[WestG] [KONF] Tagungsbericht: Vom Nutzen der Staedteatlanten, 26./27.02.2007, Muenster

Alexander Schmidt Alexander.Schmidt at lwl.org
Di Jun 5 11:36:10 CEST 2007


Von: "Institut für vergleichende Städtegeschichte" <istg at
uni-muenster.de>
Datum: 04.06.2007, 14:18


TAGUNGSBERICHT

Vom Nutzen der Städteatlanten.
Vier Jahrzehnte Atlasarbeiten in Europa

37. Frühjahrskolloquium
des Instituts für vergleichende Städtegeschichte  IStG  gGmbH 
in Münster in Verbindung mit der
Atlas-Group der Commission Internationale pour lHistoire des 
Villes, 26.-27. Februar 2007


Die Stadt ist als Forschungsobjekt in verschiedenen 
wissenschaftlichen Disziplinen, der Geschichtswissenschaft 
ebenso wie der Historischen Geographie und der Soziologie, aber 
auch in der Kunst- und Literaturgeschichte, seit langem 
etabliert. Das 1970 gegründete Institut für vergleichende 
Städtegeschichte (IStG) in Münster ist eine der wenigen 
Forschungseinrichtungen, in denen die vergleichende 
Städteforschung mit multidisziplinärem Ansatz 
institutionalisiert ist. Im Rahmen seiner alljährlichen, 
international besetzten Frühjahrstagung hat das IStG in diesem 
Jahr unter dem Titel Vom Nutzen der Städteatlanten. Vier 
Jahrzehnte Atlasarbeiten in Europa eingeladen, eine Bilanz der 
Arbeiten am Europäischen Städteatlas zu ziehen, an dem es von 
Beginn an mit zwei Projekten, dem Deutschen Städteatlas / 
Deutschen Historischen Städteatlas und dem Westfälischen 
Städteatlas, beteiligt ist und die seit jeher einen Schwerpunkt 
seiner Grundlagenforschung bilden.

Der von der Commission Internationale pour l Histoire des Villes 
(CIHV) koordinierte Europäische Städteatlas wurde 1965 unter 
maßgeblicher Initiative des Gründers und ersten Direktors des 
IStG, Heinz Stoob, ins Leben gerufen. Ziel der Atlasarbeit ist 
es, der Forschung europaweit historisches Kartenmaterial zur 
Verfügung zu stellen, das, mit gleichen Maßstäben und nach 
gleichen Richtlinien ediert, geeignet ist, als einheitliche 
Quellengrundlage für vergleichende Studien besonders der 
Siedlungsentwicklung zu dienen. Wichtigster Kern des 
Kartenkanons der Städteatlanten ist der Grundrissplan (1:2500), 
der als eine Neuzeichnung der ersten exakten und 
parzellengenauen Vermessung, in der Regel aus den 1820er bis 
1860er Jahren, in jedem Teilprojekt zur Verfügung gestellt wird. 
Es handelt sich beim Europäischen Städteatlas damit um ein 
Großprojekt, dessen konkrete Arbeit in Teilprojekten auf 
nationaler oder regionaler Ebene geleistet wird. Die Vernetzung 
der Bearbeiter und Herausgeber der verschiedenen Projekte und 
die Diskussion der oft unterschiedlichen Ansätze, Methoden und 
Probleme ist daher eines der Kernanliegen des IStG. Schon im 
Vorfeld der Tagung waren deshalb in der Bibliothek des Instituts 
die bisher erschienenen Atlasmappen, die hier von Beginn an 
gesammelt werden und in wohl einzigartiger Vollständigkeit 
vorliegen, für die Tagungsteilnehmer zur Information und 
Benutzung ausgelegt. Neben der Sitzung des Beirates und des 
Kuratoriums für vergleichende Städtegeschichte traf sich am 
Rande der Tagung auch die Atlas-Sektion der CIHV zum Gespräch.

