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Presse-Infos | Kultur

Mitteilung vom 18.02.10

Kaninchenkiste mit DDR-Geschichte
Ehemaliger Brigadist steuert kurioses Exponat zur HELDEN-Ausstellung bei

Hattingen/Hoyerswerda (lwl). Dass seine Kaninchenkiste einmal im Museum landen würde, das hätte sich Josef Wiwczaryk aus Hoyerswerda nicht träumen lassen. Und doch ist es so. Die tierische Transportbox, in der er ¿zweimal im Jahr die Hasenfrau zum Hasenmann trägt¿, ist eines von über 800 Exponaten der Ausstellung ¿HELDEN. Von der Sehnsucht nach dem Besonderen¿, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in Zusammenarbeit mit der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 ab dem 12. März in seinem Industriemuseum Henrichshütte Hattingen zeigt.

Für den unbeteiligten Betrachter eines der kuriosesten Objekte der Schau. In Wahrheit aber ein Stück mitten aus dem Leben des ausgezeichneten DDR-Brigadiers Wiwczaryk. Jenes gelernten Maurers, der durch seiner Hände Arbeit in den Nachkriegsjahren für bezahlbaren Wohnraum sorgte. In der schnellen Form von genormten Plattenbauten, die teils schon mit Fenster und Gardinen als Fertigteile angeliefert wurden, die nur noch aufgestellt und miteinander verschweißt wurden. Arbeit, die dem fünffachen Vater und späteren Meister und Ingenieur den Lebensunterhalt sicherte. Und damit verbundene Leistungsprämien, die als zweite Lohntüte mehr als willkommen waren.

Jene Kaninchenkiste übrigens zimmerte der heute 83-Jährige aus Überresten der ¿Messe der Meister von Morgen¿, für die er verantwortlich war. Planerfüllungstafeln aus Presspappe, auf denen im Inneren der Kiste vom Plansoll für neue Wohnungsbauten und Kindergärten zu lesen ist, die außen eben jene Wohnblocks im Bild zeigen.

Den Kaninchen wird es egal sein. Dem Ausstellungsbesucher aber bringt diese Kiste den Menschen Wiwczaryk näher ¿ einen Helden der Arbeit. Wenngleich der Arbeiter- und Bauernstaat ihm diesen Titel niemals offiziell verlieh, denn er war Parteigenossen vorbehalten. In das SED-Korsett aber hat sich der überzeugte Sozialist Wiwczaryk nicht zwingen lassen. ¿Da musste man eben etwas mehr arbeiten, um eine Auszeichnung zu bekommen. Ich habe mich von den hartgesottenen Parteigenossen nie einfangen lassen¿, ist er sich treu geblieben. Vier Mal zeichnete die DDR ihn für die Übererfüllung der Norm als ¿Aktivist des 5-Jahres-Plans¿ aus. ¿So nannten sie die Leute, die besondere Leistungen erbracht hatten¿, sagt der Mann, dessen Brigade in Hoyerswerda seinen Namen trug: Wiwczaryk. Dort legte er am 15. Juni 1957 den Grundstein für den ersten industriellen Plattenbau der DDR. Für die Neustadt, in der zehntausende Beschäftigten des Lausitzer Braunkohle- und Gaskombinats ¿Schwarze Pumpe¿ leben sollten.

Leistungsanreize wie finanzielle Prämien, ein schnelleres Anrecht auf eine Wohnung oder ein neuer Trabant, waren die eine Seite der Aktivisten-Medaille. Auf der anderen Seite ¿ging es mir auch um die Ehre und die Anerkennung meiner Arbeit. Wir haben viele Menschen glücklich gemacht¿, sagt Wiwczaryk rückblickend. Fast 40 Jahre seines Lebens, die er nicht missen möchte. Vor allem den Zusammenhalt unter den Kollegen im ¿Kollektiv der sozialistischen Arbeit¿ nicht, die zusammen arbeiteten und die Freizeit miteinander verbrachten. Das schweißte zusammen. ¿Wir haben das Geld für die Prämien immer zusammen getan und dann einen schönen Ausflug gemacht. Da denke ich gerne dran.¿

