[74]

Die Haidebraut


Maruschka
Laszlo
Laszlos Vater
Maruschkas Eltern.
Die Haide


Die Sterne klagen
Der Windhauch raunt
Woher? Wohin?
Du du? Ich Du  In D2 ist das Gedicht auf Mitte gesetzt


M o r g e n


In der Hütte Hütte] Hütte. D2 Durch Tür und Fenster leuchtet die Haide.
L a s z l o: Du gehörst zu mir!
M a r u s c h k a: ich gehöre zu niemand!
L a s z l o: mein Recht!
M a r u s c h k a: du hast kein Recht!
L a s z l o: dein Wort!
M a r u s c h k a: (haucht)
Laszlo (zieht das Messer): hüte dich!
M a r u s c h k a (nimmt einen Feuerbrand vom Herd): . . komm her!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
M a r u s c h k a: (nimmt die Milch vom Feuer und gießt sie um)
L a s z l o:  d e r  holt dich nicht!
M a r u s c h k a: wenn ich nicht will!
L a s z l o: du  w i r s t  nicht wollen!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
L a s z l o s  V a t e r (im Stuhl am Feuer): . . . ihr änderts nicht!
M a r u s c h k a (setzt dem Alten die Milch hin): du hast mir nie davon gesprochen . . . vor wieviel Jahren . . .?
L a s z l o s  V a t e r: ich zähl sie nicht!
M a r u s c h k a: . . wars Sommer . . Winter . . gar nichts . . . war Sonne . . Sturm . . .
L a s z l o s  V a t e r (rückt den Pfeifenstummel aus den Zähnen): . . das wechselt oft . . .
M a r u s c h k a: was war mein Kleid? . . was tat ich . .? lief ich . . sprach ich . . .?
L a s z l o s  V a t e r (trinkt): Kinder . . die nicht laufen . . nahm ich nie!
M a r u s c h k a: . . Kinder
L a s z l o s  V a t e r (trinkt und setzt sich zurecht)
M a r u s c h k a (setzt sich und starrt ins Feuer): . . . weißt du . . . daß ich sein Kind bin . .?
L a s z l o s  V a t e r: ich sah ihn nie!
M a r u s c h k a: . . . du sahst ihn nie . . .
L a s z l o s  V a t e r: . . er sah das Zeichen über deiner Braue . .
M a r u s c h k a (fährt mit der Hand langsam über die linke Augenbraue)
L a s z l o s  V a t e r:  d u  mußt es wissen!
M a r u s c h k a: . . . wer . . . muß . . .
L a s z l o s  V a t e r: dein Blut!
M a r u s c h k a (steht auf): . . . mein Blut . . .!? . . . mein Blut . .?! und doch hast du mich ihm geraubt . .?!
L a s z l o s  V a t e r: . . wir sind alle irgendwo geraubt . . . alle . . . und verlassen.
M a r u s c h k a: . . . . . . . .
L a s z l o s  V a t e r: nicht alle finden ihren Vater wieder
M a r u s c h k a: . . . er soll dich züchtigen!
L a s z l o s  V a t e r: . . . dein gütiger Vater . .
M a r u s c h k a: . . und darum hast du mich betrogen?! (reißt eine Lassopeitsche von der Wand)
L a s z l o s  V a t e r: ich habe dich hochgezogen! . . in der Haide!
M a r u s c h k a (peitscht den Alten auf mit schweren Schlägen): betrogen . . . betrogen . . .!
L a s z l o s  V a t e r (hält den Arm vor und flieht humpelnd durch die Türe)
