Ausschnitt Bravo Heft 50/1972

Sex sells!

Die sexuelle Revolution im Spiegel der Jugendzeitschrift BRAVO

Die Zeitschrift BRAVO ist den Meisten bekannt als eine tabulose und vor allem freizügige Jugendzeitschrift mit Ganzkörper-Nacktaufnahmen beider Geschlechter, die große Beiträge zur sexuellen Aufklärung junger Menschen geleistet hat. Mit ihrer Erstauflage 1956 war sie jedoch weit entfernt von diesem Image.

Wenn die BRAVO am Anfang noch gegen Petting wetterte, Selbstbefriedigung als Selbstbefleckung darstellte (, die bei Jungen zu Impotenz führe) und vor allem Homosexualität als ‚abartig‘ und ‚behandelbar‘ betrachtete, liberalisierte sie sich ab 1969 immer mehr – obwohl Homosexualität noch immer als ein Problem dargestellt wurde. Und wenn anfangs eher unterschwellig von Sexualität die Rede war und Sex vor der Ehe als negativ bewertet wurde, öffnete sich die Zeitschrift in den späten 1960er Jahren in Richtung tabuloser Aufklärung. Vorehelicher Geschlechtsverkehr wurde zu dieser Zeit schon fast als selbstverständlich geschildert.

Mit ihrer Haltung zum Thema Sexualität hinkte die BRAVO ihrer Zeit eher hinterher. Bereits Anfang der 1960er-Jahre kam die 'Sex-Welle' in der BRD an. Die großen Illustrierten oder die Bildzeitung bildeten oft und gern Nacktfotos (vornehmlich von Frauen) ab. Auch die Aufklärungsfilme von Oswald Kolle und anderen führten zu einer anderen Sicht auf Sexualität, deren lustvolles Erleben durch Verhütungsmittel wie die Pille vereinfacht wurde.   

Zeitschriften wie Twen hatten sich bereits seit Ende der 1950er Jahre für sexuelle Offenheit eingesetzt und stellten vermehrt sexuelle Normen und Werte in Frage. Auch die verstärkte Sexualaufklärung an Schulen, die 1968 einheitliche Richtlinien für schulischen Sexualunterricht durch die Kultusministerkonferenz (KMK) erfuhr, trug dazu bei, dass über das Thema Sexualität freier geredet wurde.

Für die Zeitschrift BRAVO hieß das: Die jugendlichen Leserinnen und Leser machten immer früher sexuelle Erfahrungen oder waren zumindest schon in jungen Jahren mit dem Thema konfrontiert, sodass die Zeitschrift, nicht zuletzt um ihrer Auflage willen, gezwungen war, sich weiter für das Thema zu öffnen. Mit Dr. Martin Goldstein alias Dr. Sommer gelang schließlich ab Heft 43/1969 eine besondere Form der Annäherung an das Thema  jugendliche Sexualität, indem Fragen und Probleme in Form von Leserbriefen thematisiert wurden.

Dr. Sommer wurde neben dem Starkult schnell zum zweiten Standbein der Zeitschrift. 15 Jahre lang beriet und klärte der Psychologe die Jugendlichen auf, die ihm monatlich bis zu 5000 Briefe mit ihren Sorgen und Problemen zukommen ließen. Diese wertete Dr. Sommer mit seinem Team einmal wöchentlich aus und verfasste daraus seine Antworten, die dann in der BRAVO abgedruckt wurden. Die Zuschriften stammten nicht nur aus Großstädten, sondern  auch aus der Provinz und befassten sich mit ersten sexuellen Erfahrungen jeglicher Art ebenso wie mit Beziehungsproblemen und – in späteren Jahren – Fragen der geschlechtlichen Identität.

Neben der Dr. Sommer-Rubrik gelangten Ende der 1960er auch immer mehr redaktionelle Beiträge über Sexualität  in die Zeitschrift. So waren es Themen wie „Sex in der Schule“, „Entdecke deinen Körper“ oder das „ABC der Liebe“, die sich allesamt ausführlich mit dem Thema befassten. Zwar ist der Liberalisierungsprozess der Zeitschrift verhältnismäßig  langsam gewesen, doch gehörte das Thema Sexualität in den 1970er Jahren dann zu den Kernthemen der BRAVO. Klaus Farin bringt dies in der Veröffentlichung 50 Jahre BRAVO auf die prägnante Formel: „So veränderte nicht BRAVO die Gesellschaft, sondern die Trends in der Gesellschaft veränderten BRAVO“.

Reyhan Özdemir