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Presse-Infos | Der LWL

Mitteilung vom 20.09.06

Selbstinszenierung mit dem Fotoapparat: LWL-Wanderausstellung zeigt Bilder aus Mission und Kolonien

Werl (lwl). Als das Deutsche Reich in den Wettlauf um Kolonien einstieg, hatte die Fotografie bereits die Massentauglichkeit erreicht. Deshalb gibt es zahlreiche Fotos, die die fernen Regionen in den Blick nehmen. Einen Ausschnitt aus westfälischen Fotosammlungen aus der jüngsten Phase deutscher Mission und Kolonialzeit zeigt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in der Wanderausstellung ¿Die Ferne im Blick¿. In der Ausstellung, die neben 100 Fotos auch historische Kameras, persönliche Dokumente und einen Glasbildprojektor aus der Zeit um 1900 zeigt, nimmt der Betrachter die sehr unterschiedlichen Perspektiven der Fotografen ein, die mal private, mal berufliche oder religiöse Interessen verfolgen. So wird deutlich, wie
sich die Deutschen in der fremden Gesellschaft selbst inszeniert haben

¿Die Bilder, die Kolonialbeamte, Reisende, Missionare, Lehrer und Kaufleute gemacht haben, lassen die sehr unterschiedliche Sicht auf eine fremde Welt erkennen: Die Nähe oder Distanz der Fotografen zur einheimischen Bevölkerung wird in den Fotos ebenso deutlich wie ihre Selbstdarstellung.

Während sich beispielsweise Plantagenadministratoren mit Statussymbolen wie Häusern und Autos umgaben, um sich von der einheimischen Bevölkerung abzusetzen, nutzten die Missionare die Bilder, um Leser in der Heimat über ihre Arbeit zu informieren und so um Spenden zu werben¿, erklärt Dr. Günter Bernhardt vom LWL-Museumsamt.

So erzählt die Ausstellung die Einzelschicksale von drei Menschen, die es aus ganz unterschiedlichen Gründen nach Asien verschlug: Der preußische Geografielehrer Martin Müller ging 1908 für drei Jahre nach Shanghai und erkundete von dort aus bei Reisen Ostchina, Korea und Japan, um die fremde Kultur kennen zu lernen. Hermann Stilcke, Schiffsmaschinist bei der Reichsmarine, reiste weniger freiwillig an Bord des Kanonenbootes ¿Iltis II¿ 1911 an die Küsten Chinas. Seine Bilder sind die eines Touristen, der die Sehenwürdigkeiten der kolonialen Gesellschaft besucht. Wilhelm Dorn kommt dagegen erstmals 1950 in einem
Aussiedlerlager bei Siegen nach Deutschland. Der Lebenslauf des in Russland geborenen Geschäftsmannes und Abenteurers, der von 1915 bis 1950 in verschiedenen Orten Zentral- und Ostchinas lebte, ist eine frühe Globalisierungsgeschichte.

Von diesen schon sehr unterschiedlichen Perspektiven unterscheiden sich die Fotos der Lemgoer Johannes und Ernst Neubourt, die 1885 und 1892 nach Niederländisch-Indien auswanderten und auf Sumatra als Plantagenadministratoren für niederländische Kompanien arbeiteten. ¿Ihr Leben, ihre Reisen und ihre Arbeit ist in besonders vielen und herausragenden Bildern überliefert.

Diese Bilder zeigen sie in den Dörfern der dort lebenden Batak, bei der Jagd aber auch in ihren großzügigen Häusern. Ihre besondere Stellung untermauern sie durch ihre Kleidung und durch Luxusgegenstände, mit denen sie sich fotografieren lassen. Die gesellschaftliche Hierarchie wird zum Beispiel bei Fotos im Auto deutlich: Während die Administratoren im Auto sitzen, dürfen die Einheimischen bestenfalls in der Nähe des Kühlers stehen¿, so Bernhardt.

