Im Schatten männlicher Klosterärzte - Hildegard von Bingen

16.09.2021 Praktikant Herne

Eine Historikerin im Archäologiemuseum! Etwas das manchmal nicht verschiedener sein könnte und doch untrennbar zueinander gehört. Schon als kleiner Wurm war ich in diesem Museum und ich habe es immer geliebt. Jede Sonderausstellung bei der ich war - und das waren einige - entfachte in mir eine Liebe zur Geschichte, jedoch weniger für die Objekte selbst (insbesondere Scherben), als für die Geschichten, die sie erzählten. Dann kam der Auftrag bei meinem Praktikum, einen Blogeintrag über mein Lieblingsausstellungsstück im Museum zu schreiben und der dazugehörige Gang durch die Dauerausstellung. Ich raste förmlich an der Steinzeit, Bronzezeit und den Römern vorbei – interessant aber nicht mein Interessensgebiet -  und fand mich vor einer kleinen Vitrine, die in die Wand eingelassen ist, wieder: Hildegard von Bingen und das kleine Kästchen mit Heilsteinen. Doch obwohl diese nicht viel mit Archäologie an sich zu tun haben, zeigten sie mir, wo die Grenzen und auch Möglichkeiten der Archäologie sind. Sie verdeutlichen vor allem wie wichtig die Zusammenarbeit der beiden Wissenschaften eigentlich ist. Aber erst mal zur Hildegard:

Abb. 2 Bronzestatue Hildegard von Bingen, Karl Heinz Oswald 1998 (Quelle: Stadt Bingen/ Foto: Frauke Brönsch)

Wer war eigentlich diese Hildegard von Bingen?

Hildegard von Bingen, geboren im Jahr 1099, eine benediktinische Äbtissin vom Rupertsberg in Bingen. Sie ist bekannt für viele Dinge, ihre Visionen, ihre Idee, vor allem aber für ihr Verständnis von der Gesundheit des Körpers und des Geistes. Für sie war Krankheit etwas Negatives, was in der Kirche zu dieser Zeit nicht die gängige Meinung war. Sie war der Überzeugung, dass Gott den Menschen nicht krankmacht um ihn zu bestrafen. Vielmehr sei es ein Zeichen von der eigenen Vernachlässigung. So betrachtete sie auch den Nutzen von Hopfen zu medizinischen Zwecken als kritisch, da dies eine eher negative Wirkung auf den Körper und den Geist des Menschen hätte. Besonders ist aber vor allem ihr Buch „Physica“ oder auch „Liber simplicis medicinae“ in dem sie 213 der zu dem Zeitpunkt für die Medizin genutzten Pflanzen zusammenfasste. Sie beschrieb aber nicht nur das Aussehen und die Wirkung dieser Pflanzen und Kräuter, sondern befasste sich auch mit Bäumen, Edelsteinen, Metallen und Tieren, die man für die Heilung nutzen konnte. Besonders ist dabei nicht nur das Buch an sich, welches in der Form das erste seiner Art war, besonders sind auch der Gebrauch von einheimischen Pflanzennamen. Neben all dem komponierte sie auch ihre eigenen Lieder. Wer wissen möchte wie so ein Lied vielleicht geklungen hat, kann ja mal im Museum vorbeischauen!

Abb. 3 Kästchen mit den Heilsteinen der Hildegard von Bingen (Foto: R. Abendroth)