L a s z l o (steht hohnlachend am Türpfosten)
M a r u s c h k a: du lachst . . .?
L a s z l o (den Pfeifenstummel zwischen den Zähnen): . . es schadt dem alten Hund nichts! (ergreift sie am Handgelenk und will sie an sich reißen)
M a r u s c h k a (windet sich kraftvoll los, springt zurück und hebt die Peitsche)
L a s z l o (greift lachend zum Messer): . . komm her!
M a r u s c h k a (läßt die Peitsche langsam sinken)
(atemloses Horchen)
L a s z l o (lacht kurz)
M a r u s c h k a: es reiten viele . . .!
L a s z l o: . . . er reitet nicht!
M a r u s c h k a (wirft sich auf den Boden und horcht)
L a s z l o (macht eine Bewegung zu ihr)
M a r u s c h k a (schnellt hoch): ich . . kenne diese Töne nicht!
L a s z l o (grinst): es fährt!
M a r u s c h k a: . . es fährt . . .  n i c h t!
L a s z l o: sein Wagen braucht keine Pferde.
M a r u s c h k a: . . . keine Pferde . .
L a s z l o: ihn treibt etwas, ich weiß nicht was
M a r u s c h k a: du sahst es . . .?
L a s z l o: . . ich sah es . . . jenseits der Haide . . . wo die großen EMENDATION:großen] große D1 Wege gehn . . . weit . . . in die Ferne . . . zu den Kuppeln und Türmen . . . zu den Lichtern in der Nacht
M a r u s c h k a: . . . . . . . . . .
L a s z l o: . . es jagt . . . und rattert . . . und knattert und wirbelt . . . (lacht auf und wirft die Pfeife in die Ecke)
M a r u s c h k a (krampft die Hände)
L a s z l o (versenkt die Hände in die Taschen)
M a r u s c h k a: . . . laß uns fliehen . . .!
L a s z l o (lacht auf und tritt zu ihr hin, weich) . . Maruschka
M a r u s c h k a (schlüpft an ihm vorbei)
L a s z l o (vertritt ihr die Tür): er kommt nicht bis her . . . die Haide verschlingt ihn denn . . . sein Wagen ist schwer . . . er muß zu Fuß gehen wie ich und du . . . er holt dich nicht! . . .
M a r u s c h k a: . . . er . . holt . . . mich . . nicht . .
E in  A u t o m o b i l (hält keuchend in der Ferne)
L a s z l o: . . . hörst du . . . es rattert . . . toll . . . rrrrrrr . . . . die Menschen dort . . . sie haben nicht Morgen und Mittag und Abend nicht . . . wenn die Sonne zeigt . . . sie kennen einander nicht . . . wild . . . durcheinander . . . der Himmel wölbt sich nicht . . . immer nur in Fetzen . . . Mauern . . . Winkel . . Wege . . . hart und voll Stein . . . kreuz und quer . . . du findst nicht durch!
M a r u s c h k a (zittert am ganzen Leibe): Vater . .
L a s z l o (lacht in sich hinein und geht hinaus): er holt dich nicht!
M a r u s c h k a (fährt hoch, schließt in wilder Hast die Tür und Fensterscheiben, schiebt Laden und Riegel vor, stürzt Schemel und Tisch dagegen, kauert nieder und stemmt sich krampfhaft gegen die Tür)
E in  p a a r  S o n n e n s t r a h l e n (zittern durch Spalten) . . . . (es klopft) . . .

