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Erwachen


E r
S i e
E s
W i r t
H a u s k n e c h t
M a s s e

HotelzimmerHotelzimmer] Zimmer im Gasthof (D2)

Zwei Betten nebeneinander; an der Wand gegenüber Flügeltür; an der Hinterwand zwischen hohen Fenstern ein Spiegel. Reisetaschen und Kleidungsstücke auf Nachttischen und Stühlen verstreut
S i e (im vorderen Bett, richtet sich auf und starrt in das Dunkel)
E r (nach einer Weile): was wachst du?
S i e (schaltet das Licht auf dem Nachtisch ein)
E r (faßt ihren Arm, zärtlich, unruhig): was wachst du?
S i e (wischt den Schlaf von Gesicht und Haar, deckt das Bett zurück und stellt die Füße zur Erde in die Pantoffel)
E r (halb aufgerichtet spannt den Blick in ihren Nacken)
S i e (deckt die Hände auf die geschlossenen Knie und späht in das Zimmer)
E r (schnellt hoch, hart): was starrst du?
S i e (stammelt unverständlich, weist die linke Hand ins Zimmer, schnellt zurück und hüllt mit beiden Händen das Gesicht)
E r (starrt ins Zimmer, blickt auf Sie, lehnt zu ihr rüber, weich): Träume . . (schmiegt die Hand auf ihren Nacken)
S i e (zuckt zusammen: die HändeEMENDATION: Hände] Händen (D1) fallen aufs Bett)
E r (vorwurfsvoll): Kind!
S i e (haucht): nimm die Hand fort!
E r (beruhigt) du!
S i e (entsetzt): nimm die Hand fort!
E r (nimmt die Hand fort)
S i e (schüttelt sich)
E r (weich): was hast du?
S i e (kauert, die Arme über die Brust gekreuzt und auf den Schultern, trocken, ohne Tonfall): ich weiß es nicht
E r (im Schlafanzug, steigt in die Pantoffel, geht kopfschüttelnd zur Tür und schaltet das Deckenlicht ein): so! (läuft armschlenkernd kreuz und quer durch den Raum): sieh doch nur! sieh!
S i e (hebt spähend den Kopf ins Zimmer)
E r (bleibt in der Mitte zwischen Tür und Fenster stehen und lächelt sie scherzhaft überlegen an): na was?!
S i e (regungslos): ja . . da . .!
E r: hier bin i c h!
S i e (schaudert): ja (nickt zustimmend prüfend) ja!
E r (geht zärtlich auf Sie zu): siehst du
S i e (springt auf, wehrt und schreit): steh! Steh! Steh dort!
E r (tritt betroffen widerwillig an den Platz zurück): ach!
S i e (prüft ihn stumm)
E r (ärgerlich): es ist dumpf hier! Sein wir vernünftig! (geht zum Fenster)
S i e (will Ihn zurückhalten, erlahmt aber fahrig, tritt bis ans Bettende vor und sieht vorgebeugt auf den Fleck, wo Er stand)
E r (zieht den Vorhang und blickt zurück): nun? ist da was?
S i e (hebt den Blick durchs Fenster und legt schauernd das Nachtgewand fester um den Leib)
E r (die Hand am Fensterhebel): du frierst?
S i e: die Nacht ist naß
E r (starrt betroffen): wir sind geborgen! (geht zu ihr und drängt sie zum Bett)
S i e (weist zurück): nicht! Nicht!
E r: du hast schlecht geträumt
S i e (widerstrebt schwach): ich habe geschlafen
E r (setzt sie aufs Bett): so wollen wir weiter schlafen
S i e (blickt ins Zimmer, ohne Angst neugierig feststellend): und da ist doch was!
E r (unwillig): was?! was soll
S i e (erhebt sich und blickt neugierig auf den Fleck, nickt bekräftigend)
E r (geht zurück und scharrt, schroff): wo soll hier was
S i e (beherrscht): ja . . grade . . wo soll . .? (Sie blickt in den Spiegel und ordnet das Haar: hält erschrocken inne): und ich sehe aus! ich sehe aus! o!
E r (ärgerlich): laß den Spiegel!
S i e (preßt die Handflächen gegen die Schläfen): das bin ich nicht
E r (tritt vor Sie und verdeckt den Spiegel): wer sonst?!
S i e (spricht nach): ja . . wer . .?
E r (bricht aus): zum Donnerwetter! (bezwingt sich und stampft auf): Nichts!!
S i e (starrt ihn erschrocken an): nichts! Nichts!
E r (beherrscht): du machst mich ja mit verrückt! Dein Wahn . . .
S i e (in mattem Widerspruch): Wahn . . Wahn . .