Nach einer kurzen Einführung des wissenschaftlichen Vorstands 
des Städteinstituts, Peter Johanek, war der erste Tag in erster 
Linie allgemeinen Beiträgen zum Thema gewidmet, während am 
zweiten Tag einzelne Teilprojekte detailliert vorgestellt und 
spezifische methodische Probleme diskutiert wurden. Anngret 
Simms unterzog zunächst die Rezeption der Städteatlanten in den 
verwandten Disziplinen einer kritischen Würdigung. Diese sei 
trotz des sogenannten spatial turn in den Kulturwissenschaften, 
der aktuellen Hinwendung zu Fragen des Raums, bisher nur in 
geringem Maße erfolgt. Besonders gälte dies für die Archäologie. 
Den Grund dafür suchte sie vor allem in der eigenen Disziplin, 
die in der Frühzeit eine ihrer methodischen Prämissen allzu 
unkritisch als Axiom akzeptiert habe: gemeint war die von Erich 
Keyser und Heinz Stoob nachdrücklich vertretene These, dass der 
in den Städteatlanten edierte Katasterplan des 19. Jahrhunderts 
alle Phasen der Siedlungsentwicklung und auch die ursprünglichen 
Siedlungskerne zeige. Die planmäßige Anlage von Städten, die im 
Grundrissplan so oft feststellbar sei, täusche indes darüber 
hinweg, dass die Entwicklung auch solcher Städte mit scheinbar 
eindeutigem Grundrissbild oft kompliziert und mehrphasig 
verlaufen sei. Der Grundrissplan gebe also lediglich den 
Endpunkt einer Entwicklung wieder, wie z.B. die Ergebnisse der 
archäologischen Forschung für Lübeck zeigten. Die Vorstellung 
der älteren Forschung, dass ein Modellplan, der in Westeuropa 
entwickelt wurde, bei der Anlage von Städten in andere 
Landschaften, vor allem in Osteuropa und Irland, schematisch 
übertragen worden sei, bedürfe einer Revision. Anhand der 
Beispiele Oppole und Wroc?aw führte Simms eindrücklich vor, wie 
unterschiedlich die Interpretationen des Wachstums dieser Städte 
mit und ohne die Einbeziehung archäologischer Ergebnisse 
ausfalle und plädierte nachdrücklich dafür, diese Art von 
Quellen ebenso wenig unberücksichtigt zu lassen wie die 
differenzierte Modellbildung der Archäologen.

Anschließend gab Howard Clarke einen konzisen Überblick über die 
Methodik der Atlasarbeit nach den maßgeblich von Heinz Stoob 
erarbeiteten Vorgaben der CIHV, die den Standard und gemeinsamen 
Nenner der unterschiedlichen europäischen Städteatlasprojekte 
darstellten. Dazu gehörten die Neuzeichnung der Karten der 
ältesten exakten und parzellengenauen Vermessung der Stadt 
(1:2500), meist in Vierfarbdruck, eine moderne Stadtkarte 
(1:5000), eine interpretierende Karte, die die 
Entwicklungsphasen der Stadt darstellt (1:2500 oder 1:5000), 
Umlandkarten (1:25000), aber auch thematische Beikarten (z.B. 
zur Sozialtopographie) und die Reproduktion von weiterem 
Material (Altkarten, Luftbilder usw.). Dabei gemahnte er 
ausdrücklich an die Komplexität der mentalen Prozesse, die mit 
der Ver- und Entschlüsselung von Informationen in 
kartographischer Form einhergingen, und die er mit dem 
komplementären Begriffspaar construction und deconstruction 
charakterisierte. Auch grundlegende Hindernisse der Atlasarbeit, 
wie Probleme bei der Darstellung besonders großer Städte, den 
großen Arbeitsaufwand, die Quellenüberlieferung und schließlich 
die oft niedrigen Verkaufszahlen wurden angesprochen.

