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Presse-Infos | Der LWL
Mitteilung vom 24.08.04
Sauerkraut mit Speck aus dem Henkelmann
WIM-Ausstellung zeigt zum Jubiläum ¿Schätze der Arbeit"
Dortmund (lwl). Mit einer großen Ausstellung feiert der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in diesem Jahr das 25-jährige Bestehen des Westfälischen Industriemuseums (WIM). Mehr als 250.000 Objekte hat das Museum in dieser Zeit zusammengetragen - ein Gedächtnis der Region: Die Objekte liefern einmalige Einblicke in die Arbeits- und Alltagsgeschichte der Industrialisierung. Das Spektrum reicht vom Abortkübel bis zur Dampflok, von der Glasmacherpfeife bis zum Henkelmann. Nur ein Bruchteil der Stücke ist normalerweise in den Dauerausstellungen an den acht Standorten des Museums in Bocholt (Kreis Borken), Bochum, Dortmund, Hattingen (Ennepe-Ruhr-Kreis), Lage (Kreis Lippe), Petershagen (Kreis Minden-Lübbecke), Waltrop (Kreis Recklinghausen) und Witten (Ennepe-Ruhr-Kreis) für die Öffentlichkeit zugänglich. Zum Jubiläum packt das WIM sein Lager aus und zeigt in der Zentrale auf der Zeche Zollern II/IV in Dortmund rund 500 ¿Schätze der Arbeit". In einer Serie stellt der LWL die originellsten, ältesten und bedeutsamsten Exponate der Ausstellung vor.
Ikone der Industriearbeit: Der Henkelmann
Noch in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es ein gängiges Bild: der Arbeiter mit dem Henkelmann in der Hand, jenem tragbaren Essgeschirr aus Emaille oder Aluminium, in dem sich das Mittagessen befand. Heute ist der Henkelmann kaum noch zu sehen. Kantinen und Grillbuden haben den treuen Begleiter des arbeitenden Mannes nahezu verdrängt. Früher jedoch war er der Inbegriff der Verpflegung fernab vom heimischen Herd.
¿Ein wesentliches Phänomen der Arbeit im Industriezeitalter war die Trennung von Arbeitsstelle und Wohnort. Viele Arbeiter verließen früh am Morgen die Wohnung und kehrten erst am späten Abend wieder zurück", erklärt Dietmar Osses, Leiter des Westfälischen Industriemuseums Zeche Hannover in Bochum. Die Kontrolle in den Fabriken durch Pförtner und Stechuhren und das immer mehr an Bedeutung gewinnende Phänomen ¿Zeit" erlaubten den Arbeitern nur kurze Pausen. Die Zeit reichte oftmals nicht aus, um das Mittagessen zu Hause einnehmen zu können. Hinzu kam das rasante Wachsen der Städte, das die Wege zur Arbeit immer weiter verlängerte. Während 1790 in Dortmund 4.500 Menschen lebten, hatte die Stadt 100 Jahre später 110.000 Einwohner.
Mit dem Henkelmann übernahm die Hausfrau die Aufgabe, trotz weiter Wege und kurzer Pausen den Mann mit Selbstgekochtem zu versorgen, was zu der Zeit einen hohen Stellenwert hatte. Nicht alle Gerichte passten in den Henkelmann oder ließen sich problemlos wieder aufwärmen. Beliebt waren Eintopfgerichte, Suppen oder ¿durcheinander" gekochtes Gemüse mit einer kräftigenden Fleischeinlage. Bei der Auswahl und Zubereitung war die Phantasie der Frauen gefragt. Und davon abhängig die Gunst des Mannes: Wenn der Mann mittags seinen Henkelmann öffnete, wurden die Ehefrauen entweder beschimpft oder gelobt. Dreimal die Woche Sauerkraut mit Speck: Das wollte kein schwer körperlich arbeitender Mann essen. Die Gerichte mussten also variieren, gleichzeitig immer schmackhaft und nahrhaft sein. Zudem noch nett angerichtet - und das alles in einer Blechbüchse. Keine dankbare Aufgabe für die zu Hause schuftenden Frauen.
Aufgewärmt wurden das Essen und der Kaffee in Wasserbehältern auf einem Ofen. Dafür waren oft die Lehrlinge zuständig, die sich dabei auch schon mal ein Wurstende mopsten. War das Essen warm, nahmen die Arbeiter die Mahlzeit oft auf Klappbänken zwischen den Maschinen ein. Nur wenn der Fußweg zur Fabrik nicht allzu weit war, brachten die Ehefrauen, Mütter oder auch die Kinder die Henkelmänner pünktlich zur Mittagspause, wenn die Werkssirene erklang. Die Männer kamen dann in den Genuss eines frischgekochten Essens, das mit Zeitungspapier warm gehalten wurde.
Erst als immer mehr Kantinen entstanden, Imbissautomaten aufgestellt wurden und sich schließlich auch die Arbeitszeiten in der Industrie verkürzten, verschwanden die Henkelmänner nach und nach aus dem Alltag der Arbeiter. Wie beliebt der Henkelmann einmal war, zeigt ein Spottlied auf Kaiser Wilhelm II. Als dieser 1918 abdankte und in die Niederlande ins Exil ging, sang man ihm im Ruhrgebiet nach: ¿O Tannenbaum, O Tannenbaum / der Kaiser hat in'n Sack gehau'n. / Da kauft er sich 'nen Henkelmann / und fängt bei Krupp in Essen an!"
Schätze der Arbeit
25 Jahre Westfälisches Industriemuseum
20. Juni bis 12. September 2004
Zeche Zollern II/IV, Grubenweg 5,
Dortmund-Bövinghausen
Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr
Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, Telefon 0251 591-235
presse@lwl.org
Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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