E r (faßt derb in ihren Arm und schüttelt sie): sei vernünftig jetzt
S i e (gellt auf und entsetzt vor ihm zurück)
E r (läßt Sie und blickt hilflos erschrocken um sich) was? was?
S i e (erschöpft): Du würgst mich
E r (überreizt, weint): aber ich . . ich . . doch gar nichts . . ich . . (mit flehend zusammengekrampften Händen vor Ihr)
S i e (erwacht nach einer Weile; reibt sich das Handgelenk, fröstelt matt): ja! es ist dumpf hier! mach das Fenster auf!
E r (strampelt außer sich, wehrig durchs Zimmer): nein! Nein! Nein! (bleibt im Zimmer stehn)
S i e (in matter Bestimmtheit): mach das Fenster auf!
E r (schlägt am Fenster die Fäuste fesselsprengend auseinander): zum Teufel ja! (reißt tobend mit beiden Händen den Fensterhebel nieder): ja!!! (Das Fenster stürzt zerklirrend über ihn, die Wand zwischen den Fenstern bricht durch, der Spiegel splittert ins Zimmer)
E r (starrt inmitten des Einsturzes)
S i e (entsetzt)
E r (wendet scheu betrachtend den Fensterhebel in der Hand): morsch!
S i e (wimmert)
E r (blickt zag zu Ihr hin): das wollte ich nicht! O!
S i e (wimmert): der Spiegel
E r (stutzt fetzt den Hebel in die Trümmer und reckt in wildes Lachen)
S i e (in Entsetzen und Beben): o! o! du! du! du bist furchtbar! Furchtbar! du!
(Stimmen, Rufen, Laufen draußen: Geräusch im Hause)
(Der Staub ist durch die große Mauerlücke verzogen)
Ein Stern (flirrt in schwarzblaue Nacht)
E r (lacht ruhiger, versonnener, in kurzen Nachwellen, steht dann ganz still und schaut zum Stern auf)
S i e (kauert entsetzt zitternd auf dem Bett, die Hände auf die Bettlehne gekrampft und horcht zur Tür, lallt): k . .k . . kommen
E r (ruhig, verträumt): sieh den Stern
S i e (lallt unverständlich)
E r: sieh doch! Der Stern!
S i e (ganz in Entsetzen aufgelöst): k . . k . . klopfen (Energisches Klopfen an der Tür, Rufen, derbes Herunterklinken)
E r (tritt unbekümmert weiter vor in die Mauerspalte und späht zum Stern)
S i e (schreckt auf, rutscht überhastend zu Ihm, hält ihn zurück und lallt): du . . du fällst! Du fällst!
(schweres Schlagen, Rütteln an der Tür; Rufe: he! he! he!)
S i e (zieht ihn kriechend zurück): hör doch! Hör doch!
E r (kommt nicht vom Sterne los)
S i e (springt auf und rüttelt ihn wild): nun sei doch . . (Schwere Eisenschläge gegen die Tür)
E r (erwacht und wendet sich zur Tür und schlingt haltend den Arm um Sie)
(Laufen und Rufen auf der Straße)
(Die Tür wuchtet unter Fluchen und Wettern)
Sie (klammert ohnmächtig an seiner Brust)
E r (trägt Sie über die Trümmer, blickt zum Stern auf, bedauert): fort in den Wolken!
(Die Nacht wird schwarz)
D i e  T ü r (kracht herein)
D e r  W i r t  und  D e r  H a u s k n e c h t (keuchen mit Brechstangen)
E r (blickt ruhig auf)
W i r t (vor dem Trümmerhaufen, außer sich): Sie haben mein Haus umgerissen!
E r (ruhig): ich
W i r t (außer sich): Sie Sie Sie! Lügen Sie! Lügen Sie! lügen Sie! lügen sie!
H a u s k n e c h t (droht schwerfällig): vaflucht!
E r (ruhig): die Wand ist zusammengefallen
W i r t (außer sich, spricht nach): die Wand! die Wand! die Wand! (schreit immer wilder): der Himmel! der Himmel! der Himmel! Polizei! Polizei! Polizei! Ich lasse Sie festnehmen! Ich lasse
H a u s k n e c h t (stimmt ein): Pulzei Puzei
E r (zuckt hastig): wenn ich nun aber (macht eine Bewegung)
W i r t (starrt ihn an): Sie Sie Sie (versteht und schlägt um): wat?
E r (ruhig): wir können ja darüber reden (mahnt zur Ruhe): meine Frau . . .
W i r t (plötzlich ganz Teilnahme, legt die Stange aus der Hand und die Händ ineinander) o!