Im Rahmen des öffentlichen Abendvortrags skizzierte Ferdinand 
Opll das Gesamtprojekt des Europäischen Städteatlas. Ausgehend 
von der wachsenden Bedeutung der Stadt für das heutige Leben und 
der Geschichte der Darstellung urbaner Räume in Bild und Karte 
beschrieb er die wesentlichen Entwicklungsschritte des 
Europäischen Städteatlas seit den Anfängen des Niedersächsischen 
Städteatlas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die 
daran beteiligten Institutionen. Gewürdigt wurde dabei die auf 
gemeinsamen Grundlagen aufbauende methodische und inhaltliche 
Vielfalt der mithin in 17 Ländern arbeitenden Teilprojekte, 
deren Publikationsvolumen die von Hektor Ammann ursprünglich 
avisierten vierhundert Stadtmappen mittlerweile bereits 
überschritten habe. Der Ausblick galt der Nutzung neuer 
elektronischer Medien für die Publikation der Atlasarbeit und 
dem künftigen Beitrag Ungarns für das Gesamtprojekt.

Am folgenden Tag gab Marc Hennessy einen Einblick in jene 
Forschungsfelder, die die Städteatlanten für die Historische 
Geographie eröffnen. Dabei ging es dezidiert nicht um die 
Interpretation der kartographischen Quellen des 19. Jahrhunderts 
im Hinblick auf die Morphogenese des Stadtgrundrisses von den 
Anfängen seiner Entwicklung. Vielmehr stellte er die Frage, was 
die Karten über die Zeit ihrer Entstehung, das 19. Jahrhundert, 
aussagen können. Vor dem Hintergrund der Theorien P. Bourdieus, 
M.R.G. Conzens und M. Foucaults zeigte Hennessy den im 19. 
Jahrhundert zunehmenden staatlichen Einfluss, der sich auch auf 
die Gestaltung der irischen Städte auswirkte und stellte 
vergleichend Beispiele des Kontinents (Wroc?aw/Breslau, 
Kaldenkirchen) gegenüber. Anhand einzelner Beispiele wie der 
Kleinstadt Trim im ostirischen County Meath zeigte Hennessy die 
verschiedenen Formen staatlicher Einflussnahme (ökonomisch, 
kulturell, symbolisch, sicherheitstechnisch) auf die Entwicklung 
der Städte und veranschaulichte die Auswirkungen des 
zentralstaatlichen, von der Hauptstadt ausgehenden Engagements 
mit dem Bau von Postgebäuden, öffentlichen Schulen, Gefängnissen,
Militäreinrichtungen, Wirtschaftsgebäuden usw. Am Beispiel 
anderer irischer Städte (z.B. Downpatrick, County Down, 
Nordirland) stellte er dar, wie ganze Stadtteile durch diese 
staatliche Bautätigkeit neu geschaffen wurden und, dominiert von 
den neuen Institutionen, sich nicht organisch mit der 
bestehenden Stadt verbanden, sondern, additiv und separat, 
Zusätze und Erweiterungen zu den bestehenden Strukturen 
bildeten. In der anschließenden Diskussion wurde der Wert der 
Städteatlanten als Quellenbasis für weiterführende Forschungen 
dieser Art übereinstimmend sehr hoch veranschlagt. Erörtert 
wurde auch, dass die vergleichbare Entwicklung auf dem Kontinent 
bereits frühzeitiger als in Irland eingesetzt habe.

