Ländliche Stiftsorte in Westfalen am Beispiel des Münsterlandes

01.01.2007 Friedhelm Pelzer

Abb. 1: Stift Asbeck (Foto: F. Pelzer)
Klöster und Stifte haben entstehungsgeschichtlich die gleiche Wurzel. Ursprünglich handelt es sich um kirchlich-monastische Einrichtungen des gemeinsamen Lebens. Sie sind Siedlungsgründungen, bei denen einzelne Stifter oder Familien der gehobenen Schicht, selbst königlicher Abkunft, aktiv wurden. Auch während des Mittelalters verlief die Entwicklung einheitlich. Viele Frauenklöster jedoch haben in der frühen Neuzeit mit der partiellen Säkularisierung zu freiweltlichen Damenstiften eine Sonderentwicklung vollzogen. Die totale Säkularisierung im frühen 19. Jh., vor allem im Zusammenhang mit dem Reichsdeputationshauptschluss (RDHS, § 35) 1803, oder während der napoleonischen Herrschaft (Lippedepartement) erfasste schließlich sowohl die Damenstifte als auch die Klöster.

Westfalen zeigt ein abwechslungsreiches Verteilungsmuster der monastischen Einrichtungen. Sie konzentrierten sich auf die größeren Zentren, einerseits auf die Bischofssitze Münster, Paderborn, Minden, dann aber auch auf Dortmund, Soest und Herford (Reichsstift). Hinzu kamen mittlere Städte: Borken, Bocholt, Coesfeld, Recklinghausen, Warendorf, Wiedenbrück, Lippstadt, Lemgo, Warburg und Marsberg - alle mit vier bis sieben klösterlichen Anlagen ausgestattet. Weitere städtische Siedlungen verfügten über drei oder zwei Klöster. Einzelne Klöster und Stifte befanden sich in oder bei kleineren Städten oder Wigbolden oder verstreut in den ländlichen Gebieten: "in der Einsamkeit", wie es quellenmäßig belegt ist, aber in dieser Formulierung wohl eher theologisch verstanden wurde. Im ländlichen Raum siedelten landkultivierende Orden wie die Zisterzienser. Dort wurden - meist weitaus früher - Stifte gegründet. Viele Orden waren aber städtisch orientiert, zum Beispiel die Franziskaner, Dominikaner u.a. Die Bettelorden (Mendikanten) spielten siedlungsgeographisch faktisch keine Rolle. Vereinzelt gab es Doppelklöster (für Mönche und Nonnen) oder Umwidmungen von einem Männer- zu einem Frauenkloster. Nicht selten erfolgte auch der Übergang einer Klosteranlage von einem Orden auf einen anderen.
Abb. 2: Stiftsorte im Münsterland (Entwurf u. Kartographie: F. Pelzer)
Bei den zahlreichen Klostergründungen in Westfalen dominierten die der Franziskaner/Franziskanerinnen (42 Klöster, Jázai: Monastisches Westfalen) vor den zisterziensischen (38) und augustinerischen (gesamt 38, davon Chorfrauen-Klöster 32), den Minoriten/Klarissen (32) und Dominikanern/ Dominikanerinnen (22). Recht stark waren auch die Prämonstratenser/Prämonstratenserinnen (16), die Kapuziner (12) und der Deutsche Orden (10) vertreten. Geht man von 316 erfassten Klöstern aus, wobei Verlegungen z.T. berücksichtigt sind, dann ergibt sich mit 135 im ländlichen Raum angesiedelten geistlichen Korporationseinrichtungen ein Anteil von ca. 43%. Die Kanonissenstifte hielten sich an augustinerische, prämonstratensische oder andere Regeln.

