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Presse-Infos | Der LWL
Mitteilung vom 19.12.05
¿Kommet ihr Hirten...¿: Weihnachtslieder, Middewinterhornblasen und Hirtenstücke für die Orgel
Westfalen (lwl). ¿O Tannebaum¿, ¿Leise rieselt der Schnee¿, ¿Zu Bethlehem geboren¿, ¿Jingle Bells¿ und ¿In der Weihnachtsbäckerei¿: Überall sind die Advents- und Weihnachtslieder jetzt zu hören, in Kaufhäusern und auf dem Weihnachtsmarkt ebenso wie im Kindergarten, in der Kirche und bei diversen Weihnachtsfeiern von Betrieben oder Vereinen. ¿Die Wurzeln der Weihnachtslieder liegen eindeutig im kirchlichen Bereich. Familienfeiern mit Weihnachtsmusik gab es bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein nicht. Einige bis zu dieser Zeit sehr verbreitete Formen weihnachtlicher Musik wie das Adventshornblasen oder die Hirtenstücke für die Orgel sind aber heute kaum noch bekannt¿, gibt Christiane Cantauw, Volkskundlerin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) einen knappen Überblick über die Entwicklung der weihnachtlichen Musik.
¿Die Weihnachtslieder transportieren Gefühle, die von adventlicher Erwartung und mitunter auch von hektischer Vorbereitung bis hin zu überschwänglicher Freude und getragener Festtagsstimmung reichen¿, so Cantauw weiter. Die Bandbreite der Advents- und Weihnachtslieder ist groß. Sie reicht von jahrhundertealten Liedern wie ¿Sei uns willkommen, Herre Christ¿, das aus dem 11. Jahrhundert stammen soll, bis hin zu neuen Kompositionen aus der Popmusik.
Während viele der älteren Kirchenlieder wie ¿Es ist ein Ros entsprungen¿ (15. Jahrundert) oder ¿O Heiland, reiß die Himmel auf¿ (1666) auch heute noch in den Advents- und Weihnachtsgottesdiensten gesungen werden, sind die meisten der niederdeutschen Liedtexte im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. ¿O Dannebom, o Dannebom¿, das laut Cantauw keinesfalls eine mundartliche Variante des hochdeutschen Liedes ¿Oh Tannebaum¿ ist, oder das Dreikönigslied ¿De Sterenkieker ut Morgenland¿, gehören zu den von August von Haxthausen gesammelten Volksliedern und wurden schon im 18. Jahrhundert in Westfalen gesungen.
¿Diese Lieder sind heute ebenso unbekannt wie manche Formen des gemeinschaftlichen Singens und Musizierens, die noch um die Wende zum 20. Jahrhundert in einigen Orten gepflegt wurden. So spielten auf dem Land und in den kleineren Städten Umzüge von Sängern und Posaunenchören oder weihnachtliche Umzugsspiele in der Advents- und Weihnachtszeit eine große Rolle¿, erklärt Cantauw.
In Gütersloh gingen um 1900 in der Adventszeit junge Männer der evangelischen Gemeinde bei Dunkelheit singend durch die Straßen. Auch in Littfeld (Kreis Siegen) war es üblich, dass der Gesangverein am Abend vor Weihnachten durchs Dorf zog und Weihnachtslieder zu Gehör brachte. In Dahlhausen (Kreis Höxter) gingen die Nachtwächter und einige junge Männer in der Christnacht jede volle Stunde durchs Dorf, wobei sie jeweils eine Strophe eines bestimmten Liedes sangen und ihre Hörner erklingen ließen. Dabei war es genau festgelegt, wie oft nach den jeweiligen Strophen ins Horn geblasen werden durfte. ¿Ein schöner Brauch ist mir auch aus Iserlohn-Hennen im Märkischen Kreis bekannt. Dort sangen die Mitglieder des Männergesangvereins am 24. Dezember um Mitternacht vom Kirchturm herab Weihnachtslieder. Ob dieser Brauch heute noch gepflegt wird, weiß ich nicht¿, berichtet Cantauw.
Ein besonderer musikalischer Beitrag zum Weihnachtsfest sind die Adventshörner, die vor allem im Kreis Steinfurt sowie im benachbarten Emsland und in den Niederlanden bis ins 20. Jahrhundert hinein allabendlich oder zumindest an den Adventssonntagen zu hören waren. Kuhhörner und Alphörnern ähnelnde Holzblasinstrumente, die Middewinter- oder Dwerthörner genannt wurden,
Blechblasinstrumente oder sogar ¿ wie in Mettingen (Kreis Steinfurt) - mit Bast umwickelte Flaschen, aus denen der Boden herausgetrennt wurde, dienten den Adventsbläsern als Instrumente. ¿Der Brauch des Adventshornblasens geht wohl auf eine ehemals starke Beteiligung der Hirten und Schäfer an der Christmette zurück. Das ¿Hirtenblasen¿ gehörte zu ihren Privilegien. Sie müssen es aber wohl teilweise übertrieben haben, jedenfalls hat die Kirche im 18. Jahrhundert diesen Brauch zunehmend kritisiert. Als das Blasen der Hörner in der Christmette von der Kirche verboten wurde, wanderte dieser Brauch in den außerkirchlichen Raum¿, so LWL-Volkskundlerin Cantauw.
Ein ähnlicher musikalischer Brauch ist aus dem südlichen und westlichen Westfalen bekannt: die weihnachtlichen Hirtenstücke, auch Hirtentanz, Hirtenwalzer oder Gespräch der Hirten genannt. Sie werden in den Weihnachtstagen nach oder während der Messe vom Organisten auf der Orgel gespielt. Christiane Cantauw: ¿Die Kirchenbesucher erwarten diese Musik, die für sie ganz eng mit dem Weihnachtsfest verbunden sind. Die Musik stellt für sie ein Stück Lokalhistorie dar. Das ist ihnen fast noch wichtiger als die Stücke selbst!¿.
Die Hirtenstücke sind eine Form halbliturgischen Theaters, bei der - wie auch beim Adventsblasen - die Hirten und ihre Rolle im Weihnachtsevangelium im Mittelpunkt stehen. Während der Gegenreformation am Ende des 16. und am Anfang des 17. Jahrhunderts waren die Hirtenstücke weit verbreitet. Vor allem die Jesuiten haben an ihrer Verbreitung mitgewirkt. Im Zeitalter der Aufklärung wurden diese Formen szenischer Darstellungen immer mehr zurückgedrängt und sind nur noch sehr vereinzelt in lebendiger Tradition erhalten geblieben.
¿Altes und neues Liedgut wurde und wird übrigens im westfälischen Volksliedarchiv gesammelt, das bei der Volkskundlichen Kommission für Westfalen des LWL beheimatet ist und allen Interessierten für Recherchen zur Verfügung steht¿, hat Cantauw einen Tipp für Liebhaber historischen Liedgutes parat. Die LWL-Kommission ist in der Zeit von 8.30 Uhr bis 15.30 Uhr unter Tel. 0251 8324404 zu erreichen.
Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
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