[120]
                    Ida.

In ihrer Felsenhütte lag,
Den winselnden Säugling kaum geboren
Am welkenden Busen, Ida; lag,
[121]
Und fluchte dem Tag.
Wo, sinneverloren,
Ganz schmelzende Liebe, bang
Ihn nicht genug zu lieben,
Sie ihrem Humfried in die Arme sank.
Den Himmel ihm zu trüben,
Zu sehn sein armes Herz so liebekrank,
Die Rosen seiner Wangen so verglühen,
Verlöschen seiner Augen Licht –
Das arme Mädchen konnt’ es nicht:
„Magst lieber verblühen,
Du Kranz der Keuschheit, magst lieber verblühen!“

Gar reich und frühlingsschön und milde war
Luitberga mit dem Rabenhaar.
Das Fräulein sah den Ritter streiten,
That mit den Augen überall,
Voll späh’nder Liebesbangigkeiten,
Im weiten Kampfplaz ihn begleiten,
Und bey des Gegners Albrechts Fall –
Da konnte sich der Freudenzähren
Das arme Kind nicht mehr erwehren,
Mußte reichen ihm zum Unterpfand
Ach! eine so warme, so weiche Hand.

Das fühlte Humfried – gar zu wohl;
Wie Bliz so schnell, so feuervoll,
Fühlt’ er ans Herz das erste Drücken
Der warmen, weichen Hand,
Fühlte schnell mit wundendem Entzücken
Sein Herz von neuer Glut entbrannt.
Zwar sprang es hoch und schrie wohl laut:
Ich bin ja Ida’s, deiner Braut!
Doch fiel’s auch wieder
Im Busen nieder,
Und schrie noch lauter: mögte dein,
O! mögte Luitberga deine seyn!

[122]
In wenig Tagen war’s vergessen,
Daß Ida jemals es besessen,
Wie denn an der warmen, weichen Hand
Bald Höll’ und Himmel ihm verschwand,
Dem Liebeberauschten
Die Tage, wie Frühlingstanz
In duftendem Kranz,
An seines Fräuleins Brust entrauschten.

Das sah nun Ida klar genug;
Der Liebe Schwur ward ihr zum Fluch;
Oft wollte sie mit Thränen zu ihm gehen:
„Ob so der süsse Traum verflogen?
Ob Humfried, Humfried ihr gelogen?“ –
Doch so geliebt, und so betrogen,
Und dann zu flehn? –

„Verachten! ja! will ihn verachten!
Mag immerhin um andre Dirnen schmachten!
Mag kühlen den treulosen Mut!
Will denken, Ida war ihm zu gut!
Will – will – Herr Je! – Barmherzigkeit!
Noch einmal? – Was ist das? – Himmel und Ewigkeit!
O weh! – o weh! was hab’ ich gethan?
Nun wein’, o weine, wer weinen kann!
O weh! – ’s thut unter’m Herzen sich regen! –
Was hab’ ich, was hab’ ich gethan?
Was fang’ ich nun an?
Und läst er, läst er nun sich nicht bewegen,
Ich ärmst’, ich ärmste, was fang’ ich an!
O Humfried! deiner Liebe Kind –
Was soll, was soll ihm werden?
Soll’s, überall wo Menschen sind,
Soll’s auf dem weiten Rund der Erden,
Mit der Mutter in Schande,
Verfluchen dich!
[123]
Verfluchen mich!
Verfluchen unsrer Liebe Bande?
O Humfried! Humfried! ’s ist dein Kind!
Was soll auf Erden,
Was soll, was soll uns Armen werden?“

Mag werden, was da will und kann!
Luitberga nur sieht Humfried an;
Da liegt für aller Höllen Fluch
Dem Trunkenen des Himmels genug.
Such’, Ida, Trost bey Fels und Steinen!
Die haben Gefühl,
Der Thränen so viel
Als er, mit dir zu weinen!

Noch kurze Wochen ging es so,
Noch wohlgemut war er, und froh
Luitberga zu liebkosen;
Doch unter den Rosen
Erwachte die Schlange
Und zischt’ ihm zu,
Und macht’s in der Seel’ ihm so bange,
Daß bald er hatte nicht Mut noch Ruh
Selbst in Luitberga’s warmen,
Voll Lieb’ ihn umfassenden Armen.

Nun irrt er wohl sein liebes Irren,
Bergauf, bergab, bey Tag, bey Nacht,
Hat seiner Fräulein nicht mehr Acht,
Hört Höllenketten um sich klirren,
Und Nachts an seinem Kammerfenster,
Da heulten drohende Gespenster.

