Bienenvölker in Westfalen

07.11.2022 Reinhard Köhne

Kategorie: Naturraum

Schlagworte: Westfalen · Fauna · Biene · Imkerei · Insekt · Nutztier

Inhalt

Vom Baumstamm zur Styroporbeute

Seit den Anfängen der Kulturgeschichte hat der Mensch die Honigbiene wegen des Honigs und des Bienenwachses in seine Rohstoffversorgung einbezogen. So war die Waldbienenhaltung, bei der die Bienenvölker in ausgehöhlten Baumstämmen gehalten wurden, während des Spätmittelalters in Süddeutschland verbreitet. In Westfalen ist die Bienenhaltung auf Bauernhöfen überliefert, da die Pflege und Ernte der Bienenvölker im hofnahen Bereich einfacher ist. So erhielt das Damenstift Meschede im 13. Jh. 100 Kannen Honig von 300 abgabepflichtigen Höfen im Sauerland und in der Soester Börde. Sechs Pfund Bienenwachs an die Pfarrkirche für Kerzen zählten lokal noch im Jahr 1807 zu den Naturalabgaben des Köhne-Erbgutes in Schmallenberg-Berghausen.

Auf die ausgehöhlten Baumstämme folgten aus Stroh geflochtene Bienenkörbe oder Holzkästen, und heute ersetzen transportable Styroporkästen das Bienenhaus.

Seit dem 18. und 19. Jh. begann mit der wissenschaftlichen Erforschung des Sozialverhaltens und der Kommunikation im Bienenstaat die neuzeitliche Phase der Imkerei. Erfahrene Praktiker optimierten die Honiggewinnung in Magazinkästen. Mit dem Anbau der Zuckerrübe entstand seit dem 19. Jh. ein konkurrierendes Süßungsmittel. Ein wachsendes Netzwerk von Imkervereinen setzte die Ergebnisse der Forschung in die Praxis um. Zu den Gründungsvätern gehörten Lehrer, Landwirte und Handwerker. So wurde die Bienensprache zur Vermittlung der Futterquelle entdeckt, und als 1913 die Bienen in Europa infolge einer Seuche vom Aussterben bedroht waren, gelang die Züchtung der friedlich-fleißigen westlichen Honigbiene in einem englischen Benediktinerkloster.

"ei, wir tun dir nichts zu leide, flieg nur aus in Wald und Heide"

Als Hoffmann von Fallersleben 1843 in seinem Kindergedicht das summende Bienchen ermunterte, die Kulturlandschaften der vorindustriellen Zeit zu nutzen, war das Artenspektrum der Bienenweide noch vielfältig. Extensiv genutzte Heiden und Moore hatten in der Westfälischen Bucht einen hohen Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Artenreiche Wiesen und Weiden, ausgedehnte Obst- und Gemüsegärten boten in der warmen Jahreszeit ausreichend Nektarquellen. Die Salweide mit ihren Kätzchen und die Frühjahrsblüher lieferten an den Waldrändern und in den Wallhecken erste Bienennahrung. Im Juli blühte die Linde, und auf den Blättern bildete sich der süße "Himmelstau". Auch die duftenden Blüten der Robinie, der Ahorn im Wald und die Rosskastanien an den Alleen wurden im Mai/Juni von den Bienen gerne angeflogen. In den Haubergen und Wildländern Südwestfalens war der im Juli und August massenhaft blühende Gamander eine wichtige Futterquelle für die Bienenvölker. Schließlich lieferte das Heidekraut im September einen aromatischen Honig.

