Ländliche Wohnungsmärkte unter Schrumpfungsbedingungen – das Beispiel Hochsauerlandkreis

23.11.2016 Christian Krajewski

weitere Autorin: Jana Werring

Inhalt

In demografischer Hinsicht zählt Südwestfalen im Allgemeinen und der Hochsauerlandkreis (HSK) im Besonderen in NRW zu den ländlichen Regionen mit dem – kommunal differenziert – aktuell größten Bevölkerungsverlust. Seit 1995, dem Jahr des Bevölkerungsmaximums mit 284.392 Einwohnern, hat das Hochsauerland bereits über 7% seiner Einwohner verloren. Mit 265.000 Einwohnern in zwölf Kommunen verfügt der flächengrößte Kreis NRWs mit 145 Ew./km2 über eine nur geringe Bevölkerungsdichte (NRW: 523 Ew./km2). Gemessen am südwestfälischen Durchschnitt hat sich die Wirtschaft im Hochsauerland zwar etwas weniger dynamisch entwickelt; eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten im NRW-Vergleich ebenso wie eine leicht überdurchschnittliche Kaufkraft zeugen jedoch – anders als in demographischer Hinsicht – von einer insgesamt positiven regionalökonomischen Situation (s. Beitrag Wittkampf).

Vom Bevölkerungsverlust waren in der Vergangenheit am stärksten die Städte Marsberg und Winterberg mit über 8% betroffen. Die Einwohnerverluste werden nach der Bevölkerungsvorausberechnung von IT.NRW 2011 mit einem durchschnittlichen Bevölkerungsrückgang von 15,6% bis 2030 auf Kreisebene noch weiter zunehmen. Prognostizierte Spitzenreiter sind Marsberg (-23,5%), Winterberg (-23%) und die Kreisstadt Meschede (-18,4%). Der reale Bevölkerungsrückgang der letzten Jahre war sogar noch höher als der prognostizierte. Ebenso gravierend wie die Schrumpfung stellt sich die Verschiebung im Altersaufbau der Bevölkerung dar: Der Anteil der jüngeren Kohorten wird deutlich sinken, der Anteil der über 65-Jährigen wird bis 2030 um über 20% steigen. Der demographische Wandel insgesamt bringt veränderte Anforderungen an die soziale, Versorgungs- und Wohninfrastruktur mit sich und stellt eine große Herausforderung für die kommunale und regionale Daseinsvorsorge dar.

Tab. 1: Kennzahlen Wohnungs- markt – beispielhaft aufgezeigt an fünf Kommunen des Hoch- sauerlandkreises (Quelle: eigene Zusammenstellung nach IT.NRW 2013 und NRW.Bank 2013)

Wohnungsmarktentwicklung

Der Wohnungsbestand im Hochsauerlandkreis wird – typisch für den ländlichen Raum – mit einem Anteil von bis zu drei Vierteln klar durch Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern mit sehr hoher Eigentumsquote geprägt. Infolge der negativen demographischen Entwicklung ist auch das Baufertigstellungsniveau im Hochsauerlandkreis insgesamt deutlich gesunken. Als Konsequenz aus der gesunkenen Neubautätigkeit ist ein deutliches Überangebot an Bauplätzen mit entsprechenden Vermarktungsschwierigkeiten zu verzeichnen. Auch unterdurchschnittliche Baulandpreise können die Nachfrage nicht stimulieren. In Hallenberg und Medebach werden mit 30–40 Euro/m2 für baureifes, meist voll erschlossenes Land die günstigsten Bauplätze in Gesamt-NRW angeboten. Ebenso ist der Verkauf bebauter Grundstücke, der mittlerweile ca. 85% aller wohngebäudebezogenen Transfers auf dem Grundstücksmarkt im Hochsauerlandkreis ausmacht, zurückgegangen (Gutachterausschuss HSK 2013, S. 12). Insgesamt erhöht sich je nach Lage, Ortsgröße und Infrastrukturausstattung der Zeitraum, bis eine Gebrauchtimmobilie veräußert werden kann. Mit der nachlassenden Nachfrage korrespondieren außerdem im Zehn-Jahres-Vergleich um 10–20% gesunkene Wiederverkaufspreise; diese betrugen bspw. für Häuser in der am häufigsten verkauften Baualtersklasse 1950–1974 in den Jahren 2010–2012 in Hallenberg und Medebach durchschnittlich nur noch 85.000–90.000 Euro (Tab. 1). Dennoch gibt es auch in den Kommunen des HSK eine qualitative Nachfrage, vor allem nach altengerechten, eher kleineren Wohnungen möglichst im Zentrum der größeren Ortslagen, die allerdings mangels Angebot zum gegenwärtigen Zeitpunkt in nicht ausreichendem Maße bedient werden kann.

Strategische Steuerung der Schrumpfung

Angesichts der geschilderten Problemlage ist festzuhalten, dass altbewährte kommunale Steuerungsinstrumente (z.B. Ausweisung neuer Baugebiete oder finanzielle Förderung junger Familien) nicht mehr die gewünschten Wachstums- oder Stabilisierungseffekte erzielen. Die planerischen Konsequenzen ergeben sich demnach durch einen Paradigmenwechsel von Wachstumshoffnungen hin zur Akzeptanz der Schrumpfung vor Ort.

