystemen konfrontiert. (Fussnote 4) Vielfach werden die Archive über diese Entwicklungen nicht oder nur unzureichend informiert und in die Planungen zu solchen EDV-Verfahren in der Verwaltung nicht miteinbezogen. In einer Auswertung zur Fragebogenaktion des Rheinischen Archiv- und Museumsamtes im Jahr 1999 wurden folgende Verwaltungsbereiche, in denen entweder Verfahren zur Optischen Archivierung oder bereits Dokumentenmanagementsysteme eingesetzt werden, benannt:

Daneben kommt es zum Einsatz der optischen Archivierung als Ersatz bisheriger COM-Verfahren (Computer Output on Microfilm).

Einflussnahme durch den Archivar

Ich komme nicht umhin zu betonen, dass die Einflussnahme durch den Archivar auf diese Entwicklungen nur durch den Ausbau der Beratung der Dienststellen in der Schriftgutverwaltung und durch intensiven Kontakt mit der Verwaltung, also durch aktives Records Management stattfinden kann. Das ist der Ausgangspunkt für die Berücksichtigung archivischer Belange bei der Konzeption von DMS oder IT-gestützter Vorgangsbearbeitung. Neben den Anforderungen der Verwaltung an solche Systeme im Sinne einer schnellen und benutzerfreundlichen Geschäftserledigung sind die archivarischen Anforderungen in Hinsicht auf die elektronische Aktenführung, die Einbindung einer Archivschnittstelle, die Übergabeformate und die Langzeitarchivierung zu formulieren. Bei der Kon„zeption von Dokumentenmanagementsystemen oder Systemen zur IT-gestützten Vorgangsbearbeitung muss der Archivar der Verwaltung und den EDV-Spezialisten als kooperationsbereiter Ansprechpartner zur Verfügung stehen, sonst droht, dass die ganze Entwicklung an ihm vorbeiläuft und unvermeidlich Überlieferungslücken entstehen.

Was sich in der Theorie gut und richtig anhört, kann in der Praxis überaus schwierig zu realisieren sein. Wie könnte also diese Einbindung der Archivare in der Praxis realisiert werden? Die folgende Checkliste kann dazu dienen, die Einflussnahme des Archivars vorzubereiten:

  1. Erstellung einer Übersicht über die in der Verwaltung eingesetzten IT-Verfahren
  2. Analyse der Verfahren
  3. Auswahl eines Pilotprojekts
  4. Definition einer geeigneten Form der Mitarbeit durch das Archiv
  5. Formulierung allgemeiner Anforderungen
Archivierung
Zusammenarbeit mit:
  • Verwaltung: Aussonderungsverfahren, Bewertung
  • Rechenzentren: techn. Know How und Kapazitätn
  • Forschungseinrichtungen: Nutzbarmachung, Modernes Retrieval
  • Records Management
    Behördenberatung,
    Gespräche mit den Organisationsreferenten,
    IT-Administratoren und Registratoren

  • Fragen der Schriftgutverwaltung
  • IT-Einsatz und Büroautomation
  • Planung und Konzeption von DMS: Konzept der Langzeitsicherung, Ablauf der Aussonderung
  • 3.2. Übernahme in das Archiv

    Übernahme in das Archiv heißt Übergabe der elektronischen Unterlagen in die Datenhoheit und die Bewertungskompetenz der Archivare. (Fussnote 5) Soll eine Aussonderung elektronischer Akten aus der Verwaltung vorgenommen werden, müssen Vereinbarungen und der organisatorische Verfahrensablauf festgelegt werden, dazu gehören folgende Sachverhalte:

    Viele dieser Sachverhalte sind bereits bei der Konzep„tion von DMS oder Systemen zur IT-gestützten Vorgangsbearbeitung zu berücksichtigen. Bei der Übergabe an das Archiv müssen eventuell vorhandene elektronische Unterschriften entfernt werden, denn Archive müssen Datensicherungen, z. B. in Form von Migrationen durchführen, was eine Änderung der Datenstruktur mit sich bringt, ußerdem gewährleisten Archive den Schutz vor Manipulation (ius archivi). Die ausgesonderten Unterlagen werden in die Archivdatenbank importiert. Unter Verwendung spezieller Datenformate und Datenträger zur Langzeitsicherung nimmt das Archiv die Datensicherungen vor. Ein wichtiger Punkt hierbei ist die Regelung der Kosten bei der Datenübernahme in das Archiv und späterer Konvertierungen, dabei sind folgende Fragen zu beantworten:

    Der Vorteil der niedersächsischen Variante bei Übertragung auf den kommunalen Bereich ist, dass Lösungen und Standards für mehrere Kommunen entwickelt werden können. Besonders attraktiv ist diese Lösung für kleinere Archive, die weder über das personelle noch über das technische Potential verfügen, elektronische Unterlagen zu übernehmen, zu sichern und zur Benutzung aufzubereiten. Festgelegt werden muss jedoch, dass die Archive über die Datenhoheit und die Bewertungskompetenz verfügen.

    3.3. Bewertung

    Natürlich stellen uns die elektronischen Unterlagen auch vor das Problem der Bewertung, die große Speicherkapazität der elektronischen Datenträger bei gleichzeitig kleinem Volumen der Datenträger selbst, verleitet oft zu der Annahme, die Bewertung könne aufgrund dieser Beständeminiaturisierung ausfallen oder zumindest aufgeschoben werden. Möglichkeiten der Volltextrecherche bei Aufbewahrung aller Daten bringt rasch erhebliche Schwierigkeiten mit sich, zum einen durch die sinkende Performance des ganzen Systems, gemeint ist die Geschwindigkeit und die entstehende Informationsflut bei Rechercheanfragen und zum anderen durch die Kosten für die Langzeitarchivierung.

    Im Zusammenhang mit der Bewertung von elektronischen Unterlagen treten zunehmend Überlegungen zur Vorbewertung auf. Anhand von Schriftgutkatalogen (Aktenplan) sollen Archivare im Vorfeld potentiell archivwürdiges Schriftgut herausfiltern. Durch Festlegung von Art, Umfang und Form der anzubietenden elektronischen Unterlagen werden elektronische Aussonderungslisten und Abgabeverzeichnisse erstellt. Die Bedingung für das Funktionieren dieser Praxis ist jedoch eine vorbildliche elektronische Aktenführung nach Aktenplan.

    Die Bewertung der elektronischen Unterlagen sollte vom Archiv in Zusammenarbeit mit der abgebenden Stelle erfolgen. Die Bewertungsentscheidungen hängen von der Art und Qualität der EDV-Anwendungen, dem Grad der Aufgabenunterstützung und dem Informationsgehalt ab. Man unterscheidet die technische und die inhaltliche Bewertung. Die Abgabe der elektronischen Unterlagen muss inklusive der Kontextinformationen und Dokumentationen erfolgen. Beigefügt sein müssen Angaben zur Anzahl der Datensätze, Codelisten, Beschreibung der Datenstruktur und des Datenformats. Die inhaltliche Bewertung elektronischer Unterlagen muss sich an den Kriterien für traditionelles „Archivgut orientieren. Konkrete Handlungsstrategien zur Bewertung von Akten sollen an dieser Stelle nicht getroffen werden. Sie würden hier zu weit führen und Ausführungen zu diesem Thema könnte ohnehin ganze Bände füllen (Fussnote 7) .

    3.4. Ordnung und Verzeichnung

    Die EDV-Unterstützung der Ordnung und Verzeichnung im Archiv ist nichts Neues mehr. Spezielle Archivprogramme haben vielfach Einzug in die Archive gehalten und ermöglichen die Erstellung elektronisch recherchierbarer Findmittel und bei Bedarf auch die Präsentation im Internet. In Hinsicht auf die hier zu behandelnde Problematik steht nun die Verzeichnung elektronischer Unterlagen im Vordergrund. Grundprinzip der Erschließung bleibt das Provenienzprinzip. Erfolgt schon beim Registraturbildner eine gute elektronische Aktenführung, kann dessen System ins Archiv übernommen werden, ohne weiter erschlossen werden zu müssen.