Das Referat von Derek Keene stellte mit dem British Atlas of 
Historical Towns jenes Teilprojekt vor, mit dem die lange Reihe 
von Atlas-Publikationen der CIHV im Jahr 1969 eröffnet worden 
war. Erschienen sei bisher eine Auswahl an Städten 
unterschiedlicher Typen (Burgstadt, Kathedralstadt, regionales 
Zentrum), darunter auch die beiden Metropolen Glasgow und 
London. Besonders der Fall London zeige die Probleme der 
britischen Konzeption, zumal die Main Map (1:2500), die älteste 
edierte Grundrisskarte, über acht einzelne Seiten des gebundenen 
Werkes verteilt ist, was die Benutzung deutlich erschwere. Der 
dem Atlas beigefügte Gazetteer, der die Informationen der Karte 
aufschlüsseln soll, sei hier ebenfalls sehr umfangreich. 
Allgemein sei die Quellenlage in Großbritannien, die auf dem 
Ordnance Survey im späten 19. Jahrhundert beruht, nicht 
einheitlich. Gelegentlich fehlten z.B. die Begrenzungen der 
Besitzeinheiten, da die Karten nicht aus fiskalischen Gründen 
angefertigt wurden. Die britischen Herausgeber planten, in den 
folgenden Blättern in Bearbeitung sei derzeit Winchester den 
Beikarten und Reproduktionen mehr Raum zu geben.

Aus seinen Erfahrungen in der Arbeit am Historischen Atlas der 
polnischen Städte berichtete Roman Czaja über editorische 
Probleme bei der Erstellung der Grundrisskarte (1:2500). 
Zunächst erinnerte er an die unterschiedlichen Auffassungen in 
der Frage, ob die Neuzeichnung der Grundrisskarte als kritische 
Edition (E. Ennen) oder als Rekonstruktion (British Atlas of 
Historic Towns) anzusehen sei und verortete die eigene Arbeit 
eher im Bereich der Rekonstruktion. Die Quellenlage sei, bedingt 
durch die historischen Teilungen des polnischen Staatsgebiets, 
sehr uneinheitlich. Während im Norden und Westen die 
Überlieferung der preußischen Katasterämter (ca. 1861-65) gut 
sei, bereite aufgrund von zum Teil kriegsbedingten Zerstörungen 
vor allem Ostpreußen erhebliche Schwierigkeiten. Das 
Quellenmaterial befinde sich, wie Recherchen seit den 1990er 
Jahren gezeigt hätten, zudem in ganz unterschiedlichen 
Institutionen: in den Staatsarchiven, aber auch den kommunalen 
Stellen oder in Museen. Für die polnischen Grundrisskarten, die 
ohne Nummerierungssystem und Nachträge, aber unter Addierung von 
Höhenlinien neugezeichnet werden, würden bisweilen auch 
vorhandene vorkatasterzeitliche Karten verwendet, wie 
beispielsweise die Flurkarten (1:500 bzw. 1:1000) für die Stadt 
Elbla;g/Elbing. Während der Erhaltungszustand der Katasterkarte 
in Malbork/Marienburg so schlecht sei, dass sie hier lediglich 
als Grundlage für die Entwicklungsphasenkarte verwendet werden 
konnte, sei die betreffende Karte für Schwetz in der Mitte des 
19. Jahrhunderts ganz abhanden gekommen, so dass man sich mit 
späteren Karten habe behelfen müssen.

Wie weit zurück reichen die Informationen, die der Katasterplan 
liefert? Dieser Frage ging Katalin Szende in ihrem Vortrag nach. 
Sie konnte deutlich machen, dass die in der Regierungszeit 
Josephs II. (König von Ungarn 1780-90) begonnenen und im 19. 
Jahrhundert fortgeführten Kartierungen in Österreich-Ungarn zwar 
eine gute Ausgangslage für die Forschung bildeten, die Karten 
aber nur in begrenztem Umfang vorhergehende Zeiträume 
erschließbar machten. Anhand der Beispiele Sopron (Oedenburg), 
Györ (Raab) und Buda ging sie speziell auf die Wichtigkeit der 
archäologischen Forschung für die historische 
Grundrissinterpretation ein. Die Grabungen der Archäologen, 
besonders die Erforschung der Keller in der Stadt, hätten z.B. 
gezeigt, dass oftmals die Hausgrundrisse des 18. und 19. 
Jahrhunderts nicht mit den mittelalterlichen übereinstimmten. 
Aber auch die Überbauung von Marktplätzen, die Niederlegung oder 
Umwandlung von Teilen der Stadtbefestigung und andere 
Veränderungen, wie die Verbreiterung oder Neuanlage von Straßen, 
hätten häufig das Stadtbild zu stark verändert, als dass die 
Grundrisspläne alleine sichere Rückschlüsse ermöglichen würden. 
Sogar große und markante Teile der Bebauung, wie wichtige 
Straßenverläufe oder Tore, seien erst durch die archäologischen 
Untersuchungen bestimmbar geworden. Die anschließende, sehr 
vielseitige Diskussion des Vortrags bestätigte die Ergebnisse 
Szendes und erweiterte durch Fragen z.B. nach dem 
Straßennamensystem, nach Art und Umfang der Einbeziehung von 
Ergebnissen der historischen Bauforschung und der damit 
verbundenen Problematik der zweidimensionalen Darstellungsweise 
der Atlanten das Spektrum.