Die Heilsteine der Hildegard von Bingen

Die Heilsteine, die im Archäologiemuseum stehen sind natürlich nicht die originalen Heilsteine der Hildegard von Bingen. Es geht vor allem um das, was diese erstaunliche Frau uns hinterlassen hat.  Denn dadurch wissen wir, welche Steine sie verwendete beziehungsweise welchen Steinen sie welche Heilkraft zuschreibt.  In dem kleinen Kästchen im Museum und damit auch fast alle benannten Heilsteine der Hildegard, befinden sich zum Beispiel ein Smaragd, der bei Problemen mit dem Dickdarm helfen soll, wenn er vor Sonnenaufgang verwendet wird, außerdem helfe er beim Festhalten und Loslassen. Neben Hyazinth und Beryll fürs Herz, Lapislazuli, welches zuvor für Saphir gehalten wurde, Sarder und Topas, liegt in dem Kästchen auch ein Chrysolith, der nach der neunten Stunde der Niere helfen soll. Jeder dieser Heilsteine habe nicht nur eine Wirkung auf den Körper, sondern auch auf den Geist und die Verbindung mit Gott und dem Universum, glaubte Hildegard. In ihrem Buch „Physica“ beschrieb sie das Aussehen, die Anwendung sowie weitere Merkmale und Besonderheiten der Heilsteine.

Abb. 4 Mittelalterlicher Kreuzgang im Kloster Dalheim (Foto: Andreas Lechtape, Münster)

Frühmittelalter, Medizin und Kirche

Als Belege der unterschiedlichen Tendenzen haben wir wieder einmal vorwiegend Handschriften. Zu Beginn des Frühmittelalters kamen vor allem Händler aus dem Osten nach Europa, die neuartige Medizin mitbrachten. Vor allem hohe Kleriker stellten sich jedoch gegen diese Medizin und beriefen sich darauf, dass Gott alle heilen würde, und damit auch auf Wunderheilungen. Doch bereits im 8. Jahrhundert stellten sich vor allem Klosterärzte gegen diese Ansichten. Das „Lorscher Arzneibuch“, eine Sammlung allerlei Rezepte für Arzneimittel aus der ganzen bekannten Welt, ist ein Beispiel für die Empfänglichkeit für diese neuartige Medizin. Dennoch orientierte sich diese Medizin weitestgehend an der Annahme, dass Säfte im Körper im Ungleichgewicht seien und man diese immer ausgleichen müsse. Auch glaubte man, dass Krankheit etwas Kaltes sei, das man mit heißem, also zum Beispiel Pfeffer bekämpfen müsse. Dennoch sind gerade die Wirkung und Nutzung einzelner Kräuter, wie zum Beispiel die der Kamille als magenberuhigendes Kraut, noch heute anerkannt. Anders als Hildegard von Bingen wurden in diesem Buch jedoch keine medizinische Handlung kritisch hinterfragt oder kommentiert. Es handelte sich lediglich um eine Sammlung.

Abb. 5 Visualisierung des Klosters am Rupertsberg (Quelle: Stadt Bingen/ Historisches Museum am Storm)

Frauenklöster-Medizin und warum wir so wenig darüber wissen!

Nun, dies hatte zugegebener Maßen alles noch nicht ganz so viel mit Archäologie zu tun, zumindest nicht direkt und man könnte Annehmen, man bräuchte sie in diesem Fall auch gar nicht. Nun, hätte man ein Buch in die Hand gedrückt bekommen, in dem alles schön sauber aufgeschrieben wurde, wäre das vielleicht zutreffend. Das ist aber nie der Fall und irgendwie auch immer eine Frage der Glaubhaftigkeit. Insbesondere bei Frauenklöstern haben wir jedoch ein ganz anderes Problem: die fehlenden Aufzeichnungen. Gerade von den im frühen Mittelalter entstandenen Frauenkonventen ist heute nur wenig Schriftliches überliefert. Man hielt es wohl für unwichtig, etwas über Frauenkonvente niederzuschreiben. An dieser Stelle würde nun die Archäologie ins Spiel kommen. Sie würde Ausgrabungen begleiten und Funde auswerten. Man würde versuchen das haptische zu interpretieren, mit Dingen zu arbeiten, die vielleicht beständiger sind als Papier. Leider sieht es auch dabei eher schlecht aus. Das Interesse an Frauenklöstern besteht noch nicht allzu lang und die wenigen Ausgrabungen werfen oft mehr Fragen zur Interpretation und Einordnung der Funde auf, als dass sie Antworten auf bestehende Fragen geben. Noch viel schwieriger ist es, die Medizinische Versorgung nachzuvollziehen. Zwar wurden bei manchen Ausgrabungen, wie bei denen im Zisterzienserinnenkloster Gravenhorst, Apothekenfläschchen gefunden, diese stammen jedoch aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Bis zum 12. Jahrhundert findet man zudem kaum Nachweise von medizinischer Literatur in Frauenklöstern, auch die „Physica“ der Hildegard wurde zunächst in keinem anderen Kloster verbreitet. Zwar gibt es einige Hinweise auf Hospitale, die zu den Frauenkonventen gehörten, diese waren aber eher darauf bedacht, ein paar Armen zu helfen, als eine medizinische Versorgung sicher zu stellen. Doch nur die wenigsten Nonnen arbeiteten selbst mit den Armen. Man spendete vor allem die übrigen Erträge aus der eigenen Wirtschaft. Für die Frauen selbst wurden aber Krankenzimmer gebaut, diese lagen separiert. Kranke bekamen mehr zu essen, teils ein warmes Bad und wurden sicherlich nach den bekannten Maßnahmen dieser Zeit medizinisch versorgt. Bei diesem Thema sind also noch alle Wissenschaften gefragt.

