Umweltbildung und Naturerfahrung in Westfalen – Standorte und Nutzungskonzepte

27.07.2020 Cornelius Dahm

Inhalt

Mensch und Umwelt – eine wichtige Lernbeziehung mit hoher Relevanz

Zivile Bewegungen wie "Fridays for future" oder "extinction rebellion" bringen seit 2018 die Themen Klima- und Umweltschutz wieder in die Mitte der Gesellschaft zurück. Sie sorgen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Diskurs für ein steigendes Interesse an Umweltzusammenhängen. Auch außerschulische Umweltbildung und Naturerlebnisse können Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen wichtigen, prägenden Anstoß liefern, sich wieder mehr mit der Umwelt auseinanderzusetzen (Rinschede 2019). Die Wissenschaft forscht zudem weiter an den positiven psychischen und medizinischen Aspekten von Naturerfahrungen (vgl. Gebhard u. Kistemann 2016 sowie Späker 2017). Doch wo und in welchem Rahmen findet Umweltbildung in Westfalen eigentlich statt? In diesem Beitrag soll ein Überblick über die vielseitigen Standorte für außerschulische Umweltbildung und Naturerfahrung in Westfalen gegeben werden. Dabei wird u.a. auf Faktoren wie die Siedlungsstruktur und Nutzungskonzepte vor Ort eingegangen.

Umweltbildung im Wandel der Zeit

Die Umweltbildung ist ein sehr dynamisches Feld des Lernens, das sich stetig weiterentwickelt. Sie ist thematisch eng mit der Geographiedidaktik verbunden, da sich die Lerninhalte an vielen Stellen überschneiden. Seit den 1970er Jahren entstanden verschiedene didaktische Konzepte zur Umweltbildung und -erziehung. Es stellte sich bald heraus, dass das reine Umweltwissen allein sich nicht unbedingt in ein dazu passendes umweltgerechtes Verhalten übersetzt. Daraufhin flossen auch zunehmend Elemente des affektiven Lernens ein (Rinschede 2019). Vor allem die Akteure der außerschulischen Bildung holten die Umweltpädagogik aus den Schulklassen und machten die Umwelt selbst zum Lern- und Erfahrungsort. So flossen auch zunehmend Ansätze und Methoden aus Erlebnis-, Abenteuer- und Wildnispädagogik in die Umweltbildung ein (Michl 2015). Parallel dazu entwickelt sich in Psychologie und Medizin ein wissenschaftlich gestütztes Verständnis für die Umwelt als Therapieraum. In vielen Studien, vor allem ab den 2000er Jahren, wird der positive Einfluss von Natur u.a. auf Immunsystem, Wohlbefinden und Persönlichkeitsentwicklung bestätigt (Späker 2017).

Auch politisch ist Umweltbildung durch die Klimakrise in den letzten Jahren wieder mehr in den Fokus gerückt. Daher finden sich Aspekte der Umweltbildung auch in der Landesstrategie von Nordrhein-Westfalen "Bildung für nachhaltige Entwicklung", angelehnt an die Agenda 2030 der Vereinten Nationen. In der Strategie wird an vielen Stellen auf die Notwendigkeit einer ökologischen Bildung im innerschulischen und außerschulischen Bereich hingewiesen, um ökologische Zusammenhänge und ökologisches Bewusstsein wieder deutlich mehr zu fördern (MKULNV NRW 2016).

Abb. 1: Umweltbildungseinrichtun- gen in Westfalen (Quelle: eigene Erhebungen)

Umweltbildungseinrichtungen in Westfalen

Westfalen verfügt im Jahr 2020 über insgesamt 151 außerschulische Umweltbildungseinrichtungen. Für diesen Beitrag wurden diese auf Kreisebene erfasst. Aufgenommen wurden alle Einrichtungen mit einer festen Adresse oder zumindest einer fest verortbaren offenen oder geschlossenen baulichen Struktur. Eine Ausnahme bilden drei Lernmobile, die keinen festen Standort einnehmen. Diese wurden ihren Heimatkreisen zugeordnet.

Zunächst kann festgehalten werden, dass es in jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt in Westfalen mindestens eine Einrichtung gibt, die Umweltbildung anbietet. Die meisten davon befinden sich im Hochsauerlandkreis (15) im Kreis Recklinghausen (13) und im Märkischen Kreis (11). Je nur eine Umweltbildungsstätte weisen die kreisfreien Städte Hamm und Herne auf (Abb. 1).