H a u s k n e c h t (zerrt verlegen die Mütze runter und tritt an der Eisenstange spielend zurück)
W i r t: wir künn’n DoktorDokter] Doktor (D2) halen (wendet zum Hausknecht, der diensteifrig die Mütze aufstülpt und zum Gehen kehrt): jo
H a u s k n e c h t (eilfertig): jo
E r (hastig) nein nein nein halt! Danke schön! Sie wird schon so . .
(Geräusch und Lärm auf der Straße;Straße;] Straße (D2))
(Leiser Donner in der Ferne)
W i r t (verlegen): nu jo! Nu jo (schaut raus) nu süh dät Volk! (zum Hausknecht): joh runner du! De Tür fest an! Dät sich dät Plebs nich rin kümmt!
H a u s k n e c h t (rückt die Mütze): jo (eilt erlöst ab)
E r (nimmt eine Geldtasche unter dem Kopfkissen vor)
W i r t (folgt seinen Bewegungen, kriechend): Sie künn’n ooch n anner Zimmer hebben . . Herr . . Herr! (es donnert): dät Jewidder
E r (öffnet die Geldtasche, die voll Gold glitzert)
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W i r t (geblendet, gurgelt und schluckt verlegen, hält beide Hände gierig hin)
E r (zählt dem Wirt eine Anzahl Goldstücke in die Hand) ist das genug?
W i r t (von einem Bein aufs andere, stammelt aufgeregt begehrlich): jo jo nu
E r (bestimmt): das ist genug!
W i r t (ruckst): nu jo
E r (schließt die Geldtasche): ja
W i r t (bestimmt) nee nee nee (faßt die Geldtasche)
E r: Sie?!
W i r t: Sie!!
E r (sucht die Geldtasche loszureißen)
W i r t (hält gegen): du! Paß uff!
E r: Unverschämter
W i r t (zerrt höhnisch): Jungeken! stille! Ja?! biste stille! hollt Mul! Jungeken! (will ihm mit aller Gewalt die Tasche entreißen)
E r: ha
W i r t: ik weeß! Ik weeß Bescheid! (mit Bedeutung): die Frau
E r (wild): Schuft!
W i r t (lacht grimmig): jo jo
(Die Geldtasche öffnet sich beim Ringen; die Goldstücke kollern hinaus in die Nacht)

W i r t (bestürzt): o! o! dät Jeld!
(Donner rasselt)
W i r t: ooo! ooo! dät blanke Jeld! Jeld! (hebt die Faust gegen Ihn, der betroffen die leere Tasche hält): du! du!
(Lärm, Geschrei und Gebalge draußen)
W i r t (zittert an allen Gliedern): son Hund! son Hund! son . . (haspelt zur Tür): Jeld! Son Jeld! (verliert Goldstücke, hebt auf und verliert wieder): oooooo!! (hastet gehetzt durch den draußen ansteigenden Lärm raus)
E r (klopft prüfend an die leere Tasche und schüttelt den Kopf)
(Blitz und starker Schlag)
S i e (stört auf): was ist? was ist?
E r (ruhig spöttisch): Donner!
S i e (starrt um): wo bin ich?
E r (wie vorhin): hier!
S i e (wimmert und horcht): der Fluß rauscht
E r: der Pöbel rauft
S i e (aufgeregt): das ist Wasser! Wasser! Der Fluß! wir sind über den Fluß gegangen! o! so schwarz! so schwarz in der Abendsonne (Wildes Schreien, Gelächter, Gepolter, Hohngeheul, Hagelgeprassel draußen)
S i e (verbirgt sich im Bett wimmernd): was hat das Volk? was hat das Volk?
E r (ruhig, verächtlich): mein Geld
S i e (entsetzt): ooo! mach das Licht aus!
E r (geht ruhig zur Tür und schaltet aus): ja
(Blitz, Donner und Hagel)
(die flackrige Nachttischlampe hellt den Bettwinkel; der übrige Raum liegt im Dunkel)
S i e (weint): o! wären wir wir
E r (unterbricht grob): was wir?!
(Furchtbarer Schrei, dann jähe Ruhe draußen)
E r (zuckt und späht, tritt hastig zurück): wir können hier nicht bleiben (streift das Beinkleid über)
(Wildes Schreien draußen und Wehklagen): Mord! Mord!
E r (gehetzt): du! zieh dich an! zieh dich an! wir müssen fort! fort!
S i e (hastet aus dem Bett): du du (zittert an allen Gliedern): wenn sie wenn sie wenn sie uns hier finden, wenn sie (lehnt erschöpft an die Wand)
E r (rafft ihre Sachen zusammen und wirft sie ihr in den Winkel zu): schnell schnell! keine Zeit
S i e (faßt willenlos die Kleidungsstücke, schwach) du du ich (beugt schwach den Kopf zurück)
E r (drängt und zieht den Rock an): bitte bitte ja
S i e: du ich trag ein Kind! ich fühls!
