Die Eisenbahnverbindung zwischen Gronau und Enschede

01.01.2007 Michael Geuckler

Inhalt

Abb. 1: Linienverlauf der Strecken Enschede-Münster und Enschede-Dortmund (Entwurf: M. Geuckler, Quellen: s. Literatur am Ende des Beitrags)
Mitte des 19. Jh.s benötigte die an der deutsch/niederländischen Grenze angesiedelte Textilindustrie leistungsfähige Transportwege, welche kostengünstig Rohstofflieferungen und Warenabsatz ermöglichten. Das seinerzeit "neue" Verkehrsmittel Eisenbahn bot die Gelegenheit, solche Transportwege anzulegen. Zunächst erhielt der Raum Gronau/Enschede von niederländischer Seite aus 1866 einen Anschluss an das Eisenbahnnetz. Die Verlängerung nach Glanerbrug folgte 1868. Auf deutscher Seite wurde Gronau von den beiden Eisenbahnlinien aus Dortmund und aus Münster 1875 erreicht (Abb. 1). Die Strecke der Dortmund-Gronau-Enscheder-Eisenbahngesellschaft (DGEE) war von Anfang an ein wirtschaftlicher Erfolg für die Eigentümer. Als Transportgüter spielten nicht nur Kohle und Textilien eine Rolle, sondern auch landwirtschaftliche Produkte. Die Münster-Enscheder-Eisenbahngesellschaft (MEE) wurde aus regionalpolitischen Gründen ins Leben gerufen, da Münster und das Münsterland Anschluss an die Textilregion Gronau/Enschede sowie an die niederländischen Nordseehäfen erhalten sollten. Das Güteraufkommen auf dieser Strecke blieb jedoch nur gering. Die MEE wurde 1884, die DGEE 1903 verstaatlicht.

Sowohl der Personen- als auch der Güterverkehr im Abschnitt Gronau-Enschede waren geprägt durch die wirtschaftliche Entwicklung insbesondere der Textilindustrie. Von daher gab es im Fahrgast- bzw. Frachtaufkommen deutliche Schwankungen. Während des Ersten Weltkrieges und zwischen 1945 und 1951 ruhte zumindest der zivile Personenverkehr vollständig. Nach einer positiven Entwicklung in den 1950er Jahren kam es in Folge sinkender Nachfrage zu einem kontinuierlichen Rückgang des Angebots (Abb. 3). Ab dem 30. Mai 1976 fuhr nur noch ein Zugpaar auf der Strecke Gronau-Enschede, welches von/bis Münster verkehrte. Im September 1981 wurde der Schienenpersonenverkehr schließlich eingestellt. Bereits 1979 erfolgte die letztmalige Nutzung der Strecke im Güterverkehr.
Abb. 2: Streckenverlauf zwischen Gronau und Enschede (Entwurf: M. Geuckler, Quellen: RVM, Gemeente Enschede 1996)

Regionale Entwicklung seit 1980

Auf der niederländischen Seite zielt die Stadtentwicklung in Enschede auf eine Verdichtung der Freifläche zwischen dem Innenstadtbereich und Glanerbrug hin, wobei nördlich der Eisenbahnstrecke ein Gewerbegebiet entstand. Dieses umfasst eine Fläche von 45 ha, eine Erweiterung um 25 ha ist vorgesehen. Glanerbrug hat derzeit ungefähr 8800 Einwohner, das geplante Wohngebiet Eschmarke soll eine Größe von ca. 5000 Einwohnern erreichen. Auf deutscher Seite ist die Stadtentwicklung in Gronau in Richtung Grenze bereits nahezu abgeschlossen (Abb. 2).

Schließlich führen auch die politischen Entwicklungen in Europa zu sich weiter verstärkenden Austauschbeziehungen über die - immer weniger wahrnehmbaren - Grenzen hinweg. Stichworte hierfür sind das Schengener Abkommen und der Vertrag von Maastricht, die mit weiteren europäischen Vereinbarungen zu einem verstärkten Güter- und Personenaustausch führen werden.

Die Reaktivierung 2001

1988 schlossen das Land Nordrhein-Westfalen und die Deutsche Bundesbahn eine Rahmenvereinbarung über die künftige Gestaltung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) ab. In diesem Zusammenhang beauftragte die EUREGIO 1991 ein Gutachten über die Wiederinbetriebnahme der Schienenstrecke. Im Ergebnis wurde eine Reaktivierung bei einer Nachfrage von ca. 1000 bis 1500 Reisenden pro Tag als sinnvoll eingeschätzt. Seinerzeit konnte die Finanzierung nicht gesichert werden.

