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Einleitung


Einleitung
Dietmar Schade: "Mit Sinnen" - ein Ausstellungsexperiment

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Andere Ausstellungskonzepte gehen auch vom erweiterten Objektbegriff aus und rücken neben der haptischen durchaus andere Wahrnehmungsmöglichkeiten ins Blickfeld, jedoch geht der konzeptionelle Ansatz unseres Ausstellungsprojektes "Mit Sinnen" in der Entwicklung einen Schritt weiter, indem er die Kombination der verschiedenen Wahrnehmungsmöglichkeiten in den Blick nimmt und diese multisensuale Erfahrung im Bezug auf das Kunstwerk in Anbindung an den erweiterten Objektbegriff nicht nur vielfältige Sinneserlebnisse bietet, sondern darüber hinausgehend – durch die Sinneserlebnisse angeregt – eine intellektuelle Auseinandersetzung mit den vorgestellten Exponaten ermöglicht.

Die Ausstellung "Mit Sinnen" bietet sowohl dem blinden als auch dem sehenden Publikum Gegenwartskunst, die in der Auswahl der Exponate die breite Palette der unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen ansprechen soll, ohne dass dabei einem der Sinne eine dominierende Position eingeräumt wird und zudem in der Verschränkung der verschiedenen Wahrnehmungswege ein Zusammenspiel verschiedenster Eindrucksphänomene ermöglicht wird, so dass der Komplexität der konzeptionellen Grundlagen der Kunstwerke entsprochen werden kann. Den trennenden Charakter vieler Ausstellungsprojekte, welche nur auf einen Wahrnehmungsweg festgelegt sind, sucht die Ausstellung "Mit Sinnen" gezielt zu vermeiden, indem sie auf dem Wege vielschichtiger Sinneserfahrung einen breiteren Zugang zu dem facettenreichen Aussagegehalt der einzelnen Kunstwerke erschließt. Vergisst doch der Ausstellungsbesucher bisweilen, dass er neben dem Sehsinn auch noch andere Sinne zur Verfügung hat, die nur nicht in gebührendem Maße sensibilisiert sind. Diese Sensibilisierung der Sinne hat sich z.B. das Projekt "Dialog im Dunkeln", das derzeit in Hamburg gezeigt wird, zum Ziel gesetzt13. Darüber hinaus möchte unser Projekt erreichen, dass blinde und sehende Besucherinnen und Besucher unterschiedslos die Exponate als eigenständige Kunstwerke wahrnehmen können, wobei sie auch durch Interaktion gemeinsam der hinter dem Kunstwerk stehenden Idee nachspüren können. Einige der Kunstwerke erfordern geradezu den Austausch über die unterschiedlichen Sinneserfahrungen von blinden und sehenden Besucherinnen und Besuchern sowie einen Dialog über die Aussageinhalte.

Die Sinneswahrnehmung in ihrem gesamten Spektrum soll zu dem hinter dem Kunstwerk stehenden Gedanken, der Idee zurückführen, so dass durch die Kombination der unterschiedlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten das Objekt seinen Aussagegehalt durch sich selbst preisgibt. Darüber hinaus kann bei einer Kombination unterschiedlicher Sinneswahrnehmungen eine neue Qualität der Wahrnehmung entstehen. Da Wahrnehmungen immer an Emotionen gekoppelt sind, vermögen diese als Katalysatoren im Verstehensprozess zu wirken.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine experimentelle Offenheit, die einerseits ein freieres Konzept der Ausstellung zulässt, und damit andererseits auch dem Künstler die Möglichkeit bietet, bei der Konzeption seiner Objektpräsentation autark zu agieren. Nicht auf eine Sachthemenillustration kommt es an, sondern darauf, durch das freie Kunstobjekt die Möglichkeit zu bieten, Assoziationsfelder anzustoßen und damit auf dem Weg der Sinneswahrnehmung den tragenden Gedanken des Kunstwerkes erkennbar zu machen.

