Landschaftsverband Westfalen-Lippe - 11.05.18 - 15:23 Uhr

URL: https://www.lwl.org/LWL/Kultur/fremde-impulse/die_impulse/Fluechtlinge

Erstversorgung von Zuwanderern und ausländischen Flüchtlingen

Seismograf der Weltpolitik

„Teute“ – altdeutsch für „Grenze“ – lautet der Flurname des Geländes in Massen, auf dem 1951 zahlreiche weiß verputze Häuser als normierte Sozialbausiedlung errichtet wurden. Das Lager mit 1500 Plätzen diente als Übergangsstation für Flüchtlinge und Zuwanderer, die hier „erstversorgt“ und auf ihr neues Leben in Nordrhein-Westfalen vorbereitet wurden.

Nach 1945 war das Durchgangslager zunächst in Siegen in der Kaserne am Wellersberg angesiedelt – ein tristes Provisorium der unmittelbaren Nachkriegszeit, durch das die Transporte der Vertriebenen aus Schlesien geschleust wurden. „Das wird kein Elendslager“, musste deshalb der Bürgermeister von Massen seine Gemeinde beruhigen, als direkt gegenüber der Bergbausiedlung „Korsika“ eine Aufnahmestelle mit Kindergarten, Schule, Sportplätzen und Krankenstation entstand.

Die Nutzung der Gebäude als Flüchtlingswohnheime war eigentlich nur für den Übergang gedacht. „In zwei bis drei Jahren wird die Einrichtung überflüssig“, schätzte 1951 der Lagerleiter Alfred Becker. Dann sollten dort Bergleute einziehen. Doch die Zuwanderung vor allem aus der DDR brach nicht ab. 1955 kamen die letzten kriegsgefangenen deutschen Soldaten aus der Sowjetunion frei. Auch Aussiedler aus Polen, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien und der ČSSR fanden hier eine erste Unterkunft. Die Zahl der Deutschstämmigen, die aus den kommunistischen Staaten ausreisen dürfen, blieb abhängig von Verträgen zwischen der Bundesrepublik und den Osteuropäischen Regierungen. Erst Gorbatschows Reformpolitik Ende der 1980er Jahre ermöglichte auch den Russlanddeutschen eine ungehinderte Ausreise.

Als der afrikanische Diktator Idi Amin in einem Willkürakt 1972 Einwohner indischer Herkunft aus Uganda vertrieb, fanden 26 von ihnen vorübergehende Betreuung in der Landesstelle. Chile-Flüchtlinge, „Boat People“ aus Kambodscha und Vietnam, Flüchtlinge der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien – Unna-Massen wurde zu einem „Seismografen“ für die Fluchtbewegungen in der Welt. 2,5 Millionen Menschen aus über hundert Ländern hat die Landesstelle vorübergehend aufgenommen.

Bis zur Schließung der Landesstelle im Juni 2009 wohnten nur noch einige wenige Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion und jüdische Zuwanderer in den Unterkünften. Die Menschenzüge, die unmittelbar oder mittelbar Folgen des Zweiten Weltkrieges gewesen sind, haben ein Ende gefunden: Die Vertriebenen sind längst in Nordrhein-Westfalen integriert, die Bundesrepublik ist wiedervereinigt und ein großer Teil der Deutschstämmigen aus Osteuropa und Russland sind, seit der "Eiserne Vorhang" gefallen ist, in die "Urheimat" Deutschland zurückgekehrt. Nicht wenige Spätaussiedler nehmen 2009 den Weg zurück nach Kasachstan oder anderswo, weil sie in der Bundesrepublik nicht heimisch geworden sind.

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