Ab 1996 ergab sich dann aufgrund geänderter Zuständigkeiten eine neue Situation: Im Zuge der Regionalisierung des SPNV (s. Beitrag Hübschen) wurde der "Zweckverband Schienenpersonennahverkehr Münsterland" (ZVM) Aufgabenträger und zuständige Behörde für die Gebiete der Kreise Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf sowie der Stadt Münster. Damit ist der Zweckverband nun für die Ausgestaltung des SPNV-Angebotes verantwortlich. Mit dieser Zuständigkeitsübertragung erhielt auch die Diskussion über die Wiederaufnahme des SPNV zwischen Gronau und Enschede neuen Auftrieb. 1996 konnte eine erneute Untersuchung über die Wiederinbetriebnahme der Schienenstrecke Enschede-Gronau durchgeführt werden, die bei einem Betrieb im 30-Minuten-Takt eine Nachfrage von ca. 1000 bis 1500 Fahrgäste pro Tag und Richtung prognostizierte.

Die Ergebnisse bildeten die Grundlage für den Abschluss einer Vereinbarung zwischen der Gemeente Enschede/Provincie Overijssel und dem ZVM über die Wiederaufnahme des SPNV zwischen Gronau und Enschede. Mit Zuwendungen der Europäischen Union, des Königreichs der Niederlande und des Landes Nordrhein-Westfalen konnte die Streckee instand gesetzt werden, im November 2001 wurde der Betrieb aufgenommen.

Abb. 3: Personenzugfahrten (werktags) zwischen Gronau und Enschede 1875-2006 (Entwurf: M. Geuckler, Quellen: s. Literatur am Ende des Beitrags)

Angebot und Nachfrage seit 2001

Seit der Wiedereröffnung der Strecke verkehrt werktags in jeder halben Stunde ein Zug zwischen den beiden Städten (Abb. 3). Hier ist sicherlich erwähnenswert, dass neue Fahrzeuge mit den Baujahren 2001 bis 2003 eingesetzt werden und den Fahrgästen einen entsprechenden Komfort bieten. Von Anfang an gehörte der Streckenabschnitt Enschede-Gronau tariflich zum Münsterland, so dass nur eine Fahrkarte für die Reise nötig ist. Ebenso selbstverständlich ist von Beginn an die Fahrgastinformation auf Niederländisch und Deutsch.

Die Nachfrage entwickelte sich durchaus positiv. Im ersten Jahr (2002) nutzten ca. 1000 Fahrgäste täglich (Montag bis Freitag) die Verbindung Gronau-Enschede, 2005 waren es bereits ca. 1300. An Sonn- und Feiertagen liegen die Werte leicht darunter (2002: 900 Fahrgäste; 2005: 1200 Fahrgäste). Beachtlich ist hingegen die Nachfrage an Samstagen. Diese betrug bereits im Jahre 2002 im Durchschnitt 1800 Fahrgäste pro Tag, inzwischen sind es 2300 (2005).

Die Verteilung der Nachfrage spiegelt sich auch im Fahrtzweck wider. 55% der Fahrgäste gaben als Fahrtzweck "Freizeit" an, 25% nannten "Besorgung". Bei den Fahrtzwecken "Arbeit" (15%) und "Ausbildung" (5%) ist sicherlich nach wie vor die Grenze eine wichtige Ursache für den relativ geringen Anteil.

Hatte das Gutachten 1996 prognostiziert, dass 60% der Fahrgäste die reaktivierte Strecke nur zwischen Enschede und Gronau nutzen würden, liegen diese Zahlen in der Realität mit ca. 45% (Montag bis Freitag) bzw. ca 30% (Wochenende) deutlich niedriger. Die Verbindung hat also nicht nur lokale, sondern auch regionale Bedeutung.

Betrachtet man Quelle und Ziel der Fahrgäste mit Ein-/Ausstieg in Enschede, so fährt die Hälfte von/nach Münster und 8% von/nach Steinfurt. Deutlich niedriger ist der Anteil der Fahrgäste von/nach Enschede, deren Quelle oder Ziel an der Strecke Gronau-Dortmund liegt (ca. 10%).

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die reaktivierte Verbindung im Einkaufs- und Freizeitverkehr sehr gut genutzt wird. Für den Berufsverkehr während der Woche werden gute Chancen zu einer weiteren Steigerung der Nachfrage gesehen.

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2007