Für die Menschen, für Westfalen-Lippe
Logo des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe

Landschaftsverband Westfalen-Lippe
https://www.lwl.org

URL dieser Seite: https://www.lwl.org/pm24083



Presse-Infos | Der LWL

Mitteilung vom 06.04.11

¿Wie wir wurden, was wir nicht werden sollten¿
Ausstellung über Frauen im Aufbruch zu Amt und Würden

Münster (lwl). Die Lebenswege von 26 Frauen im Aufbruch zu Amt und Würden stehen im Mittelpunkt einer Ausstellung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), die am Mittwoch (6. April) im LWL-Landeshaus in Münster eröffnet wurde.

"Sie sehen doch gut aus. Sie werden in ein, zwei Jahren verheiratet sein. Wozu wollen Sie denn einen Beruf haben?" Solche Kommentare hörte die spätere Detmolder Richterin Annette Schücking-Homeyer oft, als sie in den 1950er Jahren versuchte, als Juristin beruflich Fuß zu fassen. Unter dem Titel "Wie wir wurden, was wir nicht werden sollten " zeichnet das LWL-Institut für Regionalgeschichte bis zum 18. April den hürdenreichen Weg von Frauen wie Annette Schücking-Homeyer zu beruflichem Erfolg nach.

Die Lebenswege zeigen modellhaft den langsamen Wandel von Mentalitäten und Möglichkeiten. Die Ausstellung präsentiert von der LWL-Gleichstellungsstelle aus Anlass ihrer Gründung vor 25 Jahren, entstand in Kooperation mit dem LWL-Industriemuseum Zeche Zollern und dem LWL-Museumsamt für Westfalen.

¿Politik und Gesellschaft müssen sich dafür einsetzen, mehr Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu erreichen. Ein Gemeinwesen kann sich nicht damit zufrieden geben, dass die Hälfte der Bevölkerung in Politik, Wirtschaft und Verwaltung nicht angemessen repräsentiert wird. Hinzu kommt der demografische Wandel und daraus folgend der ökonomische Zwang, auf Fachkräfte angewiesen zu sein: Arbeitgeber können es sich nicht mehr erlauben, auf die Potenziale gut ausgebildeter Frauen zu verzichten¿, sagte LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch bei der Ausstellungseröffnung. Das habe der LWL frühzeitig erkannt und fördere deshalb die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit verschiedenen Angeboten wie einer Betriebskindertagesstätte, familienfreundlichen und flexiblen Arbeitszeiten sowie der Möglichkeit von Teilzeit- und Telearbeit.

Vor über hundert Jahren, im Wintersemester 1908/09 durften Frauen erstmals in Preußen regulär studieren. Zehn Jahre später erhielten sie das aktive und passive Wahlrecht und übten es 1919 erstmals aus. 1949 schrieb das Grundgesetz die Gleichberechtigung beider Geschlechter fest. "Damit erfolgten bedeutsame Weichenstellungen im Verhältnis von Frauen und Männern. Doch tatsächlich war der Weg von Frauen in politische Ämter und akademische Positionen beschwerlich und hürdenreich", so die Historikerin Dr. Julia Paulus, die die Ausstellung konzipiert hat.

Hintergrund
Chancen, Hürden, Umwege

Preußen gehört in Europa zu den Schlusslichtern, als Frauen 1908 das Recht zum akademischen Studium erhalten. Nun stehen ihnen theoretisch alle Laufbahnen offen. Unabhängig von Ehemann oder Familie können sie aus eigener Kraft gehobenen Lebensstandard und gesellschaftliche Anerkennung erreichen. Auch nach der erstmaligen Zulassung zu Wahlurnen und politischen Mandaten im Jahre 1918 ist der Weg für Frauen bis weit in die Nachkriegszeit in öffentliche Ämter, Wirtschaft und freie Berufe beengt durch rechtliche Einschränkungen, restriktives Frauenbild und finanzielle Hürden. Julia Paulus: "Es brauchte drei Generationen, bis man von annähernd gleichen Rechten für Frauen und Männer sprechen kann."