Warum ich dieses Stück ausgewählt habe:

Oder viel eher warum ich diesen Blog geschrieben habe. Ich war während meines Praktikums unglaublich eingespannt in die Vorbereitungen für die Sonderausstellung und durfte vor allem die Museumspädagogik näher kennen lernen. Doch Hildegard hat mich einfach nicht losgelassen. Was auch immer ich in diesen Wochen tat, immer wieder begegnete mir diese interessante und bemerkenswerte Frau. Manchmal sind es vor allem die kleinen Dinge, die einen anziehen, die man hinterfragt. Die Auswahl beruht wohl auf einem Zusammenspiel vieler Dinge, vorrangig aber die magische Anziehungskraft, die das Objekt und das Mittelalter und vor allem Hildegard selber für mich mit sich bringt. Aber auch die Stärke und Weisheit, die diese Frau bewiesen hat, und die dennoch so lange vergessen wurde. Bleibt doch einfach mal bei eurem nächsten Besuch ein wenig bei ihr stehen, hört euch die Musik an und vielleicht seid ihr dann genauso fasziniert wie ich!

Rebekka Abendroth, Studentische Praktikantin


Literaturverzeichnis

Bodarwé, Katrinette, Pflege und Medizin in Mittelalterlichen Frauenkonventen / Cure and Medicine in Medieval Nunneries. Medizinhistorisches Journal 37 (3/4), 2002, 231–263.

Günther Stille, Kräuter, Geister, Rezepturen. Eine Kulturgeschichte der Arznei (Darmstadt 2004).

Wighard Strehlow, Die Edelstein-Heilkunde der Hildegard von Bingen (Bielefeld 2004).

Heike Tausendfreund, Alltägliches und Kostbares aus Glas. In: Von Klosterfrauen und Frommen Frauen. Die Ergebnisse der Ausgrabungen im ehemaligen Zisterzienserinnenkloster Gravenhorst von 1999 bis 2002 (Münster 2007).

Abbildungsnachweise

Abb. 1 (Titelbild): Darstellung aus dem Rupertsberger Codes des Liber Scivias, Foto: Wikimedia

Abb. 2: Quelle: Stadt Bingen / Foto: Frauke Brönsch; in: https://www.bingen.de/kultur/museum-am-strom/virtuelles-museum/hildegard-von-bingen/bildliche-darstellungen-hildegards

Abb. 3: Rebekka Abendroth

Abb. 4: Andreas Lechtape, Münster https://www.lwl.org/LWL/Kultur/kloster-dalheim/aktuelles (Bildergalerie)

Abb. 5: Historisches Museum am Storm; Quelle: Stadt Bingen  https://www.bingen.de/hildegard/spurensuche-hildegard/der-rupertsberg