E r (starrt sie an)
(Poltern und Geschrei auf der Treppe)

V o l k (drängt in die Tür mit Geheul)
E r (springt zurück in den Bettwinkel, der durch den Trümmerhaufen in natürlicher Weise verschanzt ist und tritt schützend neben sie)
S i e (am Fenster, die Hände hinter sich aufgestützt, starrt auf die Eindringlinge, ganz Entsetzen)
A r be i t e r,  H a n d w e r k e r  und  J u n ge  B u r s c h e n (in der Tür stutzen und verstummen beim Anblick der beiden, treten dann vorsichtig spähend lüstern nacheinander ein)
(Blitz und Donner)
D i e  M a s s e (streicht lüstern näher): oah! oah! o! o! o! nu kieke bloß! in Hemd is se! oaah! utverschamt! in Hemd! oah!
(Hände gehren)
(Einzelne wollen über den Schutthaufen klettern)
E r (reißt die Schublade des Nachttischs auf und hebt die Pistole)
D u r c h e i n a n d e r (stört zurück): nu kiek bloß! dä Hund! hei will scheiten! Pulzei! Pulzei! Dä Hund! dä Hund! runner mit! runner mit! (Vorspringen, Höhnen und Zurückspringen): du! du! wir kriegen di! dod mit em! dät Wiv! dät Wiv! sin Wiv! sin Wiv!
H a u s i e r e r (schleicht rum): I du! nu kucke doch! i! nu! nu kucke doch ein! ik laß mr dodschlagen! ik laß mr dodschlagen! ik laß mr dodschlagen! dät is dem Lumpel sei Weib! dem Lumpel sei Weib! sei Weib! aus der Bunzeljasse!
D u r c h e i n a n d e r (schreit auf): aus der Bunzeljasse! Lumpel! Lumpel! Bunzel! Bunzeljasse!
H a u s i e r e r (überschreit): jo jo jo! dät is dem Lumpel sei Weib! ik kenn ihr janz jenau! sei Weib!
S c h r e i e n  und  V o r s t ü r m e n (durch den Revolver in Bann gehalten): Lump! Schuft! Weiber! son Hund! den Lumpel halen, Lumpel! Lumpel! Lumpel!
E i n z e l n e (eilen fort): wir halen em! wir halen em!
A u f l a c h e n: ik mach em de Freud! ik mach em de Freud! Lumpel!
S i e (droht zu fallen)
E r (umfängt sie, in der andern hand die Pistole schußbereit)
A u f g e r e g t e s  S c h r e i e n (traut sich nicht heran): Willst du dät Ding runnernehmen! hei scheit! hei mürdert! Mord un Dodschlag! des Lebens nich sicher! Ruff! ruff! Pulzei! Pulzei!
M ä n n e r,  W e i b e r,  K i n d e r,  J u n g e n s (stürmen unter Lärm und Geschrei durch die Tür): Se bringen em! Se bringen em! se kumme mit em!  s o  haben se em gepackt! se hebbn em! (dazwischen lüsterne Ausrufe mit dem Blick auf Sie) oa! oa! oa! (erschrecktes Zurückweichen, sobald die Waffe wahrgenommen wird) o! o! runner! runner!
Z w e i  P o l i z i s t e n (führen den Hausknecht gefesselt herein)
H a u s k n e c h t (dringt wild auf ihn ein): dät is er! dät is er!
P o l i z i s t e n (halten ihn): Ruhe! halt!
M a s s e (schreit): Halt ihn! halt ihn!
W a c h t m e i s t e r (tritt ein): Ruhe! Ruhe hier!
(Verstummen)
H a u s k n e c h t (sucht sich wild aufgeregt loszureißen und auf Ihn zu stürzen): dät ist er! dät is er!
W a c h t m e i s t e r (packt ihn derb ins Genick und schüttelt): weris?
H a u s k n e c h t (wild): dä dä dä dä
W a c h t me i s t e r  (rüttelt ihn). Hund! Hund! d u hast den Wirt ermordet (Bewegung in der Masse)
H a u s k n e c h t (bäumt auf) Hund Hund Hund! Jeld Jeld Jeld! Dä had dät Jeld dät Jeld dät Jeld
M a s s e (nimmt eine beistimmende Bewegung an)
W a c h t m e i s t e r (ruhig zu  I h m): nehmen Sie die Waffe runter
E r (senkt die Waffe)
H a u s k n e c h t (heult wild geschüttelt) ik bün n ehrlicher Mann! ik hab keen Kind wat jedahn! keen Kind! immer jewesen! keen Kind! wat hat er wat hat er dät Jeld runnerjeschmissen
M a s s e (stimmt zu): wenn einer so mit dät Jeld umjeht! Jeld! de eigenen Leute schlagen dod! dod!
