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Presse-Infos | Kultur

Mitteilung vom 14.03.08

Gertrud hatte mit Gemüse nichts am Hut
Heilige bestimmten über lange Zeit die Alltagswelt

Münster (lwl). Gemeinhin galt der 17. März, der dem Andenken der heiligen Gertrud geweiht war, als Stichtag für den Beginn der Gartenarbeiten: Ein Irrglaube, wie Christiane Cantauw von der Volkskundlichen Kommission des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) klarstellt: ¿Mit der heiligen Gertrud und ihrem Leben hat diese Stichtagregelung nur wenig zu tun.¿

¿Gertraud / den Garten baut", hieß es sprichwörtlich. Wer bis zum 17. März seinen Garten noch nicht umgegraben hatte, setzte sich dem Spott der Menschen aus. Da für den meist recht großen (Gemüse-)Garten die Frau zuständig war, galt ihr auch die Häme der Leute, wenn die Beete noch nicht umgegraben und von Unkraut befreit waren.

Gertrud lebte im 7. Jahrhundert und war eine Tochter von Pippin dem Älteren. Sie wurde Äbtissin des von ihrer Mutter gegründeten Klosters im belgischen Nivelles und bemühte sich vor allem um die Bildung der weiblichen Jugend. ¿Ihr außerordentlicher Eifer für die Betreuung von Kranken, Witwen, Pilgern und Gefangenen ließ sie zur Patronin von Spitälern werden, die im Mittelalter vielerorts ihren Namen trugen. Ihr Gebet vertrieb nach der Legende einmal eine Mäuse- und Rattenplage, womit sie die Ernte rettete¿, eklärt Cantauw. Deshalb stelle man sie in der Regel mit einer Maus als Attribut dar.

¿Früher waren Arbeiten in Haus und Hof mit bestimmten Heiligengedenktagen verknüpft. Das zeigt ganz deutlich, wie der Alltag vom christlichen Glauben durchdrungen war¿, erläutert Cantauw. Der Wechsel von Jahreszeiten und Aufgaben war durch diese Stichtage gedanklich nicht vom christlichen Glauben zu trennen.

Bis in das 20. Jahrhundert hinein kannten zumindest gläubige Katholiken die einzelnen Heiligentage ¿ zumal, wenn es sich wie bei dem Gedenktag der heiligen Gertrud um einen aufgabenbezogenen Stichtag handelte. Die Namenstage von Thomas, Anna, Peter und Paul, Elisabeth, Michael, Johannes oder Anton mussten sie nicht erst in Heiligenkalendern nachschlagen. Dies lag nicht zuletzt auch daran, dass es sich dabei um landwirtschaftlich bedeutsame Stichtage handelte, an denen das Gesinde wechselte, bestimmte Arbeiten zu erledigen oder gewisse Abgaben zu entrichten waren.

Ab dem 16. Jahrhundert empfahl die katholische Kirche den Gläubigen, ihren Kindern Heiligennamen zu geben und den Tag des Namenspatrons feierlich zu begehen. Diese Empfehlung aus dem Kathechismus, die im Rituale Romanum (einer Gottesdienstordnung von 1614) nochmals bekräftigt wurde, begründete die Namenstagsfeier, die immer mehr Katholiken übernahmen. Bis weit ins 20. Jahrhundert hielten viele an ihr fest. Da die katholische Kirche aufgrund der Lehre von der Erbsünde Geburtstagsfeiern ablehnte, bekämpfte man diese als heidnischen Brauch. ¿Jedes Kalb hat Geburtstag, aber noch lange keinen Namenstag, hieß es damals¿, so die LWL-Volkskundlerin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die Geburtstagsfeier aber auch bei den Katholiken zunehmend durch. ¿Für viele Menschen spielten die sich am landwirtschaftlichen Jahr orientierenden Stich- und Heiligentage eine geringere Rolle. Nicht mehr das Vorbild eines Heiligen, sondern ihre eigene Individualität und ihre individuelle Leistung rückten in den Vordergrund¿, so Christiane Cantauw. Dieser Geisteshaltung entsprach eher der Geburtstag, für den das persönliche Lebensalter als Anlass zum Feiern gilt.

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Foto zur Mitteilung
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die Geburtstagsfeier auch unter Katholiken durch. Im Bild: Glückwunschkarte zum Jahrestag um 1920.
Foto: Volkskundliche Kommission für Westfalen



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