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Presse-Infos | Psychiatrie

Mitteilung vom 24.09.09

Wenn Computer spielen krankhaft wird
Ab 30 Wochenstunden droht die Sucht - LWL-Expertin zu Online-Rollenspielen

Münster (lwl). 43 Millionen Deutsche ab 14 Jahren sind online. In mehr als 70 Prozent der Familien haben schon Kinder den Internet-PC im eigenen Zimmer, Flatrate inklusive, oft neben Fernseher und Spiele-Konsole. Ab wann ist exzessives Computerspielen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bedenklich? Was führt 1,5 bis 3 Prozent der jungen ¿Counterstrike¿- oder ¿World of Warcraft (WOW)¿-Zocker in die Abhängigkeit? Was können Betroffene und Angehörige tun gegen eine Verhaltenssucht, die vor allem Jungen heimsucht? Antworten von Ulrike Dickenhorst, Therapeutische Leiterin im Gütersloher LWL-Rehabilitationszentrum Ostwestfalen, Bernhard-Salzmann-Klinik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).

In nur drei Jahren zehn Millionen Spieler mehr bei ¿WOW¿, ¿Counterstrike¿ oder ¿Star Wars Galaxies¿: Warum boomen Online-Rollenspiele explosionsartig und warum bergen sie eine so große Suchtgefahr vor allem für junge Menschen?

Dickenhorst:
Introvertierte Jugendliche mit geringer sozialer Unterstützung, Überforderungsängsten, seltenen Erfolgserlebnissen und Anpassungsschwierigkeiten reagieren mit Rückzug aus der Realität, um alltägliche Frustrationen zu verdrängen. In Rollenspielen wie WOW schaffen sie sich eine virtuelle Welt, in der jeder Erfolge haben kann. Die virtuelle Welt ermöglicht eine Ersatzbefriedigung, um Kontrolle, Selbstwertsteigerung und Bindung zu erleben. Dort können sich die Spieler eine neue Identität schaffen und Kontakte zu anderen Spielern aufbauen, die sie aber jederzeit wieder unterbrechen können. Der Spieler trifft selbst die Entscheidung, wie lange er im Kontakt bleibt, das gibt ihm Sicherheit. Dazu kommt, dass die Spieler das Spiel mit vermeintlich echten Gefühlen wie Trauer und Euphorie erleben. Wenn sie Siege erringen fühlen sie sich richtig glücklich.

Oft sind es die Angehörigen, die als erste eine Sucht vermuten. Auf welche Anzeichen soll-ten sie besonders achten?

Dickenhorst:
Solange sich frühere Verhaltensweisen und Interessen nicht gravierend ändern besteht keine Gefahr. Es wird problematisch, wenn der Betroffene frühere Hobbys oder seine freundschaftlichen Kontakte vernachlässigt. Auch ein anderer Schlaf-/Wachrhythmus oder veränderte Essgewohnheiten können erste Anzeichen sein. Übermüdung, Konzentrationsschwächen, nachlassende Leistungsfähigkeit in Schule oder Beruf können den Einstieg in den PC-Konsum-Teufelskreis anzeigen.

Ab wann spricht man von Sucht?

Dickenhorst:
Wir sprechen von einer Verhaltenssucht, wenn Betroffene mindestens 30 Wochenstunden, das sind täglich immerhin viereinhalb Stunden oder mehr, außerhalb von Schule oder Arbeitsplatz am PC verbringen. Die Stundenanzahl ist aber nicht ausschließliches Krankheitskriterium. Auch die gedankliche Fixierung auf das Spiel, sowie die Unterdrückung von Langeweile, Ärger, Trauer, Enttäuschungen, Problemen usw. sind feststellbar. Oft ist das "Gamen" verbunden mit missbräuchlichem Konsum von Tabak, Alkohol und/oder Cannabis. Entzugserscheinungen wie Nervosität, Schlafstörungen oder aggressives Verhalten sind ebenfalls auftretende Symptome. Spieler haben das Verlangen, immer häufiger zu spielen und haben zunehmend seltener die Kontrolle darüber, wann sie beginnen und besonders wann sie aufhören zu spielen. Nicht selten lässt sich auch eine körperliche und äußerliche Vernachlässigung ausmachen, Gewichtsabnahme oder ¿zunahme stellen sich ein, gravierende Gesundheitsprobleme wie Rückenbeschwerden sowie Blässe usw. sind gehäuft zu beobachten.

Wie kann man sich oder seine Kinder schützen?

Dickenhorst:
Besonders wichtig sind alternative Interessen und eine abwechslungsreiche Freizeitbeschäftigung. Das fördert die sozialen Kontakte, Erfolgserlebnisse und das Gefühl, einen erfüllten Tag zu erleben. Dazu sollte man Eltern, Kinder und Jugendliche über die Gefahren aufklären und ihre Fähigkeiten bei der Bewältigung von Problemen stärken. Wenn es möglich ist die Probleme anzusprechen, ist die Flucht in die virtuelle Welt nicht notwendig, um sie ¿ scheinbar - zu lösen. Falls Anzeichen für missbräuchliches Computerspielen vorliegen ist es allerdings nicht zu empfehlen, den Computer zu sabotieren oder dem Spieler Vorwürfe zu machen. Besser ist es, Interesse an dem Spiel zu zeigen und zusammen mit dem Spieler feste Zeiten für die PC-Nutzung zu vereinbaren. Hilfe bieten auch zahlreiche örtliche Suchtberatungsstellen an.

Wie kann eine Therapie helfen?

Dickenhorst:
In der Therapie versuchen wir, die zu Grunde liegenden persönlichen Probleme der Patienten gemeinsam mit ihm herauszuarbeiten und abzubauen. Die Patienten müssen diese Probleme selbst erkennen, um dann alternative Lösungen zu erproben. Dabei sollten sie sich mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen auseinandersetzen und lernen, wie sie mit anderen Menschen umgehen können. Wir helfen ihnen, ihr Selbstwertgefühl zu steigern, Eigenverantwortung zu übernehmen und alternative Interessen zu entwickeln. Im vergangenen Jahr haben wir in unserer Klinik auf diese Weise zehn Patienten mit massivem PC-Konsum sowie stofflicher und/oder einer Glücksspielabhängigkeit erfolgreich behandelt.

Links:
http://www.onlinesucht.de
http://www.rollenspielsucht.de
http://www.jugendschutz.net

Literatur:
Hüther, G. 2006 Computersüchtig Verlag Patmos

Pressekontakt:
Susanne Muno und Karl G. Donath, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Ulrike Dickenhorst, Therapeutische Leiterin im Gütersloher LWL-Rehabilitationszentrum Ostwestfalen, Bernhard-Salzmann-Klinik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).
Foto: LWL/privat



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