    Problemfelder sind gemeinsam genutzte oder angelegte Datenbanken, die zunehmende Vernetzung innerhalb von Dienststellen und mehrerer Dienststellen untereinander und die Auslagerung von öffentlichen Aufgaben, denn Informationssysteme brauchen sich nicht nach den Grenzen von Institutionen richten. Daneben entstehen bei der Definition von Leistungen und Produkten neue Ordnungs„sys„teme, so dass die Gefahr der Ablösung traditioneller Aktenpläne durch produktorientierte Ablagesysteme besteht.

    Die Einbindung elektronischer Unterlagen aus der Verwaltung in die Archivsoftware ist mitunter problematisch, denn die für traditionelles Archivgut konzipierten Erschließungsprogramme orientieren sich an physischen, nicht logischen Aufbewahrungseinheiten. Bei elektronischen Unterlagen müssen verschiedene Erschließungsebenen und Strukturen der elektronischen Informationen berücksichtigt werden. Erfasst werden müssen die Primärinformationen, die Metadaten, die Kontextinformationen und die dazugehörigen Dokumentationen. Vorteilhaft sind Systeme zur automatischen Erfassung der Metadaten.

    3.5. Sicherung

    Die physische Erhaltung meint nicht die Aufbewahrung der Hardware und Datenträger, sondern die Erhaltung der gespeicherten Informationen. Neben der Erhaltung der logischen und physischen Lesbarkeit der Informationen müssen auch Maßnahmen zur Datensicherheit getroffen werden, z. B. das Anfertigen von Kopien auf archivischen Sicherungsbändern sowie die sichere Aufbewahrung und Pflege dieser Bänder. Pflegemaßnahmen beinhalten das regelmäßige Umspulen der Bänder aber auch die richtige Lagerung im Magazinbereich. Erforderlich ist ein stabiles Raumklima in den Magazinen von etwa 17 - 20 Grad Celsius, eine relative Luftfeuchtigkeit von etwa 40%, Schutz vor Staub und anderen Umwelteinflüssen, eine Erdung der Metallregale und entsprechende Lagerungsmöglichkeiten. Archivische Speichermedien müssen verbreitet, standardisiert, herstellerunabhängig, weitestgehend hard- und softwareunabhängig sein, hohe Speicherkapazitäten aufweisen und dabei auch wirtschaftlich sein.

    Die logische Struktur und die Präsentation elektronischer Informationen sind von spezieller Software, z. B. Betriebssystemumgebung, Fachanwendungen, Textverarbeitung etc. abhängig. Deshalb ist die Bewahrung der ursprünglichen Darstellungsform und ihrer Verknüpfungen (auch des Recherchekomforts) sehr schwierig, wenn man auf die Langzeitarchivierung mit softwareunabhängigen Formaten setzt. Die ständige Anpassung an neue Technologien wird zum Grundprinzip der digitalen Bestandserhaltung. Dabei gibt es folgende Verfahren der Archivierung elektronischer Unterlagen: (Fussnote 8)

    1. Der Ausdruck der elektronischen Akten
      Als Vorteile bei dieser Verfahrensweise soll die Verwendung traditioneller Informationsträger wie Papier oder Mikrofilm über die mangelnde Haltbarkeit elektronischer Informationsträger hinweghelfen. Der nachträgliche Ausdruck elektronischer Unterlagen ist jedoch sehr aufwendig und die Benutzbarkeit und die ehemalige Funktionalität, z. B. bei Datensätzen aus Datenbanken ist schlechter als vorher bzw. als Ausdruck gar nicht darstellbar, wie z. B. multimediale Anwendungen. Der Informationswert und auch die Handhabbarkeit (z.€B. bei Endlospapier) nimmt ab.
    2. Einsatz von Hybridsystemen
      Hybridsysteme beinhalten eine gemeinsame Nutzung von analogen und digitalen Archivierungskomponenten, z. B.
    3. 3. Die Archivierung in softwareunabhängiger Form
    4. Die Archivierung von elektronischen Akten in speziellen Standardformaten
    5. Die Archivierung in der ursprünglichen Anwendungssoftware

    Es gibt folgende technische Verfahren zur Datensicherung: Zunächst die Migration, das ist die rechtzeitige, organisierte Überführung von Dokumenten aus einem bestehenden System in ein vollständig neues, teilweise neues oder geändertes vorhandenes System. Bei diesem Transfer von Aufzeichnungen in ein neues System müssen möglicherweise Metadaten anders strukturiert werden oder können nicht mehr erhalten werden. Es entsteht ein mittlerer bis hoher Informationsverlust. Zu beachten ist vor allem auch der enorme Zeitaufwand für Migrationen bei entsprechendem Datenvolumen.