W a c h t m e i s t e r (legt dem Hausknecht derb die Hand auf dem Mund und blickt drohend um)
(Verstummen)
W a c h t m e i s t e r (zieht sein Buch raus, schroff): Wer sind Sie?
E r (ruhig, ausweichend): ja
W a c h t m e i s t e r (grob): Wer sind Sie?
E r (schweigt)
W a c h t m e i s t e r (tritt näher): legen Sie das fort!
E r (schiebt die Waffe hinter sich auf das Fensterbrett)
W a c h t m e i s t e r: zum letzten Mal! ich frage Sie wer sie sind?
E r (ruhig): ich reise
M a s s e (bewegt und murmelt)
W a c h t m e i s t e r (fährt auf): zum Teufel! (beherrscht sich): nun gut! womit reisen Sie? worin? wofür?
E r (schweigt)
M a s s e (wird wachsend unruhiger)
W a c h t m e i s t e r (wütend): wollen Sie jetzt antworten? Wollen Sie? ist das Ihre Frau?
E r (kalt scharf): ja
(Blitz und Donner draußen)
M a s s e (in grellem Aufruhr) dät is nich wahr! dät is nich wahr! hei lügt! hei lügt! dät is nich sin Wiv! dät is nich sin Wiv! nich sin Wiv! sin Wiv! (drängt drohend näher)
W a c h t m e i s t e r (breitet seine Arme zurückhaltend)
E r (nimmt die Waffe wieder in die Hand)
(Blitz und Donner)
P r o f e s s o r e n,  B e a m t e,  K a u f l e u t e,  H a n d w e r k e r (schrein wild durcheinander und drängen näher): däs is ja mein Weib! mein Weib! mein Weib! das ist mein Weib! mein Weib! Teufel! Teufel! mein Weib! (die erhobene Pistole stößt die drohenden Fäuste immer wierder zurück)
H a u s d i e n e r (macht Platz die Arme umschlagend und überbrüllt): seid still! nicht verrückt! nich verrückt! nu hört doch! hört doch! dät is dem Lumpel sei Weib! dem Kaufmann Lumpel sei weib! aus der Bunzeljasse! ich weiß jenau! Bunzel! Lumpel! Lumpel! Bunzel!
W a c h t m e i s t e r: Dirne!
M a s s e (greift auf): Dirne! Dirne!
H a u s i e r e r (hohnlachend): mit Weiber handelt er! mit Weiber reist er! Weiber!
M a s s e (greift auf, wild): Weiber stiehlt er! unsre Weiber! unsre Weiber!
S c h m i e d (springt vor): der hat meine Tochter verführt! der hat meine Tochter verführt!
S e i n e  F r a u (hält ihn zurück): Josef! Josef!
S c h m i e d: so sah er aus! so sah er aus! der war et
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S e i n  F r e u n d (zieht ihn zurück): Unsinn!
S e i n e  F r a u (hängt sich an ihn): Josef
V e r s c h i e d e n e (ziehen und schieben den Schmied in die Masse zurück)
D i r n e (springt vor, schlägt die Arme in grelles Lachen): däs ist mein Schatz! däs is ja mei Schatzel! du! Kleiner!! du!
W a c h t m e i s t e r (stößt sie brutal zurück und brüllt durch den Aufruhr): Ruhe
(Flammender Blitz und unmittelbar täubender Donnerschlag)
(Totenstille im Augenblick, dann kreischen die Weiber auf und bekreuzigen sich)
E i n z e l n e: der macht uns alle verrückt! kein Mensch weiß wat er is! dä machts Jewidder! (aufschwellend): Jewidder! Jewidder! dä is schuld! alles schuld! dä Mord! dä Mord!
H a u s k n e c h t (greift auf): dä wart! dä wart! dä wart! dä hat jemordet! anstift! ik wull nich! ik wull nich! ik wull jo jar nich!
D u r c h e i n a n d e r: dät is der Mörder! Mörder! Jewidder! Jewidder! unsre Häuser fallen her! unsre Häuser in! Ruff! ruff! rin mit em! Rin! Jefängnis! Jefängnis! Zuchthaus! Schaffott!EMENDATION: Schaffott] Schaffot (D1) Schaffott! Setzt n fest! setzt n fest!