Mirela Slukan Altics Vortrag resümierte die bisherigen Wege der 
kroatischen Atlasforschung und ihren aktuellen 
Entwicklungsstand. Sie zeigte die Gestaltung und den Aufbau der 
einzelnen Atlanten und machte auf die Vielzahl von Problemen 
politischer, wirtschaftlicher und organisatorischer Natur 
aufmerksam, vor welche die historische Atlasarbeit in Kroatien 
gestellt ist. Die gebundenen kroatischen Städteatlanten 
bestünden zunächst aus einem äußerst umfangreichen Textteil mit 
Bibliographie, in den thematische Beikarten zur physikalischen, 
historischen oder ökonomischen Entwicklung und verschiedene 
Verbreitungskarten, vor allem aber alte Fotografien, Postkarten 
und Kartenreproduktionen eingearbeitet seien. Ziel sei hier 
nicht nur die historische Analyse, sondern auch die 
Bestandsaufnahme der in der Balkanregion besonders gefährdeten 
historischen Bausubstanz im Sinne einer Denkmaltopographie. 
Besonderes Augenmerk sei bei den Arbeiten auf interdisziplinäre 
Forschung gelegt worden, vor allem auf die Einbeziehung der 
Archäologie und die historische Bauforschung. Dem Textteil folge 
dann der Kartenteil, in dem die kartographischen Quellen als 
Farbreproduktionen, z.T. mit vergrößerten Detailaufnahmen, 
wiedergegeben werden. Beigefügt seien hier Bildunterschriften in 
Englisch, um auch der ausländischen Forschung die Benutzung zu 
ermöglichen. Seit dem dritten Band sei zusätzlich die älteste 
parzellengenaue Vermessung des Stadtgrundrisses nach den 
Vorgaben der CIHV als loses Kartenblatt mit englischen 
Straßennamen enthalten. Der zweite Teil des Vortrags zeigte 
verschiedene Probleme der kroatischen Atlasarbeiten auf, 
besonders die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und des 
Balkankriegs in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Nicht 
nur historische Bausubstanz, sondern auch historische Quellen 
seien in großem Umfang vernichtet worden. Weitere gewichtige 
Probleme seien die fehlenden oder nur sehr schlecht 
dokumentierten archäologischen Ausgrabungen und die weite 
Zerstreuung des schriftlichen Quellenmaterials, das oft in 
verschiedenen Archiven anderer Länder zu finden sei.