’Nmal lief er so um Mitternacht,
Als tönt’ um ihn die Geisterjagd,
[124]
Von heulenden Eulen umflogen,
Die Felsen herunter am eisigen Harz.
Sein Blut – bald wälzt sich’s, wie Wogen
Im stürmischen Meere, bald starrt’s.
Kein Sternelein am Himmel,
Nur tobend Getümmel,
Als wenn in Gewittern
Die Blize die Eichen zersplittern.
Die Winde durchsausen
Mit wütendem Brausen
Sein sträubendes Haar.
O weh! o weh! hier wird’s ihn kriegen,
Hier muß er nun endlich der Straf’ erliegen!

Doch wird er von weitem ein Licht gewahr.
Nun rafft er sich auf; mit bebendem Schritte
Kömmt er dahin; die einsame Hütte
Stand mitten im Felsen, die nie die Tritte
Getragen von eines Menschen Fuß.

„Mach auf! Mach auf!
(Mit freundlichem Gruß.)
„Ich mache nicht auf!“
(Mit schrecklichem Fluchen.)
„Bist Mensch, so hast hier nichts zu suchen!
Bist Teufel, so steh da die Nacht!
Am Morgen, am Morgen, dann ist’s wohl vollbracht!“ –

Das thät ihm mit Grausen die Seel’ erschüttern,
Schwankt näher mit ängsten und Zittern,
Und sieht durch’s Fenster hinein,
Sieht bey des Lämpchens dunklem Schein –
Sieht, und bebt’s zu ergründen,
Ein Mädchen mit einem Kindelein
Halb nackt auf faulendem Strohe sich winden.
[125]
Noch schweigt’s, dann bricht durch die Stille voll Graus
Ihr Elend in Klagen und Fluchen aus.

„Ha! bist du nun da?
     Bist da! bist da,
     Du Kind der Sünde?
     Ha! lieg’ und winde,
     Und krümme dich, Wurm!
     Und heul’ in den Sturm,
     Daß du bist dem Leben
     Im Fluche gegeben!
     Ha! kaum noch da, und donnert nicht schon
     Des ersten Winselns Jammerton
     Der sterbenden Mutter den Höllenlohn?
     Ha, her! komm her!
     Sollst donnern nicht mehr!
     O Liebchen!
     Freundliches Liebchen!
     Bist ja, bist ja
     Ein niedliches Bübchen!
     Sa su se sa sa!
     O Liebchen, wie wollt’ ich dich herzen!
     Ersticken die Schmerzen
     In Mutterentzücken!
     Wie wollt’ ich voll Lust
     An Mund und Brust,
     O Liebchen! Liebchen! Wie wollt’ ich dich drücken!
     Dich reichen dann
     Dem trunkenen Mann!
     Sollte dich mit Küssen und Küssen
     Aus’n Armen mir betteln müssen. –
     Herzliebster, wo bist du?
     Sieh! bist ja nun Vater! – Wo bist du?
     Da nimm es, nimm’s Bübchen in Armen!
     Sieh, ’s will dich lieben! so habe doch Erbarmen
     Sieh, Ida hat ihm das Leben
[126]
     Und all’ ihre Lieb’ ins Herzchen gegeben
     Da, nimm’s! ’s will lieben dich ja!
     Da Humfried! – – Hölle! – Humfried’s du!
     Und habe dich im Schoos? – Zum Teufel! – Hu!
     hu!“ – –
     
     O Himmel! Mit wütender Macht
Geschleudert am Felsen, zerkracht –
Sollt’s jammern nicht Felsen und Stein? –
Des armen Kindes zart Gebein.
Es zuckt noch einmal und winselt, so zirpt
Ein armes, zerschlagenes Heimchen – und stirbt.

     Deß erwacht die Mutter aus ihrer Wut,
Fällt hin über’s Kind, und leckt von der Stirne
Ihm Blut und Gehirne,
Und rauft sich das Haar, und schlägt sich das Blut
Mit rasender Faust aus den Brüsten.
Das Herz, in mördrischen Lüsten,
Lezt und lezt
Nach Blut, nach Blut!
Halb schon zerfezt,
Und immer noch Blut
In zehrender Glut.

     Hinein, hinein stürzt Humfried izt
Da sieht er – da steht er ein Felsenstein;
Doch weckt ihn bald der Dolch ins Herz
Und Tod und aller Höllen Schmerz,
Dann sinkt er, ruft einmal noch, röchelt
Mit sterbender Stimme
Noch einmal: Ida! Ida! – erblast.

     Hoch steht sie nun da und einsam, und lächelt
Wie ein Engel des Würgens im Grimme,
Wenn er das lezte der Opfer fast.
[127]
Sie fast es, zerstöst an der Felsenwand
Das Gehirn schon halb von Wut verbrannt,
Heult erst die lange Nacht im Sturm
Das Heulen verzweifelnder Sünde,
Kriecht, wie zertreten der sterbende Wurm,
Zum Kinde, zum Vater, und wieder zum Kinde,
Und flucht, und liebt, und tobt, und bereut,
Sträubt knirschend entgegen der Ewigkeit
Des nahenden Verderbens,
Und stirbt den kommenden langen Tag
Noch eines Sterbens.

