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Presse-Infos | Kultur

Mitteilung vom 14.07.11

Verwischte Spuren
LWL-Wanderausstellung beschäftigt sich mit Erinnerung und Gedenken an nationalsozialistisches Unrecht in Westfalen

Münster (lwl). ¿An das Rote Kreuz, Genf. Ich bitte Sie hiermit recht höflichst, die Adresse meiner Eltern ausfindig zu machen. Sie waren zuletzt in Zbaszyn an der polnischen Grenze. Das war das letzte, was ich von ihnen hörte.¿ Susi Schmerler, eine junge Frau aus Bochum, schrieb diese Zeilen im Herbst 1939. Dieses Schicksal ist eines von 16 Lebensläufen, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in der Wanderausstellung ¿Verwischte Spuren. Erinnerung und Gedenken an nationalsozialistisches Unrecht in Westfalen ¿ eine biografische Suche¿ vorstellt. Die Ausstellung ist vom 17. Juli bis 18. September im Städtischen Museum Hexenbürgermeisterhaus in Lemgo zu sehen und wandert danach durch sieben weitere westfälische Museen.

Basierend auf den Sammlungen der westfälischen NS-Gedenkstätten und bürgerschaftlichen Initiativen präsentiert das LWL-Museumsamt in seiner Wanderausstellung Biografien von Männern und Frauen, die an den Orten des Gedenkens erforscht und vermittelt werden. ¿Diese Biografien sind in der Region und an den Orten von Leiden und Gewalt verankert. Ihre individuellen Schicksale fordern auf nachzufragen und hinzuschauen¿, erklärt Ausstellungsmacherin Anna Gomoluch.
In der Ausstellung gehe es darum zu zeigen, welche Informationen, Objekte und Hinweise heute noch sichtbar seien, so Gomoluch weiter.

Im ersten Ausstellungsbereich stehen ¿verwischte Spuren¿ im Mittelpunkt. Gemeint sind Objekte, die keine eindeutige biografische Zuordnung erlauben, wie etwa ein von einem unbekannten sowjetischen Kriegsgefangenen gebasteltes Strohkästchen oder ein auf dem Gelände eines Gefangenenlagers gefundener Löffel. Der zweite Abschnitt, die ¿Fundstücke¿, verbindet interessante Objektgeschichten mit biografischen Informationen aus Westfalen. So ist die Jacke eines KZ-Häftlings zu sehen, die nach seinem Tod 1994 in seinem Kohlenkeller gefunden wurde ¿ er hatte sie sein Leben lang als Arbeitskleidung genutzt. Und der Einband, der als alleiniger Rest vom Fotoalbum einer jüdischen Familie aus Drensteinfurt übrig geblieben ist, erinnert an die Auslöschung einer ganzen Bevölkerungsgruppe.

Im Kapitel ¿Täter, Mitläufer, Zuschauer¿ liegt das Augenmerkt auf den denjenigen, die bei Verfolgung und Vernichtung auf der Täterseite standen und in ihren Positionen unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten hatten. Im letzten Abschnitt ¿Leben mit der Erinnerung¿ schließlich widmet sich die Ausstellung Männern und Frauen, die in ihrer Zeitzeugenschaft eine besondere Aufgabe gesehen haben oder bis heute unter den Verbrechen der Nationalsozialisten leiden.

Als Susi Schmerler ihren Brief an das Rote Kreuz schrieb, lebte sie bereits in Palästina. Von ihrer Familie hatte sie seit Kriegsbeginn keine Nachricht mehr erhalten. Als Juden ohne deutsche Staatsangehörigkeit waren sie im Oktober 1938 an die polnische Grenze deportiert und dort interniert worden.

Ihre Spur verliert sich im Ghetto von Krakau. Schmerler lebte bis zu ihrem Tod 2001 in Israel. Da ihre Kinder kein Deutsch gelernt haben, überreichte ihr Ehemann die Briefe ihrer Eltern an den Verein ¿Erinnern für die Zukunft e.V.¿ aus Bochum. Erst dadurch ist es gelungen, die Spuren der Familie Schmerler in ihrer Heimatstadt zu verankern.