    Das zweite Verfahren der Datensicherung ist die Emulation, das ist die Herstellung der ursprünglichen Hard- und Softwareumgebung. Voraussetzung dafür ist die genaue Dokumentation der Arbeitsumgebung. Bei Bedarf wird diese Arbeitsumgebung nachgestaltet (emuliert). Das alte Betriebssystem und die alte Anwendersoftware wird mit den alten Daten auf dem jeweils modernen Rechnersystem zum Laufen gebracht. Wermutstropfen dieser Variante ist die Fehleranfälligkeit.

    Dritte Variante ist die Konvertierung. Die Struktur der Aufzeichnung wird geändert und in ein neues System überführt, hierbei tritt ein kleiner bis mittlerer Informationsverlust auf. Schließlich gibt es das Kopieren, das meint das Überspielen von Aufzeichnungen auf neue Informationsträger, wobei keine Veränderung der Daten vorgenommen wird und somit auch kein Informationsverlust auftritt. Ein automatisiertes System zur Archivierung maschinenlesbarer Daten müsste folgende Funktionen beinhalten:

    Problemfelder

    Alle Verfahren werfen eine Reihe Probleme auf, die die Zuverlässigkeit, Authentizität, Integrität und Überprüfbarkeit der elektronischen Unterlagen berühren. Gemeint ist das Problem, dass neben möglichen unerwünschten Manipulationen alle Migrierungen und Konvertierungen eine Änderung der Datenstruktur und des Datenformats mit sich bringen. Eine Lösung wäre die Speicherung auf nur einmal beschreibbaren CD-ROMs und die Vergabe von digitalen Signaturen. Dennoch ist die Speicherung von Dokumenten auf CD wegen der Manipulierbarkeit rechtlich nicht dasselbe wie ein in Papierform existierendes Original. Dagegen gelten Mikrofilme als nicht veränderbar. Die ganze Rechtsproblematik entzündet sich an der Frage: Ist der Urkundencharakter bei DMS gewährleistet? Digitale Signaturen sind ein Problem der Archive, nicht der Bibliotheken. Notwendig ist eine Novellierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes, das BGB fordert die Schriftform. Im Zuge der Verwaltungserneuerung und unter dem Druck der Rationalisierung ist gegenwärtig vieles im Fluss. IT-Sicherheit beruht auf Zugriffsberechtigungen, doch lässt sich auch relativ leicht eine Leseberechtigung in eine Änderungsberechtigung umwandeln.

    3.6.,Benutzung

    Abweichend vom Sicherungskonzept hat das Benutzungskonzept elektronischer Unterlagen andere Zielsetzungen. Während die Sicherung die elektronischen Informationen dauerhaft bei niedrigen Erhaltungskosten und auf standardisierten Datenträgern und Datenformaten unter Vermeidung einer Abhängigkeit von bestimmter Hard- und Software sichern will, fordert die Benutzung eine leichte Zugänglichkeit der Daten, eine komfortable Recherche- und Retrievalfunktion, verbunden mit Visualisierungs- und Reproduktionsmöglichkeiten. Möglichkeiten der Visualisierung beinhalten die Bereitstellung einer Arbeitsumgebung zur Handhabung der Dokumente, die Anzeige der Dokumente selbst und eventuell eine besondere Aufbereitung der elektronischen Informationen für Benutzungszwecke. Zur Reproduktion elektronischer Unterlagen gehören die Möglichkeit der Anfertigung von Benutzerkopien, die Nutzungsmöglichkeit moderner Retrievalsoftware und Kommunikationstechnologien. Das Datenvolumen, rechtliche und gebührentechnische Fragen könnten hinsichtlich der Benutzung Probleme bereiten.