Umso bitterer für Wiwczaryk , als nach der Wende die einstige Musterstadt der DDR nach und nach wieder abgerissen wurde. ¿Meine Lebensleistung wurde vernichtet¿, sagt er, wohl wissend, dass viele Wohnungen leer standen und die Menschen Hoyerswerda in Scharen verließen. ¿Es war schwer für mich zu sehen, dass zerstört wurde, wofür wir gekämpft haben. Auf das wir stolz waren¿, will er Trauer und Enttäuschung nicht verhehlen.
Brigadier Wiwczaryk steht in der Ausstellung für Menschen, die in Zeiten des Umbruchs nach dem Krieg anpackten, wo es nötig war. ¿Wir zeigen in diesem Teil der Ausstellung, wofür Menschen arbeiten, um unter akzeptablen Bedingungen leben zu können¿, erläutert Willi Kulke, Kurator für den Ausstellungsbereich ¿Helden der Arbeit¿. ¿Letztlich strebten auch sie, wie die Arbeiter im Westen, nach Wohlstand und persönlichem Glück. Geblieben sind Orden, Auszeichnungen und Fahnen. Die Geschichte der Helden der Arbeit ist eine Geschichte von einer zum Scheitern verurteilten Utopie. Die sozialistischen Staaten des Ostens glaubten, mit Ideologie, Leistungsanreizen und Vergünstigungen mit dem Westen Schritt halten zu können. Sie setzten auf Vernunft und den Wunsch der Menschen nach kollektivem Glück. Ein System, das scheitern musste¿, resümiert Kulke.

Die Ausstellung
Mit über 800 wertvollen Exponate aus ganz Deutschland, den europäischen Nachbarländern und aus Übersee erzählt die Schau Geschichten von großen und kleinen Helden, von Machern und Medien, mutigen Rittern, religiösen Vorbildern, gefeierten Sportlern und engagierten Helfern. Das Spektrum reicht von einer 2.000 Jahre alten Nuckelflasche bis zur Silberbüchse Winnetous. In Bronze glänzt der Fußballschuh vom Ruhrgebietshelden Helmut Rahn. Vom heutigen Heldenkult zeugen ein Baumhaus von ¿Robin Wood¿ und der Helm eines New Yorker Feuerwehrmannes, der beim Anschlag auf das World Trade Center ums Leben kam. Die Helden des Reviers haben in der Schau einen besonderen Platz: Typen wie der Bergmann Adolf Tegtmeier oder Ruhrgebietsmutter Tana Schanzara, aber auch verdiente Bürger des Ruhrgebiets als neue Helden der Region im Wandel und schließlich die zugewanderten Helden, die die vielen Einwanderer ins Revier mitgebracht haben.

Der Rundgang durch die 1.000 Quadratmeter große Ausstellungshalle ist ein Erlebnis für alle Sinne. Dafür sorgen eine spannende Gestaltung, ausdrucksstarke Inszenierungen, bewegte Bilder und Hörstationen. Die innovative Ausstellungsarchitektur eröffnet mit Durchblicken und Sichtachsen an vielen Stellen überraschende Perspektiven und ermöglicht damit immer wieder neue Entdeckungen. Am Ende der Ausstellung können Besucher ihren ¿Helden des Tages¿ wählen, auf einem Sockel als Held oder Heldin posieren und sich in der Videoinstallation Standing Ovations bejubeln lassen.

HELDEN. Von der Sehnsucht nach dem Besonderen
12. März ¿ 31. Oktober 2010

LWL-Industriemuseum Henrichshütte Hattingen
Werksstraße 31-33 I 45527 Hattingen
Geöffnet: Di ¿ So 10 ¿ 18 Uhr, Fr 10 ¿ 21.30 Uhr
http://www.helden-ausstellung.de I Tel. 02324 9247-142 I E-Mail: helden@lwl.org

Die Pressekonferenz zur Eröffnung findet am 10. März um 11 Uhr statt.

Pressekontakt:
Christiane Spänhoff, LWL-Industriemuseum, Telefon: 0231 6961-127 und Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Josef Wiwczaryk (83) baute aus den Plansoll-Tafeln eine Kaninchentransport-Box.
Foto: LWL/Hudemann


Foto zur Mitteilung
Eine Botschaft aus DDR-Zeiten - lesbar nur noch für die Kaninchen. Foto: LWL/Hudemann


Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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