D i e  P i s t o l e (spielt im Kreise und hält das Toben zurück)
W a c h t m e i s t e r (zieht den Säbel, wutschäumend): die Waffe runter! ich verhafte Sie! ich verhafte Sie! verhafte Sie! Im Namen des Gesetzes Gesetzes Gesetzes! Aufruhr Aufruhr! Die ganze Stadt in Aufruhr gebracht!
G e h e u l (stimmt zu)
R u f e (dringen durch): wir saßen in der Kneipe! ruhig! ich habe meinen Schoppen stehen lassen müssen!
H a u s k n e c h t (dazwischen): ik kunn jo niks vör! ik kunn niks vör! ik wull dät nich!
A l l e (dringen auf ihn vor und fluten zurück): Mörder! Mörder! Häuserstürzer! Mörder!
W a c h t m e i s t e r (schlägt blind mit dem Säbel nach der Pistole): runter! runter!
H a u s k n e c h t (ringt los und entflieht)
D i e  P o l i z i s t e n (drängen durch die Masse aufgehalten mühsam nach)
E i n e  F r a u e n s t i m m e (gellt langgezogen von der Tür und erstarrt den Lärm)
F e u e r s c h e i n (flackert durch die Mauerluke)
W e i b: Lot mi dörch! lot mi dörch! lot mi dörch! dr Lumpel is higeschloge! dr Lumpel! n Schlag! n Schlag! higeschgloge äs n Sack! dod! dä Lumpel is dod! Jrad haddn wir et em seggt! janz leise seggt! dor is r (stellt sich wuthaft auf sie zu) dei Mann is dod! dei Mann is dod! dei Mann
D e r  F e u e r s c h e i n (wird heller, Funken sprühen)
S i e (ist bei dem Geschrei des Weibes entsetzt aufgefahren, lächelt dann, legt den Arm um seine Brust und verbirgt ihr Gesicht an seiner Brust)
W e i b (außer sich, empört): se lacht! se lacht! se lacht! se lacht!
B e w e g u n g: et brennt! et brennt!
R u f e (draußen und an der Tür): Feuer! Feuer! der Blitz!
D i e  S t u r m g l o c k e n (setzen ein)
F e u e r h ö r n e r  und  W a g e n g e r a s s e l (draußen)
D u r c h e i n a n d e r (schreit): Feuer! Feuer! dät Rathaus brennt! dä Markt brennt! de Straße brennt! alle Ecke brennt! brennen! Feuer! Feuer! (Fliehen und Forthasten)
W a c h t m e i s t e r (eilt fort) das Haus wird umstellt! das Haus wird umstellt!
W e i b: nu kuckt! nu kuckt! se rührt sich nich! ihr Mann is
dod! se rührt sich nich! ihr Mann is dod! der Deuvel hat se in de Krallen! Der Deuvel! (weist in plötzlicher Erleuchtung auf  I h n) dät is der Deuvel!
W e i b e r  und  M ä n n e r (bekreuzigen sich): der Deuvel! der Deuvel!
W e i b e r (schreien draußen): unsre Kinder! unsre Kinder!
(weitere Weiber eilen fort)
S i e (horcht aufatmend, haucht): Kinder!
E r (faßt sie fester): mein Kind!
D u r c h e i n a n d e r: der hat de Stadt anjezündet! de Stadt! der Deuvel! Deuvel!
W e i b: den Paster halen! den Paster!
V e r s c h i e d e n e: uträuchern soll r em! uträuchern! Paster! Paster!
E i n z e l n e (eilen fort und stoßen auf das Mädchen)
M ä d c h e n (tritt ein, zwei Kinder im Alter von fünf und sechs Jahren an der Hand)
M ä d c h e n (geht verschüchtert vor): du du dein Mann is tot! deine Kinder!
K i n d e r (blicken neugierig um, drängen fest an das Mädchen und weinen)
S i e (ringt von ihm und streckt die Arme)
E r ( hält Sie mit aller Kraft): du bist verloren
K i n d e r (sehen die Mutter und strecken aufschreiend die Arme): Mutter! Mutter!
S i e (von ihm festgehalten strebt mit ausgestreckten Armen auf die Kinder zu)
E r: bleib bleib! (hält Sie mit äußerster Anstrengung)
S i e (stößt Ihn mit wildemEMENDATION: wildem] wilden (D1) Aufschrei zurück und taumelt ohnmächtig umklammert zu Füßen ihrer Kinder)
E r (steht betäubt und gespannt)
M ä d c h e n (starrt Ihn erschrocken groß an)
D i e  M a s s e (mit Wutgeheul über  S i e): do is se! hooo! hoa! wir hebben se! so! nu! packt se! he! her mit! (S i e  wird hochgerissen): raus! raus!
