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Presse-Infos | Der LWL

Mitteilung vom 06.07.04

Zwischen Hoffnung und Einsamkeit: Türkische Einwanderer in Bochum
LWL zeigt zum Jubiläum seines Industriemuseums 'Schätze der Arbeit'


Dortmund/Bochum (lwl). Mit einer großen Ausstellung feiert der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in diesem Jahr das 25-jährige Bestehen des Westfälischen Industriemuseums (WIM). Mehr als 250.000 Objekte hat das Museum in dieser Zeit zusammengetragen - ein Gedächtnis der Region: Die Objekte liefern einmalige Einblicke in die Arbeits- und Alltagsgeschichte der Industrialisierung. Das Spektrum reicht vom Abortkübel bis zur Dampflok, von der Glasmacherpfeife bis zum Henkelmann. Nur ein Bruchteil der Stücke ist normalerweise in den Dauerausstellungen an den acht Standorten des Museums für die Öffentlichkeit zugänglich. Zum Jubiläum packt das Westfälische Industriemuseum sein Lager aus und zeigt ab dem 20. Juni in der Zentrale auf der Zeche Zollern II/IV in Dortmund rund 500 ¿Schätze der Arbeit". In einer Serie stellt der LWL die originellsten, ältesten und bedeutsamsten Exponate der Ausstellung vor.

Die Türkische Gebetskette Tesbih und die Fotoserie ¿Türkisches Leben im Ruhrgebiet"


Es sieht aus, als hätten sich die beiden Familien ein Stück Heimat geschaffen, eine kleine Idylle mitten in der Fremde: In der Küche von Leyla Can liegt ein Gebetsteppich, auf den sich die Frau demütig kniet, im Garten pflanzt Emine Sevim das Gemüse an, das sie von zu Hause, aus der Türkei, kennt. Doch die Fotos der Bochumer Fotografin Brigitte Krämer zeigen auch die Schattenseiten: Im Treppenhaus kommt die Tapete von der Wand, und der alte Kohleofen in der Küche zeugt für die ärmlichen Verhältnisse, in denen die türkischen Einwanderer leben.

Die Fotografin bildet nicht nur ab. Sie hält in ihren Werken die Atmosphäre fest, die in den kleinen Siedlungshäusern Am Rübenkamp in Bochum-Hordel herrschte. Dort lebten bis vor drei Jahren türkische Arbeiter mit ihren Familien, obwohl die Koloniehäuser längst abbruchreif waren. "Brigitte Krämer hat das Vertrauen der Bewohner gewonnen. Nur so konnten Fotografien entstehen, die einen ganz persönlichen Blick auf den Alltag der Menschen zulassen", erklärt Dietmar Osses, Leiter des Westfälischen Industriemuseums Zeche Hannover in Bochum. Und die von der Hoffnung der Gastarbeiter auf ein besseres Leben und gleichzeitig von der Einsamkeit in Deutschland erzählen.

Seit 1984 beschäftigt sich die Bochumer Fotografin mit Ausländern im Ruhrgebiet. Die ausgestellte Fotoserie ist eine Auswahl aus 120 Fotografien aus der Sammlung des LWL- Industriemuseums. Sie alle haben das Leben der Türken im Ruhrgebiet zum Thema. Nicht ihre Arbeitsplätze, nicht ihr Auftreten in der Öffentlichkeit, sondern ihr Leben in den Wohnungen und Gärten.

Als die ehemaligen Bergarbeiterhäuser 2001 abgerissen wurden, hat man dort eine türkische Gebetskette gefunden. Sie hing an einem Nagel über dem Türrahmen der Küche. Ob die Bewohner sie vergessen haben, als sie ausgezogen sind, oder ob sie die Kette absichtlich zurückgelassen haben, weiß niemand. Auf jeden Fall gehörte die Gebetskette jahrelang zum festen Inventar.

Im islamischen Glauben wird diese Kette dazu benutzt, kurze Gebete meditativ zu wiederholen und damit Allah zu preisen. Die Holzkette besteht aus 33 Perlen (drei Perlen bilden zusätzlich den Abschluss der Kette), meistens wird eine Formel wie "Lob sei Gott" 33 Mal wiederholt. Das Gebet kann mithilfe der Kette sowohl in der Gruppe als auch still für sich geübt werden. Die ständigen Wiederholungen sollen die Konzentration auf das Gebet verstärken.

In der Ausstellung "Schätze der Arbeit" dokumentiert die Gebetskette das Leben der "Gastarbeiter" in der Fremde und das Bemühen, einzelne Dinge ihres Kulturkreises und ihren Glauben mit nach Deutschland zu bringen, um so wenigstens den Hauch von Heimat zu spüren.

Die türkischen Arbeiter bildeten seit Anfang der 70er Jahre die größte Gruppe der "Gastarbeiter". Nach dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei 1961 bis zum Anwerbestopp 1973 wanderten etwa 860.000 Türken ein.

Während die meisten Zuwanderer aus anderen Ländern dem Christentum angehörten, bildeten die Türken eine Ausnahme, was mit erheblichen Schwierigkeiten für sie verbunden war. Sie fanden kaum Gelegenheit, ihre Religion auszuüben. Gleichzeitig stießen der islamische Glauben und die anderen Normen und Gebräuche oft auf Misstrauen und sogar Ablehnung in der deutschen Bevölkerung. Das führte oft zur Ausgrenzung und damit zur Vereinsamung der ausländischen Familien.

Dennoch blieben auch in konjunkturell schlechten Zeiten viele türkische Einwanderer in Deutschland. Während in den 80er Jahren bis zu 90 Prozent der ausländischen Arbeiter wieder in ihre Heimat zurückkehrten, waren es bei den Türken nur knapp 60 Prozent. Ein Grund: Die schlechte wirtschaftliche und politische Lage in der Türkei hatte sich nicht wesentlich gebessert. Zudem waren die meisten türkischen Arbeiter erst seit kurzer Zeit in Deutschland und hatten ihr Sparziel, sich in der Heimat eine eigene Existenz aufbauen zu können, noch nicht erreicht.

Schätze der Arbeit
25 Jahre Westfälisches Industriemuseum
20. Juni bis 12. September 2004
Zeche Zollern II/IV, Grubenweg 5,
Dortmund-Bövinghausen
Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr
Eintrittspreise: Erwachsene: 3,50 ¿, ermäßigt: 2,10 ¿, Familienkarte: 8 ¿
www.industriemuseum.de




Pressekontakt:
Markus Fischer Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org



Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.



Foto zur Mitteilung
In einem alten Bergarbeiterhaus wurde die türkische Gebetskette gefunden. Die Bewohner hatten sie über den Türrahmen in der Küche gehängt.
Foto: LWL



Die gezeigten Fotos stehen im Presseforum des Landschaftsverbandes zum Download bereit.



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