URL dieser Seite: https://www.lwl.org/pm13289
Presse-Infos | Der LWL
Mitteilung vom 08.11.02
Auf dem Weg ins neue Museum
Eine Glashütte wird transparent
Gernheim (lwl). Ein Archäologe buddelt zerbrochene Vasen aus, antike Gebäude oder Jahrtausend alte Skelette. Oft aber ist die Arbeit der Wissenschaftler auch überraschend zeitnah: Die Industriearchäologie, ein recht neuer Zweig des Faches, kümmert sich um die mittlerweile versunkenen Relikte der Industriegeschichte, vor allem aus der Frühzeit der Industrialisierung.
Ein Beispiel für die Industriearchäologie findet sich in Gernheim (Kreis Minden-Lübbecke), wo von 1812 bis 1877 eine der bedeutendsten Glasfabriken in Nordwestdeutschland mit zeitweilig über 250 Mitarbeitern Sand, Pottasche und Kalk zu Glas verarbeitete. Als Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) 1985 die Grundmauern des Schmelzofens freilegten, entdeckten sie im Turm der Glashütte einen kompletten Schmelztiegel mit geschmolzener Glasmasse. Das Gefäß aus feuerfestem Ton findet nun als Leihgabe des Westfälischen Industriemuseums seinen Platz im neuen Westfälischen Museum für Archäologie, das der LWL Ende März nächsten Jahres in Herne eröffnen wird.
Dr. Sven Spiong, Archäologe beim Landschaftsverband, betreut die Präsentation des knapp eine Tonne schweren Tiegels. "Wir stellen ihn in einer Bodenvitrine in einer Grabungslandschaft aus, verkleidet mit Glas." In dem tönernen Tiegel ist die Glasmasse noch so zu sehen, wie sie die Ausgräber fanden. "Bis zu 30 Personen arbeiteten damals an einem solchen bis zu 1400 Grad heißen Schmelzofen", berichtet Spiong von der harten Arbeit der Glasmacher.
In den Tiegeln schmolzen die Hüttenarbeiter das Rohstoffgemenge zur zähflüssigen Glasmasse. Mit einer Pfeife - einem langen dünnen Rohr - wurde die heiße Masse dem Ofen entnommen, aufgeblasen und beispielsweise zu Gläsern oder Flaschen geformt. Diese traditionelle Arbeit ist als Schauproduktion, jedoch mit neuer Ofentechnik, heute wieder in der Glashütte Gernheim zu sehen. Neben dem kegelförmigen Glashüttenturm von 1826 sind in dem Fabrikort aus dem frühen 19. Jahrhundert zwei Arbeiterhauszeilen, das Fabrikantenwohnhaus, die Verwalterei, das Wirtshaus sowie die frühere Korbflechterei mit der Fabrikschule zu besichtigen.
Um den historischen Schmelzofen zu rekonstruieren, nutzten die Industriearchäologen die ausgegrabenen Mauern, alte Baupläne und zeitgenössische Fachliteratur. Bei den Grabungsarbeiten legten die Wissenschaftler unter dem Turm der Glashütte auch den ehemaligen Schürgang frei, der zur Entsorgung der Asche und der Luftzufuhr des Ofens gedient hatte. Die Forscher dokumentierten ihre Funde, glichen sie mit zeitgenössischen Darstellungen der Hütte auf alten Aquarellen und mit den erhaltenen Grundrissplänen von Gernheim aus dem 19. Jahrhundert ab. "Die Aufzeichnungen sind eher spärlich", sagt Michael Funk, Leiter der LWL-Glashütte Gernheim. "Die Archäologen brauchen wir, um die Zeit der frühen Industrialisierung transparenter zu machen."
Ende März 2003 wird der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) sein neues Archäologiemuseum in Herne eröffnen. In den folgenden Wochen weisen wir auf eine Reihe von interessanten Exponaten hin, die sich auf die Reise in die neue Ausstellung über 250.000 Jahre westfälischer Geschichte machen.
Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, Telefon 0251 591-235
presse@lwl.org
Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
Das Presseforum des Landschaftsverbandes im Internet: https://www.lwl.org/pressemitteilungen