Die lange verbreitete Ohnmacht gegenüber den tatsächlichen und absehbaren Entwicklungen geht langsam von der reinen Wahrnehmung in erste Schritte der konkreten ProbIemanalyse und -behandlung über. Regionale Beispiele für die Sensibilisierung von Verwaltung, Politik, und Bevölkerung sind die Einrichtung von Demographie-Ausschüssen (Medebach und Winterberg), Zukunftswerkstätten zum Thema Demographie (Winterberg) und sog. Demographie-Trainings (Marsberg) oder auch das LEADER-Projekt "Dörfer im Aufwind" zur Erprobung eines Leerstandskatasters und -managements (s. Beitrag Rohleder). Aber auch formelle Planungsschritte, wie die Rücknahme von Wohnbauflächenreserven aus dem Flächennutzungsplan (Sundern), gehören zum Handlungsspektrum.

Um den Herausforderungen strategisch begegnen zu können, ist die Einbettung dieser punktuellen Ansätze in integrierte, gebietsbezogene Entwicklungskonzepte wünschenswert, die vor allem einen projekt- bzw. umsetzungsorientierten Charakter haben und – je nach Anlass oder Ziel – eine gesamtstädtische oder teilräumliche Ausrichtung haben können. Eine ressortübergreifende Kooperation, die Bündelung von Ressourcen sowie die intensive Einbeziehung einer breiten Vielfalt von Akteuren auch außerhalb von Kommunalpolitik und Verwaltung im Sinne einer "Urban Governance" sind dabei ein zentraler Grundstein. Der Orientierung dienen bei der Bearbeitung von Themenfeldern räumlich und oder inhaltlich übergeordnete Ziele, welche in die Umsetzung von Maßnahmen münden. Eine solche Kombination aus strategischen und umsetzungsorientierten Komponenten stellen sog. Handlungskonzepte Wohnen zur lokalen Prozesssteuerung dar. Exemplarisch sollen Maßnahmenbausteine eines solchen Konzeptes vorgestellt werden (Krajewski u. Werring 2014; s. Kasten).

Grundlage aller Projektideen muss eine Strategie sein, welche die Positionierung der Kommunalplanung und -politik in räumlichen Entwicklungszielen festhält: Welche zukünftige Dorf- bzw. Quartiersentwicklung wird gewünscht? Wie können betroffene Dörfer/Quartiere/Straßenzüge aufgewertet werden? Welche Alternativen gibt es für Eigentümer in Schrumpfungsgebieten?

Die dahinter stehende Idee ist es, Quartiere auf Basis von Leerstands- und Gebäudekatastern (verknüpft mit Einwohnerdaten/-prognosen, z.B. Bewohner mit Alter 75+) in unterschiedliche Entwicklungsperspektiven einzuteilen, die auf der einen Seite stabile bzw. zu stabilisierende Quartiere mit Bleibeperspektive festlegen. Auf der anderen Seite darf nicht davor zurückgeschreckt werden, zum Erhalt einer langfristigen kommunalen Handlungsfähigkeit auch Schrumpfungs- und Rückbaugebiete festzulegen, also Areale ohne mittel- oder langfristige Perspektive.

Essenziell ist dabei eine aufklärende Kommunikation zwischen Stadtplanung, Kommunalpolitik und Bevölkerung mit dem Ziel, die Themen Abriss und Rückbau als "Schreckgespenst" abzubauen. Um später die Akzeptanz für das neue baulich-entdichtete Dorf- bzw. Stadtgefüge zu fördern, sind neue Möglichkeitsräume von der Umnutzung leerstehender Wohnimmobilien ("Anwohner-Treffpunkt") bis zur Gestaltung von Brachflächen (z.B. Gemeinschaftsgärten) zu nutzen.

Zur Angebotsoptimierung zählt auch die Qualifizierung des Bestands durch eine Vielzahl energetischer Sanierungsmöglichkeiten und durch eine barrierefreie, altengerechte Gestaltung des Wohnraumes. Hierzu gehört der niederschwellige Einstieg in Wohn-Services durch den Aufbau einer Vernetzungs- und Vermarktungsstrategie. Die Mobilisierung von Eigentümern kann anhand von Beratungsangeboten gefördert werden.

Zur Stärkung der Nachfrageseite sollte eine Umlenkung der finanziellen Anreizinstrumente aus den Neubaugebieten in den (Alt-)Bestand erfolgen, was bereits in einigen Kommunen erfolgreich erprobt wird (z.B. "Jung kauft alt").

Fazit

Zur aktiven Problembewältigung sind neue konzeptionelle, strategische Antworten erforderlich, z.B. in Form von dialog-, beteiligungs- und prozessorientierten Handlungskonzepten. Notwendige Stabilisierungs-, Qualifizierungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen erfordern dabei eine externe Unterstützung durch bspw. Planungs- oder Beratungsbüros. Zweifellos handelt es sich bei der aktiven Weiterentwicklung von Stadtquartieren und dörflichen Siedlungen angesichts des demographischen Wandels um eine bleibende Aufgabe nachhaltiger und zukunftsfähiger Kommunalplanung.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2016