Marjatta Hietala stellte die finnischen Atlasarbeiten, die als 
Teil des 1973 ins Leben gerufenen Skandinavischen Städteatlas 
erscheinen, in ihren forschungsgeschichtlichen Kontext und 
erläuterte die wichtigsten Charakteristika dieses Projekts. Die 
Arbeiten an dem Skandinavischen Städteatlas, der alle nordischen 
Länder umfassen soll, seien mit dem Ziel begonnen worden, 
Atlanten zu einer festen Anzahl von Städten aus jedem Land zu 
publizieren. Die Umsetzung sei inzwischen unterschiedlich weit 
gediehen, wobei lediglich Norwegen noch keinen Städteatlas 
vorzuweisen habe. Im Weiteren stellte Hietala, hauptsächlich 
anhand der drei bislang erschienenen finnischen Städte Turku, 
Borgå und Kokkola und der aktuellen Bearbeitung von Helsinki, 
die Charakteristika des skandinavischen Städtewesens und die 
Besonderheiten der Bearbeitung dar. So seien die Städte fast 
durchweg königliche Gründungen, relativ klein und fast 
ausschließlich aus Holz errichtet. Nur wenige Beispiele reichten 
mit ihrer Geschichte bis ins Mittelalter zurück, zudem sei jede 
Stadt mindestens einmal durch Brand zerstört worden daher die 
Entscheidung, auch Informationen über die Feuerverordnungen in 
den Städten mit aufzunehmen. Von Beginn an habe, neben der 
Bereitstellung der kanonischen Karten, besonderes Gewicht auf 
der Arbeit an thematischen Karten zur Sozialtopographie und zur 
Baugestalt der Häuser sowie auf Reproduktionen alter Fotografien 
von Einzelobjekten gelegen.

Das Verhältnis zwischen der topographisch arbeitenden 
Städteforschung und der archäologischen Stadtkernforschung wurde 
in einem Doppelvortrag aus beiden Perspektiven dargestellt. Der 
Historiker Peter Johanek bemerkte zunächst, dass der Höhepunkt 
interdisziplinären Arbeitens allgemein und zwischen Archäologie 
und Geschichtswissenschaft im Besonderen in den 1960er Jahren 
gelegen habe, seither jedoch eine Stagnation eingetreten sei. 
Johanek bezog zunächst die Position, dass der Grundrissplan 
einer Stadt durchaus historisch interpretierbar sei und sein 
Gesamtbild bzw. einzelne seiner Elemente bestimmten 
Entwicklungsphasen zuzuordnen seien. Die Editionsarbeit der 
Städteatlanten bilde dafür die Basis. Anhand der Beispiele 
Warburg, Ulm, Rottweil und Paderborn hob er indes auch hervor, 
dass die archäologische Forschung Interpretationen, die 
lediglich auf dem Stadtgrundriss beruhen, habe revidieren 
können. Es müsse daher in jedem Einzelfall geprüft werden, 
inwiefern das Grundrissbild zuverlässige Aussagen ermögliche. Am 
Beispiel der Marktplätze von Prag, C(eské Bude(jovice/Budweis 
und Soest zeigte er sodann, dass die Interpretation von 
Stadtgrundrissen aller verfügbarer Quellen bedürfe: So gäbe 
lediglich eine Urkunde Karls IV. Auskunft darüber, dass der 
Markt von Budweis im 14. Jahrhundert, da sich hier Marktbuden 
verfestigt hatten, kein unbebauter Platz mehr gewesen sei, 
während die archäologische Forschung zeigen konnte, dass der 
Marktplatz von Soest seine heutige große Gestalt erst im 19. 
Jahrhundert erhalten habe. Abschließend hob Johanek die 
Vorreiterrolle des Westfälischen Städteatlas hervor, dessen 
Blatt Höxter/Corvey von Historikern und Archäologen gemeinsam 
erstellt worden sei. Die Archäologin Barbara Scholkmann betonte 
in ihrem anschließenden Referat, dass die beiden Disziplinen die 
gemeinsame Fragestellung nach der topographischen Entwicklung 
von Städten aus unterschiedlichen Blickwinkeln bearbeiteten: 
Während die Stadtarchäologie die Städte jeweils individuell 
betrachte, gehe die Städteforschung vergleichend vor. 
Grundsätzlich beurteilte sie die Städteatlanten positiv, schloss 
sich dabei aber dem Urteil Johaneks an, dass genau überprüft 
werden müsse, welche Elemente des Grundrissplans jeweils wie alt 
seien. Ausführlich führte sie vor, in welcher Weise die neueren 
archäologischen Grabungsergebnisse in Städten wie Braunschweig, 
Freiburg/Breisgau, Lübeck und Tübingen die bisherigen 
Interpretationen modifizieren konnten, die rein auf historischen 
Quellen und Karten basierten. Für ihre Arbeit sei, über die 
Benutzung von Städteatlanten hinaus, der Zugriff auf die 
Originale der kartographischen Quellen unerlässlich.

