Gekonnt lenkten wir den Dienstwagen auf den Seitenstreifen, um unmittelbar wieder auszuscheren. Nun waren wir die Verfolger, und darin hatten wir inzwischen Übung. Es dauerte rund fünf Minuten bzw. drei innerstädtische Straßenkilometer, bis der Paketwagen zum Stehen kam. Wir hielten direkt hinter dem Fahrzeug und stiegen aus. Zu unserer Erleichterung blickten wir in ein bis dahin unbekanntes Gesicht, das sich uns kauend zuwandte, als wir an die Scheibe der Beifahrertür klopften. Es war inzwischen Mittag.
Um es kurz zu machen: Wir hatten den Richtigen! Das Paket hatten wir dennoch nicht. Inzwischen war unser Mann nämlich in der Paketzentrale gewesen, hatte neue Pakete zur Auslieferung aufgenommen und – zu unserem Entsetzen – die nicht zugestellten zurückgelassen. Unser Paket hatte Herne also bereits verlassen.
Der Zusteller entschuldigte sich und teilte uns mit, erst seit fünf Tagen als solcher zu arbeiten. Darüber hinaus sei er ortsfremd, was für ihn bedeutete, dass er es sich nicht leisten konnte, sich allzu lang mit „schwierigen“ Adressen aufzuhalten. Halten wir uns nicht länger mit Entschuldigungen auf. Es musste gehandelt werden! Unser Paket drohte, noch am selben Tag, womöglich noch in der nächsten Stunde, das Revier für zunächst lange Zeit zu verlassen. Im Gegensatz zum Vormittag, als wir ausschließlich im Nebel stocherten, hatten wir nun eine Spur: Die Paketzentrale. Zu unserem großen Glück lag diese auch noch in Bochum, wohin uns die Dienstfahrt ohnehin führte. Der Zusteller gab uns die Adresse und den Hinweis, dem Pförtner mitzuteilen, er hätte uns geschickt und er solle uns durchlassen. Tief beeindruckt von der Befehlsgewalt über den Pförtner, die sich unser Zusteller in nur fünf Tagen erworben haben muss, verließen wir Herne und tauchten in Bochumer Industriegebiete ab, die nicht einmal auf etablierten Straßenkarten lückenlos erschlossen waren.
Nach rund 15 Minuten Fahrtzeit standen wir vor einer Schranke, die nur dem Pförtner im Häuschen nebenan gehorchte. Wie selbstverständlich gaben wir den Zustellernovizen als Referenz und Türöffner an, um in das scheinbar hochgesicherte Sperrgebiet zu gelangen. Sichtlich überfordert quollen Schweißperlen auf die hohe Stirn des Torwächters. Schließlich galt es abzuwägen, ob er mit einem Knopfdruck womöglich den größten Schub oder Fehler seiner Karriere beging. Wir wiesen darauf hin, dass in weniger als fünf Minuten unser Paket verloren sei. Er drückte den Knopf. Die Schranke hob sich. Wir passierten den Sperrgürtel.
Tage später erfuhren wir, dass es für Personen, die keinen Passierschein besaßen, eigentlich unmöglich war, die Kontrollstation zu überwinden. Uns war es jedoch gelungen, was einen Grund mehr darstellt, diesen Blogbeitrag zu schreiben.
Unser Husarenstück hat damit aber noch nicht seinen dramaturgischen Höhepunkt erreicht. Der befand sich nämlich auf ungefähr gleicher Höhe wie das gewaltige Gebäude, das sich nun vor uns erhob. Es war umstellt von Zustellfahrzeugen. Wie es schien, lag die gesamte Flotte im Heimathafen. Rückblickend haben sich unsere Schätzungen inzwischen auf eine Anzahl im dreistelligen Bereich eingependelt. Uns wurde immer mehr klar, dass wir die Nadel im Heuhaufen entdeckt hatten. Jetzt mussten wir sie nur noch herausziehen. Aber wie?