Neben der Verortung der außerschulischen Umweltbildungseinrichtungen wurde für diesen Artikel auch untersucht, in welcher Siedlungsstruktur diese Bildungsangebote eingebettet sind. Dies lässt Rückschlüsse auf mögliche Standortpräferenzen zu. Dafür wurde auf die "Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung" (INKAR) des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung (BBSR) zurückgegriffen. Das BBSR hat den prozentualen Anteil der Einwohner in Kommunen mit einer Bevölkerungsdichte unter 150 Einwohner pro km² als Indikator für den Grad der "Ländlichkeit" festgelegt und daran orientiert vier sog. Kreistypen erstellt (von denen nur drei in NRW bzw. Westfalen vorhanden sind; Abb. 1). Demnach finden sich westfalenweit 28,4% der Umweltbildungsstellen in "kreisfreien Großstädten" und 59,4% in "städtischen Kreisen". Im "ländlichen Raum mit Verdichtungstendenz" sind 8,1% der Umweltbildungseinrichtungen verortet. Diese Konzentration auf den Kreistyp "städtische Kreise" hängt vermutlich mit mehreren Faktoren zusammen: Zum einen entspricht die Verteilung der Umweltbildungseinrichtungen statistisch betrachtet der Verteilung der Kreistypen in Westfalen. Da die Kategorie "städtischen Kreise" auch den häufigsten Kreistyp in Westfalen darstellt, sind hier statistisch betrachtet auch viele Umweltbildungseinrichtungen erwartbar. Die "städtischen Kreise" weisen zudem aufgrund der geringeren Besiedlungsdichte im Vergleich zu den kreisfreien Großstädten vermutlich mehr naturnahe Flächen auf, die sich für Umweltbildung eignen und sind gleichzeitig relativ gut erreichbar für potenzielle Kunden aus den kreisfreien Großstädten.

Vergleicht man hingegen die Anzahl der Umweltbildungseinrichtungen zwischen einzelnen Gebietskörperschaften, fallen die meisten kreisfreien Großstädte nicht deutlich hinter die städtischen Kreise zurück. So haben Bielefeld, Bochum, Dortmund, Gelsenkirchen und Münster je sechs bzw. sieben Umweltbildungseinrichtungen. Eine ähnliche oder höhere Anzahl findet sich in sieben der 16 städtischen Kreise.

Abb. 2: Landschaftsinformations- zentrum Möhnesee als typisches Nach­nutzungskonzept zur Umweltbildung (Foto: Malchen53 - eigenes Werk, CC BY-SA 3.0; https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30172944)

Besondere Standortkonzepte

25% der untersuchten Umweltbildungsstätten sind in alten, teils leerstehenden Gebäuden entstanden und geben diesen eine neue Funktion. Darunter finden sich repräsentative Anwesen wie Burgen, Rittergüter und sogar Klöster. Auch ehemalige Industriegebäude wie Wassermühlen, Zechengelände und sogar eine kleine Trafostation wurden für die Umweltbildung nachgenutzt (Abb. 2). Des Weiteren dienen heute ehemals ungenutzte profane Gebäude wie Bauern- und Gutshöfe, Läden, ein altes Rathaus und eine Villa Umweltbildungszwecken. Einige außergewöhnliche Nachnutzungskonzepte sollen hier kurz vorgestellt werden: So nutzt der ARCHE Menden e.V. ein altes Freibad. In Bad Lippspringe hat der NABU e.V. ein altes Kurhaus zum Natur-Infozentrum für die Senne umgebaut. In Burgsteinfurt werden viele Umweltbildungsangebote in der "Energiezentrale" des energieland2050 e.V. koordiniert, einem alten Elektrizitätswerk.

Weitere Standortkonzepte greifen auf die Mitnutzung vorhandener Infrastrukturen zurück, wie etwa im Fall einiger Lernbauernhöfe, bei denen die Umweltbildung ein zusätzliches Einkommen zur Landwirtschaft erbringt. Eine weitere Besonderheit stellen Lernmobile, wie z.B. der "Lumbricus" der Natur- und Umweltschutzakademie NRW (NUA) dar. Diese umgebauten Lkw dienen der NUA als mobile Umweltstation und können so in ganz Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden.

Fazit

Westfalen verfügt über eine breit aufgestellte und kreative Umweltbildungslandschaft. Umweltbildungsangebote sind in allen Kreisen und kreisfreien Städten vorhanden. Die meisten Anbieter von Umweltbildung haben sich dabei einen Standort in städtischen Kreisen ausgewählt. Sie zeigen sich dabei in vielen Fällen sehr kreativ hinsichtlich der Nach- und Mitnutzung vorhandener Gebäude oder verzichten gar ganz auf einen festen Standort.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: 1,5 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2020