M i t t a g

Vor der Hütte  Das schwere Rohrdach winkelt auf die Erde. Hohe Fliederbüsche grünen die Mauern. Maisfelder glühen zur Haide
D e r  V a t e r (klopft): dein Vater
M a r u s c h k a (innen): ich kenne dich nicht!
D i e  M u t t e r (klopft): deine Mutter
M a r u s c h k a: ich kenne dich nicht!
D i e  E l t e r n: du sollst uns kennen lernen!
D i e  M u t t e r: mach auf!
M a r u s c h k a: . . . dies ist mein Haus!
D i e  M u t t e r: . . . dein . . . Haus . . .
M a r u s c h k a: ich habs gerichtet . . ich habs gedeckt . . . geflickt . . .
D i e  M u t t e r (schaut zum Dach): du hasts gedeckt . . . .
D e r  V a t e r (rüttelt am Pfosten): es hält nicht Stand!
M a r u s c h k a: ich bin sicher hier vor Sturm und Wetter . . .
D i e  M u t t e r: bei uns nicht minder . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D e r  V a t e r: ich habe Schätze . . .
M a r u s c h k a: ich mag die Schätze nicht!
D i e  M u t t e r: ich liebe dich!
M a r u s c h k a: ich fürchte dich!
L a s z l o (sitzt auf der Brunnröhre, lacht hell auf, nimmt eine Flinte vor und schießt in das Maisfeld)
D i e  E l t e r n: . . . . . . . . .
M a r u s c h k a: . . . Laszlo!
L a s z l o (kommt aus dem Feld und lacht): . . ein Weih! (wirft den Vogel zu Boden und setzt sich wieder)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D e r  V a t e r (klopft): Mara . . .
D i e  M u t t e r (klopft): Maria . . .
L a s z l o (ruft): Maruschka!
M a r u s c h k a: nein!!!
D i e  M u t t e r (klopft)
M a r u s c h k a: ihr wollt mich aus meiner Haide holen . . .
D e r  V a t e r: . . wir wollen dich in einen Garten führen!
M a r u s c h k a: . . . was ist das . . einen Garten .?!
D i e  M u t t e r: ein Garten . . .
D e r  V a t e r: ein Garten . . .
D i e  M u t t e r: eine Haide . . . mit hohen . . . schattigen Bäumen . . . mit Wiesen . . . weich und kühl . . . Blumen . . . Rosen . . . oh . . . Blüten . . oh wundersame Düfte . .
M a r u s c h k a: meine Blumen duften auch . . ich will die euren nicht . . .
D e r  V a t e r: . . . du sollst nur haben . . was du willst . .
M a r u s c h k a: . . . so will ich bleiben . . .!
D i e  M u t t e r: . . . bleiben . . .
M a r u s c h k a: so bleibt  i h r!
D i e  M u t t e r: . . . wir . . .
D e r  V a t e r: . . wir müssen zur Heimat . . .
M a r u s c h k a: . . eure Heimat . . .?!
D i e  M u t t e r: . . unsere . . . Heimat . . .
M a r u s c h k a: meine Heimat ist die Haide!
D i e  M u t t e r: . . . die . . . Haide . . .
M a r u s c h k a: so gehör ich nicht zu euch!
D e r  V a t e r: du bist mein Fleisch!
D i e  M u t t e r: du bist mein Blut!
M a r u s c h k a: ihr habt mich schlecht gehütet . .
D i e  M u t t e r: wir haben dich gehütet . . .
D i e  E l t e r n: wie unsere Seele . . .
M a r u s c h k a: . . . was ist . . . das . . unsere Seele . . .?
D i e  M u t t e r: . . was . . ist . . .? was dich zu uns führt . . . .!