    Auf das Archiv kommt also eine Vielzahl von Anforderungen an die technische Ausstattung zu. Erforderlich wäre ein System zur Bewahrung und Präsentation der Daten, Workstations im Lesesaal und die Anonymisierungsmöglichkeit von personenbezogenen Daten auf der Benutzerkopie. Ob die Archive in nächster Zeit jedoch in der Lage sein werden — in personeller und technischer Hinsicht — erscheint mir fraglich.

    Fussnote 1: So formuliert in den Archivgesetzen des Bundes und der Länder. zurück zum Verweis

    Fussnote 2: Kampffmeyer, Ulrich; Rogalla, Jörg: Grundsätze der elektronischen Archivierung: Code of Practice zum Einsatz von Dokumenten-Management- und elektronischen Archivsystemen, 2., überarb. Aufl., Darmstadt 1997, S. 9. zurück zum Verweis

    Fussnote 3: Einfluß von Informationstechnologien auf Archivierungsverfahren. AWV-Schrift 06571. Hrsg.: AWV-Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung, Eschborn: AWV, 1997, S. 11 ff. zurück zum Verweis

    Fussnote 4: Langbrandtner, Hans-Werner: Eine Umfrage zum Einsatz elektronischer Speichermedien und Dokumenten-Management-Systemen in rheinischen Kommunen" In: Archivische Informationssicherung in digitalen Zeitalter: optisch-elektronische Archivierungssysteme in der Verwaltung und die Konsequenzen für kommunale Archive. Archivhefte; 33, Köln: Rheinland-Verl., 1999. S. 31 -- 41. zurück zum Verweis

    Fussnote 5: Konzept zur Aussonderung elektronischer Akten. Schriftenreihe der KBSt; Bd. 40, September 1998, ,,Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche für die Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen in kirchlichen Archiven". Rundbrief 11(1998): 21 -- 34. zurück zum Verweis

    Fussnote 6: Zur Situation in Niedersachsen: Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut in Niedersachsen vom 25. Mai 1993. (=NArchG), Übernahme von Schriftgut der niedersächsischen Landesverwaltung durch die Staatsarchive (Übernahmeordnung), Runderlaß der Niedersächsischen Staatskanzlei vom 18.12.1995, Verwahrung, Erhaltung und Nutzung des aus automatisiert geführten Dateien bestehenden Archivguts der niedersächsischen Staatsarchive vom 6. November 1996, Fiedler, Gudrun. ,,Effektives Management für elektronische Unterlagen am Beispiel des Landes Niedersachsen -- Der Aufbau einer praktikablen und kostengünstigen Infrastruktur. Vorträge und Ergebnisse des DLM-Forums über elektronische Aufzeichnungen. Brüssel, 18. -- 20. Dezember 1996, Insar-Beilage II, Luxemburg: Amt f. amtl. Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 1997, S. 199--203. zurück zum Verweis

    Fussnote 7: Zur Bewertung elektronischer Unterlagen äußerte sich kürzlich: Hebig, Ilka: ,,Bewertung und Archivierung von IT-Anwendungen in der Verwaltung" Brandenburgische Archive (1998.11) 15 -- 19. zurück zum Verweis

    Fussnote 8: Vgl. dazu: Wettengel, Michael: ,,Formen der Archivierung" in: Einfluß von Informationstechnologien auf Archivierungsverfahren. AWV-Schrift 06571. Hrsg.: AWV-Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung, Eschborn: AWV, 1997, S. 36 -- 42. zurück zum Verweis

    Fussnote 9: Mit der ,,Anweisung für die archivarische Tätigkeit" Nr. 52 vom 5. 9. 1994 (Bundesarchiv) wurden Verfahren für die Ermittlung, Bewertung, Übernahme, Erschließung und Benutzung von Dateien in maschinenlesbarer Form beschrieben. Mitteilungen aus dem Bundes„archiv, 3 (1995.2) I -- XIV. zurück zum Verweis