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Presse-Infos | Der LWL

Mitteilung vom 16.11.05

Jüdisches Kulturerbe gut erforscht:
Land und LWL schließen Dokumentationsprojekt ab


Siegen (lwl). Nordrhein-Westfalen hat bei der Erforschung des jüdischen Kulturerbes deutschlandweit eine Vorreiterrolle übernommen: Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat im Auftrag des NRW-Ministeriums für Bauen und Verkehr den fünften Band der Dokumentation "Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen" herausgegeben. "Nur in Nordrhein-Westfalen weiß man jetzt so detailliert über das jüdische Kulturerbe in Stadt und Land Bescheid", sagte Bau- und Verkehrsminister Oliver Wittke heute (16.11.) in Siegen bei der Vorstellung des Abschlussbandes über den Regierungsbezirk Arnsberg. "Ichwürde es natürlich begrüßen, wenn weitere Bundesländer dieses Projekt als Pilotprojekt betrachten und dem Beispiel folgen würden", erwiderte der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel.

Auf 770 Seiten stellt Autorin Dr. Elfi Pracht-Jörns den einstigen Reichtum der jüdischen Kultur vor. Neben 66 Synagogen und 102 Friedhöfen hat sie tausende Wohn- und Geschäftshäuser, Schulgebäude, Sozialeinrichtungen und Ritualgegenstände aufgelistet, die heute nur zu einem kleinen Teil erhalten sind. Das eine Million Euro teure Gesamtprojekt begann bereits 1993. Das fünfbändige Werk umfasst 3.300 Seiten und beschreibt unter anderem 337 Synagogen und 474 jüdische Friedhöfe.

"Die Juden haben als Deutsche unter Deutschen immer wieder Staat und Gesellschaft in vielen Bereichen mitgeprägt und bereichert. Von ihnen sind zahllose politische, wirtschaftliche, soziale, wissenschaftliche und kulturelle Impulse ausgegangen. Ihr kulturelles Erbe ist zugleich auch ein unverzichtba-res Stück deutscher Kultur", stellte Wittke fest.

"Der größte Teil der materiellen Zeugnisse jüdischer Kultur wurde zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft als Auftakt zum Völkermord vernichtet. Nur Weniges hat die Barbarei der NS-Zeit, die Kriegseinwirkungen und auch die Achtlosigkeit der Wiederaufbauzeit überstanden. Auch diese traurige Bilanz und die Begleitumstände des Untergangs dokumentiert das Buch", sagte Prof. Dr. Eberhard Grunsky, Chefdenkmalpfleger des LWL und Herausgeber der drei westfälischen Bände.

Spiegel unterstrich die Schwierigkeit, heute ein umfassendes Bild des jüdischen Kulturerbes zu zeich-nen: "Die Archive der jüdischen Gemeinden wurden zum großen Teil beschlagnahmt und vernichtet. Trotz dieser erschwerten Arbeit ist es beeindruckend gelungen, eine flächendeckende und vor allem detaillierte Dokumentation vorzulegen, auch wenn sich manche Lücken bedauerlicherweise nur schwer schließen lassen." Die Dokumentation ende nicht 1945, sondern schildere eindruckvoll, dass sich die Tradition der Zweckentfremdung von jüdischen Kulturgütern auch noch nach dem Krieg fortgesetzt habe. So erfahre man beispielsweise, dass die Synagoge im Arnsberger Ortsteil Neheim zu einem Lager für russische Zwangsarbeiter umfunktioniert und nach 1959 als Lagerraum genutzt worden und so weiter verkommen sei.

Die Wichtigste der weit verstreuten Quellen war für Pracht-Jörns das 1905 ins Leben gerufene "Gesamtarchiv der deutschen Juden", das sich heute im Archiv der Stiftung "Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum" befindet. "Die überlieferten Dokumente über Synagogenbauten und Begräbnisplätze bereichern unsere Kenntnisse über die jüdische Sachkultur außerordentlich, bieten sie doch eine seltene und intensive Binnenansicht jüdischen Gemeindelebens", ordnet die Autorin die Bedeutung der zusammengetragenen Akten ein. Sie fanden sich unter anderem in Bochum, Dortmund, Hagen, Hohenlimburg (Hagen), Hamm, Niedermarsberg (Hochsauerlandkreis) und Soest. Unterstützung erhielt Pracht-Jörns bei ihrer Arbeit von den Denkmalpflegern des LWL, die auch die meisten der verwendeten Fotos zur Verfügung gestellt haben.

Als älteste jüdische Gemeinde in Westfalen gilt Dortmund, wo bereits um 1200 Juden gelebt haben. Die Gemeinde verfügte über eine Synagoge, einen Begräbnisplatz und über eine Mikwe (Ritualbad). Weitere mittelalterliche Gemeinden gab es in Bochum, Hamm, Iserlohn (Märkischer Kreis), Kamen (Kreis Unna), Lippstadt, Rüthen (beide Kreis Soest), Siegen, Soest und Unna. Monumente aus dieser Zeit haben sich aber kaum erhalten. So gilt der Friedhof in Rüthen, der 1625 erstmals erwähnt wurde, als der älteste jüdische Friedhof in Westfalen. Den Friedhof in Obermarsberg (Hochsauerlandkreis) hebt Grunsky hervor, weil er sich durch eine große Formenvielfalt seiner Grabsteine auszeichnet. Das Buch führt die Leser auch in die Synagoge von Neheim-Hüsten (Hochsauerlandkreis), die wegen ihrer reichen Ausmalung als schönste Kleinstadtsynagoge gilt, oder zum Fachwerkbethaus in Padberg (Hochsauerlandkreis) das noch in den 1990er Jahren fast Opfer einer Brandstiftung geworden wäre.

Beträume in Privathäusern, die für kleinere Gemeinden die einzige Möglichkeit war, Gottesdienste zu feiern, sind kaum erhalten. Deshalb schreiben die Denkmalpfleger dem Haus, das früher der Metzger-familie Meyer in Kreuztal-Littfeld (Kreis Siegen-Wittgenstein) gehörte, besondere Bedeutung zu.
Denn hier ist im Obergeschoss der Raum erhalten, in dem die kleine jüdische Gemeinschaft Gottesdienst feierte.

Pracht-Jörns berichtet nicht nur von Zerstörung und Verlust: In den letzten zehn bis 15 Jahren habe es viele Bemühungen zum Erhalt von Synagogen gegeben, die häufig von Einzelnen oder kleinen Gruppen engagierter Freunde der Denkmäler angestoßen worden seien. Dabei habe es sich durchgesetzt, die Spuren der Verwüstung in der Pogromnacht im November 1938 oder späterer Vernachlässigung nicht restlos zu tilgen, sondern das Fragmentarische der Synagogen als Zeugnis der Judenverfolgung und späterer Gleichgültigkeit zu bewahren.

Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org



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Foto zur Mitteilung
Buchtitel
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Die ehemalige Synagoge im Arnsberger Ortsteil Neheim.
Foto: LWL/Austrup


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Der jüdische Friedhof in Witten-Ledderken.
Foto: LWL/Austrup



Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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