Durchmustert man das Münsterland - hier abgegrenzt im Süden und Osten durch die einstige Bistumsgrenze von Münster, im Norden und Westen durch die heutige Landesgrenze - nach Klöstern und Stiften im ländlichen Raum, dann wird man je nach Zuordnung 29 bis 31 zählen. Davon sind zehn, ein Drittel, als Stifte anzusprechen. Diese zehn sind (Abb. 2): Asbeck (heute zu Legden), Borghorst (Teil der Stadt Steinfurt), Hohenholte (zu Havixbeck), Langenhorst (zu Ochtrup), Metelen, Nottuln und Vreden (alle Westmünsterland); außerdem Freckenhorst, Leeden (ehemalige Diözese Osnabrück, heute Ortsteil von Tecklenburg) und Nordenspital (bei Hamm). Abgesehen von dem abgegangenen Stift Nordenspital, das  1805/1819 aufgehoben und danach restlos verfallen ist, betonen die benannten Ortschaften, Stiftsorte zu sein. Horstmar mit seinem Kollegiatstift St. Gertrud - 1325 gegründet, 1806 aufgehoben - und Burgsteinfurt mit der Ordenskommende sollen hier nicht näher berücksichtigt werden, da deren monastische Einrichtungen kaum ortsprägend waren.
Tab. 1: Übersicht der Stiftsorte (Entwurf: F. Pelzer, Quelle: K. Hengst u. eigene Erhebungen)
In vielen Fällen ist die Entstehung der Stifte als Klöster in Verbindung mit einem Haupthof, Gut (curia), Burganlage zu sehen, evtl. auch zwei oder drei alten Höfen, gegebenenfalls an einer alten Straße oder Straßenkreuzung. Auch eine Eigenkirche oder Urpfarre konnten zum Ansatzpunkt werden (Tab. 1) Die frühen Stiftsgründungen (bis ca. 1040) dienten dazu, die führenden sächsischen Familien zur Stabilisierung des Christentums kirchlich fest einzubinden. Im Unterschied zu den Klöstern wurden die Kanonissenstifte zu freiweltlichen Damenstiften umgewandelt. Das erfolgte zwischen 1495 (Freckenhorst) und 1699 (Borghorst), zumeist aber im Reformationsjahrhundert, wobei dann gelegentlich auch protestantische Frauen (lutherische und/ oder reformierte) einziehen konnten. Mit dieser rechtlichen Umwandlung unter Lockerung des Lebensstils hat sich das Siedlungsgefüge durch den Bau repräsentativer Kuriengebäude (z.B. Schlaun’sche Bauten in Nottuln), aber auch zusätzlicher Funktionseinrichtungen (Schulen, Hospitäler u.a.) aufgelockert.

Die Frauenklöster der zehn nachmaligen Frauenstifte gehörten zum Bistum Münster. Neben dem Stift entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte eine Siedlung in weitgehender Abhängigkeit, vor allen rechtlich-wirtschaftlicher Art. Der Stiftsbereich selbst entfaltete sich zu einem eigenen Wirtschaftskomplex, zu dem neben den spezifisch stiftischen Gebäuden, wie Kirche, Kreuzgang, Abtei, Dormitorium, Refektorium und stiftischen Wohnhäusern, auch Wirtschaftsgebäude (Speicher, Backhaus, Brauerei, Mühle) hinzukamen (Abb. 3). Der Stiftbereich wurde durch eine Gräfte abgesichert. Das Stift selbst bildete einen Immunitätsbereich. Die parallel sich entfaltenden Siedlungen hatten unterschiedlichen Rechtsstatus. Die Bezeichnungen Wigbold oder gar Stadt verdeutlichen das. Allerdings hatte das Stift häufig eine starke Rechtsstellung in der Siedlung, gelegentlich auch für eine kirchliche Region: Archidiakonat. In Vreden hatte die Äbtissin sogar das Münzrecht inne. In Nottuln konnte sie den Archidiakon für das Stift und das Dorf bestimmen. So blieb die wirtschaftliche und kirchliche Verquickung vielfach weitgehend erhalten. Die kirchliche Vikarie oder Pfarrei diente dem Stift und der Siedlung. Zum Stift gehörten nicht nur die meist adligen - bei vielfach obligatorisch nachzuweisender Ahnenfolge - Bewohnerinnen, sondern auch das oft zahlreiche Dienstpersonal.
Abb. 3: Modell eines Stiftsbereiches (Entwurf u. Zeichnung: F. Pelzer)

Zur Zeit der Säkularisierung (ab 1803) zeigten die Stifte, aufgrund der Ausstattung mit abgabepflichtigen Höfen, sehr unterschiedliches Wirtschaftspotenzial. Es gab Stifte mit guter wirtschaftlicher Kraft und hohem wirtschaftlichem Wert. Andere waren fast ausgezehrt.

In fast allen Stiften kam es zum Verfall, zur Zerstörung und sogar zur Abtragung der Gebäude. Lediglich die Kirchen (Ausnahme Leeden) hielten ihre Bausubstanz. Sie blieben auch weitgehend in kirchlichem Besitz (RDHS, § 63). So zeigt sich, dass heute die meisten Stiftskirchen Pfarrkirchen sind. Die Nebengebäude sind, sofern noch erhalten, erneuert oder wiedererrichtet in der Regel in privater Hand. In Nottuln aber auch Borghorst sind Grundstücke und Gebäude z.T. von der Kommune übernommen worden. Die besitzrechtlichen Verhältnisse bestimmen, inwieweit das Stift noch heute im Siedlungsgefüge ablesbar ist. Freckenhorst hat den Kapitellsaal 2001 (Jubiläumsjahr) zum Museum umgestaltet. Das gleiche wurde in Asbeck sehr erfolgreich vollzogen. Hier präsentiert sich mit öffentlichen Mitteln gefördert, ein exzellent ausgestalteter und präsentierter Stiftsbereich (Abb. 2). Ein künstlerisches Atelier mit Galerie, Kunsthandwerks- und Antiquitätenhandel und gastronomische Betriebe runden das Bild des Stiftsdorfes ab. So kann die alte Stiftkultur touristisch aufgewertet werden.

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2007