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Presse-Infos | Kultur

Mitteilung vom 04.09.18

Von Dülmen zur Berliner Bundesausstellung
Modell und Funde aus der ältesten Glockengussgrube Europas

Dülmen (lwl). Über sechs Wochen lang hat ein hochpräziser 3-D-Drucker Tag und Nacht gearbeitet. Das Ergebnis ist ein detailgetreues Modell einer in Dülmen (Kreis Coesfeld) entdeckten Glockengussgrube, in der im frühen Mittelalter Kirchenglocken hergestellt wurden.

Vor zwei Jahren gelang Fachleuten eine wissenschaftliche Sensation: Im Zentrum von Dülmen fanden die Mitarbeiter einer archäologischen Firma unter der Fachaufsicht des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) die älteste Glockengussgrube Europas. Die Experten datieren die Gussgrube in die Zeit vor 775 nach Christus. Sie belegt eine frühe christliche Missionierung in Westfalen noch vor oder zu Beginn der Sachsenkriege Karls des Großen.

Ein hochauflösender Laser scannte die Gussgrube und erzeugte so viele Millionen Messpunkte. "Wir waren sehr glücklich, dass uns die Scans trotz der schwierigen Baustellenverhältnisse gelangen", erklärt der Archäologe Dr. Gerard Jentgens. Am Computer entwickelte er aus diesen Messpunkten ein digitales Abbild der Ausgrabung. In einem 3-D-Drucker entstand anschließend ein Modell mit 89 Zentimetern Länge, 49 Zentimetern Breite und 30 Zentimetern Höhe. "Für einen realistischen Eindruck wurde es aufwendig von Hand koloriert", so Jentgens.

In einem Maßstab von 1 zu 5 zeigt das Modell die Fundsituation bei der Ausgrabung: Unten in der Gussgrube verläuft ein Kanal, die sogenannte Feuergasse. Sie versorgte den Brand der Glockenform mit Luft , auch Holz wurde durch den Kanal beschickt. Die Glockenform stand ursprünglich in der Mitte auf zwei halbkreisförmigen Steinsockeln über der Feuergasse. Im Modell ist sie wegen der besseren Erkennbarkeit am Rand aufgestellt.

Dem Betrachter fallen sofort das Rot des gebrannten Lehms und das Schwarz der Holzkohle vor dem sandfarbenen Boden auf. Bei genauem Hinschauen ist auch eine zweite, ältere Gussanlage mit Feuergasse zu sehen, die von der jüngeren teilweise überbaut wurde. Die identische Konstruktion deutet auf die Arbeit der gleichen Handwerker.

Von den Restauratorinnen des LWL gut verpackt reist das Modell in wenigen Tagen zusammen mit Originalfunden nach Berlin: Dort ist es Teil der Sonderausstellung "Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland". Vom 21.9.2018 bis 6.1.2019 zeigt die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau die bedeutendsten archäologischen Funde aus ganz Deutschland. "Als älteste Glockengussgrube Europas gehört der westfälische Befund ohne Zweifel zu den spektakulärsten archäologischen Neufunden der vergangenen 20 Jahre", erläutert Dr. Hans-Werner Peine, Mittelalter-Experte bei der LWL-Archäologie für Westfalen.

Nicht nur die Gussgrube haben die Archäologen gescannt und mit dem 3D-Drucker dupliziert, sondern auch die empfindlichen Bruchstücke der Gussformen. So stehen sie für Forschung und interessierte Öffentlichkeit zur Verfügung. Das nächste Ziel ist die virtuelle Rekonstruktion einer der in Dülmen gegossenen Glocken. Mit einem Durchmesser von 90 Zentimetern weist die größte Glocke eine erstaunliche Breite auf. Die mehreren tausend Bruchstücke von insgesamt mindestens drei Gussformen werden am Computer zusammengefügt. Aus der so ermittelten vollständigen Gussform können die Fachleute anschließend die einstige Gestalt der Glocken ableiten. "So wie der Glockenguss vor 1.200 Jahren Spitzentechnologie war, setzen wir heute in der Wissenschaft auf neueste Methoden", so Peine. "Wir hoffen auf genügend passende Puzzleteile, um eine Glocke aus Bronze nachzugießen."


"Internet der Karolingerzeit"
Die einzigartige Glockengießergrube kam 2016 im Zuge von Ausgrabungen zum Vorschein, die im Vorfeld der Errichtung des Intergenerativen Zentrums im Dülmener Stadtkern durchgeführt wurden. Sie bildet eines der ältesten Zeugnisse für die kulturelle Einheit Europas, das so genannte Glockeneuropa. "Mit den großen Bronzeglocken erschien in der Karolingerzeit in Europa erstmals ein innovatives Medium - heute vielleicht vergleichbar dem Internet -, das Informationen mit bisher nicht gekannter Geschwindigkeit in einen weiten, noch dünn besiedelten Raum vermittelte", erläutert Jentgens.
Bis heute rufen Glocken zu Gebet und Gottesdienst, künden von Taufe und Tod und warnen vor Feuer und Unwetter. Damals verbreitete der Glockenklang die Botschaft vom Heilsversprechen der neuen Religion, des Christentums, aber zugleich auch vom Machtanspruch Karls des Großen. Für Westfalen illustriert der Befund die Christianisierung der Sachsen. Für Dülmen selbst belegt er die unter Historikern bisher umstrittene Existenz einer frühen Kirche des 8. Jahrhunderts am Ort.

Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Nils Wolpert, LWL-Archäologie für Westfalen, Telefon: 0251 591-8901
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Das originalgetreue Modell der Dülmener Glockengussgrube im Maßstab 1:5.
Foto: LWL/S. Brentführer

Foto zur Mitteilung
Dr. Gerard Jentgens beim Scannen der Glockengussgrube auf der Ausgrabung.
Foto: Jentgens & Partner Archäologie/R. Machhaus

Foto zur Mitteilung
Im Vordergrund Duplikate der Glockengussformen, im Hintergrund der 3-D-Drucker.
Foto: Jentgens & Partner Archäologie/G. Jentgens

Foto zur Mitteilung
Die Archäologin Regina Machhaus beim Kolorieren des Modells.
Foto: Jentgens & Partner Archäologie/G. Jentgens


Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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