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Presse-Infos | Kultur
Mitteilung vom 13.07.15
150. Geburtstag von Ludwig Sütterlin
LWL-Archivamt bewahrt schriftliches Kulturerbe der Region
Münster (lwl). Zackige Linien, ineinander verschlungene Bögen ¿ auf den ersten Blick sieht der Brief von 1917 aus, als habe jemand Reihe für Reihe kunstvolle Muster zu Papier gebracht. Die Sütterlin-Schrift können heute nicht mehr viele Menschen lesen. Und doch hat fast jeder alte Dokumente zu Hause, deren Verfasser vor Jahrzehnten nicht daran dachte, für nachkommende Generationen in leserlicher Druckschrift zu schreiben. Dabei hatte der Grafiker Ludwig Sütterlin die Schreibschrift 1911 im Auftrag des preußischen Kultur- und Schulministeriums gerade für den Zweck besserer Lesbarkeit entwickelt.
Weniger individuelle Abweichungen
Am 15. Juli 1865 wurde der Mann geboren, der die schriftlichen Dokumente einer ganzen Generation prägte. Vor Einführung der nach ihm benannten Schrift schrieben die Menschen im deutschsprachigen Raum die sogenannte Kurrentschrift ¿ ein kompliziertes Buchstabengebilde, das zwar schön aussah, jedoch kaum zu entziffern war, wenn man schneller schrieb. ¿Beim Schreiben in Sütterlin-Schrift dagegen gibt es weniger individuelle Abweichungen¿, sagt Dr. Antje Diener-Staeckling vom Archivamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Bis 1941 wurde die Schrift an deutschen Schulen gelehrt ¿ und dann durch die Nationalsozialisten abgeschafft. Diener-Staeckling: ¿Es gibt mehrere Theorien, warum Sütterlin verboten wurde.¿ Da sie jedoch nur in deutschsprachigen Ländern geschrieben wurde, scheint eine davon am wahrscheinlichsten: Die Bewohner der im Zweiten Weltkrieg besetzten Länder konnten Sütterlin schlicht nicht lesen.
Hilfe bei der Entzifferung
Dr. Antje Diener-Staeckling und ihre Kollegen beherrschen Ludwig Sütterlins Schreibschrift natürlich ¿ ebenso wie viele ältere Menschen. Die jüngeren aber können die Dokumente ihrer Eltern und Großeltern nur selten entziffern. Wer keine Zeit oder schlicht keine Lust hat, das ungewohnte Alphabet zu lernen, der kann sich an das Archivamt wenden. ¿Wir vermitteln dann weiter an Studenten und andere Freiwillige, die die Schriftstücke gegen ein kleines Entgelt übersetzen¿, sagt Diener-Staeckling.
Dokumentation und Pflege historischer Adelsarchive
Sie selbst hat allerdings kaum noch Zeit, sich in alte Briefe zu vertiefen. Denn zur Arbeit im Archivamt gehört weit mehr als das Lesen und Sammeln historischer Schriftstücke. Zum Beispiel die Dokumentation und Pflege ganzer Archive des westfälischen Adels: Seit der Gründung der Vereinten Westfälischen Adelsarchive im Jahr 1927 kümmert sich das Archivamt um die Archivalien hiesiger Adelsgeschlechter. ¿Unter anderem lagern bei uns das komplette Archiv von Schloss Nordkirchen und Teile des Archives von Burg Hülshoff¿, sagt Diener-Staeckling. Der weitaus größere Teil der historischen Dokumente befindet sich jedoch nach wie vor auf Schlössern und Adelssitzen der Eigentümer. Die Mitarbeiter des Archivamtes kümmern sich vor Ort um die fachgerechte Lagerung und Konservierung der zum Teil äußerst wertvollen Urkunden, Akten, Karten und Pläne. ¿Im Gegenzug kann jeder Interessierte bei uns Dokumente aus diesen Häusern anfragen¿, erklärt die Archivarin. Die gewünschten Stücke werden dann abgeholt und können im Lesesaal des Archivamtes in Münster genutzt werden. Neben Wissenschaftlern und Studenten sind es vor allem Ahnen- und Heimatforscher, die dort der westfälischen Vergangenheit nachspüren.
Dunkle Kapitel der Regionalgeschichte
Nebem dem schriftlichen Nachlass von Adelsgeschlechtern und amtlichen Papieren des Landschaftsverbandes lagern im Archivamt auch wichtige Dokumente aus dunklen Kapiteln der Regionalgeschichte: Hinweise auf die Ermordung psychisch kranker und behinderter Patienten in Krankenhäusern der Nazi-Zeit, Berichte über die Misshandlung von Kindern in Erziehungsheimen der Nachkriegsjahre. Diener-Staeckling: ¿Indem wir solche Unterlagen mit unserer Arbeit zugänglich machen und erhalten, bekommen Betroffene bei uns die Möglichkeit, ihre eigene oder die Geschichte ihrer Angehörigen aufzuarbeiten.¿ Denn ein Archiv ist nicht nur ein sicherer Ort für historische Dokumente. Es birgt auch die Chance, durch mehr Wissen über die Vergangenheit in die Zukunft zu blicken.
Pressekontakt:
Hannah Reichelt, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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