Abb. 1: Bienen-Freistand am Waldrand bei Meschede-Calle (Foto: R. Köhne)

Bienen in einer veränderten Kulturlandschaft

Heute haben die Bienen größere Schwierigkeiten, geeignete Nahrungsquellen zu finden. Das explosive Bevölkerungswachstum seit dem 19. Jh. erforderte das Nahrungsmittelangebot zu steigern und zu erweitern. Heiden wurden meistens mit Nadelhölzern aufgeforstet und Moore abgebaut oder kultiviert (s. Beiträge Hetzel/Schmitt und Otto). Durch die Einführung der Silagefütterung in der Viehhaltung wird das Grünland jährlich drei- bis viermal gemäht, so dass Blütenpflanzen kaum noch Chancen haben, sich durch Samen zu vermehren. Lediglich der Löwenzahn schafft es, auf den "Güllewiesen" eine Blütezeit einzubringen. Auf dem Ackerland müssen Düngung, Pestizide und Insektizide die Getreideernte sichern, und der Mais dient nicht mehr nur als Futterpflanze, sondern zunehmend als Energiepflanze in den Biogasanlagen (s. Beitrag Wittkampf). Einen Massenertrag bringt nur noch die Rapsblüte im Mai. Im Wald hat der Hochwald der modernen Forstwirtschaft mit überwiegenden Fichtenkulturen die Niederwaldwirtschaft mit Birken und Eichen verdrängt.

Die westfälische Imkerei in der Neuzeit

Nach der sog. Hebeliste des Landesverbandes Westfälischer und Lippischer Imker betreuen im Jahr 2022 ca. 10.200 Imker etwa 69.000 Bienenvölker. Somit entfallen im Durchschnitt knapp sieben Bienenvölker auf einem Imker. Deren meist nebenberuflich ausgeübte Arbeit – immerhin mit einem jährlichen Zeitaufwand je Volk von 8–10 Stunden verbunden – wird durch das Bieneninstitut der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe in Münster durch Vermittlung der Bienenkunde und Ausbildung von Tierwirten unterstützt.

Die Anzahl der Imker ist drastisch von über 15.000 zu Beginn der 1950er Jahre auf unter 6.000 Mitte der 2000er Jahre gesunken. Seitdem steigt deren Zahl allerdings wieder an. Auch die Anzahl der Bienenvölker hat einen dramatischen Rückgang von ca. 156.000 im Jahr 1954 auf einen Tiefpunkt im Jahr 2010 mit weniger als 38.000 Völkern erlebt (https://www.lv-wli.de/.../zahlen-fakten). Dazu hat wesentlich die Einschleppung der aus Asien stammenden Varroamilbe beigetragen, die 1977 erstmalig in Deutschland nachgewiesen wurde. Der Befall führt bei der ungeschützten europäischen Biene zu hohen Winterverlusten oder zum Absterben ganzer Völker. Die Bekämpfung durch sorgfältige Kontrollen und biologische Säuren verhinderte das Aussterben und ermöglichte einen Wiederanstieg.

Analog zur Erholung der Imkerzahlen konnte in der letzten Dekade ebenfalls ein merklicher Wiederanstieg der Zahl der Bienenvölker verzeichnet werden – enorm wichtig für die Landwirtschaft, da unsere Nutzpflanzen zu 80 % von Bienen bestäubt werden müssen.

Abb. 2: Bienenvölker und Imkervereine in Westfalen (Stand 10/2022) (Quelle: Landesverband Westfälischer und Lippischer Imker e.V. 2022)

Standortfaktoren der Imkerei in Westfalen

Ein Bienenvolk benötigt lokal einen sonnigen, windgeschützten Stand, eine Wasserquelle und ein über Frühling und Sommer blütenreiches Umfeld. Da die Biene für ihre Aktivitäten eine Lufttemperatur von 10–14°C benötigt, ist auch das Kleinklima im Umland von Bedeutung.

Damit ist das Südergebirge mit seinem feuchtkühlen Klima, einer verkürzten Vegetationsperiode und den ausgedehnten Hochwäldern eher ein natürlicher Ungunstraum. Dennoch zeigt der Kreisimkerverband (KIV) Siegerland mit einer Konzentration von knapp 3.500 Völkern (Abb. 2), dass im Verbundsystem Mensch-Honigbiene-Blüte der anthropogene Faktor eine wichtige Rolle spielt. Letztlich wird das "halbwilde Haustier" Honigbiene von Imkern gehalten, und ihr traditionelles Engagement sorgt im Siegerland seit mehr als 150 Jahren für eine hohe Erschließung der Mittelgebirgsmulde.