M a r u s c h k a (schreit entsetzt auf): . . ich fürchte mich vor euch!
D i e  E l t e r n: wir lieben dich! . . .
M a r u s c h k a: ich fühle nichts . . . ich fühle nichts . . . ich fühle nicht für euch . . . geht mir aus dem Wege . . aus dem Wege . . . ich will die Haide sehn . . .
[75]
D i e  E l t e r n (treten zur Seite)
D e r  V a t e r: . . . du sollst sie sehen . . . so oft du willst . .
M a r u s c h k a: . . . so oft . . .?! so will ich immer!
D i e  M u t t e r: . . . du wirst nicht wollen . . .
D e r  V a t e r: . . . du wirst sie nicht missen
M a r u s c h k a (schreit auf): Ihr wollt mich zwingen . . . .!
D e r  V a t e r: du wirst frei sein . . . frei
M a r u s c h k a: . . so muß ich mich meines Willens schämen . . .!
D e r  V a t e r: Dein Wille ist unser Wille!
M a r u s c h k a: ihr werdet mich verachten
D e r  V a t e r: du wirst geehrt!
D i e  E l t e r n: du bist unser Kind!
M a r u s c h k a: . . . hier bin ich geehrt . . . und niemandes Kind
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D i e  M u t t e r: . . . wir . . . sind . . . alle . . . jemandes Kind . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
M a r u s c h k a: . . . ich . . . fühl . . . mich . . . so . . . verlassen . . .
L a s z l o (strafft hoch)
D i e  M u t t e r: . . . Kind!
D e r  V a t e r: . . . öffne . . .!
L a s z l o (krampft die Arme übereinander und wendet sich den Alten zu)
M a r u s c h k a: ich komme nicht!
D i e  M u t t e r: du kommst!
M a r u s c h k a: nein . . . nein!
L a s z l o (tritt drohend zu den Alten)
D e r  V a t e r: wir zwingen dich nicht . . .
M a r u s c h k a: so lang ich lebe . . . nicht!
D i e  M u t t e r: du wirst erst leben . . .
M a r u s c h k a: nein! . . . nein!
D i e  M u t t e r: frei kommst du . . . frei . . .
D e r  V a t e r: wie du willst . . . .
M a r u s c h k a: . . . so will ich eine Spanne . . . eine kleine Spanne Zeit . . .
D e r  V a t e r: du magst sie haben . . so lang du willst . .
M a r u s c h k a: bis zur Nacht . . .
D e r  V a t e r: so kurz?!
D i e  M u t t e r: so lang?!
M a r u s c h k a: bis zur Nacht!
D e r  V a t e r: bis zur Nacht!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D i e  M u t t e r: nun öffne . . .
M a r u s c h k a: . . . . . . . .
D e r  V a t e r: nun öffne . . .! . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
L a s z l o: Maruschka! . . . öffne! . . .
M a r u s c h k a (öffnet)
M a r u s c h k a (steht unbeweglich starr aufgerichtet in der Tür)
(Weißstrahlige Wolken türmen über dem Himmel und jagen krasse Schatten über die Haide)
D i e  E l t e r n (stehen Maruschka starr gegenüber)
D i e  M u t t e r (geht mit ausgebreiteten Armen auf sie zu und umschlingt sie): . . . mein . . . Kind!
M a r u s c h k a (mit entsetzendurchbebter Stimme): . . . Laszlo!
L a s z l o (ergreift ihre Hand und entreißt sie den Eltern wild)
M a r u s c h k a (sinkt erschöpft an ihn)

