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Presse-Infos | Kultur

Mitteilung vom 11.02.19

Zeugnis des Unrechts
LWL-Museum für Kunst und Kultur stellt Renaissance-Truhe aus

Münster (lwl). Das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster präsentiert im Februar ein besonderes Kunstwerk des Monats: Es handelt sich um eine norddeutsche Truhe, die um 1550 gefertigt wurde. Sie wurde 1936 vom Museum in München ersteigert und war sogenanntes NS-Raubgut. 2016 gab das Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) die Truhe den Erben zurück, um sie daraufhin rechtmäßig anzukaufen.

Die 1936 bei einer Auktion des Kunstversteigerungshauses Adolf Weinmüller erworbene Truhe stammte aus dem Besitz der Eheleute Ernst und Agathe Saulmann aus dem schwäbischen Eningen. Aufgrund ihres jüdischen Glaubens sah sich die Familie Saulmann Ende des Jahres 1935, kurz nachdem die sogenannten Nürnberger Gesetze verabschiedet worden waren, gezwungen, aus Deutschland zu fliehen. Familie Saulmann wurde ihres Land-gutes, der Geschäftsanteile einer Baumwollweberei und ihres Besitzes beraubt. Die große Kunstsammlung wurde über Weinmüller versteigert. Dessen Auktionshaus gilt heute "unbestritten als Beteiligter und Profiteur des NS-Kulturgutraubs", wie die Referentin für Provenienzforschung des LWL-Museums, Eline van Dijk, erklärt. Ernst und Agathe Saulmann erhielten keinerlei Anteil aus den Erlösen, stattdessen endete ihre Flucht, die sie über Florenz nach Frankreich führte, im Internierungslager Camp de Gurs.

Die Inhaftierung überlebte das Ehepaar, doch Ernst Saulmann erholte sich von ihr nicht mehr, er starb 1946. Agathe Saulmann litt aufgrund der Verfolgung an schweren Depressionen und starb 1951 an den Folgen eines Selbstmordversuchs. Zuvor hatte sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland eines der größten Restitutionsverfahren in der französischen Besatzungszone angestrengt. Zwar hatte sie in erster Instanz gewonnen, doch nach der Revision willigte sie in eine Ausgleichszahlung ein.

Die Wege der Saulmannâ¿¿schen Kunstgegenstände blieben lange Zeit unklar. Erst die Provenienzforschung, die sich mit den ehemaligen Eigentums- und Besitzverhältnissen in der Biografie eines Kulturgutes beschäftigt, machte es möglich, die geraubten Kulturgüter ausfindig zu machen. Die Erbengemeinschaft der Familie Saulmann trat 2015 mit dem Gesuch auf Restitution an das LWL-Museum für Kunst und Kultur heran. Im Sinne der Washingtoner Prinzipien von 1998 wurde die Truhe im Jahr 2016 nach eingehender Prü-fung an die Erben zurückgegeben. Einige Zeit später erwarb das Museum die Truhe von den Erben zurück, sodass die Truhe sich heute wieder in der Sammlung des Museums befindet. Dort ist sie seit Kurzem gemeinsam mit Hinweisen zu ihrer Provenienz, also ihrer Herkunft, zu sehen.

Hintergrund
Die Herkunft von Kunstwerken zu ergründen und zu erhellen, ist für die Referentin Eline van Dijk besonders wichtig und interessant. Denn "durch die Erforschung eines Objekts kommen teils Schicksalsgeschichten ans Licht, die ehemalige Besitzer, frühere Standorte oder historische Ereignisse betreffen", wie van Dijk erklärt. Das Kunstwerk des Monats Feb-ruar weise eine besonders bewegte Geschichte auf. Weitere Informationen zu NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunst und der Sammlung der Eheleute Saulmann sind in der Datenbank LostArt publiziert (http://www.lostart.de).

Nicht nur aus kunsthandwerklicher Sicht ist die Truhe für die Sammlung des LWL-Museums wertvoll, sie ist vor allem auch eine anschauliche Ergänzung des Bestands an Frauen- und Männerbildnissen aus dem 16. Jahrhundert. Doch trotz ihres hohen Alters ist die Truhe aus der Renaissance auch ein Objekt der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Seit 1978 stellt das Museum jeden Monat eine Arbeit aus der Sammlung detailliert vor. Ein Text zum Kunstwerk des Monats ist im Museumsshop für 1 Euro erhältlich. Das Kunst-werk des Monats ist im Museumsfoyer ausgestellt.

Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und André Bednarz, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Telefon 0251 5907-311, andre.bednarz@lwl.org
presse@lwl.org



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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Die Renaissance-Truhe wurde im Jahr 2016 an die Erben der verfolgten Eheleute Ernst und Agathe Saulmann zurückgegeben und befindet sich seit 2017 wieder im Besitz des LWL-Museums für Kunst und Kultur.
Foto: LWL/Hanna Neander


Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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