Der freiere konzeptuelle Ansatz des Ausstellungsprojektes "Mit Sinnen" sowie die interessante Überlegung einer Verschränkung der verschiedenen Wahrnehmungsmöglichkeiten boten ein gutes Kapital, um Künstlerpersönlichkeiten zu gewinnen. Das kreative Potential der in dieser Ausstellung vertretennen Künstler wurde in zweierlei Weise aquiriert. Zunächst boten verschiedene Künstler durch Werke, die bereits in ihrer Anlage den Erfordernissen und Erwartungen unseres Ausstellungskonzeptes genügten, die Möglichkeit zu dokumentieren, dass der Gedanke eines multisensualen Kunsterfahrens bereits in der Gegenwartskunst Platz gegriffen hat. Zum anderen wollten wir junge Künstler hinzuziehen, deren bisheriges Œuvre erkennen ließ, dass sich ihr kreatives Potential im Rahmen unseres Ausstellungsprojektes als fruchtbringend erweisen würde.

Die Ausstellung "Mit Sinnen" hat darüber hinaus auch eine wichtige integrationspolitische Dimension. Durch ein speziell für diese Ausstellung entworfenes und gefertigtes Wegeleitsystem wird eine äußere Infrastruktur geschaffen, welche es blinden und hochgradig sehbehinderten Museumsbesucherinnen und Museumsbesuchern ermöglicht, sich selbstbestimmt im Ausstellungsraum orientieren zu können. Das Wegeleitsystem erschließt den Ausstellungsraum und seine Kompartimente mit Hilfe eines differenzierten Gebrauchs von Bodenbelägen sowohl im Hinblick auf die räumliche Grundstruktur, als auch auf die konkrete Positionierung des Objektbestandes. Einzelnen Exponaten werden besonders markierte Bodenflächen zugeordnet, mittels welcher sie signalisieren, dass die Besucherin/der Besucher eine Objektinsel betreten hat. Die Möglichkeit einer Rückorientierung zur generellen Leitlinie wird allerorts gewährleistet. Das Leitsystem zielt darauf ab, einerseits Orientierung im Ausstellungsraum zu ermöglichen, andererseits die Möglichkeit der Bewegungs- und Wahlfreiheit nicht einzuschränken. Das heißt, äußere Barrieren werden durch infrastrukturelle Maßnahmen beseitigt.14

Weiterhin erhalten die blinden und sehbehinderten Menschen einen uneingeschränkten Zugang zu den Inhalten der Ausstellung und allen verfügbaren Begleitinformationen. Die Exponate geben ihren Aussagegehalt durch sich selbst Preis und ermöglichen multisinnliche Kunsterfahrungen. Eine Audioführung bietet blinden und sehenden Museumsbesucherinnen und Museumsbesuchern wichtige Informationen zu den Ausstellungsobjekten15. Der Katalog in Gestalt eines elektronischen Datenträgers liefert Vertiefendes zu Ausstellung, Kunstwerken und Künstlern16.

In der Ausstellung "Mit Sinnen" können blinde und sehende Menschen gleichermaßen und unterschiedslos Gegenwartskunst erleben. Diese anspruchsvolle Gegenwartskunstausstellung mit einer klaren integrationspolitischen Zielsetzung ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu vollständiger Integration in das öffentlich kulturelle Leben und einer gleichberechtigten Teilhabe daran.

Diese Ausstellung konnte nur unter Mitwirkung vieler Institutionen und Einzelpersonen verwirklicht werden. Zunächst seien hier meine Arbeitsplatzassistentinnen, Frau Elizabeth Harding und Frau Eva Schmitsdorf, genannt, die mir bei der Abwicklung des Projektes hilfreich zur Hand gingen. Mein Dank gilt ferner allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Westfälischen Museumsamtes, die mir stets mit Rat und Tat freundlich zur Seite standen. Dem Kurator der Ausstellung "Mit Sinnen" und Verfasser dieses Textes ist es darüber hinaus ein besonderes Bedürfnis, sich herzlich bei allen, die einen Beitrag zum Gelingen dieses Projektes geleistet haben, zu bedanken, und dieser Dank gilt allen gleichermaßen. Hier alle namentlich aufzuführen würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Stellvertretend seien hier genannt Herr Ulrich Adlhoch, Herr Dr. Helmut Knirim, Herr Wilm Brepohl, Herr Thomas Wendling, Herr Prof. Dr. Max J. Kobbert, Frau Nicola Kochhafen, Herr Dr. Karl-Heinz Brosthaus, Frau Oda Gerlind Gawlik, Herr Volker Werner und Frau Christa Heistermann. Nicht zuletzt danke ich allen austellenden Künstlerinnen und Künstlern ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit in einer äußerst angenehmen Atmosphäre. 

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