A b e n d

Die Pferdekoppel  Erlen am Weiher  Schwere sonnenglühe Wolken grauen fahl
M a r u s c h k a (lehnt erschöpft an der Koppeleinfassung und atmet schwer): ich habe die Haide durchjagt . . . .
M a r u s c h k a (reckt verzweifelt die Arme): . . . Mauern . . . (blickt zu den Wolken) . . . dort . . . dort . . .
L a s z l o (die Hände in den Taschen und die Pfeife zwischen den Zähnen): Wolken . . .
M a r u s c h k a (fällt in die Knie und schlägt die Hände vors Gesicht)
L a s z l o (tritt zu ihr hin und beugt sich über sie): . . . Maruschka . . .  i c h  bin hier!
M a r u s c h k a (nimmt die Hände vom Gesicht und starrt zu ihm auf)
M a r u s c h k a (springt empor und umschlingt ihn)
L a s z l o (schleudert die Pfeife weg, greift ihr mit der Faust ins Haar, beugt ihren Kopf nach rückwärts und küßt sie wild): ich . . bin . . . bei . . . dir! ich . . .!
M a r u s c h k a (küßt ihn wieder mit wahnsinniger Glut): Laszlo!
L a s z l o: du liebst mich . . . du liebst mich . . . du liebst mich doch . . . ich weiß es . . ich wußte es . . .
M a r u s c h k a (läßt ihn plötzlich los und starrt erschrocken um sich): ich liebe dich . . . dich . . . ja . . nein . . die Haide . . doch . . . ich liebe  d i c h  . . . dich . . . dich . . .  d i c h  allein . . . (bäumt sich gegen Unsichtbares und schreit in furchtbarer Angst) . . . und ich liebe doch etwas ganz anderes . . . entsetzliches . . . ich verstehe nicht . . . ich gehe zu Grunde . . . ich . . .
L a s z l o: warum quälst du dich . . .? . . . du bist frei . . . ganz frei . . . er holt dich nicht . . . wenn du nicht willst . . .
M a r u s c h k a (schreit auf): und ich will nicht . . nein . . . ich will nicht . . . niemals will ich wollen. . . . oh
(Heuschrecken schnarren in die Hälme)
M a r u s c h k a: . . . . . . .
L a s z l o: Heuschrecken!
M a r u s c h k a (lacht gezwungen und sucht sich gewaltsam zu beruhigen): . . . ich erschrecke . . . die Luft sticht so . . . nicht . . . sie sticht . . . nicht wahr?! . . . Laszlo . . .
L a s z l o: sie ist weich und warm!
M a r u s c h k a: nein . . . nein . . . ja . . doch . . Laszlo . . ja . . es lügt mich alles an . . .! . . . die Halme . . . die Halme . . . sieh . . . es saust . . . und rauscht . . . sonst . . . es rührt sich nicht . . . der Quell . . . (sie beugt sich) . . er spiegelt nicht . . . der Himmel . . . sieh . . . starr . . . stumm . . .  . . sie sprachen sonst . . die Wolken . . oh . . (sie kauert nieder und verhüllt ihr Gesicht)
L a s z l o: ein Wetter kommt . . wie alle Tage . . .! .
(Staubarme spannen zu den Wolken; die Haide blaßt)
M a r u s c h k a (schaut auf): . . . alle . . . so sah ichs nie! . . . ich bin nicht mehr . . . Laszlo . . .
L a s z l o (beugt sich über sie und hebt sie hoch): Maruschka!
M a r u s c h k a (erhebt sich und schaut nach allen Seiten über die Haide; ihr Blick bleibt auf dem Wasserspiegel haften)
M a r u s c h k a (drängt sich an Laszlo, flüstert in höchster entsetzter Angst) . . . Laszlo . . . das Wasser . . . Laszlo . . . dunkel . . . das Auge . . . wessen wessen? . . . . mein Vater! . . tief . . unermeßlich . . so dunkel . . . . klar . . die ganze Haide leuchtet darin . . und . .
M a r u s c h k a (hetzt zum Weiher, greift den Erlenbusch und beugt sich über den Wasserspiegel) . . wo ist . . meine Heimat . . .?
L a s z l o (springt ihr nach, greift sie und reißt sie roh zurück auf den festen Boden, daß sie hinschlägt)
L a s z l o (packt sie grausam wild an Haar und Schulter) . . . du bist wahnsinnig
M a r u s c h k a (erstarrt unter seinem Griff): ich komm nicht los.
L a s z l o: ich laß dich nicht
M a r u s c h k a: . . . ich komme nicht los! ich liebe dich
L a s z l o (zerrt sie wild hin und her): . . ich halte dich . . ich hasse dich . . . ich knechte dich . . .
M a r u s c h k a (schlägt die Arme zu ihm auf und reißt seinen Kopf zu sich herunter) . . . ich . . liebe dich . . . ich liebe dich . . du wilder . . du grausamer . . . ja . . verlaß mich nicht!
M a r u s c h k a (hebt sich an Laszlo hoch)
L a s z l o (läßt sie frei): wir EMENDATION:wir] wie D1 gehören zusammen
M a r u s c h k a (kämmt mit den Händen ihr Haar und erstarrt in der Bewegung) . . . er . . wird . . kommen und mich ansehn . .
L a s z l o: er wird dich  n i c h t  ansehn!
M a r u s c h k a: . . . er wird . . . er hat so große Macht . . . fliehn . . .?
L a s z l o: du brauchst nicht fliehn
M a r u s c h k a: . . . fliehn . . .
L a s z l o: . . ich . . . werde . . . ihn . . töten!
M a r u s c h k a: . . . . . . . . .
L a s z l o: ich töte ihn!
M a r u s c h k a: . . . . . . . . . . .
L a s z l o: ich . . .
M a r u s c h k a (faßt ihn an und schüttelt ihn unter wildem Gelächter): L a s z l o . . . L a s z l o . . . du wirst . . . Laszlo . . du wirst ihn  n i c h t  töten . . . nein . . . nein . . . nein . . .du wirst  i h n  n i c h t  töten . . .!
L a s z l o (schüttelt sie ab): Weib!
M a r u s c h k a (hält plötzlich inne und lauscht)
(Staubwolken schrillen über die Haide)
M a r u s c h k a: . . . die . . . Haide schreit . . .! (mit plötzlicher Aufraffung) . . ich töte ihn! . .  i c h  töte ihn! . . . ich . . .!!!
M a r u s c h k a (ergreift Laszlos Arm und jagt mit ihm davon)

