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Presse-Infos | Der LWL
Mitteilung vom 02.05.05
Vom ¿wahren Frauenberuf¿ und dem ¿Recht des Dienendürfens¿
Die amerikanische Erfindung Muttertag im Dritten Reich
Westfalen (lwl). ¿Den Muttertag haben doch Hitler und seine Nazis erfunden¿, in den Tagen kurz vor Muttertag, der in diesem Jahr auf Sonntag, 8. Mai, fällt, hört man immer wieder diese falsche Ansicht. ¿Tatsächlich ist der Muttertag älter und stammt aus Amerika. Er wurde schon vor dem ersten Weltkrieg in 45 Unionsstaaten der USA begangen und 1914 als Staatsfeiertag fest etabliert. Über England, Norwegen und Schweden kam der ¿Mother¿s day¿ in den 1920er Jahren nach Deutschland, wo sich vor allem der Verband deutscher Blumengeschäftsinhaber und der Bund der Kinderreichen für diese Idee stark machten¿, erklärt Christiane Cantauw, Volkskundlerin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).
Warum viele vor dem zweiten Weltkrieg geborene Mitbürger die Meinung vertreten, der Muttertag sei von den Nationalsozialisten eingeführt worden, erklärt die Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission für Westfalen damit, dass das NS-Regime diesen Tag in bisher nicht gekannter Weise öffentlich und politisch nutzte, um eine bestimmte Frauenrolle und das damit verbundene Frauenbild zu festigen: Der ¿deutschen Mutter, als Hüterin und Pflegerin eines stolzen Nachwuchses¿, so der damalige Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Bernhard Rust, sollte an diesem Tag des Bekenntnisses ¿zur artreinen, erbgesunden und kinderreichen deutschen Familie¿ besonders gedacht werden.
Um ihre Ziele zu erreichen, ordnete die NS-Regierung Schulfeiern an, zu deren Bereicherung sie Ansprachen, ¿Gemeinschaftslieder¿ und ¿gut vorbereitete Darbietungen von Schülern (Schülerinnen)¿ vorschlug. ¿Weniger im Sinne der nationalsozialistischen Machthaber wird es gewesen sein, dass diese Feiern teilweise auch ein Gedenken an die Gottesmutter einschlossen, wie es zum Beispiel 1934 in Erle bei Raesfeld im Kreis Borken der Fall war¿, so Cantauw.
Neben den Schulfeiern gab es in Münster und anderen größeren Städten auch öffentliche Mutter-tagsfeiern für kinderreiche Mütter. Diese Feiern hatten sich schon in den 1920er Jahren etabliert und beinhalteten ¿ falls die Stadtverwaltung zu einer finanziellen Unterstützung bereit und in der Lage war ¿ die Überreichung von Geschenken an die anwesenden Mütter. 1925 erhielten die im städtischen Theater in Münster zusammengekommenen kinderreichen Mütter jeweils sieben Meter Hemdenstoff, eine Gabe, die das Bild der aufopferungsfreudigen und selbstlosen Mutter in stetem Dienst für ihre Familie transportieren sollte. Dieses Mutterbild bedurfte später seitens der nationalsozialistischen Machthaber keiner großen Korrektur mehr: Dem ¿wahren Frauenberuf¿, den die Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundheit, eine treibende Kraft hinter der Muttertagsidee, bereits 1927 propagiert hatte, wurde in der NS-Zeit als wesentlicher Inhalt das ¿Recht des Dienendürfens¿ von der BDM-Führung beigegeben. Hitler stellte das 1934 in einer Rede vor der Reichsfrauenschaft so dar: ¿Was der Mann einsetzt an Heldenmut auf dem Schlachtfeld, setzt die Frau ein in ewig geduldiger Hingabe, in ewig geduldigem Leiden und Ertragen.¿
Mit der Einführung des ¿Ehrenkreuzes der deutschen Mutter¿, das erstmalig am Muttertag 1939 ver-liehen wurde, hatte man außerdem ein Instrument, um dem erwünschten Kinderreichtum zur öffentlichen Anerkennung zu verhelfen. ¿Deutschblütige¿, ¿arische¿ Frauen mit mindestens vier Kindern, die von den Machthabern als ¿würdig¿ eingestuft wurden, erhielten auf Antrag diese Auszeichnung, die an einem Band um den Hals getragen werden konnte. Das Mutterkreuz - von vielen Zeitgenossen despektierlich als ¿Karnickelorden¿ bezeichnet - wurde in Beschwerdebriefen oder Bittschreiben gern ins Feld geführt, wenn es galt, die nationale Gesinnung unter Beweis zu stellen. Dies mag vielleicht auch der Grund für eine münstersche Bürgerin gewesen sein, Ersatz für das im Zuge der Bombardierung ihres Hauses zerstörte Mutterkreuz zu beantragen.
Die rigide Mütterideologie, mit der der nationalsozialistische Staat die in einigen Teilen der Gesell-schaft begonnene Frauenemanzipation rigoros gestoppt hatte, wurde auch nach dem Krieg kaum in Frage gestellt. ¿Die Frauen, die im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit ¿ zwangsläufig ¿ ihren Mann gestanden hatten, traten klaglos wieder zurück ins zweite Glied, was beispielsweise die Besetzung des ersten deutschen Bundestages deutlich zeigt¿, so Cantauw.
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