Ähnliche Inhalte haben Bilder auf Glasdiapositven, deren Urheber unbekannt ist, die aber der reichsdeutschen Kolonialpropaganda zuzuordnen sind und die offensichtlich im afrikanischen Kamerun entstanden sind. Sie zielen auf heimische Betrachter, indem sie die Kolonialen Machtstrukturen unterstreichen. ¿Die Bilder legen die eigentlichen Ziele kolonialer Expansion offen: die Eroberung des Raumes, die wirtschaftliche Exploration, die Überprägung heimischer Strukturen. Dazu benutzen sie Motive wie die Jagd, die Plantagen und die koloniale Architektur¿, erläutert Bernhardt.

Auch die Fotos der Missionare richteten sich häufig an Betrachter in der Heimat. Sie lösten kunstvolle und stilisierte Stiche von Landschaften und Menschen ab, die bis zur Jahrhundertwende die Missionszeitschriften illustriert hatten. Die Fotos sollten ein
vermeintlich wirkliches Bild zeigen. ¿Manche dieser Fotos waren
aber eh Inszenierung und spiegelten so nur eine utopische Illusion wider, die mit dem tatsächlichen Begebenheiten vor Ort wenig gemein hatte¿, so Bernhardt.

Diese Details erschließen sich dem Betrachter nicht immer auf den ersten Blick, deshalb beschreibt und kommentiert die Ausstellung die Fotos ausführlich. Noch ausführlicher machen das die Aufsätze im gleichnamigen Begleitbuch zur Ausstellung, das über 150 Abbildungen enthält. Es ist für 24 Euro an der Museumskasse oder direkt beim LWL-Museumsamt (wma.info@lwl.org) erhältlich.

Die Ferne im Blick

Westfälisch-lippische Sammlungen zur Fotografie aus Mission und Kolonien
Eine Wanderausstellung des LWL-Museumsamtes
Museum Forum der Völker ¿ Völkerkundemuseum der Franziskaner
Melsterstr. 15 in 59457 Werl
21.September bis 19.November.2006
geöffnet: dienstags - freitags 10 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr
samstags und sonntags 14 bis 17 Uhr
feiertags geschlossen

Weitere Ausstellungsstationen:

Museum der Stadt Bad Berleburg 23. November 2006 bis 21. Januar 2007
Stadtmuseum Brakel 28. Januar bis 25. März 2007
Kolvenburg in Billerbeck 1. April bis 27. Mai 2007
Museum Hexenbürgermeisterhaus in Lemgo 3. Juni bis 29. Juli 2007
Mindener Museum 4. August bis 30. September 2007
Stadtmuseum Bergkamen 7. Oktober bis 25. November 2007
Hermann-Grochtmann-Museum in Datteln 2. Dezember 2007 bis 27. Januar 2008

Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
¿Abreise von Inspektor Walther Trittelvitz¿. Glasdiapositiv, koloriert. 1905. Foto: Archiv- und Museumsstiftung Wuppertal

Foto zur Mitteilung
Der Lehrer Dr. Martin Müller fotografierte um 1908 diese Straßenszene vermutlich im chinesischen Shanghai. Copyright: Privatsammlung Müller-Cleve, Münster

Foto zur Mitteilung
Administratoren und Assistenten einer Tabakplantage um 1900 im Auto. Hinter dem Auto stehend: Ernst Neubourg aus Lemgo. Der hierarchische Unterschied zum Einheimischen wird mehr als deutlich. Privatsammlung Dr. Treu-Neubourg, Hamburg

Foto zur Mitteilung
Eine Bildpostkarte aus ¿Tanga. Deutsch-Ost-Afrika. Massai, Viehhirten vom Kilimandscharo¿. Archiv- und Museumsstiftung Wuppertal

Foto zur Mitteilung
Hermann Stilcke an Bord der ¿Iltis II" um 1911. Privatsammlung Mohr, Bochum

Foto zur Mitteilung
Tigerjagd. Handschriftlicher Kommentar von Ernst Neu-bourg aus Lemgo, auf der Rückseite des Fotos: ¿Der letzte Tiger in der Klemme, 25. Oct. 09¿. Privatsammlung Dr. Treu-Neubourg, Hamburg


Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



Das Presseforum des Landschaftsverbandes im Internet: https://www.lwl.org/pressemitteilungen