N a c h t

In der Hütte  Das Herdfeuer ist erloschen  Fensterläden und Tür sind geschlossen  Eine Oellampe flackt vom Lehmherd
M a r u s c h k a und L a s z l o (graben vor dem Herd ein mannlanges Loch)
M a r u s c h k a (hält ein und starrt auf den Spaten gestützt ins Leere)
L a s z l o (hält inne und starrt auf Maruschka)
L a s z l o (zieht einen kleinen Haidebusch aus dem Brustlatz und reicht ihn ihr hin)
M a r u s c h k a: . . . . . . . . . . .
L a s z l o: gegen den Blick!
M a r u s c h k a (ergreift den Busch hastig, nestelt und gräbt weiter)
M a r u s c h k a: . . . wo . . ist . .? . .
L a s z l o: . . der Alte . ? . . die Haide ist weit!
M a r u s c h k a  und  L a s z l o (graben)
L a s z l o (springt in die Grube, die ihm bis zur Brust reicht)
L a s z l o (dreht sich darin um und klettert wieder raus)
L a s z l o (lacht kurz hämisch)
M a r u s c h k a: . . . regnets noch?
L a s z l o (geht zur Tür und öffnet eine Spalt)
L a s z l o (horcht und schleicht lautlos zurück)
M a r u s c h k a (wirft den Spaten fort)
L a s z l o (gibt ihr lachend das Messer)
M a r u s c h k a (ergreift es hastig und steckt es zu sich) (Die Tür bewegt sich)
M a r u s c h k a: . . . . . . . . . . .
L a s z l o (geht zur Tür und legt sie an) . . . der Wind
M a r u s c h k a (kauert im entferntesten Winkel der Hütte)
L a s z l o: . . . . . . . . . . .
M a r u s c h k a: . . . es . . . weht . . . aus . . . der Erde!
[76]
L a s z l o: . . . du wirst es nicht können!
M a r u s c h k a (schauernd): . . . ich . . ich . . . (schreit auf) . . . mich graut . . .
L a s z l o: alle graut
M a r u s c h k a (stützt den Kopf) . . . und wieder fort . . . wo ich so glücklich bin . . .?! . .
L a s z l o: . . . du mußt nicht fort!
M a r u s c h k a: . . . . . . . . . . .
L a s z l o: Maruschka!
M a r u s c h k a (schreit): ich muß!!! ich muß!!!
L a s z l o: er  s o l l  fort!!!
M a r u s c h k a: fort . . . .!! Fort . .!! . . . er  k a n n  nie fort!
L a s z l o (entreißt ihr den Dolch)
M a r u s c h k a (ringt mit ihm)
L a s z l o (schleudert sie in die Ecke)
M a r u s c h k a: töte  m i c h!!! . . . töte  m i c h!!! . . du kannst ihn nicht töten!!!
L a s z l o (prüft lachend die Schneide des Dolches)
M a r u s c h k a: er lebt nicht dort!!! . . . er lebt nicht dort!!! . . . . hier!!! . . . dahin den Dolch!!! . . dahin . . .!!! (sie reißt ihr Tuch von der Brust) du jagst ihn nicht mehr raus!!
L a s z l o (springt auf sie zu und küßt wild ihre nackte Brust)
M a r u s c h k a (stößt ihn zurück und entwindet sich ihm)
. . . . . (Erstarrendes Horchen) . . . . .
L a s z l o (schleicht zum Fenster und späht durch den Spalt)
L a s z l o (springt zurück und faßt das Messer)
M a r u s c h k a (atmend): . . er . . . geht . . er . . geht . . . (Schritte streifen die Außenwand der Hütte) .
M a r u s c h k a (sinkt in sich zusammen, am ganzen Leibe zitternd): . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
L a s z l o (in heißem Hauche): Maruschka . . liebst du mich?!
M a r u s c h k a (stammelnd): ja . . ja . . ja . .
(Es klopft)
L a s z l o (löscht die Lampe und steht sprungbereit)
(Es klopft)
M a r u s c h k a (schreit auf): . . . ja . . . ja . . .!!!
(Die Tür ruckt auf, undurchdringliche Finsternis gähnt herein)
(Schweigen)
(Ein schwachhallender Donner, dann erleuchtet ein Blitz die Haide taghell)
(Wetterleuchten von allen Seiten)
D e r  V a t e r (in einen weiten Mantel gehüllt, steht in der Tür und breitet die Arme gegen Maruschka)
L a s z l o (stürzt auf ihn los)
M a r u s c h k a (schnellt hoch und fällt ihm in den Arm)
(Ein kurzes Ringen)
M a r u s c h k a (entwindet Laszlo den Dolch und jagt ihn ihm in die Brust)
L a s z l o (fällt in kurzem Sprung ohne einen Laut vornüber)
D e r  V a t e r (tritt ein)
M a r u s c h k a (starr aufgerichtet)
D e r  V a t e r (will zu Laszlo treten, sein Blick bleibt an dem Grabe haften)
D e r  V a t e r (wendet sich um zu Maruschka und schaut sie an)
M a r u s c h k a (bricht lautlos zusammen)