Not, Krise, Schicksalsschläge
Individuelle Schicksalsschläge können jederzeit eine akademische Ausbildung beenden. Auch die politischen Zäsuren der ersten Jahrhunderthälfte führten zum massenhaften Studienabbruch junger Frauen unabhängig von ihrer Befähigung. Hyperinflation (1923) und Weltwirtschaftskrise (1932) entzogen vielen Familien die finanzielle Grundlage. Vor allem junge Frauen mussten beruflich umsatteln. Im Mittelpunkt der familiären Förderung stand die Unterstützung des Ehemannes oder Sohnes. Ähnliche Entwicklungen erlebten die wenigen Politikerinnen. Hier war es vor allem der Nationalsozialismus, der Frauen jegliche politischen Partizipationsmöglichkeiten versagte. Doch auch in der Bundesrepublik dauerte es noch bis in die 1980er Jahre, bis Frauen mit annähernd 30 Prozent in den Parlamenten vertreten waren.

Examen, Ehe, Ehrenamt
Das Frauenstudium stellte die traditionellen Leitbilder von Männern und Frauen in Frage. Konservative begegneten der akademisch gebildeten Frau zunächst mit Skepsis, schätzen sie aber bald als Partnerin auf Augenhöhe. Ehen zwischen der "studierten Tochter aus gutem Hause" und dem bereits etablierten Akademiker kommen in Mode. Die examinierte Ehefrau stützt die beruflichen Ziele des Mannes, ¬repräsentiert souverän, fördert die Bildung der Kinder und engagiert sich ehrenamtlich. Das neue Leitbild setzt sich im Bürgertum seit den späten 1920ern durch. Ehe und Mutterschaft sind für die meisten Studentinnen vorrangiges Lebensziel. Die akademische Qualifikation dient vielen nur als Faustpfand für Notlagen. Die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf bleibt ein Zukunftsthema.

In Amt und Würden
Der Weg zum Beruf als Akademikerin wie auch zur Politikerin ist steinig. Finanzieller Rückhalt, hervorragende Leistungen und Netzwerke sind unabdingbare Voraussetzungen für den Einstieg. Die frühen Akademikerinnen entstammen gutsituierten Familien, fast immer ist der Vater selbst Akademiker. Oft gibt er den Impuls zum Studium. Aber auch Männermangel und wirtschaftlicher Druck führen zu neuen Rollenvorstellungen. Leitbild wird nun die junge Frau, die »standesgemäß« für sich selbst sorgen kann. Dieser Weg steht seit Mitte der 1950er auch Frauen aus anderen Milieus offen. Langsam bessern sich Schulangebot und finanzielle Förderung. Die mentalen Hürden aber halten sich lange: Ein Studium der Tochter gilt als verlorene Investition. Besonders schwierig ist die Situation des »katholischen Mädchens vom Lande«. Viele junge Frauen müssen sich ihren Weg gegen ihre Familie freikämpfen.

¿Wie wir wurden, was wir nicht werden sollten¿
Frauen im Aufbruch zu Amt und Würden

6. April bis 18. April 2011,
Eröffnung: Mi, 6.4., 14 Uhr

LWL-Landeshaus
Freiherr v. Stein Platz 1
48145 Münster

Geöffnet: Mo ¿ Fr, 10 - 18 Uhr

Zur Ausstellung ist ein Katalog erhältlich.

Pressekontakt:
Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
"Heraus mit dem Frauenwahlrecht". Plakatentwurf von Karl Maria Stadler zum Frauentag 1914.
Quelle: Bundesarchiv, Repro: LWL


Foto zur Mitteilung
Plakatmotiv der Ausstellung "Wie wir wur-den, was wir nicht werden sollten".
Gestaltung: Designbüro Arndt + Seelig


Foto zur Mitteilung
Gruppenbild mit Dame: erste weibliche Abgeordnete im Proviziallandtag von Westfalen, um 1919.
Foto: LWL


Foto zur Mitteilung
Lizzy-Schmidt-Albrecht (links) unmittelbar nach Kriegsende mit einer Kollegin in Hamburg, wo sie für eine Zeitung schrieb. 1952 wurde sie für die SPD Ratsfrau in Detmold.
Foto: NRW-Staatsarchiv Detmold, Nachlass Schmidt-Albrecht, Repro: LWL



Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



Das Presseforum des Landschaftsverbandes im Internet: https://www.lwl.org/pressemitteilungen