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Presse-Infos | Kultur

Mitteilung vom 23.06.15

¿Westfäölske Dickköppe?¿
Westfalenklischees und ihre Geschichte

Münster (lwl). Westfalen feiert in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag: Mit der Konstituierung der preußischen Provinz Westfalen während des Wiener Kongresses 1815 wurde der Flickenteppich der westfälischen Territorien dem Königreich Preußen zugeschlagen. Fernab gängiger Bilder wie Schinken und Pumpernickel, Hermannsdenkmal und Wasserburgen oder wogenden Kornfeldern vor Zechentürmen war und ist die Region in den vergangenen 200 Jahren von zahlreichen Besonderheiten und Gegensätzen geprägt. Dazu zählten immer wieder auch politische, konfessionelle und soziale Konflikte. Im Rahmen des 200. Jubiläums der Region Westfalen veröffentlicht der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) eine Serie von Texten, die verschiedene Aspekte der Geschichte aufgreifen.

Parklandschaften, Fachwerkhäuser und Wasserburgen prägen das Bild, das heute zahlreiche Menschen von Westfalen haben. Die Bewohner der Region gelten als stur, introvertiert, bodenständig und ein bisschen provinziell. Diese Klischees sind allerdings nicht neu. ¿Viele der gängigen Westfalenstereotypen sind sehr alt und haben sich als erstaunlich langlebig erwiesen¿, sagt Prof. Dr. Bernd Walter, Leiter des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte und Mitautor des Bandes ¿Westfalen in der Moderne 1815-2015. Geschichte einer Region¿. ¿Teilweise gehen sie auf mittelalterliche Beschreibungen und Charakterisierungen zurück.¿ Unter anderem auf den aus Laer bei Steinfurt stammenden Kartäusermönch Werner Rolevinck, den Walter als einen ¿Stammvater von Westfalenstereotypen sowie Erfinder und Förderer eines westfälischen Selbstbewusstseins¿ bezeichnet. Bereits im 15. Jahrhundert beschrieb er die Westfalen als tüchtig, schweigsam, rechtschaffen, tugendhaft und ausdauernd.

In historischen und literarischen Texten des 16. bis 19. Jahrhunderts verfestigte sich das Bild der Westfalen als eine bäuerliche und rückständige Bevölkerung. Mal wurden sie eher positiv als unverdorben, beharrlich und treu beschrieben, mal negativ als grob, schwerfällig, schweigsam und ärmlich. Der französische Aufklärungsphilosoph Voltaire verspottete in seinem Roman ¿Candide oder der Optimismus¿ das Brot der Westfalen als ¿schwarzglänzende Steine¿. Ihm galten die Westfalen als militärisch talentierte aber unkultivierte Tölpel.

Autoren der Romantik wie Levin Schücking, Ferdinand Freiligrath und Annette von Droste-Hülshoff griffen im 19. Jahrhundert das Klischee vom rückständigen Westfalen auf und deuteten es positiv um. Westfalen erschien ihnen als Idealbild einer ursprünglichen bäuerlichen Landschaft voller Burgen und Eichen. Die Beschreibungen der Menschen gingen aber kaum über bäuerlich-romantische Allgemeinplätze hinaus. Auch im 1868 entstandenen Westfalenlied findet sich manches Klischee wieder: ¿Es fragen nicht nach Spiel und Tand / Die Männer aus Westfalenland¿ heißt es da in Anknüpfung an das Bild von den einfachen, arbeitsamen Westfalen in Abgrenzung zu den redseligen, fröhlichen Rheinländern.

Romantische Westfalenklischees werden bis heute im Marketing, im Tourismus und in der Wirtschaft für kommerzielle Zwecke bemüht. In der Werbung werden Nahrungsmittel gerne mit dem Attribut ¿westfälisch¿ versehen, um Tradition und Natürlichkeit zu suggerieren.

Auch heute noch ist der Spruch verbreitet, dass man erst einen Sack Salz mit einem Westfalen gegessen haben muss, bevor man sich mit ihm versteht. Gibt es den Westfalen beziehungsweise eine westfälische Mentalität überhaupt? ¿Da gibt es fließende Übergänge¿, so der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Matthias Löb. ¿Man kann auch mehrere Identitäten haben z.B. als Dortmunder, Ruhrpottler und Westfale. Uns verbindet die Art wie wir denken, miteinander sprechen und wie wir Probleme angehen. Wenn aber die Westfalen beispielsweise noch heute als ¿Spätentwickler` bezeichnet werden, zeigt sich die Zählebigkeit von Stereotypen. Dabei hat die Region in zahlreichen Bereichen das Gegenteil bewiesen und ist zum Beispiel mit ihrem starken Mittelstand in einzelnen Branchen weltweit Vorreiter¿, betont Löb.


Hintergrund
2015 jährt sich die Konstituierung der preußischen Provinz Westfalen zum 200. Mal. Damit wurde erstmals ein politischer Raum mit klaren Grenzen, einer einheitlichen Verwaltungsorganisation und später einer politischen Stimme geschaffen. Das Gründungsjahr geht auf die Vereinbarungen des Wiener Kongresses zurück, der nach zwei Jahrzehnten Krieg und der Niederlage Napoleons eine territoriale Neuordnung Europas festlegte. Einen Tag nach seiner Schlussakte, am 10. Juni 1815, wurde die territoriale Neuordnung bestätigt. Bereits am 30. April 1815 hatte der preußische Staat die neue Organisation der Provinz Westfalen beschlossen. Dies ist der Beginn der Gründungsphase, die bis 1817 andauerte. Mit der Gründung Nordrhein-Westfalens am 23. August 1946 wurde die Provinz Westfalen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst und die Region zum Landesteil.

Karl Ditt (u.a.):
Westfalen in der Moderne 1815-2015. Geschichte einer Region
(Aschendorff Verlag)

864 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-402-13023-0
Preis: 29,95 Euro


Der LWL beteiligt sich außerdem an der Sonderausstellung ¿200 Jahre Westfalen. Jetzt!¿ vom 28. August 2015 bis zum 28. Februar 2016 im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte. Mehr zum Projekt unter: http://www.200JahreWestfalen.Jetzt

Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Kathrin Nolte, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Telefon: 0251 591-5706, kathrin.nolte@lwl.org
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Das Cover des Bandes ¿Westfalen in der Moderne 1815-2015. Geschichte einer Region¿ zeigt das Luftschiff ¿Graf Zeppelin¿ im Juni 1930 über Münster.
Foto: LWL

Foto zur Mitteilung
Pumpernickel verbinden viele mit Westfalen: Dieses Foto zeigt ein Bauernmädchen mit zwei Pumpernickelbroten im Jahr 1919.
Foto: © LWL-Medienzentrum für Westfalen

Foto zur Mitteilung
Urtyp des Westfalen: Der Bauer auf seiner Scholle.
Foto: © LWL-Medienzentrum für Westfalen

Foto zur Mitteilung
Stilprägend: Der romantische Stich aus dem Buch ¿Das malerische und romantische Westfalen¿ von Levin Schücking und Ferdinand Freiligrath zeigt Wetter an der Ruhr.
Quelle: ¿Das malerische und romantische Westfalen¿ von Levin Schücking und Ferdinand Freiligrath


Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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