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Presse-Infos | Der LWL

Mitteilung vom 16.02.05

Spielfreudiger Kleinadel in Sendenhorst: LWL-Archäologen finden einzigartige Schach- und Backgammon-Spielfiguren aus dem Mittelalter

Sendenhorst (lwl). In Sendenhorst (Kreis Warendorf) haben Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) bei der Ausgrabungen eines mittelalterlichen Adelshofes aus dem 11. bis 12. Jahrhundert einen bedeutenden Fund gemacht: Sie haben zwei Backgammon-Steine und zwei Schachfiguren gefunden, die zu den ältesten und aufwändigsten ihrer Art in Europa gehören.

¿Die Schachfiguren, eine Dame und ein Bauer, sind in Westfalen bisher einmalig. Ihre Formen besitzen kaum Ähnlichkeit mit den heutigen Figuren, sondern sind - wie im Mittelalter üblich ¿ abstrahiert. Sie weisen auf das indische Ursprungsgebiet des Schachspiels hin, sind aber wohl in der Region hergestellt worden. Von den Backgammon-Steinen gibt es in Westfalen zwar noch ein paar mehr, doch sind die Sendenhorster Exemplare mit ihrer aufwändigen Verzierung die wertvollsten, für den größeren der beiden Steine gibt es in Europa bislang überhaupt keine vergleichbaren Stücke¿, erläutert Dr. Stefan Eismann, zuständiger Archäologie des Westfälischen Museums für Archäologie, die Besonderheit der Funde.

Alle Steine sind aus Tierknochen gearbeitet, doch nur für die Dame gelang es den Experten von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz die Tierart zu bestimmen, nämlich Pferd. Sollten die Schachfiguren zum selben Spiel gehören, so vertreten sie wegen ihrer unterschiedlichen Färbung beide Spielfarben.

Die Backgammon-Steine bestehen aus zwei dünnen Lagen Knochen, die durch Bronze- beziehungsweise Eisennieten zusammengehalten werden. Bei einem Stein liegt zwischen den beiden Knochenscheiben eine Bronzefolie, bei dem anderen hat man auf Eisenbleche montierte textile Einlagen eingesetzt. Die obere Lage ist mit geometrischen Mustern durchbrochen, durch die die goldfarbene Bronze und die Textilie schimmerte; der Rand ist mit Kreisaugen und Linien verziert.

Die Spielsteine haben die LWL-Archäologen bei der Ausgrabung eines Adelshofes am Rande von Sendenhorst gefunden. Der fingerhutförmige Bauer aus dem Schachspiel und die Backgammon-Steine lagen im Keller eines ungefähr zehn Meter breiten und mindestens 30 Meter langen Holzhauses. Die Dame aus dem Schachspiel hatte man schon im Mittelalter wegen einer Beschädigung in den Schlamm einer nahegelegenen Viehkoppel geworfen.

Zu der Anlage gehörten neben der Viehkoppel noch ein Grubenhaus und mehrere Speicher. ¿Das Gehöft an sich könnte auch ein großer Bauernhof sein. Aber gerade Schach und ähnliche Spiele waren im Mittelalter eine Sache der Elite, deshalb müssen hier Adelige gewohnt haben¿, erklärt LWL-Ausgräber Eismann. Auch andere Funde wie ein goldverzierter Bronzeanhänger, Pferdegeschirrteile aus Bronze, eine Knochenflöte und einige wenige Scherben eines dunkelblauen Glasbechers zeugen noch von der gehobenen Lebensweise der Bewohner.

Bedeutungsvoll für Archäologen und Historiker sind die Grabungsergebnisse auch deshalb, weil an der Gemarkung mit der Grabungsfläche der Namen ¿Schorlemer¿ haftet. Somit ist es möglich, dass frühe Mitglieder dieser bedeutenden Adelsfamilie am Rande Sendenhorsts gelebt haben.

Bürgermeister Berthold Streffing machte bei der Pressevorstellung der Funde deutlich, dass die im Ver-lauf der Grabung gewonnenen Fundstücke als sehr bedeutend nicht nur für die Fachwelt, sondern auch für die interessierte Öffentlichkeit in ganz Deutschland angesehen werden. Diese historisch überaus bedeutsame Ausgrabung erfolgte auf dem Gebiet der Stadt Sendenhorst, deshalb beteilige sich die Stadt Sendenhorst an der Finanzierung der Auswertung.

Die Ausgrabung in der Flur ¿Großer Hof¿ war notwendig geworden, da eine geplante Erweiterung des Betriebsgeländes der Firma VEKA das eingetragene Bodendenkmal betrifft. Die Firma finanzierte denn auch als Verursacherin die Ausgrabung. Insgesamt haben das Westfälische Museum für Archäologie mit drei beziehungsweise sechs Ausgräbern in zwei mehrmonatigen Kampagnen 2003 und 2004 eine 5.000 Quadratmeter große Fläche untersucht.

Die Spielfiguren gehören zu den wichtigsten Entdeckungen der Archäologen in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen fünf Jahren. Sie werden deshalb zunächst in der anstehenden Landesausstellung ¿Von Anfang an. Archäologie in Nordrhein-Westfalen¿ präsentiert (12.3.-28.8. in Köln, Römisch-Germanisches Museum; 23.9.2005 bis 5.2.2006 in Herne, Westfälisches Museum für Archäologie). Danach werden sie in die Dauerausstellung des archäologischen Landesmuseums in Herne an expo-nierter Stelle integriert. ¿Die Steine sind so wichtig für die Geschichte der Menschen in der Region, dass wir sie in die Grabungslandschaft im Museum einbauen wollen. Sie sind außerdem ein wunderbares Beispiel für die Zusammengehörigkeit von praktischer archäologischer Denkmalpflege vor Ort und im Museum,¿ freut sich Dr. Barbara Rüschoff-Thale, Leiterin des LWL-Archäologiemuseums in Herne.

Pressekontakt:
Dr. Yasmine Freigang, Tel. 0251 5907-267 oder 0173 8301752 und Frank Tafertshofer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org



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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
Knapp drei Zentimeter hoch sind die bislang ältesten Schachfiguren Westfalens von einem Adelshof aus dem 11. bis 12. Jahrhundert in Sendenhorst.
Foto: LWL/Brentführer.


Foto zur Mitteilung
Einen Durchmesser von 4 und 4,5 Zentimeter haben die Backgammon-Steine mit ihrer sehr aufwändigen Machart aus mehreren Lagen Knochen und Metall beziehungsweise Textilien.
Foto: LWL/Brentführer.



Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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