W e i b e r (schlagen der Ohnmächtigen ins Gesicht): Pfui Teuvel! Pfui Teuvel! (Männer drängen die Weiber zurück): weg da! weg! dät jibt n Spaß! n Spaß! n Spaß!
W e i b e r: sie is ne Hure! (schreien ihr ins Gesicht): Hure! Hure!
M ä n n e r: se soll de Weih kriegen! de Weih kriegen! (schleppen, zerren und stoßen  S i e  zur Tür) Stadthure! Stadthure werden! jleich! (treten sie roh): hopla! hopla!
D i e  K i n d e r (hängen schreiend an  I h r)
E r (hat auf sich selbst bedacht dagestanden, springt jetzt mit einem Wutgeschrei die Pistole von sich schleudernd über die Trümmerbarrikade, reißt mit mächtigem Schwung das Fensterkreuz hoch und schlägt dazwischen: los! los! Hunde! Schurken!
D i e  M a s s e (flüchtet in wildem Entsetzen): der Deuvel! der Deuvel! der Deuvel!
D i e  K i n d e r (lassen entsetzt die Mutter los und flüchten schreiend)
D a s  M ä d c h e n (drückt sich fest an die Wand neben der Tür und schaut mit großen starren Augen auf  I h n)
E r (stürmt der Masse nach, kommt schwer atmend zurück, wirft den Rest des zerbrochenen Fensterkreuzes verächtlich von sich, blickt besinnend um und beugt sich zu  I h r  hinab, die in der Mitte des Raumes zusammengekauert auf dem Fußboden liegt)
E r (legt die Hand auf  I h r  Haar, weich): du du
E r (will  S i e  hochheben)
S i e (springt entwindend hoch, die Handflächen in höchstem Entsetzen gegen Ihn): du du! du du! (schreit lang auf): ooooo!!! (wild stürmend zischend): du! du! der Himmel brennt! du! du! die Mauern stürzen! du!
D a s  M ä d c h e n (preßt die Fäuste vor den Mund)
E r (tritt beruhigend auf  S i e  zu) stark! stark!
S i e (weicht vor ihm zur Tür und klammert am Türpfosten zurückschreiend): du hier! du! du hier!
E r (springt auf Sie zu und faßt ihr Handgelenk): wir fliehen wir fliehen! wir kommen durch! das Getümmel durch!
S i e (windet unter seinem Griff und ringt außer sich): durch! durch! durch! fliehen! fliehen! fliehen! Gott! Teufel! Himmel! Feuer! Menschen! du du du
E r (hält sie): Ruhig! ruhig! schnell!
S i e (in höchstem Entsetzen) Hure Hure Hure! Weib Weib Weib! ich will! ich will! will ich! Hure Hure Hure! Nicht dein Weib! nie dein Weib! dein Weib! nicht (reißt los und läuft das Wort langgellend raus) Weieieieieib!
E r (steht die leeren Hände zur Aufnahme gebreitet und starrt ihr nach, wendet dann langsam, das Haupt zerschmettert gesenkt: ballt jäh im Ruck die Fäuste, knirscht, stampft zu dem Trümmerhaufen. stößt die Steine mit Fußtritten als Spielbälle auseinander, lacht dumpf höhnisch in die Flammennacht, am ganzen Leibe wutzitternd, heiser bellend)
E i n e  g r o ß e  G l o c k e (schlägt an, poltert, gellt und erstirbt mit gewaltigem Krachen)
(Lärm, Geschrei, Wehklagen, greller und immer näher greifender Feuerregen): Die Kirche! die Kirche!
E r (springt in die Luke, stemmt an die Mauer und ruft mit Wutkraft hinaus): den Fluß hinein! den Fluß hinein! den Fluß in die Straßen! in die Rinnsteine! in die Gassen! den Fluß hinein! das Wehr auf!! das Wehr auf! zum Teufel! das Wehr!
D e r  R u f (läuft draußen immer weiter fort): das Wehr! das Wehr! das Wehr!
E r (brüllt): rechts herum! rechts herum! so! die Schleusen! so! so! ja! so! Schafsköpfe! so!
W e i b e r  und  K i n d e r (jammern): unsre Häuser! unsre Häuser!
E r (brüllt): wir bauen sie auf! bauen sie auf! bauen sie auf!
W i r r e  R u f e (draußen): bauen auf! bauen auf! aufbauen! aufbauen! (Gewaltiges Rauschen, draußen, Schäumen und Zischen)
D a s  M ä d c h e n (steht fest an die Mauer gepreßt in Ihn versunken)
E r (schaut auf, stöhnt, seufzt und blickt hilflos um: sein Blick schrickt auf das Mädchen)
D i e  A u g e n (beider starren ineinander)
E r: du? du? wer bist du? wer du?
