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Presse-Infos | Der LWL

Mitteilung vom 22.06.05

Ehemalige Zwangsarbeiter im Münsterland:
LWL präsentiert Buch zur Geschichte der Displaced Persons


Greven (lwl). ¿Und dort drüben gab Yehudi Menuhin im Juli 1945 ein Konzert für die befreiten Zwangsarbeiter¿, erläuterte Dr. Stefan Schröder mit Blick aus dem Grevener Rathaus am Mittwoch (22. Juni) bei der Präsentation seiner Studie über das Schicksal der Displaced Persons (DPs) im Landkreis und in der Stadt Münster. Heute nur noch wenigen bekannt ist das Kürzel ¿DPs¿, mit dem die Alliierten die von ihnen befreiten ausländischen NS-Opfer bezeichneten. 9,5 Millionen waren es reichsweit. Wie es den 30.000 DPs im Raum Münster erging, beleuchtet Schröders Untersuchung, die nun von der Historischen Kommission für Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) herausgegeben wurde. Das regionalgeschichtliche Werk konkretisiert die allgemeinen Abläufe der DP-Geschichte bis 1951 im Umkreis der Westfalenmetropole und fördert dabei auch Neues zutage.

¿Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden nach ihrer Befreiung sofort als DPs bezeichnet und in Lagern gesammelt. Neben vielfältigen Schwierigkeiten überrascht das sehr schnell improvisierte kulturelle Leben in den Lagern. Dazu gehörte auch eine Tournee Menuhins durch die britische Besatzungszone, die der amerikanische Geiger mit dem britischen Komponisten Benjamin Britten absolvierte¿, so Schröder. Der von ihm rekonstruierte Lagerkosmos umfasste große Lager, die in Siedlungen wie in Greven und Reckenfeld und in Kasernen in Münster eingerichtet wurden, ebenso wie kleine bis kleinste Unterkünfte in Gaststätten, Klöstern oder Schulen. Nicht selten wurden auch die Barackenlager der Kriegszeit weiter verwendet.

Nach einer anfangs provisorischen fürsorgerischen Betreuung durch alliierte Truppen und internationale Hilfsorganisationen wurde die Mehrzahl der ehemaligen Zwangsarbeiter 1945/46 in ihre Heimatländer zurückgebracht (¿repatriiert¿), teilweise unter Zwang. Zurück blieb eine unerwartet große Gruppe von ausländischen NS-Opfern, die überraschender Weise zunächst in Deutschland bleiben wollten: besonders Polen und Balten, die aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nicht in das nun kommunistisch dominierte Osteuropa zurückkehren wollten. Mangels Alternativen mussten sich diese DPs längerfristig in ihren Lagern einrichten.

¿Dabei wurden sie für ihre Befreier nach und nach von Opfern des Nationalsozialismus zum ¿DP-Problem¿, das immer weniger Betreuung als vielmehr strenge Maßnahmen nach sich zog ¿ Arbeitsver-pflichtung und Rationenkürzung, in Westfalen auch Überfüllung der Lager und damit einher gehende verschlechterte Lebensumstände¿, verdeutlicht Schröder die Schwierigkeiten dieser Ausländer. Daher leerten sich die DP-Lager, als ab 1947 politische Lösungen in Form von Auswanderungsofferten angeboten wurden. Ihre Bewohner ließen sich zur Arbeit in Großbritannien anwerben oder wanderten aus: in die USA, nach Australien oder Kanada. Als 1950 die deutsche Verwaltung für die ehemaligen Zwangsarbeiter zuständig wurde, betreute sie unter der neuen Bezeichnung ¿Heimatlose Ausländer¿ nur noch eine kleine Gruppe von DPs.

Bei dieser Entwicklung kommt nach den Erkenntnissen der Studie Münster besonderes Gewicht zu, denn ab 1947 übernahmen dortige DP-Lager Sonderaufgaben für die gesamte britische Besatzungszone. Am Behördenstandort Münster konzentrierte sich ab 1949 auch die landesweite Verwaltung für Displaced Persons. Und 1950 lebte dort ein Viertel aller DPs in Nordrhein-Westfalen. Daneben bestanden bis 1949/50 die DP-Lager in Greven und Reckenfeld in Siedlungen, die von ihren deutschen Bewohnern geräumt werden mussten. Für die DPs konnten diese Lager, die einer funktionierenden Kleinstadt ähnelten, schnell zu einer Art Ersatzheimat werden. Längerfristig erwuchsen daraus besondere Belastungen im Verhältnis zu den Deutschen, aber auch, weil eine dauerhafte Existenz der DP-Lager auch von den britischen Besatzungsbehörden nicht beabsichtigt war.

¿Gerade in diesem Jahr, in dem das Kriegsende 1945 im Blickpunkt steht, ist das Buch eine wichtige Ergänzung und bietet eine gute Möglichkeit, an Vergessenes und Verdrängtes zu erinnern¿, betont Prof. Dr. Wilfried Reininghaus, Vorsitzender der LWL-Kommission und Präsident des Landesarchivs NRW, der die Studie selbst ¿mit Gewinn gelesen¿ hat. Das ist nicht verwunderlich, hatten doch sowohl Schröder, Stadtarchivar in Greven, als auch Reininghaus beruflich in den letzten Jahren im Rahmen der vor allem von den Archiven getragenen Nachweisbeschaffung für NS-Zwangsarbeit den Brückenschlag zwischen historischer Forschung und aktuellen politischen Fragen zu bewältigen. Auch in der Stadt Greven, in deren Geschichte die beiden großen DP-Lager in Greven und im Ortsteil Reckenfeld markante Einschnitte bilden, weiß man die Forschungen zu schätzen: ¿Für die Stadt Greven handelt es sich nicht nur um eine Ergänzung der Ortsgeschichte, das Werk zeigt auch die Kompetenz des Stadtarchivs¿, beglückwünschte Manfred Ellermann, Erster Beigeordneter der Emsstadt, seinen Mitarbeiter und Buchautor Schröder, der bereits als Student die historischen Dokumente über die DPs in Greven und Reckenfeld gesichtet hatte.

Stefan Schröder:
Displaced Persons im Landkreis und in der Stadt Münster 1945-1951

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XXII/22
Aschendorff-Verlag Münster. 464 Seiten, ISBN: 3-402-06784-6
Die Studie ist im Buchhandel für 29,00 Euro erhältlich.

Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org



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Foto zur Mitteilung
Amerikanische Soldaten entlausen am 14. Mai 1945 bei Münster befreite ausländische NS-Opfer mit DDT.
Foto: National Archives, Washington


Foto zur Mitteilung
Ein DP-Lager in der Nähe von Münster kurz vor dem Rücktransport der befreiten Menschen in ihre Heimat.
Foto: National Archives, Washington


Foto zur Mitteilung
Eine Gruppe litauischer DPs in Greven (im 1946).
Foto: Stadtarchiv Greven


Foto zur Mitteilung
Prof. Dr. Wilfried Reininghaus,Vorsitzender der Historischen Kommission des LWL, Wolfgang Beckermann, Pressestelle Stadt Greven, Dr. Stefan Schröder, Dr. Dirk F. Paßmann vom Aschendorff-Verlag), Dr. Anna-Therese Grabkowsky von der Historische Kommission, Manfred Ellermann, Erster Beigeordneter der Stadt Greven präsentierten das neue Buch.
Foto: Stadt Greven


Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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