Ein Verteilungsmuster mit z.T. relativ hohem Besatz charakterisiert den altindustriellen Verdichtungsraum entlang der Ruhr. Bienenhaltung in städtischen Wohngebieten stößt auf Verbote, die Bebauungspläne oder das Nachbarschaftsrecht vorgeben. Dennoch bieten Grünflächen, Friedhöfe, Parks und Kleingärten Potenziale für die Imkerei. Dass diese in den letzten Jahren in urbanen (Rand-)Bereichen an Attraktivität hinzugewonnen hat, zeigt auch die Bienendichte im KIV Unna (Abb. 2), derzeit (Stand 2022) eine der höchsten in ganz Westfalen.

Die Schwerpunkte der Bienenhaltung in Ostwestfalen liegen in den KIV Paderborn (ca. 3.800 Völker), Gütersloh (3.700) und Lippe (3.500). Aber auch nördlich hiervon ist – wenn auch in geringerem Maße – eine erfolgreiche Imkerei möglich (Abb. 2).

Ein natürlicher Bienengunstraum ist sicherlich die Westfälische Tieflandsbucht. Zudem begünstigt die hier vorliegende vielfältige Siedlungsstruktur mit städtischen Zentren, Dörfern und Einzelhöfen die Präsenz der Bienenvölker. Bei einem Aktionsradius der Bienen von 1–3 km sind allerdings auch weniger stark ausgeprägte Bereiche erkennbar (KIV Münster, Tecklenburg und Warendorf; Abb. 2).

Imkerei-Boom in Westfalen?

Generell ist festzuhalten, dass die Bienenzucht nahezu überall in Westfalen in den letzten Jahren an Attraktivität stark hinzugewonnen hat. Dies stützen nicht nur die flächendeckende, z.T. immense Zunahme der betreuten Völker, sondern auch die der Mitglieder in den KIV. Im Vergleich mit dem Jahr 2015 etwa mussten lediglich die Verbände Ennepe-Ruhr und Recklinghausen Verluste hinnehmen (vgl. Abb. 3 bei Köhne 2016). Ob diese positiven Zahlen jedoch lediglich einen vorübergehenden gesellschaftlichen Trend widerspiegeln und inwieweit naturräumliche Faktoren – allen voran klimatische Veränderungen – diese Entwicklung beeinflussen, bleibt abzuwarten.

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Weiterführende Literatur/Quellen

  • Hömberg, A. (1938): Siedlungsgeschichte des oberen Sauerlandes. Münster
  • Köhne, R. (2016): Bienenvölker in Westfalen. In: Grothues, R., K.-H. Otto und M. Wieneke (Hg.): WESTFALEN REGIONAL, Band 3. Münster, S. 64f. (= Siedlung und Landschaft in Westfalen, Bd. 41)
  • Köster, K. (1909): Zur Vermögensverwaltung des Stifts Meschede im Mittelalter. Münster
    (Dissertation an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster)
  • Landesverband Westfälischer und Lippischer Imker e.V. (Hg.) (2022): Hebeliste 2022. Hamm
    (https://www.lv-wli.de/files/pdf/Verband/Zahlen%20und%20Fakten/-%20Hebe_b22%20Mitgl.%20V%C3%B6lker.pdf)
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Geschichte_der_Imkerei
  • https://www.apis-ev.de
  • https://www.lv-wli.de/verband/zahlen-fakten
  • https://www.westfalen-regional.de/de/biogas
  • https://www.westfalen-regional.de/de/heidegebiete
  • https://www.westfalen-regional.de/de/hochmoore
  • https://www.westfalen-regional.de/de/kleingaerten

Erstveröffentlichung 2014, letzte Aktualisierung 2022