Den Abschluss der Tagung bildete das Plädoyer Wilfried Ehbrechts,
 verstärkte Anstrengungen zur Erstellung von Verbreitungskarten 
zu unternehmen. Diese zentrale Aufgabe auch im Rahmen der 
Städteatlanten zu verfolgen, sei zugunsten von 
Einzelinterpretationen vernachlässigt worden. Dabei liege gerade 
hier die Möglichkeit, Einzelergebnisse im Vergleich abzusichern, 
miteinander in Beziehung zu setzen sowie, über die 
Interpretation der Verbreitung, neue Fragestellungen zu finden. 
Anhand der Leere der friesischen Küstenregion in älteren 
Verbreitungskarten zur Stadtentstehung legte er anschließend dar,
 wie typologische Vorentscheidungen das Kartenbild beeinflussen, 
und schlug vor, in dieser Gegend nach einem bisher nicht 
erfassten Stadttyp, der landesgemeindlichen Stadt, zu suchen. 
Anhand der Arbeiten Heinz Stoobs, Carl Haases und Hektor Ammanns 
erörterte Ehbrecht dann das methodische Problem der 
Periodisierung von Stadtentstehungsschichten, wobei er sich 
zugunsten der überregionalen Vergleichbarkeit für absolute 
Zahlen im Jahrhundert- oder Halbjahrhundertrhythmus aussprach. 
Bei den Darstellungsräumen und Maßstäben dagegen müssten aus 
pragmatischen Gründen kleinräumige Lösungen akzeptiert werden. 
Besonders ging er auf die im Institut für vergleichende 
Städtegeschichte erarbeitete Kartenserie zur Stadtentstehung 
ein. Als vielversprechende Möglichkeit, die den Karten zugrunde 
liegenden Quellen und Belege zugänglich zu machen, wurden die 
Vorteile elektronischer Datenbanken angesprochen, nicht ohne den 
Hinweis, dass eine reine Internetpublikation mit ständig 
aktualisierter Datenbank Gefahr laufe, die Vorläufigkeit der 
Ergebnisse zu perpetuieren. Inhaltlich sei ein breites Spektrum 
an Möglichkeiten auszuschöpfen (auch thematische Karten zu 
Stadterweiterungen, Terminologie, Rechtssymbolen, Bürgerkämpfen 
usw.). Defizite gäbe es vor allem noch in der Darstellung der 
Stadt des 19. und 20. Jahrhunderts.

In der Schlussdiskussion wurde die Bedeutung der Städteatlanten 
als eine städtegeschichtliche und städtebauliche Forschungs- und 
Wissensgrundlage hervorgehoben und die quantitativen und 
qualitativen Fortschritte der Arbeiten am Europäischen 
Städteatlas betont. Noch einmal wurden der für die Atlasarbeit 
grundlegende Dialog der unterschiedlichen Fachdisziplinen und 
die damit einhergehenden Schwierigkeiten thematisiert. Auch die 
Herausforderungen und Möglichkeiten, welche die neuen digitalen 
Medien für die Arbeit an den Städteatlanten und ihre Publikation 
bergen, wurden erörtert. Resümierend wurde festgehalten, dass 
die in den Städteatlanten nach wissenschaftlichen Maßstäben 
edierten historischen Karten in Zukunft neben morphogenetischen 
Fragestellungen noch stärker auch als Quellen für die 
Stadtgestalt des 19. Jahrhunderts heranzuziehen seien.


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