Die Ausstellung stellt eine Auswahl solcher Biografien vor und zeichnet individuelle Lebenswege nach. Sie zeigt, welche Rolle diese Lebensläufe in der Bildungsarbeit an den NS-Gedenkstätten und an einigen Museen einnehmen. ¿Wir wollen mit der Ausstellung zur Auseinandersetzung mit einem Thema anregen, das durch das Ende der Zeitzeugenschaft an Aktualität gewinnt¿, so Gomoluch.

Zur Ausstellung ist ein Begleitbuch erschienen (10 Euro, ISBN-Nr.: 978-3-927204-74-4), außerdem können museumspädagogische Programme und Führungen gebucht werden.

Hintergrund
Das Gedenken und die Erinnerung an nationalsozialistisches Unrecht wird von den Gedenkstätten und Museen getragen, die in ihrer Arbeit einen Beitrag zur Demokratieerziehung sehen. In ihrem Programm sind Biografien eine wichtige Säule der Vermittlung. In Westfalen bilden weniger prominente Lebensläufe die Grundlage des regionalen Gedenkens. Auf Stolpersteinen, auf Gedenktafeln, aber auch in Straßen- sowie Schulnamen werden sie besonders sichtbar. Sie stehen repräsentativ für die Schicksale Vieler, oft Namenloser.

Verwischte Spuren.
Erinnerung und Gedenken an nationalsozialistisches Unrecht in Westfalen -
Eine biografische Suche

Wanderausstellung des LWL-Museumsamtes für Westfalen
Städtisches Museum Hexenbürgermeisterhaus in Lemgo
17. Juli bis 18. September 2011
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr

Weitere Stationen:

Stadtmuseum Gütersloh

25.09.2011 - 27.11.2011

Gustav-Lübcke-Museum, Hamm
04.12.2011 - 05.02.2012

Kreismuseum Wewelsburg
12.02.2012 - 15.04.2012

Jüdisches Museum Westfalen, Dorsten
22.04.2012 - 24.06.2012

Museum Höxter-Corvey, Schloss Corvey, Höxter
01.07.2012 - 02.09.2012

Institut für Stadtgeschichte /
Stadt- und Vestisches Archiv Recklinghausen

09.09.2012 - 11.11.2012

Museum Haus Martfeld, Schwelm
18.11.2012 - 13.01.2013

Pressekontakt:
Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Susi Schmerler um 1938, etwa ein Jahr vor ihrer Emigration nach Palästina.
Foto: Verein ¿Erinnern für die Zukunft e.V.", Bochum


Foto zur Mitteilung
Nachdem der Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen war, versuchte Susi Schmerler vergeblich, Informationen über ihren Verbleib über das Rote Kreuz in Genf einzuholen.
Foto: LWL/Schüttemeyer


Foto zur Mitteilung
Häftlingsjacke des Zeugen Jehovas Adolf Donder. Nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager nutze er sie als Arbeitsklei-dung. Nach seinem Tod 1994 wurde sie in seinem Kohlenkeller gefunden.
Foto:LWL/Schüttemeyer


Foto zur Mitteilung
Das Fotoalbum der Schwestern Emma und Helene Terhoch aus Drensteinfurt hat eine Nachbarin an sich genommen, als die beiden Jüdinnen nach Riga deportiert worden sind. Aus Angst vor einer Hausdurchsuchung vernichtete sie den Inhalt und bewahrte lediglich den Umschlag auf.
Foto: LWL/Schüttemeyer


Foto zur Mitteilung
Joseph-Artur Schmerler, genannt Bubi. Der jüngere Bruder von Susi Schmerler starb vermutlich im Ghetto von Krakau.
Foto: Verein ¿Erinnern für die Zukunft e.V.", Bochum


Foto zur Mitteilung
Möglicherweise hat ein sowjetischer Kriegsgefangener dieses Kästchen gebastelt, um es bei der einheimischen Bevölkerung gegen Lebensmittel einzutauschen.
Foto: LWL/Schüttemeyer



Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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