D e r  n e u e  T a g

Neben der Hütte umzäumte Obstbäume. Gemüse- und Blumenbeete. Ein Holzfeuer glimmt auf der Erde  Morgendämmerung in der Haide
L e r c h e n (trillern in der Ferne)
E i n e  L e r c h e (schlägt in der Nähe laut an und steigt)
M a r u s c h k a (auf der Bank an der Hütte fährt auf): . . . wer . . . wer ist tot?! . . ich . . ich . . wer bin ich?! . . (sie legt die Hand vor die Stirn und starrt in die Haide)
D e r  V a t e r (steht neben ihr und legt ihr die Hand auf die Schulter)
M a r u s c h k a: . . . die Haide . .?! . . ich sehe sie nicht . . . (schreit auf) . . Feuer!!! schleudert Feuer in sie . .!
D e r  V a t e r: ruhig . . . ruhig . . . mein Kind! . . . es wird Tag! (Der Himmel lichtet)
M a r u s c h k a (schrickt zusammen und kauert auf der Bank): . . . wer bist du? . . . wer spricht . . .? . . ich kenne dich nicht . . .
D e r  V a t e r: . . ich habe dich gesucht . . . gesucht . . . ich bin gewandert
M a r u s c h k a: . . . ich verstehe dich nicht! . . ich kann dich nicht verstehen . . . wer bist du . .?
D e r  V a t e r: . . . sieh mich an . . .
M a r u s c h k a (schrickt zusammen und hebt den Blick zu ihm)
E i n e  S t e r n s c h n u p p e (gleitet nieder und erstirbt)
M a r u s c h k a (verhüllt wimmernd ihr Gesicht im Rock)
D e r  V a t e r: . . . mein . . . Kind!
M a r u s c h k a (läßt die Hände fallen, erhebt sich und starrt in die Haide, wo die Sternschnuppe fiel)
D e r  W i n d (spielt in ihrem aufgelösten EMENDATION:aufgelösten] aufgelöstem D1 Haar und in den Sträuchern und Blättern der Haide)
M a r u s c h k a: . . . vom Himmel . . . zur Haide . .
E i n  w e i ß e r  N e b e l s t r e i f (steigt hoch und sinkt)
M a r u s c h k a (wirft sich wild aufschluchzend in das Gras und küßt die Blumen): . . . Perlen . . . Tränen . . . Tränen . . . sie weinen . . . weinen . . .
D e r  V a t e r (immer neben ihr, über sie gebeugt): . . . der Tau bringt neues Leben . . .
M a r u s c h k a (kriecht von Blume zu Blume und küßt sie): . . . leben . . . weinen . . . leben . . . wo ist die Heimat?
D e r  V a t e r: . . . der Streifen dort . . .? . . . weit . . . weit . . . der große Wald . . . das rauscht . . . und rauscht . . . unermeßliches Leben . . . darin ein Haus . . . ein Turm darüber . . . weithin kannst du blicken in die Fernen . . . Haiden schaust du . . . und Wald . . . Wald . . . Wasser fließen . . . fließen . . . Winde wehn . . . stürmen . . .
M a r u s c h k a: was soll der Turm . . .?! . . .
D e r  V a t e r: . . ich habe ausgeschaut . . . von dort . . . nach dir . . . und nach den Sternen nachts . . . die mir von dir EMENDATION:dir] die D1 erzählten . . .