D a s  M ä d c h e n (stammelt verwirrt zitternd): ich ich
E r (macht einen Schritt auf Es zu)
E s (reckt sich höher an die Wand schmiegend)
E r: was willst du hier?
E s (steht fest ihn anstarrend)
E r (vor dem Mädchen, blickt ihm ins Gesicht, erstaunt): bis du nicht? brachtest du nicht?
E s (ruhig, halblaut): ich bin die Schwester
E r: Schwester?
E s: ihre Schwester
E r: oooooohh!! (betrachtet Es, nach einer Weile): was willst du hier? was hast du
E s (trocken, ohne Tonfall): ich weiß es nicht
E r: fürchtest du dich nicht?
E s (schweigt und starrt ihn an)
E r: fürchtest du dich nicht? (ruhig mit leisem
[93]
Spott): Himmel Feuer Menschen! ich habe den Frevel angestiftet
E s (ruhig): ich habe sie erkannt
E r (spannt hoch)
E s: Sie Sie . . hast die Kirche gebaut
E r (starrt und nickt, verschlingt die Arme)
E s: das Rathaus
E r (stellt den Fuß vor): das weißt du?
E s (heißer, lebendiger): die Schule! das Wehr!
E r (nickt und wiegt den Körper)
E s (erschöpft, haucht): ich habe erkannt! Sie erkannt!
E r (tritt noch dichter vor Es hin, weich, zagend): du? du? Schwester?
E s (zittert)
E r (ganz dicht vor dem Mädchen, flüstert heiß): Schwester?
E s (zittert und klammert sich mühsam an die Wand)
E r (beugt sich über, ohne zu berühren, die Hände ineinander gefesselt auf dem Rücken): du fürchtest?
S i e (legt den Kopf zurück und schaut von unten in die Augen am ganzen Leib zitternd)
(Die Glut draußen dämpft ab, fernes Rufen)
I h r e  A u g e n (hängen ineinander)
E r (aufatmend): sie war erwacht! deine Schwester
S i e (schlägt die Arme breit an die Wand)
E r (leise, forschend): ja plötzlich aufgewacht
R a u c h (verschlingt die Gluten, Zischen, Brausen)
(Das Rufen kommt näher)
E r: du– wach du auf! du! wache  d u  auf! hörst du! wenn . . . du . . erwachst
S i e (hebt ihn stummend die Hand)
F r a u e n  und  K i n d e r s t i m m en (draußen): der Baumeister war dät! dät war der Baumeister! (Jubelnd):  u n s e r  Baumeister Baumeister Baumeister!
M ä n n e r s t i m m en (fragen, forschen dazwischen)
E r (weich suchend klagend): die anderen
W e i b e r,  K i n d e r,  M ä n n e r (rufen auf der Treppe): Baumeister! unser Baumeister! unser Baumeister!
S i e (schrickt zusammen und stellt sich schützend vor Ihn zur Tür)
E r (tritt zwischen Sie und Tür, lächelnd den Blick über die Schulter zur Tür)
S i e (faltet die Hände ineinander und flüstert zu ihm aufblickend): Mann!
W e i b e r  und  K i n d e r s t i m m e n (stürmen in die Tür): Baumeist . . (das Wort erstirbt in starrem Schauen)
E i n  k l e i n e s  G l ö c k c h e n (schlägt an zum Morgengebet)
D i e  W e i b e r  und  K i n d e r (kauern die Hände gefaltet nieder)
M ä n n e r (starren über ihre Köpfe weg in die Tür, nehmen die Mütze ab und stehen dumm in ehrfürchtigem Schweigen)
E r (streicht Ihr übers Haar und läßt die Hand auf ihrem Haupt liegen, weich froh): Wein!
(die letzte Glut erlischt, es wird ganz dunkel draußen)
L e i c h t e  N a c h s c h w a d e n (dampfen durch die Mauerlücke und verdämmern den Raum)
D e r  S t e r n (blitzt hell auf)
E r  und  S i e (wenden langsam um und schauen eng aneinander geschmiegt Arm in Arm zu dem Stern empor)

Ende


Quellen
D1 DS V, Nr. 13/14, 1. u. 2. Oktoberheft, S. 90-92.
D2 Erwachen, Sturm-Bücher V, Verlag Der Sturm Berlin 1915, 30 S.

Varianten/ Emendationen
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zurück zur Textstelle EMENDATION: Hände] Händen D1
zurück zur Textstelle Dokter] Doktor D2
zurück zur Textstelle Straße;] Straße D2
zurück zur Textstelle EMENDATION: Schaffott] Schaffot D1
zurück zur Textstelle EMENDATION: wildem] wilden D1