     Luitberga! – ach!
Die Arme! von schwarzer Ahndung gequält
Hat sie nun schon drey nächtliche Tage
An Thränen die schleichenden Augenblicke gezählt.
Sie ruft mit ängstlicher Klage
Den theuren, den einzigen Mann,
Wo Humfried, Humfried bleiben kann!
Sieht lang auf allen Wegen
Mit bräutlicher Ungeduld ihm entgegen,
Durchirrt mit zitterndem Fuß,
Mit fliegendem Haare, mit heulendem Jammer,
Den Garten, die Haine, die einsame Kammer,
Ruft ihn zur Liebe, ruft ihn zum Kuß;
Vergebens! vergebens!

     Bald ruft sie nicht mehr,
Schwankt, müde des Lebens,
In stummer Verzweiflung daher,
Sieht fliessen sein Blut
Von mördrischem Stale:
Der Eifersucht Wut
Erschlug ihn im Thale!
Im Säuseln der Luft
Fühlt sie den Schatten
[128]
Des liebenden Gatten,
Der kläglich ihr ruft!
Und – möglich? Wär’s möglich? – Verlassen?
Er seine Luitberga verlassen?
Entsezlich! – Wie fasset das Todesgefühl
Die sanfte, liebende Seele! Zu viel!
Zu viel! Erbarmen! Erbarmen!
Er, Humfried, ihr spotten in Anderer Armen? –

     In den Armen des Todes findet sie ihn!
Sein Kind auf’s Herz, sein Weib an der Lippe,
So liegt er, entstellt, ein faulend Gerippe!
Sie fällt, und schreyt, und schweigt. Vom Wirbel gefast
Schliest so das lange Sterbegebrülle
Das lezte Leben am sinkenden Mast.

     Bald stieg in feyerlicher Stille
Der Mond herauf, warf auf das Maal
Noch furchtsam einen blutigen Stral.
Vollendet war die Jammerscene,
Vertrocknet die lezte Todesthräne,
Kein Leben in der Hütte mehr;
Nur Geister zogen einsam einher.


 

Kommentar

D1:
Deutsches Museum, 1777, Bd. 1, St. 2, S. 120–128.

121
Kranz der Keuschheit: „In noch engerm Verstande ist der Kranz ein Ehrenzeichen der jungfräulichen Reinigkeit; daher weibliche Personen, deren guter Nahme vor der Welt unbefleckt ist, am Tage der Hochzeit mit einem Kranze erscheinen, welcher ehedem von Blumen war, jetzt aber aus Draht, Edelsteinen u. s. f. in Gestalt einer kleinen Krone bestehet; daher Kranz auch figürlich die jungfräuliche Ehre bedeutet. Eine Person weiblichen Geschlechtes kommt um den Kranz, wird um den Kranz gebracht, verliert das Kränzchen, wenn sie in Unehren geschwängert wird, weil sie dadurch das Recht verlieret, am Tage der Hochzeit einen Kranz zu tragen. Der Strohkranz wird an manchen Orten liederlichen Weibesbildern bey ihrer Verweisung zum Zeichen der Schande aufgesetzt.“ (Adelung II 1754)
Freudenzähren: „Die Zähre […] ein mit Thräne gleich bedeutendes Wort, nur daß es in dem gemeinen Sprachgebrauche wenig, oder gar nicht mehr vorkommt, sondern nur noch in der dichterischen und höhern Schreibart gebraucht wird.“ (Adelung IV 1650)
122
Dirnen: „Die Dirne […] Eine junge unverheirathete Person des andern Geschlechtes. In dieser Bedeutung war dieses Wort ehedem in edlem Verstande üblich, indem nicht nur die Nonnen, sondern auch die Jungfrau Maria damit beleget wurden. Heut zu Tage ist es in derselben im Hochdeutschen beynahe veraltet, und man nennet in Niedersachsen nur noch die ledigen Weibespersonen gemeiner Leute Dirnen.“ (Adelung I 1503)
126
Engel des Würgens: „in einigen episch-midraischen Texten des AT besondere Erscheinungsform des Engels Jahwes. Er tritt als Vollstrecker des göttlichen Zorngerichtes auf, als dessen Personifizierung er anzusehen ist.“ (Haag 1904)
127
Schatten: „Eine abgeschiedene Seele, der Geist eines verstorbenen Körpers, heißt in der dichterischen Schreibart häufig ein Schatten, Lat. UMBRA.“ (Adelung III 1371)