M a r u s c h k a (horcht auf): . . . die Sterne erzählen dir? . . .
D e r  V a t e r: ich kann in ihnen lesen
M a r u s c h k a (hebt sich in die Kniee): ich auch . . . ich auch . . . sie sprachen oft zu mir . .
D e r  V a t e r: . . nun schau . . . wir reden  e i n e  Sprache
D e r  V a t e r (will die Hand auf ihre Schulter legen)
M a r u s c h k a (beugt sich angstvoll zurück und streckt die Hände gegen ihn)
D e r  V a t e r: . . fürchte nicht . . . wo du bist . . . ist auch deine Haide!
M a r u s c h k a (in Entsetzen ohne Atem und Stimme): . . . was treibt dich zu mir hin?!
D e r  V a t e r: wir gehören zusammen
M a r u s c h k a: ich weiß nichts
D e r  V a t e r: . . . wir wissen alle nichts . . . (er legt die Hand auf ihre Schulter)
M a r u s c h k a (in tiefstem Grauen) . . . du . . du mordest mich . . .
D e r  V a t e r: Mutter schmückt das Heim . . sie weiß . . . du kommst . . .! . . .
M a r u s c h k a (springt wild auf): . . . Licht . . . Licht!!! . . . . Licht!! . . . wo ist meine Haide??!!!
M a r u s c h k a (springt zu dem glimmenden Feuer, reißt einen Feuerbrand aus der Glut und schleudert ihn in das Dach der Hütte) . . . Licht will ich haben . . . Licht!!! . . Licht!!!
D i e  H ü t t e (flammt kurz auf)
D i e  S o n n e (zerflutet die Nebel)
M a r u s c h k a (deckt geblendet die Augen): . . oh .
D u n k l e  R a u c h w o l k e n (hinter der schnell zusammenknatternden Hütte matten die Sonne zur fahlroten Scheibe)
M a r u s c h k a (nimmt die Hände von den Augen) . . . ich . . seh . . . keinen . . . Weg . . . mehr . . .! . . keinen . . .
D e r  V a t e r (tritt zu ihr hin): . . . . Kind! . . . .
D i e  H a i d e (ein dunkler Schattenriß im Himmelsfahl)
M a r u s c h k a: oh . . . meine Haide . . .! . . .
D e r  V a t e r: . . . gib mir deine Hand . . .!
M a r u s c h k a (gibt ihm die Hand): . . . die Haide stirbt! . . .
D e r  V a t e r: . . . auf ihr . . . Schritt für Schritt . . . langsam . . . ich bringe dich heim . . . schau nicht zurück! . . . vor dir liegt der Weg . . . dort . . . wird wieder Licht . . . . . . die Sonne . . . . du wirst im Lichte sehn . . .!!! . . . . . im Lichte . . .!!!


Ende


Quellen
D1 DS V, Nr. 10/11, 2. Augustheft u. 1. Septemberheft 1914, S. 74-76
D2 Die Haidebraut, Sturm-Bücher IV, Verlag Der Sturm 1914, 24 S.

Varianten/ Emendationen
zur Textstelle In D2 ist das Gedicht auf Mitte gesetzt.
zur Textstelle Hütte] Hütte. D2
zur Textstelle EMENDATION:großen] große D1
zur Textstelle EMENDATION:wir] wie D1
zur Textstelle EMENDATION:aufgelösten] aufgelöstem D1
zur Textstelle EMENDATION:dir] die D1